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Titel: Corona: Ethikrat wäscht die Hände in Unschuld

Datum: 29. November 2022 um 13:01 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Innen- und Gesellschaftspolitik, Strategien der Meinungsmache, Wertedebatte
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Eine echte Entschuldigung wäre das Mindeste angesichts der Handlungen des Ethikrats während der Corona-Politik. Die aktuellen Versuche der Akteure, jetzt die Hände in Unschuld zu waschen und auch noch Punkte zu machen mit emotionalen (viel zu späten) Appellen, sollten zurückgewiesen werden. Die aktuelle Erklärung des Ethikrates ist ein Versuch der Weißwaschung. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Viele Akteure haben durch ihre Unterstützung für die Corona-Politik das Recht verwirkt, sich nun als Anwälte von Kindern und Jugendlichen aufzuspielen: Diese Akteure kamen vor allem aus der Politik und von großen Medien, aber auch etwa von der GEW, den Lehrerverbänden und aus vielen anderen Bereichen. Unbedingt in diese Gruppe gehört der Ethikrat und die Vorsitzende Alena Buyx. Es sei aber erwähnt, dass es teils auch Minderheitenvoten innerhalb des Rats gab. Nun hat sich das Gremium in einer Erklärung zur Situation von Kindern und Jugendlichen geäußert, wie Medien berichten. Diese Erklärung erscheint wie ein Versuch, sich weißzuwaschen und die eigene Rolle bei der Einführung und Verstetigung von Corona-Maßnahmen möglichst kleinzureden. Eine Entschuldigung für das eigene Handeln wird sogar ausgeschlossen.

Sicherlich hat der Ethikrat, oder einzelne Mitglieder, in den letzten Jahren auch hier und dort in allgemeinen Worten gefordert, dass man das Schicksal der Kinder und Jugendlichen nicht aus dem Blick verlieren darf. Aber dominant im Vordergrund stand immer die Position des Ethikrats, dass die von der Regierung gewählten, auf vielen Feldern total unangemessenen Maßnahmen „ethisch“ weitgehend vertretbar gewesen seien. Der Ethikrat hat durch moralische Absicherung dabei geholfen, den zerstörerischen Zug der Corona-Maßnahmen aufs Gleis zu setzen, ihm Fahrt zu verleihen und ihn jahrelang am Laufen zu halten. Wer eine solche Rolle gespielt hat, der kann sich nicht jetzt als Unbeteiligter darstellen und sagen, „die Gesellschaft“ habe bei den Kindern und Jugendlichen versagt. Die anklingende Selbstkritik ist nicht ausreichend, aber immerhin sagt der Ethikrat aktuell auch:

„Dazu gehört auch das ausdrückliche Eingeständnis, dass in der Pandemie die Belange und Belastungen der jüngeren Generationen und insbesondere die Herausforderungen für ihre psychische Gesundheit in der gesellschaftlichen und politischen Wahrnehmung und Gestaltung – auch durch den Deutschen Ethikrat – nicht ausreichend Beachtung erfahren haben. Dieses Versäumnis muss zum Anlass genommen werden, zukünftig die Belange der Jüngeren stärker zu gewichten.“

Die Vorsitzende Buyx ergänzte:

„Wir haben zwar immer wieder auf die Jüngeren hingewiesen, aber eben doch zu wenig. Wir haben sie nicht ganz stark in einen eigenen Fokus genommen.“

Ethikrat: Kein unbeteiligter Beobachter

Der Ethikrat war aber nicht nur stiller Beobachter, der es versäumt hat, stärker für die Interessen des Nachwuchses einzugreifen. Das Gremium hat sich lange Zeit aktiv gegen die Interessen der Kinder und Jugendlichen positioniert, etwa indem es die bizarr unangemessenen „Schutzmaßnahmen“ in Schulen als „Rücksichtnahme“ verklärt und eine Fortführung dieser schä(n)dlichen Maßnahmen gefordert hat – und das noch im Herbst 2021, wie Medien berichten:

„Der Deutsche Ethikrat fordert mehr Rücksichtnahme auf Kinder und Jugendliche in der Corona-Politik, so berichtet die ‚Rheinische Post‘. Damit ist allerdings nicht gemeint, was die Kultusminister als Politik im Sinne der Kinder und Jugendliche deklarieren – nämlich die Schutzmaßnahmen in Schulen Schritt für Schritt abzubauen. Im Gegenteil: ‚Gerade bei jüngeren Kindern steigen die Infektionszahlen enorm. Auch, wenn schwere Verläufe bei Kindern seltener auftreten, werden bei starkem Infektionsgeschehen Hunderte von Kindern von Komplikationen betroffen sein’, sagt die Vize-Vorsitzende des Ethikrats, Susanne Schreiber, der ‚Rheinischen Post‘ zufolge.“

