Heute unter anderem zu folgenden Themen: Offenlegung von Nebeneinkünften; Geheimnisverrat in Berlin erzürnt Euro-Staaten; Hedgefonds verbrannte 100 Millionen Dollar pro Tag; US-Firmenchefs sahnten 2010 ab; Paul Krugman – Angst an falscher Stelle; Deutsche Exporte brechen alle Rekorde; 30.000 Tote pro Jahr durch Krankenhaus-Infektionen; NRW startet Initiative gegen Billiglöhne; Krankenversicherer wimmelt Senioren ab; Kinderarmut schrumpft – auf dem Papier; Bericht aus der Hartz-IV-Provinz; Schäubles Chefvolkswirt wird Industrielobbyist; Deutsches Steuergeld für Diktator; Streit um Volkszählung: “Statistik, nicht Spitzelei”; Pekings Preisdiktatur; Wie staatliche Hochschulen ihre Studienabschlüsse verkaufen; Wem gehört die ökonomische Bildung?; Premium kostet extra; Jury erkennt “Spiegel”-Redakteur Nannen-Preis ab (KR/JB)
- Offenlegung von Nebeneinkünften
- Wir wollen wissen, wer bezahlt ?
Stellen Sie sich folgendes vor: Der von Ihnen gewählte Bundestagsabgeordnete hält im Jahr fünf Vorträge für die Finanzbranche und verdient damit neben seinem Mandat knapp 50.000 Euro, weil er pro Vortrag 9.999 Euro bekommt – und Sie als Wähler/in und die restliche Öffentlichkeit erfahren nichts davon. Das darf nicht sein, finden Sie? Der Bundestag hat aber genau das gerade vor.
Quelle: Lobbycontrol
- Kritiker befürchten Verschleierung
Die geplanten neuen Veröffentlichungspflichten von Nebenverdiensten der Bundestagsabgeordneten stoßen bei Anti-Korruptions-Organisationen auf Kritik: Politiker könnten ihre Kontakte zur Wirtschaft verschleiern. […]
Am Donnerstag soll der Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages über die Regelung beraten. Künftig sollen die Nebeneinkommen von Abgeordneten gestaffelt von 10.000 Euro bis über 150.000 Euro im Jahr veröffentlicht werden. Geplant sind sieben statt wie bisher drei Stufen. Die Untergrenze soll einheitlich bei 10.000 Euro liegen. Außerdem soll die Anzeigepflicht für die Tätigkeit als Bundesminister oder Parlamentarischer Staatssekretär beziehungsweise Staatsminister entfallen. […] Zwar schaffe die geplante Neuregelung mehr Transparenz bei hohen Nebeneinkünften, „diesem begrüßenswerten Erkenntnisgewinn steht jedoch die gravierende Verschleierung der Einkünfte aus Einzeleinnahmen unter 10.000 Euro gegenüber“, sagte Jochen Bäumel von Transparency International Deutschland. „Man könnte fast denken, hier soll der Öffentlichkeit hinsichtlich bestimmter Einkünfte Sand in die Augen gestreut werden“, fügte er hinzu.
Quelle: Frankfurter Rundschau
- Geheimnisverrat in Berlin erzürnt Euro-Staaten
Die Wut in den Euroländern ist groß: Ein deutscher Informant soll Inhalte eines vertraulichen Ministertreffens durch gezielte Indiskretionen nach außen getragen haben. Es seien immer wieder deutsche Quellen, durch die Spekulationen angeheizt würden, kritisieren die Partner der Währungsunion.
Nach dem geheimen Treffen einiger Euro-Länder am vergangenen Freitag in Luxemburg wächst der Ärger über den Umgang deutscher Politiker mit der Krise in Griechenland. “Irgendjemand in Berlin streut in unerträglicher Unverantwortlichkeit vertrauliche Informationen”, sagte ein hochrangiger Vertreter der Euro-Länder der Süddeutschen Zeitung: “Dadurch werfen sie Griechenland und den Euro den Spekulanten zum Fraß vor.”
