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Titel: Klimaneutrale Industriestaaten: Führt der Emissionshandel in eine neue Kolonialzeit?
Datum: 5. Februar 2023 um 11:45 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Globalisierung, Lobbyismus und politische Korruption, Privatisierung, Strategien der Meinungsmache, Umweltpolitik, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Redaktion
Überlegungen am Beispiel der Politik einer „klimaneutralen“ Europäischen Union („Green Deal“) mit der Konsequenz einer gigantischen Vermögensumverteilung. Millionen vertriebene Indigene und Kleinbauern. Oft werden sie mit Waffengewalt aus ihren angestammten Lebensbereichen gedrängt. Sie haben fortan keine Lebensgrundlage mehr, wissen nicht, wie sie sich ernähren sollen, haben keine Arbeit mehr, die Kinder keinen Zugang mehr zu Schulen. Das ist die Realität für viele Menschen auf der Südhalbkugel der Erde, weil die Industriestaaten mittels des Emissionshandels ihren Zugriff auf die Grundstücke und Wälder des Südens verfestigen, um für ihre heimische „klimaneutrale“ Produktion CO2-Ausgleichsaufforstungsflächen zu schaffen. Möglich wurde dieses weltumspannende Projekt auf Basis des 2005 in Kraft getretenen Kyoto-Protokolls infolge enger Zusammenarbeit von Regierungen, Vereinten Nationen und der weltgrößten Lobbyorganisation, dem Weltwirtschaftsforum, als Vertreter der Konzerninteressen. Die globale Vermögensungleichheit nimmt dadurch zugunsten einiger Weniger immer mehr zu. Von Alexander Jacobi.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Die derzeitige Umsetzung des Emissionshandels ist ein fast schon bühnenmäßiges Beispiel für den zunehmenden Einfluss jener Weniger aus der Konzernwirtschaft auf die Politik oder besser gesagt auf unsere Gesellschaft. Emissionshandel wird mittlerweile von einer Vielzahl von Industriestaaten zur Erfüllung „klimaneutraler“ Politikziele betrieben. Der European Green Deal ist ein Konzept der Europäischen Kommission, wonach in der Europäischen Union die Netto-Emissionen von Treibhausgasen bis 2050 auf null zu reduzieren sind. Eine Vielzahl von Kritiker*innen weist auf drei Umstände hin: (1.) Der Ressourcenverbrauch und die realen Emissionen werden von den Konzernen in aller Regel nicht gesenkt; (2.) Anstelle realer Senkung führt der immer umfassendere Emissionshandel, der auf der (noch bis 2030/34) weitgehend kostenlosen Zuteilung von Emissionsrechten (Zertifikaten) beruht, zur millionenfachen Vertreibung von indigenen Völkern und Kleinbauern auf der südlichen Hemisphäre, da die dortigen Waldflächen nunmehr von den Industriestaaten für die CO2-Ausgleichsaufforstungen genutzt werden; (3.) Dies führt zu einer an Kolonialzeiten erinnernden Vermögensumverteilung und Privatisierung der Natur.
Klima- und Naturgerechtigkeit
Unter Stichworten wie Klimagerechtigkeit ist die globale Gerechtigkeit als Verteilungsgerechtigkeit Gegenstand der politischen Philosophie und von sozialen Bewegungen und hat fast immer den Fokus auf dem paradigmatischen Gegenüber von Globalem Norden und Globalem Süden. Mit jenem sind die westlich orientierten Länder der Nordhalbkugel gemeint, die – man möchte meinen seit jeher – in irgendeiner Form auf Kosten der Länder der südlichen Hemisphäre leben und ihren fortschrittlichen Wohlstand weniger ihrer westlichen Genialität verdanken, sondern maßgeblich aus diesem jahrhundertelangen Mechanismus speisen (Stichwort: Kolonialismus).
Klimagerechtigkeit oder – allgemeiner – Naturgerechtigkeit ist lediglich ein neuer Begriff für alte Themen, die aktuell in der westlichen Welt jedoch reflektierter diskutiert werden, als es in der Vergangenheit der Fall war. Es geht entscheidend, wie spätestens seit dem Zeitalter der Kolonialisierung (15. Jhd.) und dann mit der Industrialisierung (18. Jhd.), darum, zu wessen Gunsten die Ressourcen der Erde genutzt werden: In den letzten 500 Jahren waren es grob skizziert die Menschen in den Ländern der westlichen Welt (Nordhalbkugel), die auf Kosten der Menschen in den Ländern der südlichen Hemisphäre deren Land, Bodenschätze und deren Landwirtschaftserträge wie auch deren Arbeitskraft im eigenen Interesse in den Fokus nahmen.
Klimagerechtigkeit in den Händen der Weltkonzerne
Seit mehreren Jahrzehnten verdichten sich – und die Klimapolitik ist ein paradigmatisches Beispiel dafür – die politisch-wirtschaftlichen Strukturen in der westlichen Welt, vor allem auch in Europa, zu Verhältnissen, die für viele Menschen die Frage aufwerfen, ab wann wohl offen von einer Oligarchie anstelle einer Demokratie gesprochen werden wird.
