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Titel: Putin kündigte Mitarbeit am Vertrag über strategische Angriffswaffen auf
Datum: 22. Februar 2023 um 8:15 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Redaktion
In seiner mit Spannung erwarteten Rede vor der Föderalen Versammlung (deutsche Version) im Moskauer Konferenzzentrum Gostiny Dwor zeichnete der russische Präsident Wladimir Putin das Bild eines wirtschaftlich und politisch stabilen Russlands. Die Sanktionen hätten dem Westen mehr geschadet. Aus Moskau berichtet Ulrich Heyden.
Nachdem US-Präsident Joe Biden am Montag dem ukrainischen Präsidenten in Kiew überraschend einen Besuch abgestattet hatte und der Jahrestag der russischen Intervention in die Ukraine am 24. Februar kurz bevorsteht, ist die Lage zwischen Russland und dem Westen angespannt wie nie. Die Weltöffentlichkeit erwartet sowohl von den USA als auch von Russland zu diesem Jahrestag Reden, die Aufschluss darüber geben, wie es mit dem Krieg in der Ukraine weitergeht und ob es Chancen gibt, eine Eskalation zu verhindern.
Der russische Präsident hält einmal im Jahr eine Rede vor der Föderalen Versammlung. Zu der Versammlung gehörten in diesem Jahr nicht nur die Mitglieder der Regierung, die Abgeordneten der beiden Parlamentskammern, die Vertreter der religiösen Gemeinschaften und Vertreter des öffentlichen Lebens, sondern auch Soldaten, die an der „SVO“ teilnehmen. SVO ist die Abkürzung für die „Spezielle militärische Operation“ in der Ukraine, die man im Westen „russischer Angriffskrieg“ nennt.
Starke patriotische Stimmung
Die Stimmung im Konferenzsaal direkt am Roten Platz war sehr patriotisch. Die Rede des Präsidenten wurde immer wieder von Applaus unterbrochen. Mehrere Male standen die Zuhörer auf und klatschten.
Ich habe alle Reden von Wladimir Putin vor der Föderalen Versammlung gehört und nie war unter den Teilnehmern der Versammlung eine solche Spannung und Erwartung wie am Mittwoch zu beobachten. Nie sprach Putin so emotional und niemals zuvor appellierte er so oft an das „splatschonni narod“ – das einmütige Volk.
Immer wieder gab es Zwischenapplaus. Mehrere Male standen die Teilnehmer auf und reagierten damit auf bestimmte Äußerungen in der Rede des Präsidenten.
Die Zuhörer erhoben sich und klatschten, nachdem Putin den Menschen in Russlands neuen Gebieten, den Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie den Gebieten Saparoschije und Cherson, dankte, dass sie sich vor einem Jahr entschlossen hatten, sich Russland anzuschließen.
Der Saal stand auf, als Putin zu den reichen Russen, deren Immobilien und Jachten im Westen beschlagnahmt wurden, sagte, es habe sich gezeigt, dass der Westen „kein sicherer Hafen ist. Niemand hat mit ihnen Mitleid. Denn die Menschen erinnern sich an die 1990er Jahre, als sie ihren Reichtum zur Schau stellten. Es hat keinen Sinn, im Westen um verlorenes Geld zu bitten. Ihr seid starke Leute. Investiert hier in Russland. So werdet ihr euer Geld vermehren und über mehrere Generationen zu Ansehen kommen.“
Ein weiteres Mal erhoben sich die Zuhörer, als der russische Präsident in Anspielung auf die multinationale Zusammensetzung des russischen Volkes sagte, an der Front „beten die Soldaten verschiedener Religionen“.
Und die Zuhörer erhoben sich und klatschten, als Putin den russischen Ministerpräsidenten Pjotr Stolypin (1862-1922) zitierte, der gesagt hatte, „Russland hat das Recht, stark zu sein.“
Einstellung der Mitarbeit am „Vertrag über strategische Angriffswaffen“ (Start 3)
Für das Ende seiner Rede hatte der Präsident sich eine Ankündigung aufgespart, die in westlichen Medien Alarmstimmung auslöste. Wladimir Putin sagte:
„Ich bin heute gezwungen zu erklären, dass Russland seine Mitarbeit am Vertrag über strategische Angriffswaffen einstellt. Ich wiederhole, wir steigen aus dem Vertrag nicht aus, nein, wir stellen unsere Mitarbeit ein.“
Am 8. April 2010 hatten die damaligen Präsidenten von Russland und den USA, Dmitri Medwedew und Barack Obama, in Prag den Start-3-Vertrag unterzeichnet.
Putin begründete seine Erklärung zum Start-3-Vertrag. Die Nato habe angekündigt, sie wolle Russland „strategisch vernichten“. Im Februar hätten die USA von Russland den Zugang zu nuklearen Anlagen gefordert, um diese zu inspizieren. Gleichzeitig seien die USA beteiligt an den Versuchen der Ukraine, die strategische Luftwaffe Russlands anzugreifen. „Das ist absoluter Unsinn in der heutigen Zeit.“
Zur Erinnerung: Ukrainische Drohnen hatten am 5. Dezember und 26. Dezember 2022 zwei russische Luftwaffen-Basen im Gebiet Rjasan und bei der Stadt Engels – mehrere hundert Kilometer tief im russischen Territorium – angegriffen. Dabei waren zwei russische Flugzeuge beschädigt und drei russische Militärangehörige verletzt worden.
Russland beschuldigt die USA seit Langem, dass sie die Ukraine mit Daten ihrer militärischen Satelliten-Aufklärung versorgt. Großbritannien wird beschuldigt, dass es bei der Modernisierung sowjetischer Strisch-Drohnen, die russische Luftwaffenbasen angriffen, geholfen hat.
