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Titel: «Lüge. Hass. Krieg» – Sprachphilosoph Paul Sailer-Wlasits zeichnet Diskursgeschichte einer verhängnisvollen Trias nach

Datum: 11. Dezember 2022 um 10:00 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik, Militäreinsätze/Kriege, Rezensionen, Strategien der Meinungsmache
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«Lüge. Hass. Krieg» – Diese Trias ist so verhängnisvoll wie langlebig. Sie hat die Geschichte geprägt, verändert und mit viel Leid angereichert. Der Entwicklung dieses fatalen Pakts widmet sich der österreichische Sprachphilosoph Paul Sailer-Wlasits in seinem gleichnamigen Buch, das als Traktat daherkommt und vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Kriegsgeschehens zu den Grundfragen gesamtgesellschaftlicher Verwerfungen und Gewalt vordringt. In einem analytischen Parforce-Ritt durch drei Jahrtausende veranschaulicht der Autor, welche Gefahren Lügen, Täuschungen und Hassreden bergen. Er zeigt ihre Auswirkungen auf, um schließlich eine alarmierende These aufzustellen: Das titelgebende Dreiergespann bildete nicht nur den Kern antiker Imperien und totalitärer Staaten des 20. Jahrhunderts, sondern bedroht auch liberale Demokratien. Von Eugen Zentner.

Niemand beweist das besser als die USA, die seit Jahrzehnten mit Lügen, Täuschungen und Hassreden Kriege einleiten – ob in Vietnam, in Jugoslawien oder dem Irak. In dem gegenwärtigen Ukraine-Konflikt macht sie genauso weiter wie bisher, allerdings so geschickt, dass sie auf der Oberfläche der öffentlichen Wahrnehmung nicht als Kriegspartei erscheint. Offiziell wird Russland als Aggressor dargestellt, auch in der Europäischen Union, wobei Hassreden zum Inventar der politischen und medialen Kommunikation gehören. Unterschlagen wird dabei die Rolle der USA, die den heutigen Konflikt bereits 2014 mit den Maidan-Aufständen in Gang setzte, um in der Ukraine einen Regimewechsel durchzuführen. Es ist ihr gelungen.

Zu dem gegenwärtigen Krieg mitten in Europa kommt Sailer-Wlasits erst am Schluss seines Buches. Bis dahin schreibt er eine Art Diskursgeschichte der verhängnisvollen Trias und untersucht, wie Worte in den jeweiligen Epochen die Voraussetzungen für Kriege schufen: „Kurz bevor sich die Realität in eine Tragödie verwandelt, schlägt bereits die Sprache um“, schreibt er an einer Stelle. „Diese verbleibt nicht immer in der Dimension des Textes stehen, sondern zieht oftmals Handlungen nach sich.“ Als die wohl wirkmächtigste Schrift gilt das Alte Testament. Für Millionen von Menschen wurde es über zwei Jahrtausende zu so etwas wie einem Lebensratgeber, dessen Leitsätze jedoch von Beginn an die Wurzel des Übels bilden – insbesondere das Deuteronomium, wie Sailer-Wlasits betont: Das fünfte Buch des Pentateuch gehe „weit über das Performative hinaus, indem darin nicht nur Gesetze und Anordnungen wiederholt werden, sondern ausdrücklich zu Mord, sogar zu systematischem Mord, im weitesten Sinne Völkermord, innerhalb eines frühen, vorstaatlichen Kultverbandes aufgerufen wird.“

Unterschied zwischen Lüge und Irrtum

Nicht weniger Konfliktpotential trägt die Lüge in sich. Deren Wesen beschreibt der Sprachphilosoph auf der begrifflichen Ebene über einen Vergleich: Bei einer Lüge handle es sich nicht um einen Irrtum. Sie müsse von ihm unterschieden werden, weil ihr Charakteristikum in der Absicht liegt, andere zu täuschen. Aufgrund dieser Ausgangslage seien Konflikte, ja kriegerische Auseinandersetzungen vorprogrammiert. Dass die vorsätzliche Lüge den gesamten Zivilisationsprozess begleitet hat, führt Sailer-Wlasits anhand der Mythen spracharmer Völker vor, einflussreicher Epen wie Homers «Ilias» oder von Geschichtschroniken, um nebenbei in Erinnerung zu rufen, dass militärische Misserfolge schon vor 3.200 Jahren von Regenten im Nachhinein rhetorisch in einen Sieg umgewandelt wurden.