Vertreter aus Euro-Ländern sind “besorgt” über die politische Schwäche Berlins. Die Währungsgemeinschaft sei nur dann stark, wenn auch Deutschland stark sei. Offensichtlich gelinge es der Bundesregierung nicht, das griechische Problem geeint zu lösen, heißt es. […]
Der Ärger in der Gruppe der 17 Euro-Länder ist groß. Es seien immer wieder deutsche Quellen, die vertrauliche Informationen weitergäben und Spekulationen anheizten. “In Deutschland gibt es Personen, die absichtlich Gerüchte und Halbwahrheiten streuen”, so ein Kritiker. “Sie handeln entweder verantwortungslos oder verfolgen eine eigene Agenda, wobei Letzteres natürlich eine Katastrophe wäre”, hieß es weiter.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
dazu: Der geplünderte Staat
Griechenlands Gewerkschaften bekämpfen die Sparbemühungen des Staates. Sie wehren sich gegen drohende Privatisierungen, die Griechenland aus der Schuldenkrise holen sollen.
Quelle: Frankfurter Rundschau
- Hedgefonds verbrannte 100 Millionen Dollar pro Tag
Der Crash des Ölpreises lässt Autofahrer hoffen – viele Spekulanten hat er kalt erwischt. Der weltweit größte Rohstoff-Hedgefonds, Clive Capital, hat binnen vier Tagen rund 400 Millionen Dollar verloren. Auch andere Finanzfirmen machten hohe Verluste. […]
Rund 400 Millionen Dollar Verlust machte das Unternehmen – binnen vier Tagen. Das berichtet die britische “Financial Times” (“FT”) unter Berufung auf einen Unternehmensinsider. Demnach habe Clive Capital seine Investoren am Freitag über den Blitzverlust informiert. Insgesamt habe das Unternehmen fast zehn Prozent seines Investitionsvolumens verbrannt. Dieses werde auf rund fünf Milliarden Dollar geschätzt.
Andere Hedgefonds hätten ähnlich hohe Verluste hinnehmen müssen, berichtet die “FT”. Manche müssten gar ein Minus hinnehmen, das deutlich im zweistelligen Prozentbereich liege.
Quelle: SPIEGEL Online
Anmerkung Jens Berger: Es wäre schön, wenn der SPIEGEL sich zumindest ein wenig Mühe geben würde, seinen Lesern die Hintergründe der Zockerei auf den Finanzmärkten zu erklären. Die im Artikel beschriebenen Geschäfte sind Wetten auf Warentermingeschäfte. Solche Wetten zeichnen sich dadurch aus, dass sie – abzüglich der Gebühren – reine Nullsummenspiele sind. Oder um es noch einfacher zu sagen: Was der eine Spieler verliert, muss der andere Spieler gewinnen. Wenn also verschiedene Hedgefonds in den letzten Wochen hohe Verluste erlitten, müssen andere Marktteilnehmer hohe Gewinne eingestrichen haben.
- US-Firmenchefs sahnten 2010 ab
Die Bosse der großen US-Konzerne haben im vergangenen Jahr prächtig verdient. Nach einer Erhebung des “Wall Street Journal” (Montag) stieg der Verdienst im Vergleich zum Krisenjahr 2009 um 11 Prozent auf im Schnitt 9,3 Mio. Dollar (6,5 Mio. Euro). Darin eingerechnet sind das Festgehalt und alle Boni.
Quelle: Der Standard
- Paul Krugman – Angst an falscher Stelle
Washington sorgt sich um Schulden und Inflation. Die wirkliche Gefahr der Arbeitslosigkeit hingegen wird verkannt. Und jeder Versuch, Arbeitslosen zu helfen, wird von den Angstmachern gestoppt.
Alle wichtigen ökonomischen Faktoren zeigen, dass der Aufschwung in den USA sich verlangsamen könnte. Die Beschäftigungsquote wächst nicht schneller als die erwachsene Bevölkerung. Mehr als sechs Millionen Amerikaner sind länger als sechs Monate ohne Job, mehr als vier Millionen länger als ein Jahr.
