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Titel: Stimmen aus der Ukraine: Zur Korruption im Verteidigungsministerium
Datum: 14. Februar 2023 um 11:05 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Länderberichte, Lobbyismus und politische Korruption
Verantwortlich: Redaktion
Die Ukraine wird von einem weiteren Korruptionsskandal erschüttert. Eines der zentralen Themen ist die Korruption im Verteidigungsministerium. Ich denke, es wird nicht nur für die Ukrainer, sondern auch für viele in der Welt interessant sein, etwas mehr über die Pläne zum Diebstahl der ukrainischen Militär- und Verteidigungsgelder zu erfahren. Von Maxim Goldarb.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Zunächst ein Zitat aus der aktuellen Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj:
“Jede interne Versorgung, jeder Einkauf – alles muss absolut so sauber und ehrlich sein wie die externe Versorgung (durch USA und EU) für unsere Verteidigung.”
Als leitender Rechnungsprüfer und Kontrolleur der Finanzen des ukrainischen Verteidigungsministeriums in den Jahren 2013-2014 bin ich mit Materie vertraut. Das gut etablierte System des vorläufigen Schutzes gegen Diebstahl aus dem Verteidigungshaushalt, das unter meiner persönlichen Beteiligung organisiert wurde, wurde von Transparency International (der weltweit bekanntesten Organisation zur Korruptionsbekämpfung) gelobt, ich teilte es mit dem britischen Verteidigungsministerium, und anschließend wurde es auf Empfehlung der ukrainischen Regierung in allen Behörden eingeführt.
Doch die Leute, die nach dem Euromaidan 2014 Minister wurden, zerstörten dieses System, da es Diebstahl erschwerte: Diebstahl von Haushaltsgeldern, die eigentlich zum Kauf von Waffen und anderem militärischen Material vorgesehen waren, illegaler Verkauf von Überschüssen etc.
Buchstäblich ein Jahr später trank der damalige Verteidigungsminister unter Präsident Poroschenko, der vor der Übernahme des Ministeriums nur über sehr begrenzte Mittel verfügte, jeden Tag Pétrus zum Mittagessen – einen Rotwein im Wert von 5.000 Dollar pro Flasche. Dies ist nur ein kleines Beispiel, um das Ausmaß von Diebstahl und Korruption in den Führungsrängen des ukrainischen Militärs und Verteidigungsministeriums zu verdeutlichen.
Doch zurück zum Kern der Sache. Die Organisation der Landesverteidigung ist zwei Abteilungen anvertraut: dem Verteidigungsministerium und dem Generalstab. Das Ministerium nimmt organisatorische und administrative Aufgaben zur Versorgung der Armee wahr, der Generalstab führt die Truppen, entwickelt eine Strategie und ist für den Verteidigungsauftrag zuständig.
Wie die militärische Nomenklatura stiehlt und unterschlägt
Der “Mechanismus” der Diebe bei der militärischen Beschaffung besteht aus zwei obligatorischen Elementen: skrupellose Generäle des Generalstabs und Beamte des Verteidigungsministeriums. Die Generäle erstellen den “notwendigen” Verteidigungsauftrag (Name des Kaufgegenstands, Menge, Qualitätsstandards, empfohlener Preis), und das Ministerium organisiert Auktionen mit den richtigen Lieferanten. Im Ministerium ist dafür die Beschaffungsabteilung zuständig, im Generalstab der Logistikdienst. Der Leiter der Abteilung untersteht dem jeweiligen stellvertretenden Minister, der Leiter der Heeresleitung dem jeweiligen stellvertretenden Generalstabschef.
Eine weitere zentrale Person ist in diesem Korruptionssystem der Direktor der Finanzabteilung des Verteidigungsministeriums, ohne ihn würde das ganze Systeme der Geldtransfers nicht funktionieren.
An der Spitze der Korruptionspyramide steht der Verteidigungsminister, dem die Organisatoren der Korruptionspläne unterstellt sind und ohne dessen Wissen diese Milliardenbeträge nicht von den Konten des Ministeriums abgeschrieben werden können. Der Preis wird im Voraus vereinbart: Er ist mehrfach überhöht, denn das Geld wird dann zwischen Lieferanten und Händlern, zuständigen Beamten des Ministeriums und den entsprechenden Generälen des Generalstabs aufgeteilt.
