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Titel: Die US-Demokraten sind jetzt die Kriegspartei

Datum: 30. Januar 2023 um 11:49 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufrüstung, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Lobbyismus und politische Korruption, Militäreinsätze/Kriege, Parteien und Verbände
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Im folgenden Text zeigt Pulitzerpreisträger Chris Hedges, welche Mechanismen in den USA dafür sorgen, dass Rüstungsindustrie und Kriegswirtschaft seit Jahrzehnten boomen, während die Bürger des Landes zunehmend verelenden. Dieser Entwicklung stellen sich keine nennenswerten Kräfte mehr in den Weg – in dieser besten Demokratie, die man kaufen kann. Auch die US-Demokraten, einst das soziale Gewissen der Nation, sind längst Teil des bösen Spiels geworden. Mehr noch: Sie agieren inzwischen als die eigentliche Kriegspartei. Parallelen zu den Verhältnissen in Deutschland sind nicht zu übersehen. Übersetzung: Susanne Hofmann.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die US-Demokraten sind jetzt die Kriegspartei

Die Demokraten stellen sich als Partei der Tugend dar und kleiden ihre Unterstützung der Kriegsindustrie in eine moralische Sprache. Diese Praxis reicht bis zur Zeit des Korea- und des Vietnamkriegs zurück, als Präsident Ngo Dinh Diem – genauso wie heute der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj – zum Helden stilisiert wurde. Alle Kriege, die sie unterstützen und finanzieren, sind „gute“ Kriege. Alle Feinde, die sie bekämpfen – zuletzt Russlands Wladimir Putin und Chinas Xi Jinping – sind die Verkörperung des Bösen. Das Foto der strahlenden Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und Vize-Präsidentin Kamela Harris mit ukrainischer Fahne samt Unterschriften in den Händen hinter Selenskyj, der eine Rede vor dem Kongress hält, war ein weiteres Beispiel für die erbärmliche Servilität der Demokratischen Partei gegenüber der Kriegsmaschine.

Die Demokraten, insbesondere seit Bill Clintons Präsidentschaft, sind Marktschreier nicht nur für die Konzernmacht Amerika, sondern für die Waffenindustrie und das Pentagon. Kein Waffensystem ist zu kostspielig. Kein Krieg, gleich wie katastrophal, bleibt unfinanziert. Kein Militärbudget ist zu groß, allein im Steuerjahr 2022 betrug es 858 Milliarden US-Dollar und ist damit noch um 45 Milliarden US-Dollar umfangreicher, als die Biden-Administration verlangt hatte.

Der Historiker Arnold Toynbee nennt den ungebremsten Militarismus die tödliche Krankheit von Imperien und ist der Auffassung, dass diese letztlich Selbstmord begehen.

Einst hatte die Demokratische Partei einen Flügel, der die Kriegsmaschine hinterfragte und sich dagegen auflehnte: die Senatoren J. William Fulbright, George McGovern, Gene McCarthy, Mike Gravel, William Proxmire und der Abgeordnete Dennis Kucinich. Doch diese Opposition verflüchtigte sich zusammen mit der Anti-Kriegsbewegung. Als 30 progressive Mitglieder der demokratischen Fraktion neulich Biden dazu aufriefen, mit Putin zu verhandeln, haben die Parteiführung und die kriegshetzerischen Medien sie dazu gezwungen, einen Rückzieher zu machen und ihren Brief zu widerrufen. Ohnehin hatte keiner von ihnen, mit Ausnahme von Alexandria Ocasio-Cortez, gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine im Wert von Milliarden von Dollar oder das aufgeblähte Militärbudget gestimmt. Rashida Tlaib enthielt sich.

Widerstand gegen die unbefristete Finanzierung des Ukrainekrieges kommt bisher vor allem von den Republikanern: Elf Senatoren und 57 Kongressabgeordnete, einige von ihnen, wie Marjorie Taylor Greene, sind verwirrte Verschwörungstheoretiker. Nur neun Republikanische Kongressabgeordnete unterstützten die Demokraten und ihren Gesetzentwurf, der 1,7 Billionen Euro lockermachte, um den Verwaltungsstillstand zu verhindern – darin enthalten: 847 Milliarden für das Militär, eine Summe, die auf 858 Milliarden US-Dollar anschwillt, wenn man alles dazurechnet, was nicht unter den Zuständigkeitsbereich des Streitkräfte-Komitees fällt. Im Senat sprachen sich 29 Republikaner gegen das Gesetz aus. Die Demokraten dagegen, darunter fast alle 100 Mitglieder der progressiven Fraktion im Kongress, stimmten brav für den Endloskrieg.

Diese Kriegslust ist gefährlich und treibt uns möglicherweise in einen Krieg mit Russland und, vielleicht später, mit China – beides Atommächte. Die Kriegslust richtet uns auch wirtschaftlich zugrunde. Die Kapitalkonzentration durch das Militär hat die US-Schulden auf mehr als 30 Billionen US-Dollar hinaufgetrieben, sechs Billionen mehr als das US-Bruttoinlandsprodukt von 24 Billionen US-Dollar. Wir geben mehr für das Militär aus als die nächsten neun Länder zusammen, darunter China und Russland. Der Kongress ist dabei, dem Pentagon für den Ukraine-Nachschub zusätzliche 21,7 Milliarden US-Dollar bereitzustellen – zusätzlich zum bereits erweiterten jährlichen Budget.