Es wäre schön, wenn irgendjemand in Washington sich dafür interessieren würde. Nicht dass unsere politische Klasse selbstgefällig wäre. Im Gegenteil. Die Debatte ist bestimmt von Angst, Angst vor der Schuldenkrise, der Inflation, der Abwertung des Dollar. Die Bedrohungen sind zwar eingebildet, aber die Angst vor den Hirngespinsten wirkt. Niemand kümmert sich um die reale Krise, das Elend arbeitsloser Amerikaner und ihrer Familien.
Quelle: Frankfurter Rundschau
- Deutsche Exporte brechen alle Rekorde
Europas Konjunktur zieht an – und vor allem die Bundesrepublik profitiert: Im März haben deutsche Firmen so viel exportiert wie noch nie. Insgesamt setzten sie Waren im Wert von fast 100 Milliarden Euro ab.
Die Unternehmen setzten Waren im Wert von 98,3 Milliarden Euro im Ausland ab und damit 15,8 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, teilte das Statistische Bundesamt am Montag mit. Damit wurde der im April 2008 erreichte Rekord von 88,8 Milliarden Euro deutlich übertroffen.
Quelle: SPIEGEL Online
Anmerkung unseres Lesers J.A.: Unseren täglichen “die Wirtschaft läuft toll”-Jubelartikel gib uns heute… der SPIEGEL behauptet sogar wahrheitswidrig, “Mehr als eine Million Jobs bleiben unbesetzt” …
Dann könnten ja die Löhne endlich mal richtig steigen, stattdessen sinken sie weiter. Kein Wort zu den unglaublichen Risiken der Exportorientierung und der Austeritätsprogramme in unseren Hauptabnehmerländern in der EU. Die Unterschiede zur DDR-Jubelpresse sind bestenfalls noch graduell.
- 30.000 Tote pro Jahr durch Krankenhaus-Infektionen
Experten halten die Todesfälle durch resistente Erreger in Kliniken für geschönt. Laut Bericht ist die Zahl doppelt so hoch wie bislang gedacht.
In Deutschland sterben nach Angaben von Hygieneexperten bis zu 30.000 Patienten pro Jahr an Krankenhaus-Infektionen – doppelt so viele wie bisher angenommen. Wie die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf eine gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, der Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin sowie des Bundesverbandes der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes für den Gesundheitsausschuss des Bundestages berichtet, halten die Experten die bisherigen Schätzungen der Krankenhaus-Infektionen mit resistenten Erregern für geschönt. […] Statt der bisher angenommenen 400.000 bis 600.000 Infektionsfälle müssen von „einer Mindestzahl von 700.000“ Infektionen ausgegangen werden. Auch die Zahl der geschätzten Todesfälle von 7500 bis 15.000 durch sogenannte nosokomiale Infektionen müsse „nach oben korrigiert“ werden. Stattdessen sei „mit bis zu 30.000 Todesfällen pro Jahr“ zu rechnen.
Quelle: WELT
Anmerkung Jens Berger: Wen wundern diese Zahlen? Seit dem Beginn der großen Privatisierungswelle im Jahre 1995 sind alleine in der Krankenpflege rund 50.000 Vollzeitstellen abgebaut worden. Heute versorgt eine Pflegekraft rund 25% mehr Fälle als vor 15 Jahren. Die jeden Monat geleisteten Überstunden entsprechen dabei einem Äquivalent von 15.000 Vollzeitstellen. Selbstverständlich geht diese Überbelastung auch auf Kosten der Pflegequalität. Im Pflegethermometer 2009 gaben mehr als die Hälfte aller befragten Krankenpfleger an, dass sie wegen des überbordenden Zeitdrucks Mängel bei der Hygiene begehen mussten. Eine Besserung kann erst dann in Sicht sein, wenn man in deutschen Krankenhäusern wieder eine ausreichende Personaldecke vorhält. Das widerspricht allerdings den Renditewünschen der Krankenhausbetreiber. Es ist an der Zeit, die Frage zu stellen, was uns als Gesellschaft unsere Gesundheit wert ist und ob man es zulassen darf, dass auf Kosten unserer Gesundheit Renditewünsche realisiert werden.