Von einigen Parametern, die damit im Zusammenhang stehen, wie Weltwirtschaftsforum (WEF), dessen Vorsitzendem Klaus Schwab oder auch dem weltgrößten Vermögensverwalter Black Rock mit derzeit über 10 Billionen US-Dollar an verwaltetem Vermögen, lässt sich kaum noch sprechen, ohne dass allein durch diese Nennung der gesellschaftlich diskreditierend grelle Schein des Verschwörungstheoretikers oder -ideologen auf einen geworfen wird und man in einer durchschnittlichen Diskussionsrunde Obacht zu geben hat, allein durch die Thematisierung nachfolgender Zusammenhänge plötzlich im peinlich isolierten Schweigen zu stehen und der eine oder andere Umstehende sich Sorgen um den Geisteszustand des Diskutanten macht, der Worte wie „Weltwirtschaftsforum“ überhaupt in den Mund nimmt. Dies kann zu einem Ausschluss dieser wichtigen Themen aus dem gesellschaftlichen Diskurs führen, was zweifelsohne der falsche Weg in einer freiheitlichen Welt wäre. Ohne sich schrecken zu lassen und im Gegenteil sogar motiviert durch Artikel wie dem nachfolgend genannten der Tagesschau, die derlei Themenexklusion eher befördern, sind Themen wie diejenigen dieses Beitrags: Geldpolitik – Kapitalismus – Lobbyismus – Naturschutz – Gerechtigkeit weiter möglichst entspannt im gesellschaftlichen Diskurs zu erhalten, um Verbesserungen zu ermöglichen, wo es notwendig ist. Eine Diskussion lässt sich also dankbar mit Verweis auf die Tagesschau beginnen: „Kürzlich las ich dort vom geplanten ,Great Reset‘ des Lobbyverbandes Weltwirtschaftsforum; klar ein Verschwörungstheoretiker bin ich jetzt nicht, auch bin ich friedlich und unbewaffnet; aber interessant ist doch, was neben den von der Tagesschau genannten Aspekten dort nicht thematisiert wird, nämlich Folgendes“.
Die Tagesschau nahm sich am 16. Januar 2023 unter dem Titel Klaus Schwab, das WEF und der “Great Reset” des Themas an und kritisiert „Verschwörungsideologien“, die von „geheimen Intrigen der ,Eliten‘ [mittels] geheimer Organisationen“ ausgingen, was „bei Menschen dazu führen [könne], dass sie sich dazu veranlasst sehen, auch zu Mitteln der Gewalt zu greifen, um das Böse aus der Welt zu schaffen“.
Wie bitte? Sicherlich kann man derlei Überlegungen thematisieren, vor allem, wenn gesagt würde, wer genau nach wessen Meinung Gewalt ausüben könnte. Allerdings fällt dieser Artikel von Pascal Siggelkow vor allem durch eine irritierende Einseitigkeit auf, indem der nachfolgend angerissene offensichtliche Lobbyismus, der sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend intensiviert, schlicht gar nicht thematisiert wird, obschon es massenhaft Beiträge und Bücher zu diesem Gegenstand gibt. Fördern dieserart Artikel nicht noch eher die Gefahr, destruktives Misstrauen hervorzurufen anstatt konstruktiv Dinge zu verbessern, indem sie kritisch diskutiert werden? Genau dieser Lobbyismus, der weder „geheime Intrigen“ noch „geheime Organisationen“, sondern im Gegenteil eine offen proklamierte Agenda der Weltkonzerne und ihres Interessenverbandes WEF zum Gegenstand hat, die selbst auf der, bei Politikthemen meist transatlantisch ausgerichteten, deutschen Wikipedia nachgelesen werden kann, führt zunehmend mehr Menschen dazu, diese sich verfestigenden Strukturen kritisch zu hinterfragen, da der menschlichen Erfahrung nach mit der zunehmenden Nähe zwischen Politik und Wirtschaft auch zunehmende Vorteile zugunsten einiger Weniger und damit Nachteile für viele andere Menschen einhergehen. Zumindest muss dies immer wieder diskutiert werden.
Mit der Demokratie soll der Schwerpunkt der freiheitlichen Willensbildung möglichst nah beim Volk liegen und die Freiheiten der einzelnen Menschen sollen möglichst umfassend garantiert sein. In der Oligarchie werden die maßgeblichen Entscheidungsprozesse nicht durch demokratische Abläufe verdeckt, sondern offen von einer kleinen Gruppe von Menschen gelenkt, deren Einfluss hauptsächlich aus der maximalen Kumulation von Kapital folgt. Es herrschen also die Reichsten, lässt sich verknappt ausgedrückt sagen.
Was als konstruktive Einflussnahme aus Sicht von vielen Teilnehmern der Wirtschaft und vielen Teilnehmern der Politik positiv gewertet wird, kann auf Dauer und als flächendeckender Mechanismus die bisherigen demokratischen Strukturen verändern:
Die aktuelle internationale Klimapolitik ist wie nachfolgend skizziert im Wesentlichen ein „Produkt“ enger Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft, genauer Konzernwirtschaft, also die Größten der Großen betreffend oder konkret: ein Produkt mit dem Kernelement des am 16. Februar 2005 in Kraft getretenen Kyotoprotokolls zur Reduzierung von Treibhausgasen, das in Zusammenarbeit der Vereinten Nationen, den weltweit größten Unternehmen und dem Weltwirtschaftsforum die Grundlage für den „klimaneutralen“ Emissionshandel legte, in dessen Folge sich neokolonialistische Umverteilungen noch ungeahnten Ausmaßes ergeben können.
