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Titel: Der ungehörte Lehrerprotest

Datum: 16. März 2023 um 13:11 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Gesundheitspolitik, Innen- und Gesellschaftspolitik
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Plötzlich erkennen Politiker die Schulschließungen als „Fehler“ der Corona-Politik an. Über die menschenverachtenden und sinnlosen Vorschriften, denen Kinder und Jugendliche über ein Jahr lang in der Schule ausgesetzt waren, sowie über die Lehrer, die protestierten und einen hohen Preis zahlten, soll möglichst niemand mehr sprechen. „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Bedingungen, die er selbst nicht schaffen kann“, erklärte einst der Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde. Es liege allein an den Bürgern, Verantwortung für ihr freiheitliches Gemeinwesen zu übernehmen, um dessen Fortbestand zu sichern. In der größten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik hatten Lehrer an staatlichen Schulen die Aufgabe, beispiellose staatliche Repressionen gegenüber Kindern und Jugendlichen durchzusetzen. Im Gegensatz zu Böckenfördes Mahnung taten die meisten dies reibungslos, teils verbissen, vor allem aber unhinterfragt: Sie trennten, testeten und maskierten die jungen Menschen, zwangen sie zur regelmäßigen Preisgabe ihres „Impfstatus“, schlossen sie von Prüfungen oder gleich ganz von der Schule aus, und nicht selten demütigten sie sie öffentlich, wenn sich Kinder und Jugendliche den euphemistisch „Maßnahmen“ genannten Rechtsverstößen nicht zu 100 Prozent beugten. Denunziation gehörte an vielen Schulen plötzlich zur Tagesordnung und wurde von Lehrern teilweise energisch befördert. Die wenigen Pädagogen, die ihre Zweifel artikulierten oder sogar offen protestierten, ernteten mindestens die soziale, teilweise aber auch die physische Ausgrenzung aus ihren Kollegien sowie massive Probleme mit den Vorgesetzten und Behörden bis hin zur Kündigung, wie die folgenden Geschichten belegen. Von Paul Pretoria[*].

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Protest durch Remonstration?

Verbeamteten Lehrern steht zum Protest das Instrument der sogenannten Remonstration zur Verfügung. Das Wort stammt vom Lateinischen ab und bedeutet die formelle Darlegung von Argumenten und Fakten gegen eine als unrechtmäßig angesehene Anweisung. In der Realität bedeutet sie das Ende der Beamtenlaufbahn. „Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen [müssen] unverzüglich […] geltend“ gemacht werden, verkündet das Bundesbeamtengesetz, und der Beamtenbund ergänzt, dies diene „der behördeninternen Selbstkontrolle“ sowie „der haftungs- und disziplinarrechtlichen Entlastung des Beamten bei rechtswidrigen Weisungen“. Wird eine Weisung trotz Remonstration von zwei vorgesetzten Instanzen aufrechterhalten, müssen Beamte sich fügen, allerdings nicht, wenn „das aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt“. So weit die Theorie. (Zur wechselhaften Geschichte des deutschen Remonstrationsrechts siehe hier)

Wie die folgenden persönlichen Berichte belegen, war der Weg der Remonstration gegen Coronamaßnahmen ausnahmslos aufreibend, entmutigend und sinnlos. Lehrer, die ihre Fragen und Bedenken minutiös mit Links zu Studien, Rechtsgutachten, Gesundheitsbehörden und Fachartikeln untermauerten, wurden mit zwei Sätzen und mit Hinweis auf die aktuelle Verordnung abgespeist. Eindringlich vorgetragene Gewissensnöte wurden in eiskaltem Behördendeutsch vom Tisch gefegt. Gerne arbeiteten die Behörden mit kafkaesken Verwirrungstaktiken. So wurde landauf landab erklärt, man könne nicht gegen Verordnungen remonstrieren, sondern nur gegen Anweisungen der Schulleitung. Als ob das eine vom anderen unabhängig sei. Damit wurde versucht, die Schulleitungen aus der Schusslinie und den Lehrern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Manche Behörden gingen so weit, die überragende Bedeutung der Remonstrationspflicht zu betonen, um im nächsten Satz festzustellen, dass man im Falle der Coronamaßnahmen definitiv nicht remonstrieren könne. Kurzum: Die menschliche und grundrechtliche Katastrophe, die per Verordnung über die Schulen gekommen war, wurde mit allen Mitteln der Verwaltungskunst totgeschwiegen und ignoriert. Blieben die Lehrer stur und widersetzten sich weiter, weil sie bestimmte Handlungen nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten, wurden sie bedroht und eingeschüchtert. Viele von ihnen haben das staatliche Schulsystem in der Folge verlassen.

