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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages II
Datum: 15. April 2011 um 16:16 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Jens Berger
Heute unter anderem zu folgenden Themen: Eine Systemtherapie für den Euro; Mindestlohn-Debatte; Libyen; Ratingagenturen wieder im Aufwind; Scheckbuch-Lösung; Im Sog der Schulden; Weltentwicklungsbericht: Gewalt hemmt Entwicklung; Schuldenabbau: Amerikas Rotstift-Streit um 4000 oder 6000 Mrd. Dollar; Thomas Fricke – Chinesischer Retter statt gelbe Gefahr; Private Krankenversicherer – Berlin deckelt Vermittlerprovisionen; Deutsche verlieren das Vertrauen in Riester-Rente; Goldgrube Altersmedizin – Wie Krankenhäuser mit Geriatrie Kasse machen; Was bitte soll „Jungenpolitik“ sein?; Europas Jugend: Abstieg und Wut; Linksliberale haben mehr Gefühl; Reaktorsicherheitskommission – Wie die Atomlobby die Politik beeinflusst; Guttenberg ff.: Aus Farce wird Ernst; Master-Frage ungelöst; Von Tripolis nach Teheran. (MB/JB)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Guten Tag,
es liegt mir fern, an der insgesamt respektablen Arbeit der öffentlich-rechtlichen Anstalten “herummeckern” zu wollen, die ich voll unterstütze (einschließlich GEZ-Gebühr).
Aber ich muß schon zutiefst bedauern, daß – sofern ich nichts übersah – in den gestrigen und den heutigen Nachrichten etc. eine qualifizierte Zusammenfassung zur Donnerstag-Debatte des Bundestages über das Thema Mindestlohn nicht enthalten war bzw. ist.
Vielmehr ist es geradezu skandalös, daß sich gestern abend weder in den ARD-Programmen (TV und Radio!) noch in den ZDF-Programmen irgend etwas Informatives zu dem o. a. Thema aufspüren ließ.
Die einzige, wenigstens einigermaßen informative Zusammenfassung entdeckte ich heute im Nachrichtendienst des Bundestages.
Der Wortlaut:Kein gesetzlicher Mindestlohn: Einen Antrag der Linksfraktion (17/4038), in dem sie die Einführung eines Mindestlohns von zehn Euro brutto pro Stunde bis zum 1. Mai 2013 fordert, haben alle anderen Bundestagsfraktionen am 14. April abgelehnt. Auch ein Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen (17/4435) fand keine Mehrheit. Dieser sah vor, bis zum 1. Mai dieses Jahres in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 7,50 Euro pro Stunde flächendeckend mit Beginn der erweiterten Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU einzuführen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU gestattet es vom 1. Mai 2011 an allen Arbeitnehmern aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn, ohne Einschränkungen eine Beschäftigung in Deutschland aufzunehmen. Der Ablehnung des Antrags und des Gesetzentwurfs lag eine Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (17/5499) zugrunde. Der Bundestag lehnte darüber hinaus auf Empfehlung dieses Ausschusses (17/5101) einen Antrag der SPD (17/1408) ab, in dem gefordert wurde, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen und “Armutslöhne“ zu verhindern. Die Opposition votierte geschlossen für den Antrag, die Koalition dagegen. Die SPD hatte argumentiert, die Aufnahme einzelner Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz reiche nicht mehr aus, sodass ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden müsse. Vollzeitarbeitende Erwerbstätige sollten von ihren Löhnen leben können.
Um so mehr bitte ich, noch heute ausführliche Zusammenfassungen zur Mindestlohn-Bundestagsdebatte (samt Hinweisen auf Videos und Audios ) zu publizieren sowie im “Anhang” nachvollziehbare Erklärungen, warum am Donnerstag in den diversen Sendungen zu dem o. a. Thema nichts enthalten war, nicht zu “vergessen”.
Oder wird jetzt auch schon bei ARD und ZDF an der tagesaktuellen Nachrichtenlage “herummanipuliert”?
Mit Dank und Gruß
K.M.
dazu: Forderung nach Mindestlohn abgelehnt
Quelle: Bundestag
Anmerkung Jens Berger: Mit dieser Erklärung zeigen die drei Kriegsherren, was sie von internationalem Recht halten – gar nichts. Die UN-Resolution 1973 als Auftrag umzuinterpretieren, Gaddafi zu stürzen, ist schon ziemlich dreist. Nach wie vor gilt auf der internationalen Ebene das Recht des Stärkeren. Ob sich der Friedensnobelpreisträger und seine zwei europäischen Kettenhunde damit einen Gefallen tun, darf jedoch getrost bezweifelt werden. Der Westen hatte mit Beginn der Revolutionen in der arabischen Welt die historische Chance, eine neue Ära der Außenpolitik einzuleiten. Diese Chance scheint nun vertan.
