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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Wachstumswahn, Wachstumszwang, Wachstumskritik, Postwachstumsgesellschaft, etc. – seltsame Begriffe und eine vergleichsweise irrelevante und in die Irre leitende Debatte
Datum: 21. April 2011 um 11:39 Uhr
Rubrik: Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Postwachstumskritik, Ressourcen, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Albrecht Müller
Es ist richtig und überaus wichtig, auf einen schonenden Umgang mit den knappen Ressourcen zu pochen, das Bewusstsein dafür zu schärfen und die notwendigen politischen Entscheidungen zu erzwingen. Ist dafür die anschwellende Debatte um das wirtschaftliche Wachstum von großer Bedeutung? – Vor einiger Zeit schon habe ich es übernommen, in den NachDenkSeiten etwas zur aktuellen Wachstumsdiskussion und Wachstumskritik zu schreiben und dabei auch Position zu beziehen zu Begriffsbildungen wie „Postwachstum“ und „Wachstumszwang“ und zu Aktivitäten wie dem Attac-Kongress „Jenseits des Wachstums?!“ Diese Debatte ist gemessen an unseren wirklichen Problemen herausragend irrelevant und sie wird in einer verwirrenden, oft unverständlichen Sprache geführt, mit Texten und Aussagen, deren Logik man nicht hinterfragen darf. Sie ist im Kern arbeitnehmer- und sozialstaatsfeindlich. Albrecht Müller.
I. Ein Meer von Problemen, die unsere konzentrierte Aufmerksamkeit verlangen würden
30 Jahre Regentschaft von Schwarz-Gelb, Rot-Grün, Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb haben uns einen Berg von Problemen hinterlassen, deren Lösung unsere gesamte Aufmerksamkeit verlangen würde:
und vieles mehr.
Über alle diese Fragen und einige mehr würde ich sehr gerne nachdenken, über die Frage „Jenseits des Wachstums?!“ oder über Begriffe wie „Postwachstumsgesellschaft“ und „Wachstumszwang“ nicht. Von „Begriffsnebel“ sprach eine befreundete Wählerin der Grünen nach Lektüre der einschlägigen Texte. Man kann eine solche Debatte führen, wenn man viel Zeit hat, oder Zeit und Geld, oder Zeit und das Geld von Stiftungen, oder wenn man ein Profilierungsthema braucht, oder wenn man sich ein neues Mäntelchen umhängen will, wie das einige tief im Neoliberalismus verankerte CDU-Leute brauchen und mit dem Thema Wachstumskritik versuchen. Es haben sich in dieser Debatte nämlich erstaunliche Koalitionen zwischen rechtskonservativen, bisher neoliberal geprägten und bisher als fortschrittlich bekannten Zeitgenossen/innen gebildet.
II. Eine kleine Auswahl einschlägiger wachstumskritischer Texte
Zu Ihrer Information und als beispielhafte Textbelege für meine Analyse und Kritik der Wachstumsdebatte habe ich nach bestem Wissen und Gewissen zehn Texte ausgewählt. Sie dürften typisch sein für die gängige Debatte. Sie sind auch sprachlich markant. Hier, in Kapitel II werden die Überschriften, die Autoren und der Link genannt. Wenn Zeit und Kapazität reichen, werden später einige Auszüge aus den Texten wiedergegeben und kommentiert. Sie werden jedoch auch ohne eine solche Handreichung bei genauer und kritischer Lektüre die Eigenarten der wachstumskritischen Texte erkennen:
III. Zentrale und wiederkehrende Botschaften der Wachstumskritiker:
Das folgende ist großenteils eine Zusammenstellung von Originalzitaten aus den zuvor genannten Texten:
IV. Kritische Würdigung der Wachstumsdebatte