- NRW startet Initiative gegen Billiglöhne
Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) startet eine Bundesratsinitiative gegen Billiglöhne für Minijobber. Wer einen 400-Euro-Job hat, soll demnach künftig nur noch rund zwölf Stunden pro Woche arbeiten dürfen. Das entspricht einem Lohn von etwa 8,50 Euro pro Stunde. […]
Schneider betont, er wolle 400-Euro-Jobs “nicht abschaffen, sondern deutlich stärker reglementieren”. Damit solle “Missbrauch auf dem Rücken der Beschäftigten und zu Lasten der öffentlichen Kassen eingedämmt werden”. Bislang gibt es keine Arbeitszeit-Begrenzungen für 400-Euro-Jobs. Die Zahl der Minijobber in Deutschland ist bis Ende September 2010 auf 7,3 Millionen angewachsen. Das sind rund 1,6 Millionen mehr als im Jahr 2003.
Quelle: SPIEGEL Online
- Krankenversicherer wimmelt Senioren ab
Mit der City BKK ist die erste gesetzliche Kasse nach der Gesundheitsreform zahlungsunfähig. Insbesondere ältere dort Versicherte stoßen bei der Suche nach einem neuen Anbieter auf Schwierigkeiten – besonders bei einer Hamburger Kasse mit “exzellenter Finanzstabilität”.
Die fast 140.000 Mitglieder der wirtschaftlich zugrunde gegangenen gesetzlichen Krankenkasse City BKK haben teilweise Probleme bekommen, in eine neue Kasse zu wechseln. So wimmelt etwa die Hanseatische Krankenkasse (HEK) aus Hamburg vor allem Alte ab – obwohl sie gesetzlich verpflichtet ist, sie aufzunehmen.
Quelle: Stern
- Kinderarmut schrumpft – auf dem Papier
Die Forscher des DIW korrigieren die Zahlen nach unten: Kinder sind zwar weiterhin besonders oft auf Hartz IV angewiesen. Doch die Zahl der verarmten Kinder sind deutlich geringer. Möglich macht das eine neue Methode. […]
Und warum hat das DIW die Armutsquote derart drastisch nach unten korrigiert? Das Institut lässt jedes Jahr mehr als 20.000 Bürger über ihre Lebenssituation befragen, und zwar immer die gleichen Menschen. Doch seit einigen Jahren sinkt die Bereitschaft, Auskunft zu geben – und darauf haben die Forscher reagiert. Früher haben sie es sich einfach gemacht: Wenn in einem Haushalt mit mehreren Erwachsenen eine Person nichts sagte, wurde ihr Einkommen auf Null gesetzt. Jetzt schaut sich das DIW an, was diese Person im Vorjahr verdiente und schätzt ihre aktuellen Einkünfte. Dadurch sind die – geschätzten – Einkommen vieler Haushalte gestiegen, sie gelten nicht mehr als arm. Natürlich sind mit der neuen Methode auch keine hundertprozentig richtigen Angaben möglich. Die Armutsquote dürfte aber realistischer sein als bisher. […]
Durch die statistischen Korrekturen hat sich die tatsächliche Lage der Kinder in Deutschland natürlich nicht verbessert. Und hier liegt einiges im Argen, das belegen sehr harte Daten der Bundesagentur für Arbeit: Demnach waren Ende vorigen Jahres 1,7 Millionen Kinder unter 15 Jahren auf Hartz IV angewiesen. Das sind 16 Prozent aller Jungen und Mädchen. In der Gesamtbevölkerung beziehen „nur“ zehn Prozent aller Bürger Hartz IV.
