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Titel: USA entführen venezolanischen Diplomaten Alex Saab – „Präzedenzfall und gravierender Bruch des Wiener Abkommens“
Datum: 14. Dezember 2022 um 12:17 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Erosion der Demokratie
Verantwortlich: Florian Warweg
Seit Jahrhunderten hat sich der Status der „diplomatischen Immunität“ in den internationalen Beziehungen etabliert und gilt als praktiziertes „Völkergewohnheitsrecht“, welches selbst in Fällen von Kriegshandlungen noch Anwendung findet. Doch mit der Entführung des venezolanischen Diplomaten Alex Saab im Oktober 2021 schufen die USA einen wohl beispiellosen Präzedenzfall, welcher allerdings medial bisher kaum Aufmerksamkeit erhielt. Der Sonderbevollmächtigte der venezolanischen Regierung war auf dem Weg zu Verhandlungen mit dem Iran auf den Kapverdischen Inseln am 12. Juni 2020 für einen Tankstopp zwischengelandet und dort auf Druck Washingtons erst festgenommen und dann im weiteren Verlauf in die USA verschleppt worden. Diese Woche beginnt der Prozess im Southern District Court in Florida. Vor Verhandlungsbeginn gaben seine Anwälte sowie seine Frau eine Pressekonferenz vor internationalen Medienvertretern. Die NachDenkSeiten waren dabei. Von Florian Warweg.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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„Wir appellieren an die Vertreter der US-Justiz, die Glaubwürdigkeit ihres Rechtssystems nicht länger zu beschädigen, sich an das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961 zu halten und die Immunität von Alex Saab zu respektieren.“
So die venezolanische Anwältin Laila Tajeldine, die Saab vertritt, bei der internationalen Pressekonferenz am 10. Dezember im Vorlauf zum am 12. Dezember beginnenden Verfahren in Florida. Weiter führte sie aus, dass es sich bei dem Verfahren ihrer Einschätzung nach „in erster Linie nicht um einen juristischen, sondern um einen hochpolitischen Fall handelt“.
USA verhindern Einreise von Zeugen
Ebenfalls anwesend bei der Pressekonferenz war Camila Fabbri, die italienische Ehefrau des entführten und gefangengehaltenen venezolanischen Diplomaten und Sonderbevollmächtigten. Sie berichtete, dass US-Behörden die Vorlage von Dokumenten und persönlichen Aussagen, die Saabs Diplomatenstatus belegen, aktiv behindert hätten. Beispielsweise hätten die US-Vertreter, trotz der Corona-Einschränkungen, die elektronische Übermittlung von Unterlagen und Zeugen-Aussagen nicht akzeptiert. Zugleich wird verhindert, dass Zeugen für die diplomatischen Aufgaben und Tätigkeiten Saabs zu dem Verfahren in den USA einreisen können, weil die konsularischen Prozesse absichtlich in die Länge gezogen werden.
Dafür führte sie ein vielsagendes Beispiel an: Da es in Caracas seit Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch die Regierung Donald Trumps keine US-Botschaft mehr gibt, hätten die US-Vertreter den Anwälten von Saab als frühesten Termin für Visaanträge Oktober 2024 im nächstgelegenen US-Konsulat in Kolumbien angeboten. Wohlgemerkt für ein Verfahren, welches seit diesem Montag läuft.
Frau von Saab: „Präzedenzfall, der alle Diplomaten bedroht“
Die Entführung ihres Mannes durch die USA stelle, so Fabbri weiter, nicht nur einen Bruch des Menschen- und Völkerrechts sowie die Verletzung der Souveränität eines Staates dar, sondern sei ein Präzedenzfall mit globalen Implikationen:
„Das Vorgehen gegen meinen Mann stellt eine Bedrohung für alle Diplomaten dar. Hier wurde eine Tür geöffnet, die den Weg zur Verfolgung aller derjenigen freimachen könnte, die sich nicht den Vorgaben der USA unterwerfen.“
Die Anwältin Saabs formulierte vor diesem Hintergrund den Wunsch an die anwesenden Medienvertreter, dass diese dazu beitragen, dass die „Causa Alex Saab“ nicht länger von europäischen Medien und politischen Instanzen ignoriert werde. Zudem wies sie auch nochmal auf die Inkohärenz der US-Anklageseite hin. Mal sei behauptet worden, Saab hätte gar keinen diplomatischen Status, dann wiederum sei bei anderer Gelegenheit der diplomatische Status eingeräumt worden, dieser würde allerdings nicht gelten, da die USA die venezolanische Regierung offiziell nicht anerkennen würden.