Zusammenrücken von Politik und Wirtschaft seit rund 30 Jahren
Die Politik wird massiv von der Wirtschaft beeinflusst (Stichwort: 25.000 Lobbyisten allein in Brüssel, mit einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro). Dies soll der Idee nach, aufgrund der Einbeziehung der beteiligten Unternehmensbranchen, zu Verbesserungen der Gesetzgebungsarbeit und der politischen Prozesse im Sinne aller Beteiligten führen, gewissermaßen gemeinwohlorientiert, was wiederum genuine Aufgabe der Politiker*innen ist, dies auszuloten. Zugleich führt dies zu Verzerrungen zugunsten derjenigen, die sich besonders gut durchsetzen können, aufgrund von:
Die Interessen- bzw. Lobbygruppen, die Unternehmen mit der meisten Marktmacht auf der Grundlage der größten Unternehmen mit dem größten Kapitalaufkommen vertreten, setzen sich in Brüssel, Berlin und allen anderen Hauptstädten Europas ebenso durch wie in anderen Hauptstädten der westlichen Welt. Etwa 70 Prozent der Lobbyisten in Brüssel arbeiten für Unternehmen und Wirtschaftsverbände. Sie genießen privilegierte Zugänge zu den Kommissaren. Und sie überhäufen die reichlich 700 Abgeordneten mit Änderungsanträgen für Gesetzesvorlagen.
Die Finanzwirtschaft als Fünfte Gewalt
Die Realwirtschaft wird erheblich beeinflusst von der Finanzwirtschaft. Stichwort: Black Rock, neben Vanguard und State Street als größter Vermögensverwalter der Menschheitsgeschichte, ist wie seine Konkurrenten an praktisch allen Großunternehmen der Welt beteiligt und nimmt über seinen, auch im Vorstand des WEF agierenden, Vorstandsvorsitzenden Larry Fink und dessen Manager massiv Einfluss auf diese Unternehmen und steht mit allen wichtigen Politikern und Zentralbank-Bankern der Welt in engem Kontakt. Im Jahr 2000 hebt Rolf Breuer, zu dieser Zeit Aufsichtsratsvorsitzender und Vorstandssprecher der Deutschen Bank, in seinem Beitrag „Die Fünfte Gewalt“ in Die Zeit hervor:
„Politik muss heute mehr denn je auch mit Blick auf die Finanzmärkte formuliert werden. Wenn man so will, haben die Finanzmärkte quasi als „fünfte Gewalt“ neben den Medien eine wichtige Wächterrolle übernommen. Ist die Politik im Schlepptau der Finanzmärkte? Diese Sicht unterstellt einen Interessengegensatz zwischen den Zielen der Finanzmarktteilnehmer und den Zielen der Politik. Doch ist nicht beiden Bereichen der Wunsch nach stabilem Wachstum und der Mehrung von Wohlstand gemein? Ein liberaler Finanzmarkt ist ein wichtiges Instrument, diese Ziele zu erreichen. Die Überlegenheit des marktwirtschaftlichen über das kommunistische System hat das gezeigt. Wenn die Politik im 21. Jahrhundert in diesem Sinn im Schlepptau der Finanzmärkte stünde, wäre dies vielleicht so schlecht nicht.“
Öffentlich-private Partnerschaften als Mittel der Wahl für den Einfluss der Wirtschaft auf die Politik
Seit Ende der 1990er Jahre existieren öffentlich-private Partnerschaften (Public-private-Partnership, PPP) in Deutschland. Der auf YouTube noch verfügbare Arte/NDR-Dokumentarfilm Der geplünderte Staat – Geheime Geschäfte von Politik und Wirtschaft von Stefan Aust, Herausgeber der Tageszeitung Die Welt, und Thomas Ammann aus dem Jahr 2014 zeigt die kritischen Seiten der in den letzten Jahrzehnten enger gewordenen Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft im nationalen Bereich. Das Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum, WEF) unter Leitung von Klaus Schwab forciert seit mehr als 10 Jahren verstärkt öffentlich-private Partnerschaften auf internationaler Ebene zur Durchsetzung von Konzerninteressen (Stichwort: Kooperationsvertrag zwischen den Vereinten Nationen und dem WEF v. 13.06.2019), was zu einer Art Teilprivatisierung bislang ausschließlich staatlicher Institutionen infolge dieser Verträge und Finanzierungen führen kann (Beispiel: privatwirtschaftliche Finanzierung der weltweiten Arzneimittelbehörden, wie EMA oder FDA, prominent auch die WHO, die ebenfalls überwiegend privatwirtschaftlich und zudem zunehmend zweckgebunden finanziert wird und damit dem Einfluss der Kapitalgeber unterliegt). Zur WEF-Agenda lässt sich selbst auf Wikipedia nebst Nachweisen unter der Teilüberschrift Vereinnahmung demokratischer Strukturen und Institutionen nachlesen:
“Das Weltwirtschaftsforum fordert in seinem ,Global Redesign’-Bericht aus dem Jahr 2010, dass eine globalisierte Welt am besten von einer Koalition aus multinationalen Unternehmen, Regierungen (auch über das System der Vereinten Nationen (UN)) und ausgewählten zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs) gesteuert wird. Darin wird argumentiert, dass Regierungen nicht mehr ,die überwältigend dominierenden Akteure auf der Weltbühne’ sind und dass ,die Zeit für ein neues Stakeholder-Paradigma der internationalen Governance [Führung] gekommen ist’. Die Vision des Weltwirtschaftsforum beinhaltet den Aufbau einer ,öffentlich-privaten’ UN, in der bestimmte Sonderorganisationen unter gemeinsamen staatlichen und nicht-staatlichen Governance-Systemen arbeiten.