„Doch diese Verträge sind lediglich die Vorhut neuer Aufrüstung“, berichtete die New York Times. „Die Militärausgaben im kommenden Jahr (2023, Anmerkung der Übersetzerin) sind dabei, ihr inflationsbereinigtes höchstes Niveau seit den Spitzenausgaben für die Irak- und Afghanistankriege zwischen 2008 und 2011 zu erreichen und das zweithöchste, ebenfalls inflationsbereinigt, seit dem Zweiten Weltkrieg. Das ist mehr, als die Budgets der nächsten zehn größten Ressorts zusammen.“

Die Demokratische Partei, die unter der Clinton-Administration aggressiv um Unternehmensspenden warb, hat ihren – wenngleich zaghaften – Willen zum Widerstand gegen die Kriegsindustrie aufgegeben.

„Sobald die Demokratische Partei vor rund 35 oder 40 Jahren beschlossen hatte, Zuwendungen von Unternehmen anzunehmen, machte das jeden Unterschied zwischen den beiden Parteien zunichte“, sagte Dennis Kucinich, als ich ihn für The Real News Network interviewte. „Wer in Washington die Kapelle bezahlt, bestimmt die Musik. Genau das ist geschehen. Wenn es um den Krieg geht, gibt es kaum Unterschiede zwischen den beiden Parteien.“

In seinem 1970 erschienenen Buch „Das Pentagon informiert oder: Der Propaganda-Apparat einer Weltmacht“ beschreibt Fulbright, wie das Pentagon und die Waffenindustrie Millionen von Dollar in die Beeinflussung der öffentlichen Meinung stecken – durch PR-Kampagnen, Filme des Verteidigungsministeriums, die Kontrolle von Hollywood und die Dominanz der kommerziellen Medien. Militärexperten der Nachrichtensender sind für gewöhnlich ehemalige Angehörige des Militärs und der Geheimdienste, die sich in den Vorständen oder als Berater der Waffenindustrie verdingen – was sie die Öffentlichkeit aber selten wissen lassen. Barry R. McCaffrey, ein pensionierter Vier-Sterne-General und Militärexperte bei NBC News, war auch Mitarbeiter von Defense Solutions, einer militärischen Vertriebs- und Projektmanagementfirma. Er – wie die meisten dieser Marktschreier für den Krieg – profitierte persönlich vom Verkauf der Waffensysteme und der Ausweitung der Kriege im Irak und in Afghanistan.

Vor jeder Abstimmung im Kongress über das Pentagon-Budget treffen sich Unternehmenslobbyisten mit Verbindung zur Kriegsindustrie mit Kongressabgeordneten und ihren Mitarbeitern, um sie dazu zu bringen, für das Budget zu stimmen, um Arbeitsplätze in ihrem Bezirk oder Staat zu sichern. Dieser Druck, zusammen mit dem durch die Medien verstärkten Mantra, dass der Widerstand gegen verschwenderische Kriegsausgaben unpatriotisch sei, erlegt den gewählten Beamten Fesseln auf. Diese Politiker sind außerdem auf großzügige Spenden der Waffenhersteller für die Finanzierung ihres Wahlkampfs angewiesen.

Seymour Melman hat in seinem Buch „Pentagon Capitalism“ dokumentiert, wie militarisierte Gesellschaften ihre heimische Wirtschaft zerstören. Milliarden werden für die Erforschung und Entwicklung von Waffensystemen ausgegeben, während Technologien für erneuerbare Energien darben. Universitäten werden mit militärbezogenen Stipendien überschwemmt, während sie darum kämpfen, Geld für Umweltstudien und Geisteswissenschaften aufzutreiben. Brücken, Straßen, Deiche, Eisenbahnnetze, Stromnetze, Kläranlagen und die Trinkwasserinfrastruktur haben strukturelle Mängel und sind veraltet. Schulen sind heruntergekommen und es fehlt Personal. Die profitorientierte Gesundheitsindustrie war mit der Covid-19-Pandemie überfordert und treibt Familien, diejenigen mit Versicherungsschutz eingeschlossen, in den Bankrott. Die heimische Produktion bricht zusammen, was insbesondere an der Verlagerung von Arbeitsplätzen nach China, Vietnam, Mexiko und in andere Länder liegt. Familien sind bis zum Hals verschuldet, 63 Prozent der Amerikaner hangeln sich von Monatsgehalt zu Monatsgehalt. Die Armen, die psychisch und physisch Kranken und die Arbeitslosen lässt man im Stich.