Eine der wenigen prominenten europäischen Stimmen, die sich bisher für Saab eingesetzt haben, ist der britische Musiker und Songwriter Roger Waters. Er bezeichnete das Agieren der USA als einen Akt der Piraterie:
“Alex Saab wurde von einer ausländischen Regierung in einem Akt der Piraterie inhaftiert, nur weil er in seiner Eigenschaft als diplomatischer Vertreter dem venezolanischen Volk einen Dienst erwiesen hat. Das Verbrechen der Verhaftung in einem anderen Land, das nicht einmal die Vereinigten Staaten waren, ist entsetzlich. Wenn wir etwas tun können, damit sich die anderen Länder nach und nach bewusst werden und anfangen, ihre eigenen Entscheidungen darüber zu treffen, was sie mit ihren eigenen souveränen Ländern machen wollen, dann haben wir etwas getan und es hat sich gelohnt.“
Auch im EU-Parlament wurde erstmals der Fall vorgebracht: So erklärte der EU-Abgeordnete Manu Pineda von der spanischen Linkspartei Izquierda Unida am 13. Dezember bei einer Plenarsitzung in Brüssel:
„Seit wann kann ein Land beurteilen, ob ein ausländischer Diplomat Immunität genießt oder nicht? Das ist es, was die USA mit #AlexSaab vorhaben. Wir fordern seine Freilassung aus dem feierlichen Rahmen der Plenarsitzung des Europäischen Parlaments. Wir verteidigen die Diplomatie als Weg zum Frieden.“
¿Desde cuándo un país puede juzgar si un diplomático extranjero goza o no de inmunidad? Eso es lo que quiere hacer EEUU con #AlexSaab.
Desde la solemnidad del pleno del Parlamento Europeo exigimos su liberación. Defendemos la diplomacia como camino para la paz.#FreeAlexSaab🇻🇪 pic.twitter.com/XZvY47wlBc
— Manu Pineda🔻 (@ManuPineda) December 13, 2022
Hintergrund des Falles
Der kolumbianisch-venezolanische Geschäftsmann Alex Saab (Vater von fünf Kindern) koordinierte für die Regierung unter Nicolás Maduro den Ankauf von Treibstoffen, Medikamenten, Lebensmitteln sowie Versorgungsgütern und unterlief damit nach US-Lesart die von den Regierungen Donald Trumps und Joseph Bidens verhängten Sanktionen. Er war am 12. Juni 2020 bei einem Tankstopp auf dem internationalen Flughafen der kapverdischen Insel Sal verhaftet und inhaftiert worden. Der Inselstaat gab, wie auch Volker Hermsdorf in einem Beitrag in der Jungen Welt nachzeichnet, dem Druck der US-Strafverfolgungsbehörden nach, die Saab der Geldwäsche beschuldigten, und ignorierte dabei wohl bewusst die diplomatische Immunität des Sondergesandten der venezolanischen Regierung. Washingtons Finanzministerium hatte den Diplomaten bereits seit 2019 im Visier und mit „harten Strafmaßnahmen“ bedroht. Mit der Verhaftung, so die Darstellung der venezolanischen Behörden, wollte die US-Regierung vor allem das Ernährungsprogramm der „Lokalen Komitees für Versorgung und Produktion“ (CLAP) schwächen, das rund sieben Millionen venezolanischer Familien mit Nahrungsmitteln versorgt.
Laut dem venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro sei das Hilfsprogramm, für das Saab unterwegs war, der Versuch, „die Folgen der illegalen Sanktionen der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union für die Nahrungsmittelversorgung zu mildern“.
Nur einen Tag bevor die sozialistisch orientierte Oppositionspartei PAICV (Partido Africano da Independência de Cabo Verde) am 17. Oktober 2021 die Präsidentschaftswahlen in Kap Verde gegen die US-freundliche bisherige liberal-konservative Regierungspartei MpD (Movimento para a Democracia) gewann, verließ eine Maschine des US-Justizministeriums mit Alex Saab an Bord die Inselgruppe. Caracas warf daraufhin den USA und Kap Verde „Komplizenschaft bei einer Entführung“ vor. Nach Ankunft in den USA sah sich die US-Justiz gezwungen, sieben von acht gegen Saab erhobene Anklagepunkte wegen Mangel an Beweisen fallenzulassen. Eine Untersuchung von Geldwäschefällen durch Schweizer Gerichte hatte keine Belege für die Behauptung der USA ergeben, Saab hätte Geldwäsche-Operationen in der Schweiz durchgeführt. Statt des Vorwurfs der „Geldwäsche“, welcher als Begründung für die Verhaftung in Kap Verde gedient hatte, wird Saab mittlerweile der „Verschwörung zur Geldwäsche“ beschuldigt. Doch auch bei diesem Punkt erscheint die Beweislage bisher mehr als dünn zu sein.