Vorbemerkung: Wenn hier kritisch analysiert wird, dann soll damit keinesfalls der gute Wille und die gute Absicht all jener infrage gestellt werden, die die Wachstumsdebatte führen. Den Mitgliedern von attac zum Beispiel, die den Kongress in Berlin geplant und vorbereitet haben, Michael Müller, der seit gut 30 Jahren das Thema Umwelt beackert, und Angelika Zahrnt, die jahrelang den schweren Karren des BUND gezogen hat, und vielen anderen Wachstumskritikern wird die gute Absicht nicht bestritten. Aber auch sie müssen sich fragen, ob sie sich mit der so geführten Diskussion nicht verrannt haben:
Die Autoren der verschiedenen zitierten Texte wirken wie eine verschworene Gemeinschaft, die untereinander Botschaften austauscht, ohne dass sie ihre Aussagen belegen und begründen müssen. Michael Müller zum Beispiel muss nicht begründen, warum er von „Wachstumszwang“ spricht und auch nicht erklären, was eine „Wachstumsfalle“ ist, und warum er das Thema für ein „Megathema“ hält. Der Autor der Frankfurter Rundschau Kaufmann kann behaupten, Wirtschaftswachstum sei „die heilige Kuh aller Regierungen der Welt“. Von den Gläubigen wird ihn niemand fragen, wo seine Belege sind. Attac kann verlautbaren, es gäbe einen „Wachstumswahn“ – auch das wird offensichtlich ohne Beleg geglaubt. Die Wachstumskritiker nennen Zusammenhänge ohne den Versuch der Begründung – so zum Beispiel mit der Behauptung im Attac-Aufruf, die „ungebremste Wachstumsdynamik“ habe sich in der Weltfinanz- und Weltwirtschaftskrise entladen. Auch andere sehen diesen Zusammenhang ohne jeglichen Versuch der Begründung. Sie verbinden Worte ohne logische Verknüpfung. Das ist nahezu in allen Texten zu beobachten, herausragend die „Thesen für eine Postwachstumsgesellschaft“. Auch für den Gebrauch dieses seltsamen Wortes reicht das emotionale Signal.
Wer zur Glaubensgemeinschaft der Wachstumskritiker gehört, wird trotz Fehlens logischer Verknüpfungen und trotz des Mangels an Belegen mitgenommen. Es reichen die Signale.
Die Glaubwürdigkeit des Austausches von Sprachfetzen ist hoch, weil eine wichtige Basis der Kritik zutrifft: Wir können mit den knappen Ressourcen dieser Welt nicht weiter so rücksichtslos umgehen.
Wachstumswahn, Wachstumszwang, Megathema, Schlüsselfrage des 21. Jahrhunderts, alle Regierungen der Welt setzen auf Wachstum, Wachstum habe die Finanzkrise verursacht – dies sind allesamt unangemessene Übertreibungen.
Es gibt sie, die Leute, die nicht genügend PS unter die Motorhaube packen können, und immer wieder das stärkste und teuerste Auto erwerben.
Es gibt in der Welt vermutlich Regierungen, die am Ziel einer möglichst hohen Wachstumsrate kleben. Frau Merkel gehört dazu. Aber ist diese Fixierung der jetzigen Bundeskanzlerin repräsentativ für die Mehrheit der Regierenden und politisch Verantwortlichen? Selbst Sarkozy, den Greffrath damit ausführlich zitiert (Siehe II. 8.), klingt heute anders. Ich habe für zwei Bundeskanzler gearbeitet, für Willy Brandt und auch für den von Michael Müller (Siehe II. 3.) auf der Basis einer Erhard-Eppler-Kritik gescholtenen Helmut Schmidt. Dass er so primitiv gewesen sein sollte, einer bestimmten oder möglichst hohen Wachstumsrate hinterher gelaufen zu sein, ist mir entgangen. Helmut Schmidt war ein ziemlich undifferenziert denkender Anhänger der Kernenergie und hat die Auseinandersetzungen um Brockdorf zum Beispiel angeheizt statt mäßigend tätig zu werden. Und er fand die bei seinem Amtsantritt 1974 schon laufende Umweltpolitik der Regierung Brandt übertrieben. Aber seine Wirtschaftspolitik war nicht auf die Erzielung einer bestimmten Wachstumsrate fixiert. Er wollte die Arbeitslosigkeit bekämpfen, Menschen Jobs verschaffen und den Unternehmen Gewinne. Das galt und gilt für die Mehrheit der anderen politisch Verantwortlichen. Ihr Hauptziel ist nicht eine bestimmte oder möglichst hohe Wachstumsrate, auch wenn sie sich, wie jetzt, sogar über eine bescheidene Rate von 2,6% freuen.