Quelle: Frankfurter Rundschau
- Bericht aus der Hartz-IV-Provinz
Zahlen, Fakten, Berichte, Talkshows. Alle reden ÜBER Hartz IV, aber wer redet denn mit den betroffenen Menschen? Es ist leicht, sich für gutes Geld ÜBER Hartz IV zu äußern, und denke ja nicht jemand, dass sich einer der Mitdiskutierenden bei Sandra Maischberger, Anne Will oder “Hart aber fair” in das Studio begeben würde ohne vorherige Zusage eines satten Honorars, einer 1.-Klasse-Bundesbahnfahrkarte, eines Lufthansa-Business-Tickets oder eines “Premiumhotels”, als “bescheidene” Unterkunft, weil man ja “wichtig” ist und mitreden kann, man ist ja “Experte” und das kostet halt. Und über andere zu reden war schon immer einfacher, als über sich selber zu reden […]
Quelle: Spiegelfechter
Anmerkung unseres Lesers B.H.: Ein Bericht über den Alltag mit Hartz IV, der sich meilenweit vom „Lügenfernsehen“ (Zitat Polit-Magazin „Panorama“) abhebt.
- Schäubles Chefvolkswirt wird Industrielobbyist
Der Chefvolkswirt des Bundesfinanzministeriums wechselt an die Spitze einer der mächtigsten Lobbyvereinigungen Deutschlands: Markus Kerber soll künftig die Geschäfte des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) führen. Der Verband habe dem Vorschlag von Präsident Hans-Peter Keitel am Montag zugestimmt, teilte der BDI mit.
Quelle: SPIEGEL-Online
- Deutsches Steuergeld für Diktator
Die Bundesregierung bezahlt Usbekistans Präsident Islam Karimow Miete für die Nutzung eines Luftwaffenstützpunktes. Es geht um knapp 16 Millionen Euro pro | Geld, Flugplätze und Menschenrechte: Am 25. Mai wird der usbekische Vizeaußenminister Wladimir Norow in Berlin empfangen. Neben Gesprächen im Auswärtigen Amt wird der Diplomat mit Abgeordneten und Wirtschaftsvertretern zusammenkommen. Während Norow in Berlin erwartet wird, verweigerten deutsche Konsulatbeamte dem usbekischen Oppositionspolitiker Atanasar Arifow jedoch ein Einreisevisum, so dass dieser nicht auf einer Versammlung der usbekischen Opposition in Düsseldorf Anfang Mai teilnehmen konnte.
Quelle: taz
- Streit um Volkszählung: “Statistik, nicht Spitzelei”
Ab Montag will der Staat Auskunft – zur Arbeitszeit, zur Herkunft, zur Toilette. Ein Gespräch zwischen der Autorin Juli Zeh, die den Zensus verweigert, und dem obersten Volkszähler Gert G. Wagner.
Quelle: taz
Siehe dazu auch:
Nur nicht vorhandene Daten sind sichere Daten
Der Zensus 2011 wird als registergestützte Volkszählung durchgeführt. Ein Großteil der Daten wird deshalb nicht persönlich abgefragt, sondern aus Datenbanken von Meldeämtern und der Bundesagentur für Arbeit übernommen. Wer wissen will, welche seiner persönlichen Daten weitergegeben wurden, kann bei den Behörden nachfragen.
Das hat Sandra Müller getan. Daraufhin erhielt die Berliner Studentin und Volkszählungsgegnerin von der Arbeitsagentur die persönlichen Daten einer völlig fremden, aber namensgleichen Person zugeschickt: darunter Namen, Adresse, Handynummer, E-Mail-Adresse, Steuernummer und eine Liste der bisher beantragten Leistungen.
Die Bundesagentur für Arbeit spricht von einem “menschlichen Fehler”. “Falsche Daten zu verschicken ist grob fahrlässig”, meint dagegen Sandra Müller. Ob ihre Namensvetterin von der Bundesagentur für Arbeit über die Verwechslung informiert wurde, ist nicht bekannt. […]
Ein Hauptgrund für die Verfassungsbeschwerde sind die mangelnden Regelungen zu den Volkszählern. In Berlin musste man kein Führungszeugnis vorlegen, wenn man sich als Volkszähler beworben hat, so dass auch Vorbestrafte oder polizeilich bekannte Rechtsradikale Volkszähler werden konnten.