Anmerkung Jens Berger: Die Kritik an den Ratingagenturen ist wichtig und richtig. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass der „Herabstufungskreislauf“ für Griechenland nicht durch die Ratingagenturen selbst, sondern durch die wahlkämpfende (NRW-Landtagswahlen) Angela Merkel ausgelöst wurde, die offen die Zahlungsbereitschaft Deutschlands in Frage stellte.
Anmerkung Jens Berger: Die NachDenkSeiten berichten heute ebenfalls über den Deal mit Julius Bär und kommen – wenig überraschend – zu einem ganz anderen Schluss. Dabei lohnt es sich durchaus, die Argumentation der WN einmal auf Herz und Nieren zu prüfen. Auf Steuerhinterziehung steht in besonders schweren Fällen (§ 370 Abs. 3 AO) eine Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren. Damit handelt es sich hier um eine “schwere Straftat” und nicht um Falschparken. Gemessen am Strafmaß steht die schwere Steuerhinterziehung auf einer Stufe mit dem gewerbsmäßigen Handel von Drogen und dem Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung. Ist eigentlich ein Fall bekannt, bei dem die deutschen Behörden sich mit Drogenbaronen oder Menschenschleppern an den grünen Tisch setzen, um ein Bußgeld im Ausgleich zur Einstellung der Ermittlungen zu verhandeln? Und was würden die WN sagen, wenn man das Verfahren gegen einen Drogenbaron gegen Zahlung eines Bußgeldes einstellt? Wir wissen ja alle, dass die Ermittlungen gegen die organisierte Kriminalität ebenfalls mit „komplizierten Amtshilfeverfahren“ verbunden sind. Führt man diese Argumentation zu Ende, käme man wohl zu dem Schluss, dass der Staat grundsätzlich Verfahren einstellen sollte, wenn die Summe des Bußgeldes die zu erwartenden Kosten der Strafverfolgung übersteigt. Bei dieser Vorstellung gruselt es sicher nicht nur die Juristen.
Anmerkung Orlando Pascheit: Mag sein, dass aus pragmatischen Gründen heute die Frage Vorrang hat, wie sich Staaten bzw. zerfallene Staaten angesichts von Gewaltregimen entwickeln können. Deswegen sollte man aber nicht aus den Augen verlieren, dass der ursächliche Zusammenhang darin besteht, dass Unterentwicklung Gewalt hervorbringt, ob das nun in den Bürgerkriegen des Ostkongo mit Millionen von Toten oder im brasilianischen Bundestaat Rio de Janeiro mit 57 000 Morden (2008) der Fall ist. Die Empfehlungen der Weltbank läuft auf ‘good governance’ hinaus, ein alter Hut. Was macht man aber mit Ländern, die weder den politischen Willen noch die notwendige Kapazität haben, um die notwendigen institutionellen Reformen umzusetzen? Viel wichtiger erscheint mir die Frage, wie kann man das Gewaltpotential in Ländern neutralisieren, die noch nicht aus den Fugen sind? Und hier sollte sich die Weltbank schon einmal fragen, ob nicht die neoliberalen Rezepte der Strukturanpassung mit der Schwächung staatlicher Regulierung letzten Endes Gewaltmärkte begünstigen. Heute schreibt die Weltbank das Wachstum in einigen Entwicklungsländern ihren Rezepten zu, dabei ist dieses Wachstum oft nur der Preisentwicklung auf den Rohstoffmärkten geschuldet. Dabei wird eine nachhaltige Strategie wie die Diversifizierung der Produktion meist vernachlässigt. Eine solche Entwicklung kann allerdings nur zentral geplant werden und nicht den Märkten überlassen werden, wie erfolgreiche Volkswirtschaften wie Japan oder Südkorea in der Vergangenheit gezeigt haben und heute China demonstriert.
