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Titel: Kein Oscar für Wolodymyr

Datum: 13. März 2023 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kultur und Kulturpolitik
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Bei der heute Nacht in Los Angeles zelebrierten 95. Verleihung der Academy Awards, besser bekannt als Oscars, fehlte eine Person, die im letzten Jahr schon zum festen Inventar internationaler Film- und Medienpreise gehörte – der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Cannes, Venedig, Berlin, die Grammys, die Golden Globes – stets durfte der zugeschaltete Selenskyj mit hoch emotionalen Appellen von der großen Leinwand seine Propaganda unter das Volk bringen und die Kulturbranche huldigte ihm. Nicht so heute Nacht im Dolby Theatre. Obgleich auch hier eine Zuschaltung beantragt wurde, stieß Selenskyj diesmal auf eine Ablehnung. Deutsche Medien spekulierten bereits, dass Selenskyj „unerwünscht“ ist „weil er weiß“ oder ein Opfer von „Diversitätsgründen“ sei. Doch das ist oberflächlich. Ausnahmsweise hat Hollywood hier einmal richtig entschieden. Die überragende Rolle des Ukraine-Krieges in unserer Aufmerksamkeitsökonomie hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass hier „Weiße und Weiße“ sich gegenseitig massakrieren. Opferreiche Kriege in Afrika oder Asien interessieren uns und unsere Kulturelite nicht die Bohne. Und daran wird sich wohl auch nichts ändern. Ein Kommentar von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Können Sie sich vorstellen, dass ein gewisser Debretsion Gebremichael bei einer Filmpreisverleihung zugeschaltet wird und dort hoch emotional an die Weltöffentlichkeit appelliert, seine Truppen mit Geld und Waffen zu unterstützen? Sicher nicht, nur die wenigsten von Ihnen werden wissen, wer Gebremichael ist – auch ich musste das erst „ergoogeln“. Debretsion Gebremichael ist Führer der Volksbefreiungsfront von Tigray, einer der Kriegsparteien im eritreischen Bürgerkrieg. Zumindest in Hollywood dürfte wohl auch kaum wer wissen, wo Eritrea auf der Landkarte liegt. Dabei hat der dort seit November 2020 tobende Bürgerkrieg bereits mehr als 600.000 Menschen das Leben gekostet.

Auch Abdul-Malik al-Houthi dürfte nicht einmal im Traum die Chance haben, seine Propaganda vor andächtig staunenden Filmstars von einer Riesenleinwand kundzutun. Al-Houthi ist politischer Führer der Huthi-Milizen, einer Kriegspartei im Jemen-Krieg, der mittlerweile fast 400.000 Todesopfer gefordert hat. Gleiches gilt für Félix Tshisekedi, dem derzeitigen Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo, der im Osten des Landes einen Bürgerkrieg führt, bei dem Millionen Menschen gewaltsam vertrieben worden – die Kriege im Kongo, bei denen es vor allem um den Zugang zu den Rohstoffen geht, die der Westen für seine Technologien benötigt, haben insgesamt mehr als 12 Millionen Menschen das Leben gekostet.

Doch kaum wer im Westen weiß etwas von diesen Kriegen und es ist vollkommen undenkbar, dass ein Kriegsführer in einem dieser Konflikte, die seit Ewigkeiten in Asien und Afrika toben, seine Positionen privilegiert vor der westlichen Kulturelite und der Weltöffentlichkeit vertreten darf. Warum wird Wolodymyr Selenskyj dieses Privileg zugestanden?

Das ist – ein wenig zugespitzt – der Grund, den Will Packer, der Produzent der Oscar-Verleihung, dem Branchenmagazin Variety zufolge für die Absage an Selenskyj nannte.

Quellen zufolge äußerte Packer die Befürchtung, dass Hollywood der Ukraine nur deshalb so viel Aufmerksamkeit schenkt, weil die von dem Konflikt betroffenen Menschen weiß sind. Im Gegensatz dazu habe Hollywood Kriege auf der ganzen Welt ignoriert, von denen farbige Menschen betroffen seien, argumentierte er. Packer reagierte nicht auf eine Anfrage zur Stellungnahme. Es ist unklar, was die Gründe für die diesjährige Ablehnung der Oscars sind, aber die Academy zieht es traditionell vor, sich auf die Beiträge der Filmemacher zu konzentrieren und sich von allem Politischen fernzuhalten.

Die Aussage, dass sich „die Academy“ von politischen Fragen fernhielte, ist natürlich grober Unfug. Aber das ist ein anderes Thema. Dass Hollywood seit jeher konsequent Kriege ignoriert, in denen die Opfer farbig sind, ist jedoch Fakt. Ausnahmen wie der sehr sehenswerte, aber nun auch schon fast 20 Jahre alte, Film „Hotel Ruanda“, der den Völkermord in Ruanda thematisiert, jedoch auch zu großen Teilen die Geschichte weißer Figuren behandelt, bestätigen die Regel. Weiße Opfer ziehen die zahlenden Zuschauer ins Kino und bieten ein passendes Werbeumfeld im Free TV. Schwarze Opfer interessieren nicht und lassen sich schlecht vermarkten.

Wenn die „Diversitätsdebatte“ tatsächlich dazu führen sollte, unsere Aufmerksamkeit auf die Kriege und Missstände im Globalen Süden zu lenken, so wäre das ja in der Tat ein „Kollateralnutzen“. Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Wahrscheinlicher ist, dass Selenskyj eher ein Kollateralschaden der in Hollywood tobenden „Rassendebatte“ geworden ist. Während die Hautfarbe in einer besseren Welt keine Rolle spielen sollte, spielt sie im Filmgeschäft und vor allem bei den Preisverleihungen eine immer größere Rolle. Im Idealfall sollte nach dem Selbstverständnis der „Diversitätsdebatte“ eine Oscar-Verleihung so aussehen wie die Besetzung einer Netflix-Serie, quotiert nach Männlein, Weiblein und Divers, weiß, schwarz, asiatisch und Latino. Und da hat Selenskyj als weißer, heterosexueller Mann natürlich keine allzu guten Karten. Zynisch könnte man sagen, das politisch korrekte „Hollywood-Quartett“ hat anscheinend seine eigenen Regeln: „Jahrhundertelang unterdrückte farbige Minderheit“ schlägt „Brutal vom Russen überfallene Wertewestler“. So „weit“ ist man in Europa noch nicht.

Aber am Ende zählt ja ohnehin nur das große Geld, das das Spektakel finanziert. So stand diesmal Asien im Fokus. Der Siegerfilm „Everything Everywhere All at Once“ erzählt von einer chinastämmigen Migrantin in den USA. Die Oscars für den besten Film, die beste Regie, das beste Originaldrehbuch, die beste Hauptdarstellerin und den besten Nebendarsteller gingen diesmal an Künstler mit ostasiatischen Wurzeln. Die Verneigung vor einem Wachstumsmarkt? Die Berücksichtigung einer großen Minderheit in den USA, die bislang bei den Oscars eher weniger berücksichtigt wurde? Darüber dürfen sich die Experten streiten. Als kleine Randnotiz: Afrika spielte auch in diesem Jahr keine Rolle bei der Oscar-Verleihung. Und zumindest daran dürfte sich auch in Zukunft nichts ändern.


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