Wenn man nun bedenkt, dass es zudem erlaubt ist, dass die Volkszähler die ausgefüllten Fragebögen mit nach Hause nehmen und dort mehrere Tage aufbewahren, mache ich mir große Sorgen. Ich habe Angst, dass unsere Daten missbraucht werden oder in die falschen Hände geraten.
Quelle: heute
- Pekings Preisdiktatur
Sicher, ein Milliardenkonzern wie Unilever wird eine Strafe von rund 300.000 Dollar verschmerzen können. Peking maßregelt das Unternehmen nur, weil es die Preise für seine Kosmetikprodukte leicht anheben wollte. Problematischer ist jedoch das Signal, das die chinesischen Behörden mit dieser Bestrafung an ausländische Investoren senden: Wer Produkte in China verkaufen will, muss sich die Preise letztlich von Peking diktieren lassen. Die chinesische Regierung mag nachvollziehbare Gründe für ihre Preisdiktate haben. Die Inflation im Land ist mit 5,4 Prozent so stark gestiegen wie seit knapp drei Jahren nicht. Das bedroht nicht nur das Wirtschaftswachstum, sondern auch den politischen Frieden – gerade wenn sich Waren des täglichen Bedarfs plötzlich verteuern, wie Lebensmittel oder auch Kosmetikartikel, wie sie Unilever herstellt.
Quelle: FTD
Anmerkung Orlando Pascheit: Der Leitartikler der FTD tut ein wenig sehr naiv. Sowohl die Unternehmen, die sich in China engagieren, als auch die Chinaberichterstatter wissen doch ganz genau, dass China keineswegs den reinen Marktkräften vertraut. Die zentrale Planungs- und Entscheidungsort des Entwicklungsstaates, China, ist die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC). Sie entscheidet darüber, welche Branchen, welche Unternehmen förderungswürdig sind, sie entscheidet über Rohstoffzuteilungen. Die NDRC verpflichtet ausländische Investoren, einheimische Zulieferer zu akzeptieren oder technologisches Know-How zu transferieren. So muss BASF den Produktionskreislauf ihres 860-Millionen-Euro-Projekts den Mitarbeitern des Chongqing Chemical Industry Park, in dem die Anlage gebaut wird, zugängig machen.
Während die westlichen Industrienationen vor allem auf die Marktkräfte im Freihandel setzen, konzentriert sich China auf die Frage, wie entwickle ich wettbewerbsfähige Industrien, die auf dem Weltmarkt bestehen können. Aber NDRC hat aber nicht nur die außenwirtschaftliche Flanke des Entwicklungsstaates im Auge, sondern trifft auch Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation. Der Kampf gegen die Teuerung hat zurzeit höchste Priorität. Die Inflationsrate hatte im März den vorläufigen Höchststand seit drei Jahren von 5,4 Prozent erreicht. Neben der viermaligen Erhöhung des Leitzinses, wurden die Unternehmen angewiesen, die Preise niedrig zu halten, um die Inflation nicht weiter anzufachen. – Natürlich ist das Ganze höchst unfair, nicht so sehr gegenüber dem westlichen Kapital, das fährt immer noch genügend Profit ein, sondern gegenüber anderen Entwicklungs- und Schwellenländern. Kleinere Volkswirtschaften wie z.B. Vietnam oder Mexiko können sich protektionistische Maßnahmen oder Preisdiktate nicht erlauben. Die Verlockungen des riesigen Marktes bringen aber alle Klagen der ausländischen Unternehmen zu Verstummen.
