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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Corona-Grenzüberschreitungen
Datum: 23. Januar 2023 um 9:10 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Gesundheitspolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Lobbyismus und politische Korruption, Wertedebatte
Verantwortlich: Redaktion
Claudius Loga, Facharzt für Allgemeinmedizin, hat einen Bericht über seine „Erfahrungen im Praxisalltag eines Hausarztes“ geschrieben und den NachDenkSeiten zur Verfügung gestellt. Wir veröffentlichen diesen interessanten Bericht einschließlich des Anschreibens an die NachDenkSeiten-Redaktion. Albrecht Müller.
Liebe Nachdenkseiten-Redaktion,
Danke für 3 Jahre kritische Analyse und Hintergrundinformationen zur Coronakrise! Die Nachdenkseiten waren für mich ständiger Begleiter und Mutmacher in dieser schwierigen Zeit.
Als Hausarzt habe ich in diesen 3 Jahren in unserer Praxis mit sehr vielen Menschen gesprochen, die unter den Grundrechtseingriffen und ihren Folgen leiden mussten. Dabei wurde mir schnell klar, dass gerade die verletzlichen, kranken oder traumatisierten Menschen diejenigen waren, die gesundheitliche Folgen durch die Maßnahmen – die ja eigentlich dem Gesundheitsschutz dienen sollten – davontrugen. Sie erlebten Verletzungen ihrer persönlichen Grenzen, die eigentlich durch das Grundgesetz geschützt sein müssten. Der persönlichen Raum, die Autonomie und Teilhabe dieser Menschen am gesellschaftlichen Leben wurden massiv eingeschränkt, Dies habe ich persönlich als schwere, noch nie dagewesene Grenzüberschreitung des Staates gegenüber dem einzelnen Menschen erlebt.
In der Anlage mein Erfahrungsbericht, den Sie gerne in den Nachdenkseiten veröffentlichen dürfen.
Mit freundlichen Grüßen
Claudius Loga, Facharzt für Allgemeinmedizin im linken “praxiskollektiv” in Berlin-Kreuzberg
Corona-Grenzüberschreitungen
Pandemische Erfahrungen im Praxisalltag eines Hausarztes
Der Entzug von Grundrechten dient nicht dem Gesundheitsschutz: Er nimmt vielen schwächeren und verletzlichen, kranken oder traumatisierten Menschen den Schutz ihres persönlichen Raumes und ihre Autonomie sowie die gesellschaftliche Teilhabe.
Ein Erfahrungsbericht
Jeder Mensch hat seine Grenzen. Als Hausarzt mit langjähriger Berufserfahrung habe ich gelernt, wie wichtig der „eigene, geschützte Raum“ für jede Patientin, für jeden Patienten, die und der zu meinen KollegInnen und mir in die Sprechstunde kommt, ist. Der Praxisalltag zeigt immer wieder, dass Menschen krank werden, deren äußere Grenzen gebrochen wurden, die von außen unter Druck gesetzt, verletzt und missbraucht werden und wurden, denen der Verlust von Wohnraum oder Arbeitsplatz droht, denen „ihr Raum genommen“ wird, die keine Perspektive und keine Entfaltungsmöglichkeiten haben. Einige meiner PatientInnen sind auch auf der Flucht vor persönlichen Grenzüberschreitungen, vor dem Eingesperrtwerden, vor dem Verlust ihrer körperlichen und seelischen Unversehrtheit durch z.B. staatliche Gewalt über geschlossene Grenzen hinweg in unser Land gekommen, weil sie den Schutz ihrer Grenzen in Form von Asyl in Anspruch nehmen möchten. Unser demokratisches System garantiert diesen Schutz im Grundgesetz.
Ein Teil der Behandlung in unserer Praxis besteht darin, allen Menschen für kurze Zeit einen geschützten Raum zu garantieren, in dem sie frei und sicher vor jeder Form von Bedrohung sein können.