Die Wachstumsrate des BIP wird am Ende einer Periode – in der Regel eines Jahres – statistisch erhoben. In diese Ziffer geht ein, was in dem damit abgebildeten Zeitraum und nach festgelegten Regeln der statistischen Erfassung ökonomisch geschehen ist. Das kann ökologisch hilfreich und ökologisch verheerend gewesen sein. Die Wachstumsrate kann hoch sein, sie kann steigen, wenn ökologisch Vernünftiges gemacht wird. Dafür gibt es in Deutschland in der Vergangenheit und in der Gegenwart gute Beispiele:
Es ist in jedem Fall sinnvoll, sich einige Ursachen der Veränderungen von Wachstumsraten genau anzuschauen. Ich habe das für die Zeit von 1965-2005 getan und eine Kurzanalyse auf Seite 86 und 87 von „Machtwahn“ dokumentiert. Die in sechs Folien aufgelöste Tabelle zu Ihrer Information im Anhang.
Vom Umbau der Energieversorgung ist das bekannt. Die Investitionen in erneuerbare Energien und ihre Verteilung werden sich in steigenden Wachstumsraten niederschlagen.
Wenn wir ernsthaft daran gingen, Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, würde das neue Investitionen und steigende Wachstumsraten auslösen.
Und selbst wenn unser Ziel wäre, Verkehr zu vermeiden, müssen wir vermutlich vorübergehend investieren und damit höhere Wachstumsraten schaffen, um die Dezentralisierung von Produktion und Konsum zu organisieren.
Eine sinnvolle Reform des Bildungswesens und die damit zu verbindende bessere Integration von zugewanderten Menschen wird Wachstum auslösen. Wenn die Lehrer-Schüler-Relation verbessert wird, werden neue Lehrer angestellt und bezahlt. Die Wachstumsrate klettert. – Wenn die Kollegien der Schulen systematisch in besseren Unterrichtsmethoden geschult werden, dann werden damit Werte geschaffen und das Bruttoinlandsprodukt wächst.
Überall wird sichtbar, dass es wenig Sinn macht, sich auf eine Kritik der Wachstumsraten zu konzentrieren.
Die Jugendarbeit, die notwendig ist, um Hunderttausenden junger Menschen, die weder einen Platz zur Ausbildung noch zur Arbeit gefunden haben, zu helfen, sich zurechtzufinden und eine berufliche Perspektive zu finden, wird Arbeitsplätze und Wachstum schaffen.
Jetzt liegen fast drei Jahrzehnte der systematischen Verarmung des öffentlichen Sektors hinter uns. Entstaatlichung, wie es die neoliberalen Professoren, Politiker und Medien mit einem gewissen Stolz nennen. Wenn wir diese Entwicklung umkehren wollen, wenn wir die öffentlichen Leistungen aus- statt abbauen wollen, wenn wir Schwimmbäder wieder öffnen und Jugendzentren einrichten, wenn wir den öffentlichen Nahverkehr ausbauen und die Wasserversorgung grundsätzlich öffentlich organisieren wollen, wenn dazu auch Privatisierungen öffentlicher Unternehmen rückgängig gemacht werden, dann wird sich vieles von dem in der Statistik als steigende Wachstumsraten wieder finden. Dagegen zu polemisieren ist doch nicht angebracht.
Wenn wir die öffentlichen Leistungen auf das notwendige Niveau heben würden und gleichzeitig damit für bisher arbeitslose Menschen gesicherte Arbeitsplätze schaffen würden, dann läge die Wachstumsrate in den nächsten vier Jahren möglicherweise bei durchschnittlich 4 %. Ist das dann schlimm? „Jenseits des Wachstums?!“ – Was soll diese Parole angesichts der wirklichen Herausforderungen?