Kindesleid: Es war nicht die Pandemie, es war die Pandemie-Politik

Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, behauptet aktuell, die Kinder und Jugendlichen hätten sich „bereitwillig und bewusst“ auf die Coronapolitik eingelassen. Der (im Gegenteil) erzwungene Umgang vieler Kinder und Jugendlichen mit den unangemessenen Coronamaßnahmen an Schulen und Kitas, mit dem Bewegungsverbot, der Computersucht, dem Bildungsentzug, der Isolation und der nochmals gesteigerten sozialen Ungleichbehandlung wird in einem infamen Absatz der aktuellen Ad-Hoc-Erklärung des Ethikrats als „Erfolg“ dargestellt:

„Wie es Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in unterschiedlichen Altersphasen gelungen ist, sich an die hereinbrechenden Veränderungen der Alltagsabläufe anzupassen und diese zu gestalten, ist angesichts ständig neuer Belastungen und sich ändernder Rahmenbedingungen beeindruckend. Viele Jugendliche haben die Verlagerung des Lernens in den digitalen Raum, den Wegfall vieler Angebote der Freizeitgestaltung, die Trennung von Freundinnen und Freunden sowie Familienmitgliedern mit Fantasie, digitaler Vernetzung und der Ausbildung neuer Fähigkeiten überraschend gut bewältigt. Gleichwohl blieb für alle die katastrophische Erfahrung der Pandemie eine existenzielle Herausforderung. Diese Erfahrung ist gekennzeichnet durch Vereinsamung, Isolation und Angst, übermäßigen Medienkonsum sowie das Fehlen äußerer Strukturen, die dem eigenen Leben üblicherweise Halt geben.“

Wichtig: Es war ja eben nicht, wie hier behauptet, zuerst „die Pandemie“, die das Leben vieler Kinder extrem negativ belastet hat – es war vor allen anderen Dingen die mit der Pandemie begründete Politik. Und diese Begründung wurde auch vom Ethikrat weitgehend getragen.

Keine Entschuldigung vom Ethikrat

Trotzdem taucht das Wort „Entschuldigung“ laut Medienberichten nicht auf in der Stellungnahme des Deutschen Ethikrats zu der Frage, welchen Schaden monatelange Schulschließungen und Lockdowns bei Kindern und Jugendlichen angerichtet haben. Auch direkt darauf angesprochen, ob das Gremium wegen Fehleinschätzungen oder einem zu späten Eintreten für die Rechte von Jüngeren um Verzeihung bitten werde, wollte die Vorsitzende Alena Buyx nicht nachgeben. Sie werde derzeit „ständig gefragt“, ob sich der Rat entschuldigen werde, sagte Buyx vor der Berliner Bundespressekonferenz. „Dahinter steckt aber ja, man wäre schuldig geworden.“ Ein Leser der NachDenkSeiten hat dazu treffend geschrieben:

„Statt einer Entschuldigung bekommen die Kinder und Jugendlichen vom Ethikrat ein Dankeschön, welcher damit die scheinbare Notwendigkeit der Einschränkungen für Kinder und Jugendliche während der Coronazeit zementiert, statt einzugestehen, dass diese überzogen und zum großen Teil falsch waren.“

„Wer hätte das denn auch ahnen können?“

Der Vorgang ist zudem ein neuer Fall jener Taktik, bei der absolut erwartungsgemäße Phänomene als große Überraschung dargestellt werden: Nach dem Motto „Hinterher ist man immer klüger“ und „Wer hätte das denn auch ahnen können, dass Isolation, Computersucht, Bildungsentzug und Bewegungsverbot den Kindern nicht guttut?“. So erklärt Alena Buyx, laut Medien, eine Initialzündung dafür, sich nun mit den Nöten der Kinder und Jugendlichen zu befassen, sei eine Herbsttagung im September diesen Jahres gewesen. Buyx weiter:

„Da haben wir mit 350 Schülerinnen und Schülern gesprochen, die uns ihre Erfahrungen in der Pandemie erzählt haben. Dabei ist der Impuls entstanden, dass wir auf das dringendste Thema, die verschlechterte psychische Gesundheit in diesen Generationen, noch mal ganz deutlich hinweisen und auch konkrete Handlungsempfehlungen schreiben.“

Dieser Absatz ist eine Irreführung: Zum einen brauchte es längst keine Herbsttagung mehr, um das Leid des Nachwuchses der letzten Jahre zu sehen. Wer jetzt sagt, man habe die zerstörerische Wirkung der Corona-Maßnahmen nicht absehen können, möchte sich meiner Meinung nach selber entlasten. Denn die zerstörerische Wirkung war vorauszusehen. Einige der erwartungsgemäß eingetretenen Folgen der Corona-Politik wurden hier geschildert: Die Zahl der Kinder mit Sprachstörungen hat sich erhöht. Junge Mädchen erhalten deutlich mehr Antidepressiva. Mehr Kinder und Jugendliche leiden an Fettleibigkeit, an Ess- und Angststörungen. Viele Kinder können mutmaßlich auch wegen der Masken „einfachste Gesichtsregungen des Gegenüber“ nicht deuten. Die Corona-Politik hat allgemein die Bildungsprobleme verschärft und allgemein die psychische Verfassung der Gesellschaft beschädigt, was wiederum auf Kinder und Jugendliche zurückfällt. Die Zahl der Suizidversuche von Kindern hat sich drastisch erhöht.