„Es gibt Grenzen!“
So heißt es in Dota Kehrs Lied „Grenzen“:
„Ich schließe die Tür und genieße die Stille
Ich grenze mich ab, das muss sein
Jeder hat seine Grenze die ihn umgibt
Sie schließt ihn schützend ein
Jeder Übergriff jeder Schlag
Verletzt ein Menschenrecht
Warum schützt man die Grenzen der Staaten so gut und die Grenzen der
Menschen so schlecht?“
Jeder Mensch hat eine äußere Grenze. Die Oberfläche seiner Haut, aber auch die Oberflächen der Atemwege und der Darmschleimhaut sind die Flächen, mit denen der Mensch mit seiner Umwelt in Kontakt tritt. Das, was von außen an Reizen, Mikroorganismen und Stoffen auf die Körperoberfläche trifft, wird von einem hochspezialisierten System analysiert und löst verschiedene Reaktionen des Nerven- und Immunsystems aus, die dem Schutz des Organismus vor krankmachenden Reizen dienen. Die Gesunderhaltung des menschlichen Organismus ist also ein hochkomplexes Geschehen, das Entstehen einer Krankheit nicht allein von einer einzigen eindringenden Erregerart, z.B. einem Virus abhängig.
Die Widerstandskraft eines Individuums hängt auch von dem Schutz der äußeren Grenzen seines persönlichen Lebensraums ab. Jeder Mensch braucht einen Raum zum Wohnen, aber auch Bewegungsraum, Raum mit der Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, Räume für Kontakt, Kultur und Kreativität. Auch Räume für die Möglichkeit zu freier politischer Meinungsäußerung und religiöser Gemeinschaft gehören dazu. Der Schutz der Grenzen dieser Räume dient sowohl der Gesundheit einzelner Menschen als auch der Gesunderhaltung der gesamten demokratischen Gesellschaft. Der Staat garantiert diesen Schutz durch die im Grundgesetz festgeschriebenen Grundrechte, auch gegen Eingriffe durch den Staat selbst.
Die Grundrechte auf Freiheit der Person, der Bewegungsfreiheit, des menschlichen Kontakts, der Kommunikation und Teilhabe, auf Bildung, das Grundrecht, sich selbst seinen Lebensunterhalt verdienen zu können, auf körperliche Unversehrtheit, auf Unverletzlichkeit der Wohnung, das Demonstrationsrecht sowie das Recht auf Leben und auf ein Sterben in Würde sollten die Autonomie und den Schutz des einzelnen Menschen vor staatlichem Zugriff gerade in Krisenzeiten gewährleisten. Zwischen diesen Rechten muss in einer Demokratie ständig ein Abwägungsprozess getroffen werden. Das Aussetzen von vielen Grundrechten zugunsten eines einzigen – also z.B. dem vermeintlichen Schutz von Leben – ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Mangelnde Verhältnismäßigkeit
Mit dem Beginn der sogenannten Corona-Maßnahmen, die ab März 2020 der Eindämmung der Ausbreitung von Sars-CoV-2-Infektionen dienen sollten, wurden Grundrechte auf unangetastete Freiräume eines jeden Menschen über einen längeren Zeitraum in erheblichem Ausmaß eingeschränkt. Für die meisten dieser staatlich verordneten Einschränkungen bestand bis dahin keine wissenschaftliche Evidenz in Bezug auf die Verhinderung der epidemischen Ausbreitung einer Atemwegsinfektion. Dazu gehören die Kontaktbeschränkungen, die Lockdowns mit Ausgangssperren, Geschäfts-, Universitäts-, Kita- und Schulschließungen, das Verbot von Veranstaltungen von Sport und Kultur, von Demonstrationen und der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, das Abriegeln von Spielplätzen, der Maskenzwang und anderes mehr. Zu diesen „präventiven Interventionen“, die die Grundrechte massiv beschnitten, gibt es zum größten Teil bis heute zwar eine Menge wissenschaftlicher Studien, aber keinen echten Wirksamkeitsnachweis. Im Gegenteil, der Schaden, der durch Lockdowns, Kita- und Schulschließungen angerichtet wurde, ist – so das Ergebnis vieler Studien – größer als der Nutzen.
Die massive Förderung von Angst vor dem Corona-Virus durch mediale Berichterstattung über Horrormodellierungen und Politiker im Dauer-Warn-Modus führte zum verstärkten Wunsch nach Sicherheit und zur Akzeptanz von grundrechtseinschränkenden Maßnahmen in der Bevölkerung. Die in militärischem Stil als „Krieg gegen das Virus“ (Macron) durchgeführten Maßnahmen führten zur Hoffnung, gemeinsam die Wellen brechen und die Pandemie kontrollierbar machen zu können. Es wurde die Illusion hervorgerufen, durch gemeinsames solidarisches Gehorchen, durch Unterordnung des Einzelnen unter „nun erforderliche Maßnahmen“ die Pandemie in kurzer Zeit beenden zu können. Die in der Medizin geltenden Prinzipien der Verhältnismäßigkeit, der Nutzen-Risiko-Abwägungen und des Grundsatzes, durch Interventionen zunächst erstmal keinen Schaden hervorzurufen, sind bei dieser Erkrankung von der Politik unter dem – medial verstärkten – Druck zu handeln und der scheinbaren Alternativlosigkeit der Maßnahmen außer Kraft gesetzt worden.