Laut des Transnationalen Instituts (TNI) plant das Forum daher, ein anerkanntes demokratisches Modell durch ein Modell zu ersetzen, bei dem eine selbstgewählte Gruppe von ,Stakeholdern’ Entscheidungen im Namen des Volkes trifft.”
Von den rund 1.000 Konzernen, die Mitglieder im Weltwirtschaftsforum sind, sind einige hundert an der Spitze weltweit führend in der Einflussnahme und der Kapitalstärke.
In einem Offenen Brief an UN-Generalsekretär António Guterres verleihen mehr als 400 internationale Initiativen, Organisationen und Gruppen ihrer Sorge Ausdruck, dass die UN mit dem WEF-Abkommen vom 13. Juni 2019 delegitimiert wird, einem Abkommen, das der UN-Charta diametral widerspreche:
„Dieses strategische Partnerschaftsabkommen sorgt dafür, dass Konzernlenker zu Einflüsterern der UN-Abteilungen werden. Sie werden ihren privilegierten Zugang nutzen, um für marktbasierte, gewinnträchtige ‘Lösungen’ globaler Probleme zu werben, während sie gleichzeitig wirkliche Lösungen untergraben, die im öffentlichen Interesse wären und transparenten demokratischen Verfahren folgen.“
Dieses Abkommen vom 13. Juni 2019 ist unter anderem Grundlage für die weitere strategische Ausarbeitung der internationalen Klimapolitik, die mit dem am 16. Februar 2005 in Kraft getretenen Kyotoprotokoll die aktuelle Basis des Emissionshandels darstellt. Der Emissionshandel auf Basis des Kyotoprotokolls beruht auf der These, CO2 sei eine maßgebliche anthropogene Ursache der Klimaerwärmung. Gerade weil diese These entgegen einer derzeit verbreiteten öffentlichen Meinung wissenschaftlich nach wie vor umstritten ist, gilt es auch diese Annahmen und Modelle der Klimapolitik im stetigen Diskurs zu hinterfragen, weiterzuentwickeln und auch zu konkreten Naturschutzmaßnahmen, wie der Aufforstung, deren Folgen zu evaluieren. Es würde schon helfen, zu einer Diskussionskultur des Jahres 2007 zurückzufinden. In diesem Jahr wurde beispielsweise ein ARD-extra-Report sowie eine britische Dokumentation, ausgestrahlt von RTL Extra, gezeigt, die hie und da im Netz noch auffindbar und ihrerseits umstritten sind, aber in einer freiheitlichen Meinungslandschaft zumindest weiterhin diskutabel sein sollten, etwa Aussagen in der britischen Dokumentation, wie die von Dr. Hans Labohm, Weltklimarat IPCC:
„Unter diesen [Wissenschaftlern, die sich mit dem Klimawandel beschäftigen] sind zehntausende von Wissenschaftlern, die nicht einverstanden sind mit der Hypothese, dass der Mensch einen bedeutenden Beitrag liefert am Klimawandel. Unter diesen zehntausenden von Wissenschaftlern gibt es auch mehr als 70 Nobelpreisträger.“
Es sollten die Maximen des etwa von Helmut Schmidt geschätzten Philosophen Karl R. Popper gelten, der in seinem Aufsatz Duldsamkeit und intellektuelle Verantwortlichkeit (Min. 35:55) mit zwölf Prinzipien einer neuen Berufsethik unter anderem formuliert:
„Es können in den am besten bewährten Theorien Fehler verborgen sein. Es gilt, unsere Einstellung zu unseren Fehlern zu ändern. Die alte Berufsethik führt dazu, unsere Fehler zu vertuschen, zu verheimlichen und so schnell wie möglich zu vergessen. Es gilt, dauernd nach unseren Fehlern Ausschau zu halten. Selbstkritische Haltung und Aufrichtigkeit werden damit zur Pflicht. Wir brauchen andere Menschen zur Entdeckung und Korrektur von Fehlern (und sie uns); insbesondere auch Menschen mit anderen Ideen. Kritik durch andere ist eine Notwendigkeit.“
Zunehmende globale Ungleichheit