Übrigens: Weil heute so viel liegen geblieben ist, kann die Arbeitszeitverkürzung eine Hilfe aber nicht die Lösung sein.
Wer heute dafür eintritt, dass die statistisch gemessene Wachstumsrate gleich Null sein müsse oder negativ, also ein Zeichen für eine schrumpfende Wirtschaft, der ist de facto auch gegen beschäftigungsfördernde politische Entscheidungen. Die Wachstumskritiker sind Kritiker einer aktiven Konjunkturpolitik, die in der jetzigen Situation immer eine expansive Wirtschaftspolitik sein muss. Siehe oben 5. Die neoliberalen Kräfte setzen seit fast 30 Jahren darauf, dass ein Heer von Arbeitslosen und Niedriglohnempfängern entsteht und damit Druck ausgeübt wird auf die Löhne insgesamt. Sie waren mit dieser Strategie ausgesprochen erfolgreich. Die Lohnquote ist im gleichen Zeitraum quasi abgesoffen – von über 70% in den 1970ern auf knapp über 60% heute, die Reallöhne stagnieren, die Lohnstückkosten liegen weit unter dem Niveau der europäischen Entwicklung.
Wer in dieser Situation mit der Forderung kommt, die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft weiter abzuwürgen, der wird die Reservearmee an Arbeitslosen und Besitzern von prekären Arbeitsverhältnissen weiter vermehren und die Position der Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften auf dem Arbeitsmarkt weiter verschlechtern. „Jenseits des Wachstums!“ ist deshalb in der Regel gleichbedeutend mit „Jenseits der Sorge um Arbeitsplatz und berufliche Perspektive!“
Deshalb verstehe wer will, warum Arbeitnehmerorganisationen, warum Gewerkschaften und ihre Stiftungen wie auch die Stiftungen von angeblich linken Parteien sich an dieser Debatte fördernd beteiligen. Offenbar hat man dort die Konsequenzen der Wachstumskritik für die Arbeitnehmerschaft in der konkreten wirtschaftspolitischen Situation Deutschlands nicht verstanden.
Man muss den Eindruck gewinnen, dass die Wachstumsdebattierer die historische Entwicklung als eine Linie der Verweigerung von Einsichten betrachten. Tatsächlich ging es zumindest in Deutschland auf und ab:
Noch vor dem Club of Rome und seiner Veröffentlichung gab es eine ausführliche Debatte in Deutschland, beginnend mit Willy Brandts Forderung von 1961 „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden!“ und weiter mit einer Konferenz der IG Metall im Frühjahr 1972 in Oberhausen, wo der damalige IG Metall-Vorsitzende Otto Brenner das Thema Lebensqualität und die Berücksichtigung der ökologischen Fragen zum großen Thema auch für eine Arbeitnehmerorganisation wie die IG Metall machte. – Das Programm für eine Steuerreform, das von einer SPD-Kommission unter dem Vorsitz von Erhard Eppler im Herbst 1971 verabschiedet wurde, enthielt ein eigenes Kapitel zum Vorschlag einer Abgabe auf umweltschädliche Produkte, also für eine Ökosteuer. – Im Titel und Inhalt des Wahlprogramms der SPD von 1972 war mit der Forderung „… für eine bessere Qualität des Lebens“ der Abschied von einer rein ökonomischen Betrachtung des Geschehens vorgezeichnet.
Im August 1972 erschien in verschiedenen Blättern, mit denen die SPD vor allem Multiplikatoren erreichen wollte, also in der Frankfurter Rundschau, in der Zeit, im Spiegel und im Stern die folgende Anzeige. Die Zeichnung stammte von Tomi Ungerer:
Der Text ist vor 39 Jahren geschrieben und im gleichen Jahr wie „Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“ veröffentlicht worden. Man könnte einen ähnlichen Text auch heute finden, allerdings von den Wachstumskritikern mit dem Anspruch versehen, dass die Erkenntnisse gerade neu entdeckt worden sind.