- Wie staatliche Hochschulen ihre Studienabschlüsse verkaufen
Seit einigen Jahren gibt es private Bildungseinrichtungen, an denen man durchaus beträchtliche Studiengebühren zahlen muss, um am Ende den Abschluss einer staatlichen Hochschule zu erlangen, an der man nur wenig Zeit verbringt (und zwar im wesentlichen zur Abnahme einiger Prüfungen). Studis Online hat sich diese Kooperationen näher angeschaut. Einige sind nicht nur politisch zweifelhaft, sondern auch rechtlich.
Quelle: Studis online
- Wem gehört die ökonomische Bildung?
Notizen zur Verflechtung von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik
Insbesondere Wirtschaftsverbände, unternehmernahe Stiftungen, Institute und Initiativen fordern seit einem Jahrzehnt mehr ökonomische Bildung an Schulen. Die vorliegenden Studien zeigen, dass sie als locker verbundene Lobbyisten zusammen mit Wirtschaftsdidaktikern ein bestens finanziertes politisch-pädagogisches Netzwerk bilden. Seine Akteure und Aktivitäten finden parteipolitische Unterstützung vor allem bei CDU und FDP.
In und mittels der ökonomischen Bildung befördert dieses Netzwerk die Interessen der privaten unternehmerischen Wirtschaft sowie politische Positionen des wirtschaftsliberal-konservativen Spektrums. In diesem Sinne sollen auch die Schülerinnen und Schüler einseitig beeinflusst werden. Das legen Analysen einiger Unterrichtsmaterialien nahe, die Akteure aus diesem Netzwerk entwickelt haben und verbreiten. Pluralistische Ansätze in Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik sucht man dort meist vergebens.
Über Lehr-Lern-Materialien strebt insbesondere die Finanzindustrie nach Präsenz im Klassenzimmer, ihre Mitarbeiter sollen zu Finanzieller Allgemeinbildung unterrichten. Das ist eine bemerkenswerte Vermischung von Bildungsauftrag und Gewinninteressen. Fasst man die Ergebnisse der einzelnen, explorativen Analysen zusammen steht zu befürchten, dass ein Schulfach Wirtschaft zum Fach der Wirtschaft und Wirtschaftsverbände wird und wirtschaftsliberal-konservatives Denken in die Schulen bringen soll.
Demgegenüber müssen Bildungspolitik und Wirtschaftsdidaktik den wissenschaftlichen und politischen Pluralismus in der ökonomischen Bildung in allgemein bildenden Schulen sichern. Den Unternehmer- und Wirtschaftsverbänden steht kein Alleinvertretungsanspruch für „die Wirtschaft“ zu. Auch Akteure wie Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherverbände haben zu wirtschaftlichen Themen Wichtiges zu sagen. Deshalb gehört in einer Demokratie die öffentliche ökonomische Bildung allen.
Quelle: initiative für eine bessere ökonomische bildung [PDF – 2.6 MB]
- Premium kostet extra
Seit dem 9. Mai gibt es auch bei der FTD Paid Content – in der auch bei der Londoner Financial Times seit Langem praktizierten Light-Version. Der größte Teil der online lesbaren Inhalte bleibt – noch? – weiter kostenlos, für “Premium-Inhalte” ist ab sofort aber zu berappen.
Am liebsten möchte Chefredakteur Steffen Klußmann natürlich digitale Abos verkaufen, mit 24,90 Euro pro Monat ist die FTD dabei ziemlicher Spitzenreiter im Netz. Aber dafür bekommt man bei der FTD ja traditionell ein “innovatives journalistisches Konzept und den Mut, mal etwas anders zu machen als die Wettbewerber”, wie Klußmann schreibt. Außerdem führt das an gedrucktem Auflagenschwund leidende Blatt unangefochten in der Kategorie “höchster Anteil an Bordexemplaren an der Gesamtauflage”, aber das lässt Klußmann lieber weg.