„Kollateralschäden“: Grenzüberschreitungen im Praxisalltag
In unserer Praxis war bei unseren PatientInnen in den ersten Wochen der Pandemie eine alles umfassende Angst zu spüren, die durch relativierende Aussagen in Bezug auf die SARS-CoV2-Infektionen kaum zu mindern war. Sie wurde verstärkt durch das Ausrufen des Lockdowns, des „Einschlusses“ in die eigenen vier Wände und das Verbot des Aufenthalts in öffentlichen Räumen. Als Folge spielten sich in den Wohnungen teils dramatische Szenen ab, wenn große Familien auf kleinstem Raum zusammengepfercht, aber auch wenn Alleinlebende wochenlang keinen Kontakt zur Außenwelt hatten. Auch draußen wurden enge Grenzen gesetzt: PatientInnen, die z.B. ihre Erkrankungen des Bewegungsapparats, ihren hohen Blutdruck oder Diabetes durch regelmäßigen Sport und Bewegung regulierten, konnten diesem nicht mehr nachgehen. Die Folge waren Beschwerdeverschlimmerungen und Entgleisungen der Werte, vielfach stellten wir Verschlechterungen des Gesundheitszustandes fest. Einer über 80-jährigen Patientin mit einer Lungenerkrankung wurde von der Polizei untersagt, sich auf eine Parkbank zu setzen und zu verschnaufen. Die Kontaktbeschränkungen zerstörten soziale Zusammenhänge und führten zu teils absurden Situationen. Einer Großmutter wurde monatelang von der Tochter verboten, ihre Enkel zu sehen, da sie ja durch diese gefährdet sei. Menschen wurden gegen ihren Willen zur „Risikogruppe“ erklärt und in Heimen isoliert. Plötzlich wurde gesellschaftlich auch nach „Nützlichkeit“ unterschieden: Menschen, die „nicht-systemrelevant“ waren, wurden vom Arbeitsleben ausgegrenzt.
Hinzu kamen Streits und Ausgrenzungen in Familien und zwischen Freunden, Nachbarn und ArbeitskollegInnen wegen unterschiedlicher Auffassungen in Bezug auf die Corona-Maßnahmen: Wer die als „alternativlos“ dargestellten, massiven Einschränkungen der Grundrechte nicht akzeptieren wollte oder gar dagegen protestierte, wurde als unsolidarisch, als Gefährder, Schwurbler, Verschwörungstheoretiker oder Rechter bezeichnet und abgekanzelt. Wir erlebten in unserer Sprechstunde viele verzweifelte Menschen, die die Welt nicht mehr verstanden, sich ausgegrenzt fühlten und darunter massiv litten. Dies zeigte sich auch in einer massiven Zunahme von psychosomatischen Beschwerden, Schlafstörungen und Depressionen. Ähnliche Beschwerden traten auch bei den Jugendlichen und Kindern durch die Abkapselung von ihrer Altersgruppe und den Bewegungsmangel im „Homeschooling“ auf. Die „Kollateralschäden“ der Eingriffe in die Grundrechte waren und sind bei Kindern und auch bei Erwachsenen weiterhin deutlich im Praxisalltag zu spüren.
Zu neuen Grenzverletzungen kam es durch die Aufhebung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit. Die trotz mangelnder Evidenz verhängte Maskenpflicht in vielen öffentlichen Bereichen und am Arbeitsplatz – hier ist nicht die Evidenz des kurzzeitigen Tragens einer Maske beim Umgang mit einer infizierten Person gemeint – führte bei vielen dazu, sich aus Solidarität einem gegen ihren Körper gerichteten Zwang unterordnen zu müssen. Ein Recht auf freie, unbehinderte Atmung wurde und wird jedem Menschen, egal wie es ihm damit gesundheitlich geht, abgesprochen. Die PatientInnen berichteten – je nach Grunderkrankung – über verschiedenste Beschwerden. Am stärksten beeinträchtigt waren natürlich die Menschen mit Atemwegserkrankungen. Hier zeigte sich die Erbarmungslosigkeit und Totalität der Maßnahmen: Uns wurde in zahlreichen Gesprächen gerade über Arztpraxen und Krankenhäuser berichtet, in denen Menschen trotz heftigster Luftnot eine Maske aufgezwungen oder sie des Hauses verwiesen wurden. Am stärksten erschüttert hat mich die Geschichte einer 85-Jährigen, die trotz ihrer Kurzatmigkeit bei einer starken Wirbelsäulen- und Brustkorb-Deformation von ihrem Hausarzt nicht ihre lebenswichtigen Medikamente verordnet bekam, weil sie keine FFP2-Maske tragen konnte. Stark betroffen waren aber auch Menschen mit traumatischen Lebenserfahrungen in der Vergangenheit: Menschen, denen als Opfer von Gewaltanwendung der Mund zugehalten worden war, Menschen, die als Kinder misshandelt wurden, Menschen mit Erfahrungen des Ertrinkens oder Erstickens, aber auch von Folter oder Gefängnis. In der Intoleranz des Staates und weiter Teile der Gesellschaft gegenüber Individuen, die – aus welchen Gründen auch immer – die für „alternativlos“ gehaltenen Maßnahmen nicht befolgen konnten und wollten, zeigte sich die Doppelmoral der sogenannten Solidarität.