Noch wichtiger als die mit der Anzeige betriebene Werbung für ökologische Fragen, für besseren Umweltschutz und den sparsamen Umgang mit Ressourcen waren die politischen Entscheidungen. Von ihnen ist auf der Anzeige in der rechten Spalte schon die Rede. In der frühen Zeit der sozialliberalen Koalition wurden ab 1969 über 20 wichtige politische Entscheidungen zum Umweltschutz getroffen, zum Beispiel: zur Gründung des Bundesumweltamtes, zum Benzinbleigesetz, zur Abwasserabgabe und vielem mehr.
Als Antwort auf die erste Ölpreisexplosion vom Oktober 1973 verabschiedete die sozialliberale Koalition ein Energiesparprogramm. Und kurze Zeit vor der Wende zu Helmut Kohl im September 1982 machte der damalige Verkehrsminister Volker Hauff den Versuch, in der Verkehrspolitik ökologische und nachhaltige Akzente zu setzen. Dieser Versuch wurde dann in einer Gegenbewegung und großen Kampagne des ADAC mit Unterstützung der neuen Koalitionspartner CDU/CSU und FDP mit dem Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“ abgeräumt.
Dass Politiker der Union, die sich heute gerne als Wachstumskritiker profilieren möchten, von ihrer aggressiven Polemik gegen alles Ökologische heute nichts mehr wissen wollen, ist verständlich. Dass Politiker der Grünen gerne das Erstgeburtsrecht für die Umweltpolitik in Deutschland haben möchten, ist ebenso verständlich.
Dass der SPD-Politiker Michael Müller in das gleiche Horn bläst und die mühsamen Versuche und politischen Entscheidungen seiner Partei, mit Umweltschutz zu beginnen und dafür zu werben, offensichtlich genauso wie die anderen Akteure vergessen hat und vergessen machen möchte, zeugt von der üblichen Neigung der Sozialdemokraten zur Selbstkasteiung. Aber dies haben die Sozialdemokraten doch nicht nötig, auch wenn unter der Regie des Bundeskanzlers Helmut Schmidt (SPD) in der öffentlichen Debatte ökologie-kritische Akzente gesetzt worden sind. Mit dieser Polemik und dem unnötigen Versagen Helmut Schmidts sind doch die positiven Entscheidungen anderer in der sozialliberalen Koalition, übrigens einschließlich der für die Umweltpolitik verantwortlichen Innenminister Maihofer (FDP) und Genscher (FDP), nicht hinfällig.
Die Debatte um Ökonomie und Ökologie verlief in den letzten 40-50 Jahren nicht so linear, wie dies in den Verlautbarungen der Wachstumskritiker erscheint. Die Parole „Schneller weiter höher“ verfälscht den Ablauf der Diskussion und auch der politischen Entscheidungen zum Thema. Nur wenn man das Auf und Ab in der Umweltdebatte und in der Umweltpolitik in Rechnung stellt, wird man auch zu den politisch richtigen Schlussfolgerungen kommen. Man wird dann zum Beispiel den Gestaltungsspielraum begreifen können, den es gab und den es gibt, den man benutzt hat und dann wieder verschüttet hat. Mit dem Lambsdorff-Papier und der Wende zu Kohl ist aus dem Auf und Ab eher ein langes Ab geworden. Dies wurde beendet, als Rot und Grün unter Protest der Union und den mit ihr verbundenen Medien und Verbänden im Wahlkampf 1998 die Ökosteuer propagierten und dann mit der Mehrheit der neuen Koalition einführten.
Auf dem Hintergrund dieser Erfahrung gibt es gute Gründe, skeptisch zu sein gegenüber den Öffnungsversuchen der Union. (Siehe Ziffer IV. 12.) Das ist jene Partei, die den anderen, den Grünen und der SPD, früher immer Technik- und Wirtschaftsfeindlichkeit vorgeworfen hat, wenn diese zum Beispiel die Ökosteuer propagierten. Wer zu spät kommt, muss nicht unbedingt bestraft werden. Er muss aber auch nicht belohnt werden.