Quelle: taz
Anmerkung Jens Berger: Willkommen in der digitalen Zwei-Klassen-Gesellschaft. Das gerade die FTD ihre ausführlicheren Artikel nur noch Premium-Kunden kostenlos zur Verfügung stellen will, ist natürlich besonders bedauerlich, da dieses Blatt seit einigen Monaten durch einige fundierte und dabei auch kritische Artikel auf sich aufmerksam gemacht hat. Bei einem Preis von 24,90 Euro für den Zugang zum vollen Internetangebot ist das Scheitern dieses Projektes jedoch bereits vorbestimmt.
- Jury erkennt “Spiegel”-Redakteur Nannen-Preis ab
Die elfköpfige Jury des Henri-Nannen-Preises hat beschlossen, dem Spiegel-Redakteur René Pfister für sein Porträt über den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer den Preis in der Kategorie Reportage abzuerkennen. Das erfuhr das Hamburger Abendblatt am Montag. Es ist das erste Mal in der Geschichte dieser renommierten Ehrung, dass ein Preisträger die Auszeichnung zurückgeben muss. Einen Nachrücker wird es nicht geben. 2011 wird somit in der Kategorie Reportage kein Preis verliehen. […]
Die elfköpfige Jury hatte sich um 16.15 Uhr zu einer Telefonkonferenz zusammengeschaltet. Nur der Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“, Kurt Kister, fehlte. Er hatte zuvor seinen Mitjuroren eine schriftliche Erklärung zukommen lassen, in der er sich gegen eine Aberkennung des Preises aussprach. Außer ihm votierten auch „Geo“-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede, „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher und „Spiegel“-Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron gegen eine Aberkennung.
Der „Spiegel“-Redakteur René Pfister beschreibt zu Beginn seiner Reportage „Am Stellpult“ den Keller von Horst Seehofers Ferienhaus in Schamhaupten, in dem dieser eine Märklin-Eisenbahn aufgebaut hat. Dort war der Autor aber selbst nie gewesen. Das hatte er bei der Preisverleihung am vergangenen Freitag in Hamburg auf die Frage der Moderatorin selbst erklärt. […]
Pfisters Text ist ein Betrug an der Wahrheit, ist Verrat dessen, woran Journalisten mindestens zu glauben vorgeben. Er ignoriert alles, was an diesem Abend gefeiert wird, und erhebt sich in einer Weise über die Recherchen und Mühen der Kollegen, dass man sich abwenden möchte. Anders als es bei einem Guttenberg gewesen wäre – dem es geholfen hätte, wäre deutlich geworden, dass er die Wissenschaft nicht absichtlich getäuscht hätte -, ist der fehlende Vorsatz hier nicht schuldmindernd. Nicht zu wissen bedeutet in diesem Falle, sein Handwerk nicht zu verstehen. Das ist die nächste Ohrfeige. Für den Qualitätsjournalismus, der doch den Unterschied machen soll zu Facebook und Twitter. Um den allein es an diesem Abend in Hamburg und um den es den meisten Gästen lebenslang geht.
Quelle: Hamburger Abendblatt
Anmerkung Jens Berger: Die „Eisenbahn-Affäre“ ist für den SPIEGEL ein echter PR-GAU. Gleichzeitig ist jedoch die pomadige Selbstgerechtigkeit, die aus jeder Zeile des Artikels des Hamburger Abendblattes trieft, heuchlerisch. Das Springer-Blatt tut gerade so, als sei es selbst der Gralshüter des Qualitätsjournalismus. Wenn man im Hause Springer nur ein Quäntchen des journalistischen Anspruchs einhalten würde, den Abendblatt-Autor Kai-Hinrich Renner beim SPIEGEL einfordert, wäre das bereits ein Quantensprung in Sachen Qualität. Es drängt sich eher der Eindruck auf, dass der Springer-Verlag wochenlang nach einer Chance gesucht hat, den SPIEGEL wegen dessen Titelstory zur „BILD-Zeitung“ einen auszuwischen. Zwei Verlagshäuser, die sich ansonsten gegenseitig beim Niveau-Limbo unterbieten, werfen sich gegenseitig „einen Betrug an der Wahrheit“ vor? Das ist irgendwie kafkaesk. Aber wie heißt es so schön – Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.