Zum anderen ist es jetzt viel zu spät, die Erklärung macht keinen Sinn mehr. Vielmehr macht die Erklärung den Eindruck eines Versuchs, auf einen der letzten Züge aufzuspringen, der die eigene (auch indirekte) Unterstützung der gesellschaftlichen Zerrüttungen der Coronazeit gerade noch verschleiern könnte.

Der Ethikrat hatte im April schon mal eine umfangreiche Bewertung der Corona-Maßnahmen präsentiert und dabei auf Hunderten Seiten „Ethische Kriterien für Entscheidungen in einer Pandemie“ vorgestellt. Den Jugendlichen wurde dort laut Medien „mit einigen wenigen Zeilen“ immerhin bescheinigt, dass ihre sozialen Beziehungen massiv beeinträchtigt worden seien und dass sie in wichtigen Phasen ihrer Entwicklungsfähigkeit ausgebremst wurden. „Das war’s dann aber auch schon“, so die „Berliner Zeitung“ dazu.

Der Ethikrat ist plötzlich kritisch – wenn es zu spät ist

Ebenfalls im April dieses Jahres hatte die „Welt” ein Interview mit Alena Buyx geführt. Darin behauptet sie, der Ethikrat hätte sich „den Mund damit fusselig geredet, auf die Situation von Kindern und Jugendlichen hinzuweisen, dass sie unter den Nebenfolgen verschiedener Corona-Maßnahmen leiden und dass wir uns alle als Gesellschaft für sie am Riemen reißen sollten“. Bürger, die von plötzlicher Kritik vonseiten des Ethikrates an der Coronapolitik überrascht seien, wären „dem seltsamen Narrativ aufgesessen“, dass der Ethikrat „irgendwie politisch willfährig“ sei, so Buyx. Die „Welt“ kontert (unter Widerspruch von Buyx):

„Sie haben 2G abgesegnet, Sie waren noch Ende Februar für die Beibehaltung der Maskenpflicht, und natürlich hielt der Ethikrat auch die Impfpflicht für eine gute Idee.“

Ebenfalls die „Welt“ hat in einem Artikel mutmaßliche Verbindungen von Buyx zum „pharmanahen“ britischen Wellcome Trust thematisiert. Einige Interventionen von Buyx hat die Webseite „Corodok“ unter diesem Link gesammelt.

Maßnahmen gegen nicht geimpfte Bürger sollten „auch wehtun“

Daran, dass der Ethikrat eine Ausweitung der Impfpflicht befürwortet hat, erinnert diese TV-Sendung.

Über einen Auftritt von Buyx in der Talkshow von Markus Lanz vom November 2021 haben die NachDenkSeiten geschrieben: Buyx machte damals nicht nur Ungeimpfte indirekt (über den Umweg von zitierten Pflegern) für eine schlechtere Versorgung etwa von Herzpatienten verantwortlich. Zur Erhöhung des Impfschutzes müsse zudem „aus unterschiedlichen Rohren geschossen werden“ und es gebe eine moralische Verpflichtung zur Impfung. Zum Umgang mit den die Grundrechte einschränkenden Corona-Maßnahmen empfahl sie außerdem eine unauffällige und „möglichst grundrechtsschonende“ Steigerung des Drucks:

„Das, was man jetzt machen muss, ist, dass man schrittweise schaut, dass man es so grundrechtsschonend wie möglich hinkriegt, aber dennoch genug Maßnahmen einführt. Und da muss man die sozusagen schrittweise hocheskalieren.“

Denkwürdig war auch der Auftritt des katholischen Theologen und Mitglieds des Ethikrates Andreas Lob-Hüdepohl in der “3sat kulturzeit” im Januar 2022, wo er fordert, die Maßnahmen gegen nicht geimpfte Bürger müssten „auch wehtun“. Dazu passte, dass ein Ethikrat-Mitglied einen Ausreisestopp für Ungeimpfte forderte, wie Medien berichteten:

»Der Humangenetiker Wolfram Henn, der Mitglied des Deutschen Ethikrats ist, fordert einen Ausreisestopp für Ungeimpfte in Länder der EU. ‚Die 2G-Regel sollte beim Überschreiten der EU-Binnengrenzen generell gelten“, sagte er der „Rheinischen Post“. Das wäre „epidemiologisch sinnvoll und ethisch gerechtfertigt“.

Eine echte Entschuldigung der Akteure wäre meiner Meinung das Mindeste angesichts der Handlungen des Ethikrates in den letzten Jahren. Die Versuche der Beteiligten, jetzt die Hände in Unschuld zu waschen und auch noch Punkte zu machen mit emotionalen (viel zu späten) Appellen, sollten zurückgewiesen werden.


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