Melman, der den Begriff „permanente Kriegswirtschaft“ prägte, legt dar, dass die US-Regierung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mehr als die Hälfte ihres frei verfügbaren Budgets für vergangene, laufende und künftige Militäreinsätze ausgegeben hat. Es ist die größte, einzelne unterstützende Aktivität der Regierung. Das militärisch-industrielle Establishment ist nichts weiter als vergoldete Wohlfahrt für Unternehmen. Militärsysteme werden verkauft, ehe sie produziert werden. Die Rüstungsindustrie darf der Regierung enorme Kostenüberschreitungen in Rechnung stellen. Gigantische Profite sind garantiert. So verschaffte die Armee allein dem Raytheon Technologies Konzern im November 2022 Aufträge im Wert von mehr als zwei Milliarden US-Dollar, zusätzlich zu den 190 Millionen US-Dollar, die ihm im August gewährt wurden, um Raketensysteme zur Erweiterung oder zum Ersatz der Waffen zu liefern, die in die Ukraine geschickt wurden. Trotz der Flaute in den meisten anderen Geschäftsfeldern sind die Aktienkurse von Lockheed und Northrop Grumman um mehr als 36 bzw. 50 Prozent im Jahr 2022 gestiegen.

Technologieriesen, darunter auch Amazon, das Überwachungs- und Gesichtserkennungs-Software für Polizei und FBI liefert, wurden in die permanente Kriegswirtschaft absorbiert. Amazon, Google, Microsoft und Oracle bekamen Cloud-Computing-Verträge im Wert von mehreren Milliarden Dollar für die Joint Warfighting Cloud Capability und könnten bis Mitte 2028 Pentagon-Verträge im Wert von neun Milliarden US-Dollar erhalten, um dem Militär „global verfügbare Cloud-Dienste über alle Sicherheitsdomänen und Klassifizierungsstufen hinweg bereitzustellen, von der strategischen Ebene bis zum taktischen Rand“.

Länder wie Israel, das seit seiner Gründung 1948 mehr als 150 Milliarden US-Dollar an bilateralen Hilfen erhalten hat, oder Ägypten, das seit 1978 mehr als 80 Milliarden US-Dollar bezogen hat, bekommen Entwicklungshilfe – Hilfe, die von den Regierungen anderer Länder verlangt, US-Waffensysteme zu kaufen. Ein derartiges Kreislaufsystem stellt die Idee einer freien Marktwirtschaft auf den Kopf. Diese Waffen werden bald veraltet sein und werden dann durch modernere und für gewöhnlich kostspieligere Waffensysteme ersetzt. Es ist, wirtschaftlich betrachtet, eine Sackgasse. So wird ausschließlich eine permanente Kriegswirtschaft aufrechterhalten.

„Wir leben in einer extrem militarisierten Gesellschaft, die von Gier und Profitstreben getrieben ist, und Kriege werden vom Zaun gebrochen, um das Ganze am Laufen zu halten“, sagte mir Kucinich.

2014 brachte ein von den USA unterstützter Staatsstreich in der Ukraine eine Regierung ans Ruder, in der auch Neonazis saßen und die russlandfeindlich war. Der Coup löste einen Bürgerkrieg aus und ethnische Russen in der Ost-Ukraine, dem Donbas, versuchten, sich vom Land abzuspalten. Das Ergebnis des Bürgerkrieges waren mehr als 14.000 Tote und fast 150.000 Vertriebene, bevor Russland im Februar einmarschierte. Die russische Invasion der Ukraine wurde laut Jacques Baud, einem früheren NATO-Sicherheitsberater, der auch für den Schweizer Geheimdienst arbeitete, durch die Eskalation des ukrainischen Krieges gegen den Donbas provoziert. Die Invasion folgte außerdem der Zurückweisung von Vorschlägen durch die Biden-Administration, welche der Kreml Ende 2021 vorgebracht hatte und welche die russische Invasion hätten abwenden können.

Der Einmarsch führte zu umfassenden US- und EU-Sanktionen gegen Russland, die sich als Boomerang gegen Europa richten. Inflation infolge der drastischen Drosselung russischer Öl- und Gasimporte sucht Europa heim. Die Industrie, insbesondere in Deutschland, wird lahmgelegt. In weiten Teilen Europas herrscht ein Winter der Knappheit, steigender Preise und Elend.

„Das Ganze richtet sich gegen den Westen“, warnte Kucinich. „Wir haben Russland gezwungen, sich Asien sowie Brasilien, Indien, China, Südafrika und Saudi-Arabien zuzuwenden. Es entsteht eine ganz neue Welt. Katalysator dieser Entwicklung ist das Fehlurteil über die Ukraine und der Versuch, 2014 die Kontrolle über die Ukraine zu übernehmen, was den meisten Menschen nicht bewusst ist.“

Liberale Kräfte werden zu den sterilen, unterlegenen Träumern aus Fjodor Dostojewskis „Aufzeichnungen aus dem Untergrund“; indem sie sich einer Demokratischen Partei, deren Hauptgeschäft der Krieg ist, nicht entgegenstellen. Als ehemaliger Häftling fürchtete Dostojewski das Böse nicht. Er fürchtete eine Gesellschaft, der die moralische Stärke abging, dem Bösen entgegenzutreten. Und Krieg, um eine Zeile aus meinem jüngsten Buch zu klauen, ist das größte Übel.

Titelbild: danielfela/shutterstock.com


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