Ausgrenzung von nicht-geimpften Menschen
Zu den stärksten Grenzüberschreitungen und Ausgrenzungen von Menschen kam es jedoch im Zusammenhang mit den neu entwickelten Impfstoffen gegen SARS-CoV2. Diese Substanzen arbeiten nicht nach dem klassischen Prinzip eines Antigen-Kontakts mit Auslösung einer Immunantwort des Individuums wie bei herkömmlichen Impfungen. Vielmehr wird der gentechnisch hergestellte Bauplan eines Virusteils injiziert und im Körper des Geimpften somit das Antigen als Protein selbst hergestellt und verbreitet. Viele Menschen wollten sich diesem Risiko eines noch unbekannten Wirkprinzips nicht unterziehen, zumal niemand vorhersagen konnte, wie sich das Immunsystem gegenüber einem selbstproduziertem Fremdeiweiß verhalten würde. Nach Auswertung der sehr verkürzten Zulassungsstudien war auch schnell klar, dass diese Impfstoffe keinen „Fremdschutz“ bieten: Die geimpfte Person kann also weiter andere Menschen anstecken. Spätestens jetzt hätte sich also das Argument einer Impfung aus Solidarität erübrigt. Statt die Impfung nur auf Risikogruppen zu beschränken, wurde sie aber als Ausweg aus der Pandemie unisono von Medien und Politik propagiert unter Ignoranz der Studienergebnisse. Wer sich nicht impfen lassen wollte, wurde ausgegrenzt und als unsolidarisch gebrandmarkt. Dies wurde in den staatlich verordneten 2G-Regeln festgeschrieben, die einen Teil der Bevölkerung ausgrenzten. Auch in der Ärzteschaft wurden diese Diskriminierungen praktiziert und propagiert. Viele PatientInnen, die sich nicht impfen lassen wollten, wurden von ÄrztInnen nicht weiterbehandelt oder so massiv unter Druck gesetzt, bis sie sich – gegen ihren eigenen Willen – impfen ließen. Ungeimpfte sollten sich auch an den Behandlungskosten beteiligen, so ein Vorschlag des Vorstands der KV-Berlin, die damit das solidarische Gesundheitssystem preisgeben wollte.
Durch die institutionelle Impfpflicht wurde dieser Zustand dann noch verschärft. Viele Krankenschwestern und -pfleger, ÄrztInnen, TherapeutInnen, AltenpflegerInnen, RettungssanitäterInnen, Feuerwehrleute, aber auch z.B. ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen im Gesundheitswesen fühlten sich diskriminiert und hatten Angst vor dem Arbeitsplatzverlust. In der durch das Gesetz verpflichtenden Weitergabe von persönlichen Gesundheitsdaten an den Arbeitgeber sahen zudem viele den Datenschutz gefährdet und fühlten sich ausgeliefert. Zahlreiche Krisengespräche mussten geführt werden. Eine Bewohnerin einer Obdachlosenunterkunft, die sich aufgrund einer Autoimmunerkrankung nicht impfen lassen wollte, berichtete, dass sie von der Leitung als „Schuldige“ für die anhaltenden Quarantänemaßnahmen vor den anderen Heimbewohnern verächtlich gemacht wurde. Ein Großteil der Gesellschaft, der Medien, alle Regierungsvertreter und selbst das Bundesverfassungsgericht ignorierten zum einen das Gebot des Grundgesetzes, in dem das Recht auf körperliche Unversehrtheit festgeschrieben ist, zum anderen aber die Tatsache, dass diese Impfung gar keinen Schutz für andere bietet.