Die ach so hoch gepriesene Remonstration, so viel ist sicher, erwies sich angesichts noch nie dagewesener staatlicher Übergriffigkeiten gegenüber den jüngsten Gesellschaftsmitgliedern als stumpfes Schwert. Die wenigen, die es schwangen, schadeten nur sich selbst. Schützen konnten sie niemanden, nicht die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen und schon gar nicht das freiheitliche Gemeinwesen.

Den Schulfrieden gestört

Jan Voigt ist Diplommathematiker und Quereinsteiger in der Lehrerausbildung an einer weiterführenden Schule. Er stört sich an der fehlenden Evidenz für die Wirksamkeit der sogenannten Alltagsmaske. Folglich trägt er sie selbst nicht und zwingt auch die Schüler nicht dazu. Als er zur Schulleitung zitiert wird, betont er mangelnde Untersuchungen zu Wirksamkeit und Gefahrenpotenzial der Masken. Die Antwort lautet: Die Regeln werden nicht in der Schule gemacht, müssen aber befolgt werden. Der Lehrer fragt vergeblich, wer für eventuelle Schäden hafte.

„Ich habe mich gefragt, wo die Grenze des Gehorsams in der Schule ist“, erinnert er sich. Als er die Maske weiterhin nicht trägt und bei der Schulleitung Beschwerden eingehen, erhält er eine schriftliche Dienstanweisung, die Maske zu tragen und auch die Schüler dazu zu zwingen. Er remonstriert mit einem kurzen Schreiben, in dem er seine Fragen zur möglichen Schädlichkeit bei gleichzeitiger Wirkungslosigkeit der Masken formuliert. Er erhält keine Antwort.

Im neuen Schuljahr spitzt sich der Konflikt zu. Es herrscht jetzt die durchgehende FFP2-Maskenpflicht für alle auf dem gesamten Schulgelände. Schon Zehnjährige tragen die Maske mindestens fünf Stunden täglich. Gleichzeitig wird die Testpflicht zu Hause eingeführt, und Lehrer müssen sogenannte Nachtests, die vor der Schule vergessen wurden, beaufsichtigen und dokumentieren. Voigt schreibt an die Schulleitung und rechnet anhand von Zahlen des RKI die hohe Falsch-positiv-Rate der Selbsttests vor. Wie ist es zu rechtfertigen, dass gesunde Schüler aufgrund falscher Testergebnisse verängstigt und isoliert werden, fragt er. Auch diese Frage bleibt unbeantwortet.

Wenige Tage später verlässt eine Schülergruppe seinen Unterricht, begibt sich zur Schulleitung und erklärt dort, Herr Voigt setze die Maskenpflicht nicht streng genug um. Der Schulleiter übernimmt daraufhin die laufende Unterrichtsstunde und stellt das allgemeine Maskentragen sicher. Es folgt ein Gespräch mit dem Dezernenten. Voigt störe durch sein eigensinniges Verhalten den Schulfrieden nachhaltig, wird ihm vorgeworfen, es gebe Beschwerden von Kollegen, Eltern und Schülern. Er habe im „System Schule“ sämtliche Vorgaben umzusetzen, seine fortgesetzte Weigerung könne zur Kündigung führen. Das Unterrichten wird ihm nunmehr untersagt.