Der Einfluss der Konzernwirtschaft, wie ihn das Weltwirtschaftsforum auf die Politik ausübt, wird über die Konzerne von einzelnen Menschen umgesetzt. Dies sind in der Regel Multimillionäre oder Milliardäre. Von Letzteren gibt es weltweit knapp 3.000, die gesamt mehr Vermögen auf sich vereinen als 60 Prozent der übrigen Weltbevölkerung (Stichwort: globale Ungerechtigkeit und Ungleichheit nimmt stetig zu); dazu Oxfam in der Ungleichheits-Studie 2020, im Bericht Gewaltige Ungleichheit 2022, zu dem die Tagesschau am 16. Januar 2023 unter dem Titel Kluft zwischen Arm und Reich wächst rasant berichtete, sowie der Oxfam-Bericht „Survival of the Richest”:
„An der Spitze der Vermögenverteilung stehen [im Jahr 2020] 2.153 Personen, die jeweils über mehr als eine Milliarde US-Dollar Privatvermögen verfügen. Gemeinsam gehört ihnen mehr Vermögen als den unteren 60 Prozent der Weltbevölkerung.“
„Seit März 2020 ist das Vermögen der aktuell 2.755 Milliardär*innen um fünf Billionen US-Dollar gestiegen, von 8,6 auf 13,8 Billionen. Sie haben ihr Vermögen damit während der Pandemie stärker vermehrt als in den gesamten vierzehn Jahren zuvor. […] Während das weltweite Vermögen zwischen 2019 und 2021 Schätzungen zufolge nur um ein Prozent angewachsen ist, konnten die reichsten 0,001 Prozent (das sind rund 55.000 Menschen) ihres um 14 Prozent mehren. An der obersten Spitze, der Welt der Milliardär*innen, stieg das Vermögen im selben Zeitraum sogar um mehr als 50 Prozent.“
„Nach Angaben der Weltbank erleben wir die wohl größte Zunahme der weltweiten Ungleichheit und Armut seit dem Zweiten Weltkrieg. […] Die einkommensschwächsten Länder geben inzwischen viermal mehr für die Rückzahlung von Schulden aus als für die Gesundheitsversorgung. Drei Viertel der Regierungen der Welt planen, ihre Ausgaben im öffentlichen Sektor, etwa im Bildungs- und Gesundheitswesen, zu kürzen. […] Weltweit stammen nur noch vier Prozent der Steuereinnahmen aus Steuern auf Vermögen. In den letzten vierzig Jahren haben die Regierungen rund um den Globus die Steuersätze auf Vermögen und Einkommen der Reichsten gesenkt. Gleichzeitig haben sie die Steuern auf Waren und Dienstleistungen wie z.B. Mehrwertsteuern erhöht, was die Ärmsten unverhältnismäßig stark belastet.“
Die Berliner Zeitung titelte am 15. Januar 2023 zum Oxfam-Bericht „Survival of the Richest”: „Zahlen zeigen: Konzerne und Milliardäre bereichern sich an Krisen. Erstmals seit 25 Jahren nahmen extremer Reichtum und extreme Armut gleichzeitig zu.“
Finanzialisierung der Natur: Folgen des Emissionshandels und das Label „klimaneutral“
Am Emissionshandel zeigt sich, dass letztlich beliebige Phänomene wie zum Beispiel der Naturschutz oft darauf hinauslaufen, diese kapitalistischen Finanz- und Machtstrukturen auszubauen, in deren Folge die globale Ungleichheit und Ungerechtigkeit seit Jahrzehnten wieder stetig steigt; und zwar immer mit einem deutlichen Schwerpunkt auf jenem 0,001 Prozent der Menschheit, welches praktisch immer Bevorteilter dieser massiven Ungleichheit ist. Für diese globale Vermögensungleichheit gibt es keinen guten Grund – keinen Grund, der humanitär-moralisch zu rechtfertigen wäre; keinen Grund, der infolge wirtschaftlicher oder sonstiger Zwänge der menschlichen Welt diese Vorgaben machen würde; keinen Grund, der infolge globaler Komplexität die Ungleichheit ungewollt nach sich zieht; keinen Grund, der die Ungleichheit zugunsten der 0,001 Prozent der Menschheit notwendig macht, da ohne deren Einfluss die Welt nicht funktionieren würde. Heruntergebrochen ausgedrückt: Das Geld reicht allemal für die gesamte Welt ohne massive Ungleichheit. Und kein Mensch braucht Milliardäre. Und auch die Ressourcen der Erde würden für alle Menschen ausreichen.