Es ist immer wieder ein beliebtes Spiel, in der Argumentation auf die Unmöglichkeit eines exponentiellen Wachstum hinzuweisen und im konkreten Fall dies mit dem Hinweis zu verbinden, die Ressourcen seien endlich, also könne es kein unendliches Wachstum geben. Einmal abgesehen davon, dass es ziemlich weit hergeholt ist, sich im Jahre 2011 mit der Unmöglichkeit des unendlichen Wachstums im Jahre 3025 zu beschäftigen, das statistisch gemessene Wachstum ist nicht endlich. Schon die Reparatur der bisher entstandenen ökologischen und sozialen Schäden verlangt auch in der Zukunft Beschäftigung, die man statistisch erfasst und die sich in positiven Wachstumsraten niederschlagen kann.
Das ist die Vorstellung der heute entscheidenden Generation ohne Rücksicht auf die kommenden Generationen und ihre Bedürfnisse; und außerdem ist die Sättigungsthese typisch für die gut versorgten und tonangebenden Mittelschichten und Oberschichten. Dass die nachwachsende Generation eigene Bedürfnisse haben könnte und beispielsweise nicht unbedingt in den Möbeln der Alten wohnen will, dass es nicht allen so gut geht wie der gehobenen Mittelschicht und viele Menschen und Familien berechtigte Bedürfnisse haben, wird oft vergessen.
Dem kann nur schwer folgen, wer begriffen hat, dass die Wachstumsrate das kumulierte statistische Ergebnis von Wirtschaftsvorgängen innerhalb eines Zeitraums ist. Die geläufige Behauptung, nur bei Wachstum lasse sich etwas verteilen, gründet auf dem Denkfehler, das Verteilungsergebnis sei das Ergebnis kollektiven Handelns und wenn das Wachstum bei Null liege, dann sei quasi ein Stoppschild für Verteilungsvorgänge und Verteilungsentscheidungen aufgestellt. Tatsächlich verläuft die Geschichte in Wirklichkeit anders:
Warum sollte es nicht möglich sein, durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und eine entsprechende Veränderung der Einkommenssteuertabelle wie auch durch eine Wiedereinführung der Vermögensteuer und eine echte Erbschaftssteuer die Verteilung von Vermögen und Einkommen zu verändern, auch bei stagnierender Wachstumsrate. – Wie das geht, das haben uns in anderer Richtung die herrschenden Kreise vorgeführt. Sie haben trotz stagnierender Wachstumsraten in den letzten 15 Jahren die Einkommensverteilung deutlich zu ihren Gunsten verändert: durch Senkung des Spitzensteuersatzes, durch Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Punkte, durch Abschwächung der Erbschaftsbesteuerung, durch Senkung der Körperschaftsteuer, durch Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und die Befreiung der so genannten Heuschrecken von der Besteuerung der Gewinne, die beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen anfallen.
Als Basis dieser aktiven Umverteilungspolitik diente der bewusste Verzicht auf eine aktive Beschäftigungspolitik und stattdessen der Ausbau des so genannten Niedriglohnsektors mithilfe von prekären Arbeitsverhältnissen, von Minilöhnen und Leiharbeit.
Dies alles ging zu Gunsten der Unternehmen und zulasten der breiten Schichten unseres Volkes. Was so herum ging, geht auch anders herum – wenn man will.
Die Behauptung, zur Finanzierung des Sozialstaats bedürfe es weiteren Wachstums und weil dieses nicht zu vertreten sei, müsse man sich andere Möglichkeiten der „Lebensstandardsicherung“ im Alter, bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit ausdenken, wurde in einem der dokumentierten Beiträge (siehe Greffrath II. 8.) zustimmend wiedergegeben. Meinhard Miegel meint, man könne künftig dieses – die soziale Sicherung – nicht mehr bezahlen und fragt deshalb: „Wie organisieren wir eine Gesellschaft, in der viele bereit sind, sich dem kranken Nachbarn zuzuwenden.“ – So sind sie, die konservativen Wachstumskritiker, sie wollen die soziale Sicherung über das Ehrenamt regeln. Grotesk. Aber diese Leute werden ernst genommen. Selbst Autoren wie Mathias Greffrath, vor dem ich bis dahin großen Respekt hatte, berufen sich auf die abstrusen Gedanken eines Meinhard Miegel.