Der russische Präsident erklärte, der erste Vertrag über strategische Angriffswaffen sei unter völlig anderen Bedingungen unterzeichnet worden. Damals seien sich „Russland und die USA nicht als Rivalen gegenübergetreten“. Jetzt stelle die USA Russland ein Ultimatum. Bevor Russland zu dem Vertrag über Angriffswaffen zurückkehre, müsse klargestellt werden, wie das Angriffspotential der Nato-Staaten berechnet wird. Damit spielte Putin auf Großbritannien und Frankreich an. „Die Nato hat sich faktisch für eine Teilnahme am Vertrag über strategische Angriffswaffen angemeldet. Bitte. Die Situation dafür ist seit Langem reif. Atomwaffenarsenale, die sich gegen Russland richten, haben nicht nur die USA.“
Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew, der heute stellvertretender Sekretär des russischen Sicherheitsrates ist, war im Ton noch schärfer als Putin. Medwedew erklärte an den Westen gewandt, „so geschieht es euch recht.“ Der Westen könne nicht „gegen Russland kämpfen und so tun, als ob in Fragen der strategischen Stabilität alles weiterläuft wie bisher“. Medwedew hatte den Start-3-Vertrag 2010 zusammen mit Obama unterschrieben.
Putin: „Wir wollten den Konflikt friedlich lösen“
Der russische Präsident erklärte, Russland werde „die Aufgaben der Spezialoperation Schritt für Schritt ausführen“. Genauere Angaben, welche Territorien Russland noch zu erobern gedenkt, machte Putin nicht.
Die Volksrepubliken Donezk und Lugansk hätten sich 2022 mit der Bitte an Russland gewandt, „das Recht auf Leben und die eigene Sprache zu schützen“. Der Westen verschweige nicht, dass er über all die Jahre andere Ziele verfolgt und sich auf einen militärischen Konflikt vorbereitet habe.
Der Westen würde ukrainische Offiziere ausbilden. Militärtechnik sei an die Ukraine geliefert worden. An der Grenze zu Russland seien Militärbasen der Nato und biologische Geheimlabore eingerichtet worden. Damit habe der Westen gezeigt, dass das Minsker Abkommen nichts weiter als ein Bluff war. Wladimir Putin:
„Die ganze Zeit, als der Donbass brannte und Blut floss, hat Russland ehrlich, wirklich ehrlich, auf eine friedliche Lösung hingearbeitet. Aber sie spielten mit dem Leben der Menschen und, wie man in bestimmten Kreisen sagt, mit gezinkten Karten.“
Den russischen Vorschlag für Sicherheitsgarantien hätten die USA und die Nato abgelehnt. Die Scheinheiligkeit des „kollektiven Westens“ werde auch daran deutlich, dass die Hilfe für die ärmsten Länder der Welt – 60 Milliarden Dollar – deutlich unter der Summe liegt, welche die Ukraine an militärischer Technik bekommt, nämlich 150 Milliarden Dollar.
Wenn die Ukraine vom Westen weitreichende Waffen bekomme, werde Russland gezwungen, die Front weiter von der russischen Grenze weg zu verschieben.
Der russische Präsident betonte, Russland kämpfe nicht „gegen das ukrainische Volk“, welches „zur Geisel des Westens geworden ist“. Das Resultat westlicher Politik sei „die Zerstörung der ukrainischen Wirtschaft und Industrie, die Plünderung der natürlichen Reichtümer, der kolossale Anstieg der Armut und Ungleichheit“.
Wladimir Putin dankte allen, die zum Gelingen der „SWO“ (Spezielle militärische Operation) beitragen würden, von der Krankenschwester, dem Rüstungsarbeiter, der im Drei-Schicht-Betrieb arbeitet, bis hin zum Soldaten. Den Teilnehmern der russischen Militäroperation versprach er für sechs Monate Dienst zwei Wochen Urlaub.
Der Präsident rief dazu auf; eine spezielle Hilfs-Organisation zu schaffen, welche die Familien der Soldaten, die kämpfen oder gestorben sind, unterstützt. Diese Organisation müsse sich um alle sozialen, medizinischen und psychologischen Fragen kümmern.
„Wirtschaftliche Lage stabil“
Der Kreml-Chef erklärte, es sei gelungen, in Russland eine neue wirtschaftliche Entwicklung einzuleiten. Die russische Wirtschaft und die Verwaltung seien „stabiler als man es im Westen angenommen hat“. Das Ziel des Westens, dass „die Russen leiden“, sei nicht erreicht worden. Es gäbe kein Defizit an Waren und ausreichend Arbeitsplätze.
Der russische Bankensektor habe 2022 einen Gewinn von 2,5 Milliarden Euro gemacht. Das Bruttoinlandsprodukt sei 2022 nur um 2,1 Prozent gesunken. Der Anteil des russischen Rubels im internationalen Handel habe sich im Vergleich zum Dezember 2021 verdoppelt.
Putin, der sich aller Voraussicht nach im nächsten Jahr der Wiederwahl stellt, schlug vor, den Minimallohn in Russland im nächsten Jahr um 18 Prozent auf 240 Euro zu erhöhen. Außerdem schlug der Präsident vor, das sogenannte „Mutterkapital“ – eine Einmalzahlung für Neugeborene in Höhe 6.000 Euro beim ersten und 2.000 Euro beim zweiten Kind – auch für die Kinder zu zahlen, die seit 2007 in Russlands neuen Gebieten, den Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie den Gebieten Saporoschije und Cherson, geboren wurden.
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