Ein Drittel der weltweit produzierten Lebensmittel werden laut einer WWF-Studie aus 2015 pro Jahr weggeworfen. Allein in Deutschland entspricht dies pro Sekunde 313 Kilogramm an genießbaren Nahrungsmitteln, die unnötigerweise im Müll landen. Maßgeblich ist dies infolge westlicher Überproduktion verursacht und in etwa gleicher Menge im Zusammenhang mit der Ernte in Entwicklungsländern, während knapp eine Milliarde Menschen auf der Erde hungern; hungern in einer Weise, wie es für die meisten von uns nicht vorstellbar ist. Ist die Überproduktion in Verbindung mit der konkreten Umsetzung des Mindesthaltbarkeitsdatums in den westlichen Industrieländern renditegetrieben? Ist die Aufbauhilfe in Entwicklungsländern für bessere Erntestrategien einschließlich Lagerung der Ernte zu deren besserem Erhalt finanzwirtschaftlich für die westliche Konzernwelt uninteressant? Dann nämlich gibt es eine sehr direkte Korrelation nicht allgemein der westlichen Lebensweise, sondern speziell zwischen der westlichen Finanzwirtschaft und jener Armut, die keineswegs „der natürliche Zustand der Menschheit“ in den betreffenden Gebieten vor allem der südlichen Hemisphäre ist, vielmehr „extreme Armut historisch gesehen selten war und vor allem in Zeiten schwerer sozialer und wirtschaftlicher Verwerfungen, insbesondere während des Kolonialismus, auftrat“, wie eine aktuelle Studie über Kapitalismus und extreme Armut herausarbeitet; dazu noch nachfolgend.
Dieser Zusammenhang zwischen Geldpolitik, speziell dem rasanten Geldmengenwachstum der letzten Jahrzehnte und der damit verbundenen Rendite zugunsten der Spitze der reichsten 0,001 Prozent und davon zugunsten der obersten Minorität, jener Milliardär*innen, die Oxfam in den zitierten Berichten erwähnt, dieser Zusammenhang erschließt sich beispielsweise aus der 3sat-Dokumentation Oeconomia von Carmen Losmann aus dem Jahr 2014. Untersuchungen wie die Neue Ökonomie der Natur der Heinrich-Böll-Stiftung befassen sich mit der Finanzialisierung der Natur, die im Kontext mit diesem Geldmengenwachstum infolge des Emissionshandels steht. Auf der Grundlage des Emissionshandels lebt die westliche Welt der Nordhalbkugel weiterhin auf Kosten der Welt der südlichen Hemisphäre. Die Umweltzerstörung wird ungebremst fortgesetzt und über Baumpflanzungen gigantischen Ausmaßes sind infolge der Politik der Länder der Nordhalbkugel unter dem Schlagwort „Klimaneutralität“ aktuell nachfolgende Konsequenzen zu verzeichnen, die bereits in der Arte-Dokumentation Natur – Spekulationsobjekt mit Zukunft aus dem Jahr 2014 veranschaulicht werden.
Der Emissionshandel, der von Kritiker*innen oft mit den Stichworten
in Verbindung gebracht wird, hat sich in den letzten Jahren deutlich verstetigt, wie Devlin Kuyek in einem Interview darlegt, das er im November 2022 als Mitarbeiter von GRAIN gibt, einer Organisation, die sich für die Rechte von Kleinbäuer*innen im Globalen Süden einsetzt. Beispielhaft zu dieser Thematik genannt seien ferner die Recherchen der Journalistin Kathrin Hartmann oder die Untersuchungen der Biologin Jutta Kill, die im September 2022 unter der Überschrift Schutz von Wald, Biodiversität und Rechten indigener Völker am Beispiel des Amazonas- und Kongobeckens vor dem Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Rahmen einer öffentlichen Anhörung eine Stellungnahme abgab:
All dies war absehbar, schon lange bevor das Kyotoprotokoll am 16. Februar 2005 als Grundlage des Emissionshandels umgesetzt wurde. Die initiierenden Akteure der Vereinten Nationen und des Weltwirtschaftsforums hätten für diese Entwicklung Vorsorge treffen können und können es immer noch, wenn sie sich für globale Gerechtigkeit einsetzen wollen, wie es Schwab, Gründer und Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums, mittels der WEF-Agenda des Great Reset ausdrückt:
„Jetzt ist die Zeit für einen ,Great Reset‘ gekommen. [D]ie Frustrationen über soziale Missstände wie die zunehmende Ungleichheit – das Gesamtvermögen der US-Milliardäre hat während der [Corona-]Krise zugenommen – werden immer größer. […] Wir müssen völlig neue Grundlagen für unsere Wirtschafts- und Sozialsysteme schaffen.“
Was glauben wir also? Helfen uns die Konzerne, konkret die ihnen vorstehenden Menschen, bzw. die 0,001 Prozent dabei, die Welt gerechter zu machen? Trotz genau gegenläufiger Entwicklung mit immer mehr Vermögensungleichheit in den letzten Jahrzehnten: Werden uns die den Konzernen vorstehenden Menschen bzw. die 0,001 Prozent dabei helfen, für weniger Vermögensungleichheit und mehr globale Gerechtigkeit zu sorgen als in all den letzten Jahrzehnten oder – je nach Blickwinkel – Jahrhunderten davor?
Von der „klimaneutralen“ Politik des Westens sind 2,5 Milliarden Menschen des Südens und die Hälfte des Landes der Erde auf dramatische Weise betroffen.
Kathrin Hartmann führt in ihrem Beitrag Grüner Landraub – Wie Indigene und KleinbäuerInnen für Klima- und Naturschutz vertrieben werden dazu aus:
Die Klimapolitik des Westens: Alter Kolonialismus im neuen Gewand?
