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Titel: Meinungen zum Ukraine-Krieg – die Ostdeutschen sind die schlaueren und kritischeren Deutschen
Datum: 28. Februar 2023 um 11:26 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Demoskopie/Umfragen, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Jens Berger
Zumindest bei der Bewertung der Ursachen des Ukraine-Krieges und der sich daraus ergebenden politischen Handlungsoptionen ist Deutschland zweigeteilt. Das zeigen zwei groß angelegte Umfragen des NDR und MDR unter ihren Zuschauern. Während im Osten eine überwältigende Mehrheit Angst vor einer Eskalation des Krieges hat und mit großer Mehrheit auf eine diplomatische Lösung statt auf Waffenexporte setzt, scheint die Meinungsmache der Falken bei den Westdeutschen wesentlich erfolgreicher zu sein. Besonders deutlich sind die Unterschiede auch bei der Kenntnis der Vorgeschichte – immerhin sehen fast 80 Prozent der Ostdeutschen zumindest eine Teilschuld bei den USA. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Umfragen sind generell ein manipulationsanfälliges Instrument. Was wir in den Medien als repräsentative Umfrageergebnisse vorgesetzt bekommen, sind selbstverständlich nicht die Rohdaten der Institute. Es wäre zwar möglich, einen repräsentativen Durchschnitt der Bevölkerung zu bestimmten Themen zu befragen, aber so etwas dürfte heute am Datenschutz und vor allem an den Kosten scheitern. Denn wenn die Stichprobe wirklich zu 100 Prozent repräsentativ sein soll, müsste man die Rahmendaten der Befragten schon vor der Befragung wissen. Das heißt konkret: Das betreffende Institut müsste eine Datenbank haben, in der bestimmte Merkmale wie Geschlecht, Alter, Bildung, Einkommen, Wahlverhalten, Herkunft und viele andere Parameter gespeichert sind, um nur Personen zu befragen, die in der Summe exakt dem Durchschnitt der Bevölkerung entsprechen. Das ist – zum Glück – nicht möglich. Daher werden die gesammelten Antworten von den Instituten anhand ihrer Algorithmen gewertet und aufbereitet, um eine vermeintliche „Repräsentativität“ zu erreichen. So transparent die Umfragen und ihre Methoden von den besseren Instituten dargelegt werden, so intransparent sind diese Algorithmen.
Von diesen vermeintlich repräsentativen Umfragen zu unterscheiden, sind Umfragen, die von vornherein nicht den Anspruch haben, einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung abzubilden, sondern eine klar definierte Menge an Teilnehmern befragen. Sowohl der NDR als auch der MDR haben mit ihren „Meinungsbarometern“ NDR fragt und MDR fragt solche Einrichtungen. Teilnehmer sind registrierte Nutzer aus den jeweiligen Sendegebieten, von denen bestimmte Eigenschaften wie Wohnsitz, Geschlecht, Alter oder Bildungsabschluss bekannt sind. Auch wenn die Teilnehmerzahlen dieser Befragungen groß sind – bei der hier thematisierten Ukraine-Umfrage des MDR haben über 30.000 Menschen geantwortet – so sind die Antworten nicht repräsentativ. Sie wurden aber nach Faktoren wie Alter und Bildung „gewichtet“, stellen also auch keine Rohdaten dar. Dennoch – und vielleicht sogar deshalb – ist das Ergebnis der Befragungen von NDR und MDR zum Thema „Ukraine-Krieg“ hoch interessant.
Im Osten sind friedenspolitische Positionen mehrheitsfähig
Die Teilnehmer der MDR-Umfrage aus Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt haben große Sorgen, wenn sie in Richtung Ukraine blicken. 78 Prozent der befragten MDR-Zuschauer antworteten, dass ihr Sicherheitsgefühl durch den Krieg in der Ukraine beeinträchtigt sei. Sieben von zehn Befragten befürchten einen militärischen Eingriff weiterer Staaten oder der NATO. 55 Prozent befürchten einen Dritten Weltkrieg und 49 Prozent den Einsatz von Atomwaffen.