In diesem Stil schreitet der Autor durch ausgewählte Ereignisse die Geschichte entlang. Ob die religiös motivierten Kreuzzüge, der Tugend-Terror während der Französischen Revolution, die stalinistischen Säuberungen oder die Überfälle des NS-Regimes – der sprachliche Unterbau des Gewaltausbruchs wechselt zwar sein propagandistisches Gewand, basiert im Kern aber immer auf Täuschung. Eine ihrer Ausformungen, arbeitet Sailer-Wlasits heraus, zeige sich in der semantischen Umcodierung von Begriffen. So seien schon sehr früh in der Zivilisationsgeschichte kriegerische Auseinandersetzungen aufgewertet worden, indem man beispielsweise von „gerechten“ oder „heiligen“ Kriegen zu sprechen anfing. Derlei Decknamen für Expansionsbestrebungen und Angriffskriege würden bis heute ins Feld geführt, was der Verfasser am Ende seines Traktats noch einmal an Russlands aktueller Kreation des Begriffs „Spezialoperation“ exemplifiziert.

Sprachliche Konstruktion von Feindbildern

Am interessantesten ist die Lektüre jedoch an Stellen, die die verbale Konstruktion von Feindbildern beleuchten. Als einprägsames Beispiel führt Sailer-Wlasits das lateinische Wort „hostis“ an, dessen Bedeutung sich im Laufe des römischen Imperialismus von „Fremder“ zu „Feind“ verändert hat. Auf diese Weise bilde Sprache gesellschaftspolitische Entwicklungen ab. Konstrukte von Feindbildern, schreibt er weiter, seien mit Stereotypen, historischen Klischees sowie Lügen vermengt und der Gewalt des Verdachtes ausgesetzt, wodurch sie sich nicht zuletzt in einer Gesellschaft festigen könnten. In diese Kategorie fällt wohl auch der heutige Begriff „Putinversteher“. Eine an sich lobenswerte, weil auf Empathie basierende, Handlung wird in ihr Gegenteil verkehrt. Wer die Beweggründe der russischen Führung im Ukraine-Krieg nachvollziehen kann, wird so als Feind abgestempelt.

Von dem Wort „Putinversteher“ geht die von Sailer-Wlasits beschriebene Gewalt des Verdachts aus, damit keiner es wagt, im Ukraine-Konflikt die vermeintlich passive Rolle der NATO, vor allem der USA und der sie unterstützenden Europäischen Union zu hinterfragen. Das tut auch der Autor von «Lüge. Hass. Krieg» nicht – obwohl es mittlerweile sehr viele Indizien dafür gibt, dass Russland den Krieg zwar begonnen hat, aber dazu seit 2014 praktisch provoziert worden war. Besonders gut zusammengefasst wird die Entstehungsgeschichte des Konflikts in den Büchern «Endspiel Europa» von Ulrike Guérot und Hauke Ritz sowie «Tamtam und Tabu» von Daniela Dahn und Reiner Mausfeld. In den beiden Werken gehen die jeweiligen Autoren ebenfalls auf die propagandistischen Lügen und Täuschungen der westlichen Allianz ein und zeigen eindrucksvoll, wie sie sprachlich den Weg in den Krieg geebnet haben.

Hassrede in den hiesigen Leitmedien

Es verwundert daher, dass Sailer-Wlasits diesen Aspekt völlig ausblendet. An Material dürfte es eigentlich nicht fehlen, schließlich versäumen die Leitmedien seit Februar dieses Jahres kaum eine Gelegenheit, ihre Artikel mit Hassreden und sprachlichen Entgleisungen zu füllen. Der russische Präsident wird gerne mal als Geisteskranker oder Narzisst dargestellt. Die Ukraine habe sogar das Recht, ihn zu töten, zitiert die Berliner Zeitung einen Völkerrechtler. Die Zeit bezeichnet Russland als die „letzte europäische Kolonialmacht“, und in der taz beschreibt eine Autorin, wie in ihr der Hass wächst und sie von „einer Antimilitaristin“ zu „einer Person“ geworden sei, „die zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aufruft“. Die aggressive Stimmung in Deutschland wird kontinuierlich angeheizt, und wenn nicht mit Hassreden, so doch mit Lügen. Bis heute wird von der „Krim-Annexion“ gesprochen, obwohl sich die Bevölkerung damals per Referendum für einen Beitritt der Insel zur Russischen Föderation aussprach.

Wo liegen die Ursachen des Ukraine-Krieges?