Der Pädagoge betont seine Pflicht zu remonstrieren, wenn er von der Unrechtmäßigkeit von Anweisungen überzeugt sei, und erklärt, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Maske auch nach zwei Jahren nicht stattgefunden habe. Er erlebe, dass viele Kinder unter Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit litten und dankbar seien, wenn sie die Masken kurz abnehmen dürften. Er könne darin keine Störung des Schulfriedens sehen.

Die Studien zu Schäden durch Maskentragen, die der Lehrer mitgebracht hat, möchte der Dezernent nicht sehen. Voigt bietet an, den CO2-Gehalt der Luft unter einer Schülermaske probehalber zu messen. Es wird abgelehnt. Er fragt, was der Sinn von CO2-Messgeräten in den Klassenzimmern sei, wenn der CO2- Gehalt unter den Masken weitaus höher sei als in der Luft im Klassenzimmer. Er erntet Schulterzucken. „Dieses krasse Beispiel hat mir gezeigt, dass die Kollegen das eigene Denken eingestellt hatten“, so der Lehrer.

Wenige Tage nach diesem Gespräch erhält er die außerordentliche Kündigung. Darin werden seine Verletzungen der Corona-Verordnung pedantisch anhand von Tagen, Unterrichtsstunden und Aussagen im Kollegenkreis aufgelistet. Es wird deutlich, dass er unter genauer Beobachtung durch die Schulgemeinschaft gestanden hatte. Sein Verhalten verstoße nicht nur gegen „geltendes Recht“, sondern setze Schüler und Kollegium einer erheblichen Gesundheitsgefahr aus, so die Behörde. Eine „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ sei nicht mehr möglich.

Jan Voigt arbeitet nun an einer freien Schule. Sein Fazit:

„Niemand ist je auf meine inhaltlichen Fragen oder Bedenken eingegangen. Ich wurde entweder ignoriert oder bedroht. Die Verantwortung für das, was wir mit den Kindern gemacht haben, wurde ins Nirvana wegdelegiert.“

Charakterlich ungeeignet

Marian Nöhre ist Beamter auf Probe an einem Berufskolleg. Er arbeitet viel mit Schülern in schwierigen Verhältnissen, hat Sonderpädagogik studiert. In seiner Freizeit rappt er mit den Rapbellions. Seine Zwischenbewertung von Schulleitung und Ausbildern ist sehr gut, er sei ein toller Lehrer, wird ihm bescheinigt. „Die Maskenpflicht war ein Warnschuss für mich“, erinnert er sich. „Ich wusste, dass das für viele unserer Schüler sehr schlimm werden würde.“

Nachdem er beobachtet, wie eine Schülerin unter der Maske kollabiert, verfasst er seine erste Remonstration. Zu diesem Zeitpunkt müssen „Alltagsmasken“ in der Schule getragen werden. Der Pädagoge belegt anhand des RKI, dass Alltagsmasken keinen Fremdschutz gewährleisten. Genau das werde den Schülern aber suggeriert. Er wisse, dass auch asthmatische Schüler keine Maskenbefreiung bekämen, so der Lehrer, weil die Ärzte Angst hätten. Er zitiert unter anderem Christian Drosten und Karl Lauterbach, die Masken vor Corona als wirkungslos bzw. bei falscher Handhabung als gefährlich bezeichnet hatten. Die Maskenpflicht in der Schule sei nicht nur unsinnig, sondern verfassungswidrig, so sein Fazit, er könne sie nicht umsetzen. Die Behörde antwortet nicht.

Der Schulalltag wird zunehmend belastend für Nöhre. „Zwillinge liefen an ihrem Geburtstag Hand in Hand herum. Eine Lehrerin stürzte auf sie zu und trieb sie hysterisch auseinander. Die Leute sind durchgedreht“, erinnert sich Nöhre. „Schüler wurden nach Hause geschickt, wenn die Maske nur ein bisschen schief saß. Ich hatte morgens vor der Schule Herzrasen und Atemnot vor Stress.“