Doppelnutzung von Passfoto als angeblicher Beleg für Fälschung des Diplomatenpasses
Auf welchem Niveau die US-amerikanische Staatsanwaltschaft im Falle von Saab agiert, ergibt auch ein Blick auf die Argumentation, mit der diese die von Venezuela vorgelegten Dokumente, die den Diplomatenstatus von Saab belegen sollen, widerlegen will. So ist eines der angeführten Hauptargumente die Infragestellung der Echtheit seines Diplomatenpasses. Begründung? Das dort verwendete Passfoto wurde bereits zwei Jahre zuvor in seinem normalen Reisepass verwendet:
Wenn die Nutzung von bereits vorliegenden Passfotos für mehrere Zwecke ein wirklich gewichtiger Hinweis auf „Fälschung“ wäre, dann hätten vermutlich auch viele Bürger in der Bundesrepublik ein Problem. Es wird zahlreiche Fälle geben, in denen zum Beispiel im Jahr 2018 gemachte Passfotos sowohl für den Reisepass, als dann auch ein, zwei Jahre später für den zu erneuernden Personalausweis genutzt wurden.
Zudem hat die venezolanische Regierung auch weitere Dokumente vorgelegt, aus denen der Diplomatenstatus von Alex Saab hervorgeht. Unter anderem die offizielle Akkreditierung, die Entsendungsurkunde sowie Akzeptanz der diplomatischen Mission durch den Iran.
Esos documentos, más la acreditación de Alex Saab como enviado especial de 🇻🇪desde el 09ABR18 es lo que CERTIFICA que Alex Saab es un diplomático conforme al derecho internacional! No un pasaporte! nuevamente 👇
1. Acreditación.
2. Envió de misión.
3. Aceptación de misión. pic.twitter.com/19zdkmjBpj— Indhriana (@indhriana) October 18, 2022
Illegale Öffnung diplomatischer Post
Auch die erste Anhörung am Montag in Florida, ob Saabs Ansprüche auf diplomatische Immunität berechtigt sind oder nicht, ergab einen recht deutlichen Befund. So kam bei der ersten Beweisanhörung diesen Montag in Florida ans Licht, dass die Behörden in Kap Verde nach der Verhaftung des venezolanischen Diplomaten im Juni 2020 offizielle Mitteilungen der Regierung Venezuelas in seinem Gepäck vorfanden und diese gegen alle internationalen Gepflogenheiten auch öffneten. Diese waren für den Iran bestimmt, darunter ein versiegelter Brief des venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro an den Obersten Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei.
Dies bestätigte auch die Darlegung des kapverdischen Anwalts Dr. Florian Mandl, der als Zeuge geladen war. Dieser sagte aus, dass er im Juli 2020 das Gepäck von Saab erhielt und dabei drei verschiedene Mitteilungen entdeckte, die sein Mandant im Auftrag des venezolanischen Präsidenten und des Vizepräsidenten an iranische Regierungsvertreter zu überbringen hatte, welche von einem unbekannten Täter geöffnet worden waren:
„Bei den Dokumenten handelte es sich um einen Brief von Präsident Maduro an Ayatollah Khamenei sowie zwei Briefe von Venezuelas Vizepräsidentin Delcy Rodríguez: einer war an einen Berater ihres iranischen Amtskollegen gerichtet, der andere an den damaligen iranischen Landwirtschaftsminister Kazem Khavazi.“
Die Anhörungen zum diplomatischen Status von Saab sollen am Donnerstag, 15. Dezember, abgeschlossen werden. Richter Scola wird voraussichtlich am 20. Dezember entscheiden, ob das Verfahren gegen den venezolanischen Sondergesandten fortgesetzt wird.
Titelbild: Alex Saab mit seiner Frau und zwei seiner fünf Kinder vor seiner Festnahme und Entführung durch die USA – Quelle: @CamillaFSaab
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