Auch was die Handlungsoptionen der Bundesregierung angeht, vertreten die Ostdeutschen mehrheitlich kritische Positionen. Für mehr als drei Viertel der Befragten gehen die diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Krieges noch nicht weit genug. Mit 45 Prozent gehen fast jedem zweiten Ostdeutschen die Sanktionen gegen Russland zu weit. 68 Prozent sprechen sich gegen die Lieferung schwerer Waffensysteme aus. Zum Vergleich: Von den vom NDR befragten Menschen aus Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und dem ebenfalls dem Osten zuzurechnenden Mecklenburg-Vorpommern sind „nur“ 59 Prozent der Befragten der Meinung, dass die diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Krieges noch nicht weit genug gingen. Deutlicher ist der Unterschied bei der Bewertung der Sanktionen – hier sind nur 16 Prozent der Meinung, dass die Sanktionen zu weit gehen. Die Einschätzung zur Lieferung schwerer Waffen wurde vom NDR leider nicht abgefragt.
Eine klare Ablehnung gibt es sowohl im Osten als auch im Westen bei der von der Ukraine gewünschten Lieferung von Kampfjets. Die lehnen 60 Prozent der vom NDR Befragten und 88 Prozent der vom MDR Befragten ab.
Große Unterschiede bei der Einschätzung der Schuld-Frage
Während im Westen ganze 79 Prozent der vom NDR Befragten die Hauptverantwortung für den Krieg bei Russland sehen, sind dies im MDR-Sendegebiet lediglich 51 Prozent. Vor allem wenn es um die Mitverantwortung des Westens und der NATO geht, fallen die Antworten der Ostdeutschen deutlich differenzierter als im Westen aus. So geben im MDR-Sendegebiet 38 Prozent der Befragten der USA die alleinige oder überwiegende Schuld und weitere 39 Prozent eine Teilschuld. Nur 17 Prozent der befragten Ostdeutschen vertreten die Position, die USA träfe gar keine Schuld am Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Ähnliche Ergebnisse gibt es für die NATO – hier sind nur 21 Prozent der Meinung, die NATO träfe gar keine Schuld. Bemerkenswert ist auch: 25 Prozent der Befragten geben der Ukraine die alleinige oder überwiegende Schuld, weitere 45 Prozent eine Teilschuld, während nur 23 Prozent die Ukraine für vollkommen unschuldig betrachten.
Dies sieht im Westen ganz anders aus. Leider hat der NDR nicht so differenziert lediglich nach der „Hauptschuld“ gefragt. Und hier sehen nur 9 Prozent der Befragten die Hauptschuld bei den USA. Die Unterschiede zwischen den westdeutschen Teilnehmern aus Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und den ostdeutschen Teilnehmern aus Mecklenburg-Vorpommern ist jedoch so groß, dass der NDR sie speziell für diese Frage separat ausweist: Während nur 7 Prozent der Westdeutschen die Hauptschuld bei den USA sehen, sind es 27 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern.
Diese Ergebnisse sind hoch interessant und eine Interpretation ist nicht einfach. Gerne wird an dieser Stelle argumentiert, dass die Ostdeutschen aufgrund ihrer DDR-Vergangenheit eine freundlichere Grundeinstellung gegenüber Russland und eine feindlichere Grundeinstellung gegenüber den USA hätten als ihre westdeutschen Landsleute. Das mag in Teilen so sein, überzeugt jedoch nicht als monokausale Erklärung. Ich kenne beispielsweise genauso viele US- und NATO-kritische Westdeutsche, wie ich russlandkritische Ostdeutsche kenne. Einen größeren Unterschied gibt es jedoch in einem ganz anderen Punkt: Dem Vertrauen in die Medien.
Das sagen zumindest – diesmal repräsentative – Befragungen. Während in Westdeutschland der Tagesschau, dem SPIEGEL oder sogar der BILD immer noch häufig alles geglaubt wird, sind die Ostdeutschen hier deutlich kritischer und haben zudem oft ein breiter gefächertes Informationsangebot. Das scheint gerade beim Thema „Ukraine-Krieg“ den großen Unterschied zu machen. Während im Westen immer noch viele Menschen die massive mediale Meinungsmache schlucken, wird die einseitige Kost im Osten offenbar stärker hinterfragt. Das zeigt sich in den Ergebnissen der Befragungen wieder. Offenbar sind die Ostdeutschen nicht nur kritischer, sondern auch schlauer als ihre westdeutschen Landsleute, da sie die Meinungsmache hinterfragen und nicht alles schlucken, was ihnen präsentiert wird.
Titelbild: DesignRage/shutterstock.com
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