Die Ausgrenzungen fielen nicht vom Himmel
Woher aber kam das ausgrenzende Verhalten, das meine KollegInnen und ich im Praxisalltag erlebt haben? Die um sich greifende Angst in der Bevölkerung ist in meiner Wahrnehmung dadurch, dass relativierende Sichtweisen von vornherein ausgeschlossen wurden, gezielt geschürt worden. Wissenschaftler und Mediziner, die die SARS-CoV-Infektionen und deren Ausbreitung relativierten, also ins Verhältnis zu anderen bestehenden Lebensrisiken setzten, die vor der Fokussierung auf PCR-Tests warnten, die die Rolle des Immunsystems betonten oder die mangelnde Evidenz der Maßnahmen kritisierten und vor deren Folgen warnten, wurden von Politik und Medien ignoriert, ausgegrenzt, diffamiert. Plötzlich wurde „die Wissenschaft“ wie eine Einheitspartei definiert und alle „Abtrünnigen“ aus der Gemeinschaft der Wissenschaftler ausgeschlossen. Dies ist aber wohl kein Zufall: Die Wissenschaft, und dabei insbesondere die Medizin, wurde in den letzten Jahrzehnten immer mehr von Lobbyinteressen eines global agierenden „medizinisch-pharmazeutisch-digital-industriellen“ Komplexes gelenkt und geformt. Hier fließen viele Milliarden Dollar von internationalen, durch Industriegelder finanzierten Stiftungen oder im Rahmen von public private partnerships ganz offiziell in Forschungseinrichtungen und nationale und internationale Gesundheitsorganisationen wie die WHO und beeinflussen so die Gesundheitspolitik. Selbst Kontrollorganisationen wie die für die europäische Arzneimittelsicherheit zuständige EMA werden – so eine jüngst im BMJ erschienene Studie – von im Jahr 1990 zu 20 Prozent inzwischen zu 89 Prozent von der Pharmaindustrie finanziert. Kapitalistische Gewinninteressen prägen heute die Medizin, aber natürlich auch die ganze Gesellschaft wie nie zuvor. Das ganze Gesundheitswesen wird durch die fortschreitende neoliberale Umgestaltung zur Gewinnmaximierung von Kapitalanlegern und zum Nachteil der darin arbeitenden Menschen und der Gesundheit der Bevölkerung ausgepresst. Das System ist „exklusiv“ für die, die daran verdienen, die Gesellschaft kann zahlen. Hier beginnt die Ausgrenzung, wo der Staat nicht mehr am Gemeinwohl und die Wissenschaft nicht mehr an verschiedenen Standpunkten und echter Evidenz interessiert ist. Und so wurde die Angst geschürt, vielleicht keines der knappen Intensivbetten mehr zu bekommen und zu ersticken anstatt das Gesundheitssystem auf schon immer vorhandene saisonale Überlastungen vorzubereiten und einen menschenwürdigen Lohn in der Pflege zu zahlen. Und so wurden neuartige Impfstoffe ohne evidente Datenlage in Rekordzeit und mit risikofreiem Milliardengewinn als alleiniges Heilsversprechen entwickelt, produziert und verkauft. Wer daran nicht glaubte, wurde und wird ausgegrenzt.
Die rote Linie
Unsere Gesellschaft ist ein hochkomplexes System, jeder Mensch sollte die Freiheit haben, die eigene Autonomie zu schützen und seine Grenzen zu setzen, aber auch die Grenzen zu öffnen, zu erweitern, hinein in die lebendige Gemeinschaft, den sozialen Raum. Hierin gleicht die demokratische Gesellschaft dem sich selbst regulierenden menschlichen Immunsystem: Es entsteht ein dynamisches Gleichgewicht von innen und außen, von Abgrenzung und Anregung. Jede staatliche oder präventivmedizinische Intervention – und sei sie mit der besten Absicht durchgeführt – kann dramatische Folgen haben.
Die Grenze, die bei den Eingriffen überschritten wurde, ist eine rote Linie in der Demokratie: Die Grundrechte wurden verletzt und damit ein wichtiger Gesundheitsschutz für jeden einzelnen Menschen außer Kraft gesetzt. Wunden müssen nun versorgt werden, Narben werden bleiben, gesellschaftliche Aufarbeitung ist dringend notwendig. Und eine zarte, aber stark wirksame Heilpflanze für die Gesellschaft sollte wieder gepflegt werden: der Respekt.
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