Die Vorgaben verschärfen sich weiter. Es folgen die FFP2-Maskenpflicht sowie die Testpflicht. „Man hat den volljährigen Schülern das Kindergeld gestrichen, wenn sie die Tests nicht gemacht haben“, so der Lehrer. „Wir haben die Jugendlichen massiv genötigt.“

In seiner zweiten Remonstration wiederholt Nöhre seine Bedenken bezüglich der Maskenpflicht, verweist auf die mittlerweile umfangreiche Studienlage und signalisiert trotzdem seine Bereitschaft, sich eines Besseren belehren zu lassen. Bezüglich der Tests betont er, dass die Infektiosität asymptomatischer Menschen nie nachgewiesen worden sei. Die Tests seien unzuverlässig, potenziell gefährlich und unverhältnismäßig. Sie seien nur angeblich freiwillig, in Wirklichkeit bestehe enormer Druck auf die Jugendlichen. Er kündigt an, die Tests weder anzuleiten noch zu dokumentieren. Das sei „offensichtlich falsch“.

Das Schreiben endet mit einer Liste von Fragen: Warum kommt Schweden ohne Nötigung von Schülern aus? Wie schützen die Maßnahmen in der Schule die gefährdeten Personen in der Gesellschaft? Ist es verhältnismäßig, jungen Menschen auf Verdacht ihre Grundrechte zu entziehen? Wie können Beamte angesichts von politisch motivierten Maßnahmen neutral bleiben?

Wenige Tage später kommt eine Antwort der Bezirksregierung, die plötzlich auch auf seine erste Remonstration eingeht. Seine Einwände werden allerdings ignoriert. Dagegen betont die Behörde, Remonstrationen gegen Erlasse seien grundsätzlich nicht möglich. Es folgt eine schriftliche Missbilligung, auf die Nöhre nicht reagiert, weil er immer noch auf eine inhaltliche Klärung hofft.

Wenige Tage später schreibt ihm sein Schulleiter in einer sehr kurzen E-Mail, er habe eben erfahren, dass der heutige Tag Nöhres letzter Arbeitstag gewesen sei. Nöhre möge so gut sein, seine Sachen schnellstmöglich abzuholen und seine Schlüssel abzugeben. Als der angehende Lehrer seiner Frau die E-Mail zeigen möchte, ist sein Schulmail-Konto bereits gesperrt. Die junge Familie ist von einem Tag auf den anderen ohne Einkommen.

Die offizielle Kündigung kommt per Post. Nöhre fehle die „charakterliche Eignung“ für den Beamtenstatus, so die Bezirksregierung. Er sei unfähig, sich „im Schulsystem zu integrieren und Dienstanweisungen zu befolgen“. Zusätzlich zur Weigerung, Coronamaßnahmen umzusetzen, werden ihm Verspätungen, Täuschung von Kollegen sowie sein Interview mit dem Kanal @FaktenFriedenFreiheit vorgeworfen, in dem er Kritik an den Schulmaßnahmen übt. Die Behördenbeamtin bezeichnet Textstellen aus dem Rapbellions-Song „Ich mach da nicht mit“ als „aufhetzend und gewaltverherrlichend“. Lehrer wie Sie wollen wir nicht, so die Botschaft.

„Sie mussten mich mit allen Mitteln als unzuverlässigen, charakterlosen Menschen darstellen“, erklärt der Pädagoge. „Es wurde alles aufgebauscht, um mich kündigen zu können. Ich hätte Gegenwind von irgendjemandem toll gefunden, aber die allermeisten Menschen in der Schule sind feige und rückgratlos und machen bei allem mit.“

Marian Nöhre hat Deutschland in der Zwischenzeit mit seiner Familie verlassen. An seiner Statt unterrichtet vermutlich ein Lehrer, der keine Fragen stellt und beflissen tut, was man ihm befiehlt.

Titelbild: ANUPONG RAJSUPA/shutterstock.com


[«*] Der Autor ist Lehrer an einer staatlichen, weiterführenden Schule und schreibt unter einem Pseudonym. Die Erfahrungsberichte sind ein Auszug aus einer Reihe von Interviews mit Lehrern aus ganz Deutschland.


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