Oft werden Dinge bestellt, die die Armee absolut nicht braucht, die dann in Lagern herumliegen und verfallen, für die aber stattliche Gelder gezahlt wurden. Ein erheblicher Prozentsatz der so erhaltenen Gelder wird als “Schmiergeld“ eingesetzt.
Die grundlegenden Summen für künftige Raubzüge werden am Ende des Haushaltsjahres bei der Planung des Verteidigungshaushalts und des Verteidigungsauftrags festgelegt: Dann werden Milliarden für bestimmte Ausgaben in dem Entwurf des Verteidigungshaushalts festgeschrieben (mit überhöhten Mengenkalkulationen, aufgeblasener Bürokratie und absolut unnötigen Arbeiten und Dienstleistungen). Die so erhaltenen Mittel werden dann nach der Genehmigung des Haushalts durch die Führung des Landes geplündert.
Präsident und Geheimdienst wussten schon lange von der grassierenden Korruption im Militär
In jeder zuständigen Einheit ist ein Offizier des Sicherheitsdienstes der Ukraine tätig. Daher ist es einfach unrealistisch zu glauben, dass der Sicherheitsdienst erst jetzt von den Machenschaften erfahren hat, aufgrund derer der Leiter der Beschaffungsabteilung und der stellvertretende Verteidigungsminister kürzlich verhaftet wurden. Es handelt sich um eine PR-Vorführung vor den US-Amerikanern, mehr nicht. Wenn es sich nicht um ein reines Schauspiel für Washington handelt, dann sollten sowohl Beamte des Ministeriums und des Generalstabs als auch die beteiligten Geschäftsleute und der verantwortliche Minister auf der Anklagebank sitzen. Das tun sie aber bisher nicht.
Nicht umsonst habe ich zu Beginn den ukrainischen Präsidenten zitiert: Alles, worüber er hinsichtlich Korruptionsvorbeugung und -bekämpfung sprach, ist längst bekannt, erprobt, es funktioniert und könnte umgehend umgesetzt werden. Er müsste es nur ernst meinen mit der Korruptionsbekämpfung in seinem eigenen Land und nicht wie bisher lediglich für die Gäste von Übersee sprechen.
Zum Autor:
Maxim Goldarb ist aktuell Vorsitzender der „Union der linken Kräfte“ und war vor dem Maidan-Putsch leitender Rechnungsprüfer und Kontrolleur der Finanzen des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Die Union der linken Kräfte ist eine 2007 gegründete ukrainische Oppositionspartei, die sich am Demokratischen Sozialismus orientiert und unter anderem zum Ziel hatte, die ausufernde Privatisierung strategischer Staatsunternehmen sowie den Verkauf landwirtschaftlicher Flächen an ausländische Großkonzerne zu stoppen sowie die Ukraine geopolitisch neutral auszurichten. Zudem setzte sie sich für Russisch als zweite Amtssprache und eine Stärkung des ländlichen Raums ein. Diese Ziele reichten aus, dass die Partei zusammen mit weiteren linken Parteien am 17. Juni 2022 verboten und ihr gesamtes Vermögen enteignet wurde. Ihre Mitglieder arbeiten seit diesem Zeitpunkt aus dem Untergrund oder Exil heraus. Einige ihrer Führungspersönlichkeiten wurden in den letzten Monaten entführt und gelten seitdem, wie beispielswiese der Parteigründer Wassilij Wolga, als spurlos verschwunden.
Anmerkung der Redaktion: Wir können nicht alle Darstellungen und Behauptungen von Maxim Goldarb in dem Artikel verifizieren. Uns erscheint es aber wichtig, Vertretern linker ukrainischer Parteien und Bewegungen eine Stimme zu geben, die sie sonst in der bundesdeutschen Debatte und Berichterstattung zur Ukraine nicht haben.
Titelbild: shutterstock / Andrey_Popov
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