Unweigerlich erinnern derlei Vorgänge an die lange Historie der Kolonialzeit. Die Grundlage der aktuellen Politik des „Green Deals“ und der „Klimaneutralität“ wird mithilfe des Emissionshandels umgesetzt, der seine Grundlage in dem am 16. Februar 2005 in Kraft getretenen Kyotoprotokoll hat, welches wesentlich zwischen den Vereinten Nationen und dem Weltwirtschaftsforum ausgehandelt wurde. Die Folge sind kolonialistisch anmutende Entwicklungen, da Millionen von Menschen auf der südlichen Hemisphäre oft mit Waffengewalt (Arte-Dokumentation 2014, ab Min. 1:10:00) aus ihren naturnahen Wohngebieten vertrieben werden und ihnen das Land genommen wird, auf dem und von dem sie bisher friedlich und für ihre Verhältnisse auskömmlich lebten und dabei die Natur nicht zerstörten, sondern schützten.
Das Land wird faktisch oder rechtlich durch die Aufforstungsprojekte von westlichen Konzernen mit Geld erworben, das ihnen von ihren Staaten ohne Gegenleistung zur Verfügung gestellt, also praktisch geschenkt wurde. Diese Geldmengenvermehrung im Westen kann dort letztlich nur von den Bürgern, vor allem dem Mittelstand, bezahlt werden, da sich die Geldmengenausweitung und die damit verbundene zunehmende Staatsverschuldung irgendwann in einer Geldentwertung und erhöhten Inflation, wie derzeit, niederschlägt. Und eine erhöhte Inflation bedeutet in aller Regel: Die real arbeitenden Menschen bezahlen die Spekulationsrendite der Finanzwirtschaft; und zwar geldpolitisch selbst dann, wenn durch die erhöhte Inflation die Staatsschulden auf lange Sicht nicht angemessen reduziert werden können. Im Ergebnis steht eine gigantische Vermögensumverteilung, zum einen von der arbeitenden Bevölkerung des Westens zugunsten des – zugespitzt ausgedrückt – reichsten 0,001 Prozent der Menschheit (Oxfam-Ungleichheitsbericht 2022).
Und zum anderen und weit dramatischer besteht diese Vermögensumverteilung – womöglich einmal wieder in der Menschheitsgeschichte – in dem sich verfestigenden Zugriff der westlichen Konzernwelt der Nordhalbkugel auf die Ressourcen der Welt der südlichen Hemisphäre: auf deren Land, Bodenschätze, deren Landwirtschaftserträge und deren Arbeitskraft. Im gemeinsamen Ringen um eine global gerechtere Welt müssen Zustände, die an frühere Kolonialzeiten erinnern, öffentlich diskutiert werden, um sie zu vermeiden und um Verbesserungen herbeizuführen, um nicht erst ein Jahrhundert nach Abschluss des Projekts „Klimaneutral“ darüber wie über die britische Kolonialzeit berichten zu können, die nur noch als historisches Beispiel dafür dienen kann, wohin sich die aktuelle Klimapolitik, was ihre problematischen Seiten betrifft, möglichst nicht entwickeln sollte.
Die Folgen des imperialen Kolonialismus am Beispiel des britischen Kolonialreichs
Eine im Januar 2023 publizierte globale Analyse untersucht die Folgen des Imperialismus, speziell des britischen Kolonialismus, der zwischen 1880 und 1920 in Indien eine geschätzte Übersterblichkeit von 165 Millionen Menschen verursachte. Die Autoren dieser Studie, Dylan Sullivan und Jason Hickel, halten unter dem Titel Kapitalismus und extreme Armut: Eine globale Analyse der Reallöhne, der menschlichen Größe und der Sterblichkeit seit dem langen 16. Jahrhundert fest:
Weitere Untersuchungen beispielsweise der Ökonomin Utsa Patnaik befassen sich mit dem Vermögensabfluss aus Indien in der Zeit der britischen Kolonialherrschaft. Danach wurde in dieser Zeit ein Vermögen von etwa 45 Billionen US-Dollar aus dem Land nach Großbritannien, Europa und Nordamerika transferiert. Die Ökonomin Patnaik dazu in einem Interview aus dem Jahr 2018 schlaglichtartig:
„Die moderne kapitalistische Welt würde ohne den Kolonialismus und dem damit verbundenen Vermögensabfluss nicht existieren.“
Der Vermögensumverteilungseffekt des Emissionshandels folgt einem allgemeinen Prinzip
„Der Oligarchenfeudalismus – Im Namen des Klimaschutzes wird die Lebensmittelversorgung monopolisiert“, lautet der Titel eines Beitrags von Felix Feistel auf Rubikon, in dem derselbe Mechanismus, der sich im Zuge des Emissionshandels international ergibt, derzeit in Europa Platz greift. In den Niederlanden sollen 3.000 Landwirte ihre „klimaschädlichen“ Höfe verkaufen, notfalls werden sie enteignet. Im Ergebnis unterliegen diese Höfe – bzw. deren Land – dem Zugriff einiger weniger Konzerne, deren Anteilseigner wie in aller Regel auch Black Rock & Co. sind. Im Zuge dieser Verkäufe oder Enteignungen werden Konzerne die Grundstücke, oft auch mit staatlichen Zuschüssen, erwerben und dort Häuser, Wohnungen oder Solarparks bauen. Die Bauernhöfe müssen weichen.