Entwicklungspolitische Gegenpositionen zur Weltbank und dem IWF haben früher vor allem die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und heute die UN-Wirtschaftskommission für Afrika eingenommen, wie zuletzt Jörg Goldberg herausgearbeitet hat: “Afrika: Good Governance oder Entwicklungsstaat? UN-ECA versus Weltbank”, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), April 2011 (leider kostenpflichtig). Er untersucht hierzu: Economic Report on Africa 2011: Governing Development in Africa – The Role of the State in Economic Transformation [PDF – 108 KB]
und: Africa Region: Africa’s Future and the World Bank’s Support to It [PDF – 3.5 MB].
dazu: Ulrike Herrmann: US-Schulden bedrohen Reiche
Obama bekannte sich klar zum Schuldenabbau – indem er auch bei den Reichen kassieren will. Er will Steuerschlupflöcher schließen und Steuersätze anheben. Kürzungen von Sozialleistungen soll es mit ihm aber nicht geben. Die Republikaner wollen dagegen die Wohlhabenden weiter entlasten. Doch ein Veto könnte ihnen schaden: Die meisten Amerikaner finden wie Obama, die Reichen sollten höhere Steuern zahlen. Die Republikaner stecken, wie die FDP in Deutschland, in einem Dilemma: Bei anschwellenden Defiziten macht es sich nicht gut, Privilegien zu verteidigen.
Quelle: taz
Anmerkung Jens Berger: Und wieder einmal muss die Politik Unternehmen, die ihrerseits stets auf den freien Wettbewerb pochen, vor eben diesem freien Wettbewerb und letztlich sogar sich selbst retten. Dennoch würde ich jede Wette eingehen, dass die Apologeten eines freien Marktes im Gesundheitssystem in der nächstbesten Talkshow wieder über die Effizienz und Unfehlbarkeit des freien Marktes blöken.
Anmerkung Jens Berger: Wobei man mal dahingestellt lassen sollte, ob die Menschen nun wegen des „radikalen Vorgehens des Finanzministeriums“ oder durch die konsequente Aufklärungsarbeit (u.a. von den NachDenkSeiten) eines Besseren belehrt wurden.
Anmerkung MB: Zu den Mitgliedern der Reaktorsicherheitskommission gehören Vertreter von E.on, Areva (Hersteller von Reaktortechnologie) und verschiedenen TÜVs (Auftragnehmer von Kernkraftwerksbetreibern).
direkt dazu: Kritik am TÜV
Papier der Fachabteilung des Bundesumweltministeriums (BMU) zu strukturellen Problemen bei AKW-Sicherheitsüberprüfungen, 2008
Quelle 1: ARD Kontraste (Einleitungstext)
Quelle 2: ARD Kontraste (komplettes Dokument) [PDF – 4.5 MB]
Anmerkung Orlando Pascheit: Saba Farzan schreibt, dass die Revolutionsgarden also 130 000 Tausend Mann ein Volk von über 70 Millionen als Geiseln halten. Dabei vernachlässigt sie, dass die eigentlichen Leute für das Grobe die Bassidsch-Milizionäre sind, welche der Revolutionsgarde unterstellt sind. Bei diversen offiziellen Veranstaltungen erscheint Präsident Ahmadinedschad in Basidsch-Uniform. Den paramilitärischen Bassidsch sollen nach offiziellen Angaben mehr als zehn Millionen Freiwillige angehören. An die 100 000 Freiwillige sind ständig präsent, es können aber in kürzester Zeit ca. eine Million mobilisiert werden. Etwa eine halbe Million sind militärisch geschult, sie treten aber meist in ziviler Kleidung auf. Sie bespitzeln Bürger, machen als Sittenwächter Jagd auf unzureichend verhüllte Frauen, werden gegen religiöse Minderheiten eingesetzt und stellen bei Bedarf Schlägertrupps. Bei den Demonstrationen gegen das Ergebnis der letzten Wahlen verbreiteten sie mit Knüppeln und Messern bewaffnet, oft in kleinen Einheiten auf Motorrädern Angst und Schrecken. Sie rekrutieren sich vor allem aus der iranischen Unterschicht und gruppieren sich um die Moscheen im Lande. Ihre ideologische Zuverlässigkeit wird nicht zuletzt durch kleine Pfründe gefestigt.
Anmerkung Jens Berger: Was bei dem Kommentar im Tagesspiegel vollkommen unter den Tisch fällt, ist der Umstand, dass die „iranische Freiheitsbewegung“ überhaupt keine Interventionen des Westens will, da unter diesen Interventionen, die sich vor allem auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Sanktionen bewegen würden, nicht nur die „Mullahs“, sondern vor allem das einfache Volk leiden würde. Wenn Iraner nach Sanktionen verlangen, so sind dies meist die „Expats“ im Westen. Dass man sich allerdings nicht unbedingt auf die Forderungen von Exilanten, die oft im Dienste neokonservativer Think-Tanks stehen, verlassen sollte, hat wiederum das Beispiel Irak gezeigt. Es ist ohnehin mehr als bedenklich, Libyen mit Iran zu vergleichen – wer nun bereits den Regime-Change in Teheran propagiert, spielt – bewusst oder unbewusst – mit dem Feuer.
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