Ergänzend noch eine Anmerkung zum Komplex „Schrumpfen und Sozialstaat“: Die solidarische Organisationen des Risikoabsicherung fürs Alter, für Krankheit und Pflege lässt sich auch in einer Volkswirtschaft ohne Wachstum oder gar in einer schrumpfenden Volkswirtschaft bewerkstelligen. Es gibt ausreichend Stellschrauben zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme: die Anhebung der Beiträge, die Erweiterung der Basis der Beitragszahler, eine Wertschöpfungsabgabe usw.. Es ist erstaunlich, dass auch progressiv gesonnene Zeitgenossinnen und -genossen auf die Mär herein fallen, die von konservativen Wachstumskritikern erzählt wird.
Treibende Kraft der konservativen Bewegung unter dem Wachstumskritikern ist Meinhard Miegel. Miegel ist einschlägig bekannt als Dauerprediger gegen die Sozialstaatlichkeit. Er war Leiter der Zukunftskommission der Ministerpräsidenten Biedenkopf und Stoiber. (Eine einschlägige „Würdigung“ – siehe hier.) Dann hat er mit Biedenkopf ein Institut in Bonn gegründet. Dieses wie auch der Autor Miegel haben penetrant für die Privatisierung der Altersvorsorge geworben. Miegel hat die demographische Veränderung herausragend gegen den Sozialstaat und die soziale Sicherung in Stellung gebracht. Er war dann Gründer eines obskuren Vereins, dessen Finanzierung bis heute im Dunkeln liegt. Hier ein Artikel aus dem Handelsblatt über Miegels Versuch, 2003 einen „Bürgerkonvent“ für die Förderung der neoliberal geprägten Reformen zusammen zu rufen.
Heute profiliert er sich als Wachstumskritiker mit ökologischen Tönen und immer noch mit einer geschliffenen Agitation gegen die solidarische Sicherung und für die ehrenamtliche Regelung der sozialen Fragen.
Miegel schafft den Imagewandel, er wird selbst von Linksliberalen kräftig zitiert. Siehe II.8. und die Tatsache, dass eine Person wie Angelika Zahrnt, die frühere Vorsitzende des BUND, bei Miegels Verein, dem Denkwerk Zukunft, auftritt. Sie tun dies, obwohl erkennbar ist, dass es sich um den Versuch handelt, das Image der Union so zu verändern, dass ökologisch Engagierte beeindruckt sind.
Dass es sich bei diesem Denkwerk Zukunft vor allem um ein Mittel zur Veränderung des Images der Union und damit auch zur Wegbereitung für schwarz-grüne Koalitionen handelt, ist an einem kleinen Detail erkennbar, an der Teilnehmerliste des ersten Symposiums des Denkwerks Zukunft [PDF – 205 KB]: Da tauchen Biedenkopf und Warnfried Dettling und viele andere einschlägig bekannte Konservative auf. Und dann eben auch Peter Radunski. Dieser ist mit Sicherheit nicht als Wachstumskritiker eingeladen, sondern als Spezialist für Imageprägung und Imageveränderung, für Wahlkämpfe und PR.
Das ist alles legitim. Es ist sogar bewundernswert, wie professionell die konservativen Kräfte vom Schlage eines Meinhard Miegel die linksliberalen Wachstumskritiker einzuseifen vermögen. Also: Hier wird nicht Miegel kritisiert und auch nicht Biedenkopf, und auch nicht Warnfried Dettling oder Peter Radunski. Die Kritik richtet sich gegen die treuherzigen Mitwirkenden unter den wirklich ökologisch engagierten Menschen.
Anhang:
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Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=9169