Dieser demagogischen Propaganda voller Hass und Lügen scheint nun der Autor selbst auf den Leim gegangen zu sein, was sich wiederum an der sprachlichen Schärfe seines Traktats ablesen lässt: „Die Anerkennung der Unabhängigkeit der im Osten der Ukraine liegenden, vonseiten prorussischer Separatisten proklamierten Volksrepubliken Donezk und Lugansk durch Russland sowie die mit diesen abgeschlossenen Beistandsverträge dienten Russland im Februar 2022 als Vorwand für eine militärische Invasion der Ukraine, bisher ohne absehbares Ende.“ Ob das der tatsächliche oder eher der behauptete Vorwand ist, sollte vielleicht noch einmal unter der Berücksichtigung der Angriffe auf den Donbass geprüft werden, die die Ukraine kurz vor Kriegsausbruch intensiviert hatte. Aber Sailer-Wlasits legt nach und spricht von einem „massiven“ Angriffskrieg, „welcher der Intention nach sogar alle Kriterien der Invasion einer Kolonialmacht“ erfülle. Und die Ukraine sollte, „nach ihrer vielfach von russischer Seite geforderten Kapitulation, unter anderem, neuen Prämissen, jedoch ähnlich wie in der Vergangenheit, zu einer Art von russischer ‚Kolonie‘ degradiert werden“.

Wer die Berichterstattung zum gegenwärtigen Konflikt jenseits der Leitmedien verfolgt hat, wird sicherlich den folgenden Einwand erheben: Könnte der Krieg, dessen Geschichte mit dem Regimewechsel 2014 begann, nicht eher dazu dienen, die Ukraine zu einer US-amerikanischen Kolonie zu degradieren, um noch näher an Russlands Grenze vorzudringen? Auch zu diesem Aspekt finden sich erhellende Informationen in den beiden genannten Büchern, wo die Autoren sogar anhand von US-amerikanischen Quellen glaubhaft darlegen können, dass die Vereinigten Staaten den Ukraine-Krieg von langer Hand geplant haben. Hier offenbart sich eine Erscheinungsform der titelgebenden Trias, die in Sailer-Wlasits’ Diskursgeschichte leider nicht eingegangen ist: Ein Staat kann mit Lügen und Hassreden einen Krieg einleiten, ohne selber als Kriegspartei zu gelten – zumindest nicht offiziell.

US-amerikanische Lügen und Täuschungen

In seinem Traktat demonstriert der Autor quasi performativ, dass selbst ein aus der Ferne scharfsinniger Analytiker der verbalen Kriegsvorbereitung nicht gegen Propaganda gefeit ist, wenn sie direkt und unmittelbar einwirkt. Dabei sind ihm die US-amerikanischen Methoden hinlänglich bekannt. Das demonstriert er an einigen Stellen, die von sämtlichen false-flag-Operationen der Supermacht handeln. „Das Etablieren einer Lüge“, heißt es etwa, „in Form des Aufrechterhaltens von Falschdarstellungen hinsichtlich eines angeblichen militärischen Zwischenfalls, diente der US-Regierung unter Präsident Johnson und Verteidigungsminister McNamara als hinreichender Grund für den bereits von langer Hand geplanten Kriegseintritt gegen Nordvietnam, wie den 1971 erstmals in Teilen und 2011 zur Gänze veröffentlichten Pentagon-Papers zu entnehmen ist.“

Ebenso bewusst ist ihm, mit welcher List die US-amerikanische Supermacht den Irak in ein Schlachtfeld verwandelt hat: „Im Unterschied zu den frühen 1990er Jahren stellte der diktatorisch regierte Irak daher ein Jahrzehnt später, übereinstimmenden regionalen und internationalen Berichten zufolge, keine ernst zu nehmende überregionale militärische Bedrohung mehr dar. Um dennoch einen Regimewechsel im Irak herbeizuführen, wurden die US-amerikanische und die internationale Öffentlichkeit systematisch belogen, indem mithilfe massiver manipulativer Öffentlichkeitsarbeit die Legitimation für einen casus belli konstruiert wurde. Die mittels Falschinformationen konstruierten Legitimationen dienten nach „9/11“ dazu, dass die Regierung nicht gegen den Willen der eigenen Bevölkerung einen Angriffskrieg führen musste, sondern mit dieser agieren konnte.“

Diese Kritik lässt Sailer-Wlasits in dem gegenwärtigen Konflikt leider vermissen. Stattdessen übernimmt er den Wortlaut und Duktus der Leitmedien, deren Objektivität spätestens seit der Corona-Krise mehr als fragwürdig geworden ist. Vermutlich wird das erst dann korrigiert, wenn in mehreren Jahrzehnten neue Pentagon-Papers auftauchen. Bis dahin lässt sich «Lüge. Hass. Krieg» durchaus mit Vergnügen als inspirierendes Buch lesen, das die Faktenlage im aktuellen Konflikt zwar nicht adäquat abbildet, jedoch dafür sensibilisiert, welche Rolle die Sprache im Vorfeld von bewaffneten Auseinandersetzungen spielt. Sie gilt es genau anzuschauen, insbesondere wenn der Konflikt bereits ausgebrochen ist – am besten auf beiden Seiten.


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