Auf diese Weise wird aktuell in den Niederlanden die EU-Klimapolitik des Green Deal umgesetzt. Es steht infolgedessen eine „Privatisierung von nie gekanntem Ausmaß“ bevor, wie Feistel schreibt. Wird dieser Weg weitergegangen, ergibt sich im Ergebnis eine großflächige Vermögensumverteilung. Kleinbäuerliche Gegebenheiten des Mittelstands werden in eine Konzernstruktur transformiert. Wo bislang mittelständische Diversität vorzufinden war, setzen sich zunehmend Monopolstrukturen durch.
Verlassen wir uns auf die Äußerungen aus der Konzernwelt und Politik insoweit, dass sich Zustände kolonialähnlicher Art nicht mehr ergeben, sondern diese Akteure nunmehr global gemeinwohlorientiert agieren?
Neben dieser grundsätzlichen Frage stellen sich viele Menschen vor dem skizzenhaft aufgeworfenen Hintergrund des Zusammenhangs von Geldpolitik – Kapitalismus – Lobbyismus – Naturschutz – Gerechtigkeit weitere Fragen:
eine Reduktion des westlichen Rohstoffverbrauchs einher? Und ist ohne die Reduktion von Rohstoffverbrauch in der westlichen Welt ein realer Naturschutz unter Einbeziehung der Menschen der südlichen Hemisphäre überhaupt möglich? Ist aber die Reduktion von Rohstoffverbrauch – und damit von Rendite – in einer kapitalistisch geprägten Wachstums-Welt gemeinsam mit den einflussnehmenden Hauptakteuren dieser Welt umsetzbar? Denn: nachhaltiges Wachstum = mehr Rohstoffverbrauch = mehr Rendite. Weniger Rohstoffverbrauch = weniger Wachstum = weniger Rendite.
Oligarchie stellt dabei gegenüber der Formulierung „gemeinwohlorientierte Zusammenarbeit“ zwischen Staat und Konzern den negativ konnotierten Gegenbegriff dar. Oligarchie meint damit in der Regel eine Konzentration von Einfluss (Macht) auf einige wenige Menschen, die nicht in freier demokratischer Wahl vom Volk zu ihren Entscheidungsprozessen berufen wurden und die zudem und vor allem weniger oder gar nicht das Gemeinwohl des Volkes zugunsten möglichst Vieler, sondern die eigenen (monetären) Interessen im Fokus haben.
Die Aufgabe von Journalisten, Wissenschaftlern oder auch Juristen, die mit der Thematik befasst sind, ist es, sich von „Labels“ wie Klimaneutralität nicht blenden zu lassen, sondern die Zusammenhänge und Hintergründe stets grundlegend zu hinterfragen, um im Namen der Gerechtigkeit eine allgemein oder in einzelnen Fällen strukturell auf Verfestigung von Ungerechtigkeit und Ungleichheit angelegte Vorgehensweise zu erkennen und dort mit journalistischen, wissenschaftlichen oder rechtlichen Mitteln zu stoppen, wo es möglich ist, immer im gemeinsamen Dialog, der idealerweise auch dann wertschätzend vonstattengeht, wenn die Positionen maximal konträr und emotional aufgeladen sind.
Eine konkrete Möglichkeit für Aktivist*innen, sich für Klimagerechtigkeit vor dem hier aufgeworfenen Hintergrund zu engagieren, könnte der Versuch sein, sich nicht pauschal und unreflektiert für Klimaneutralität einzusetzen, sondern gegenüber Politik und Konzernen etwa folgende drei einfache Forderungen aufzustellen:
Platons Höhle: Aufstieg und Abstieg
Wer die Handlungsstrukturen und Mechanismen von Lobbyverbänden wie dem Weltwirtschaftsforum auf die Politik und den Einfluss der Finanzwirtschaft auf selbige sowie auf die Realwirtschaft zumindest in Grundzügen kennt, würde aus Sicht der Philosophie nicht wie derjenige urteilen, der die Position eines Naiven Realismus vertritt, dass die Welt also im Wesentlichen so ist, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint, wenn keine weiteren Fragen gestellt werden. Es gilt, die Lust am Zweifeln zu wecken und aufrechtzuerhalten, um Verbesserungen möglich zu machen. Es gilt aus der Höhle Platons aufzusteigen, die Schatten oder Trugbilder als solche zu erkennen, um damit der Wahrheit und der globalen Gerechtigkeit ein Stück näherzukommen. Das Ziel des Guten und der Gerechtigkeit ist es, dann wieder sprichwörtlich in die Höhle, wie es Platon in seinem Gleichnis beschreibt, hinabzusteigen und den steinigen Weg zu suchen, anderen Menschen von jenen und anderen Hintergründen zu berichten. Die Schritte auf diesem Weg können nur kleine sein, da allzu große Schritte unweigerlich zum Stolpern führen. Die ersten beiden Forderungen im Kontext eines „klimaneutralen“ Europas – im Globalen Süden Menschenrechte wahren und Baummonokulturen vermeiden – sind solche kleinen, dafür aber realistischen Schritte, die dem dafür notwendigen Optimismus eine Grundlage bieten.
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