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Titel: Sanktionen – eine Wunderwaffe? Sanktionen sind Wahnsinn. Von Monika Fath-Kelling

Datum: 22. November 2022 um 9:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich:

Vorbemerkung: Seit Wochen beschäftigt mich eine Kette von Fragen zum gleichen Thema, Fragen, die die Mehrheit meiner Mitmenschen nicht stellt, die politisch Verantwortlichen sowieso nicht. Was ist der Sinn von Sanktionen? Wie kommt ein Volk darauf, ein anderes zu sanktionieren, also diesem Leid zuzufügen bis hin zur vollständigen Knebelung? Wir machen das in der Regel nicht unter Verwandten, auch nicht unter Freunden und auch nicht unter Kollegen und Kolleginnen. Wieso läuft das Wort und das Konzept und die Regel, Sanktionen zu erteilen, in der Politik so glatt durch? Haben wir den Verstand oder zumindest jede Moral verloren? Weil diese Fragen mich umtrieben, war ich froh, als die folgende Mail von Monika Fath-Kelling eintraf. Endlich fragt da jemand. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zunächst geben wir unter A. die begleitende Mail wieder. Sie können diese überspringen und gleich zu B., dem Text der Leserbriefschreiberin zum Thema Sanktionen, übergehen:

  1. Sehr geehrte Redaktionsmitglieder

    als regelmäßige Leserin eures Leuchtturmprojekts in der deutschen Presselandschaft möchte ich ihnen einfach einmal meine Gedanken zur inhumanen “Wunderwaffe” Sanktionen zur Kenntnis geben. Um nicht gleich wieder wegen “russlandfreundlicher Umtriebe” geziehen zu werden (ich vertrete nur konsequent die Ansicht, dass die Messlatten zur Bewertung internationaler Politik nicht unterschiedlich sein dürfen, mit denen “Westliche”,  “Russische”, “Chinesische” oder Sonstige Politik “eingeordnet” werden) habe ich auf immer noch aktuelle Sanktionen in Syrien und im Irak abgezielt, nicht auf die Russlandsanktionen. Lustigerweise hatte ich meinen Artikel für die SPD-Monatsschrift unseres Ortsverbands einen Tag vor dem Erscheinen eures Artikels über Syrien von Bernd Duschner geschrieben.

    Das zutiefst traurige an der aktuellen politischen Situation ist, dass im Medien-Zeitgeist und in der praktischen Politik mit großer Vehemenz Demokratie mit immer undemokratischeren Mitteln “verteidigt” wird. Gerade auch bei uns in Deutschland.

    Man kämpft mit dem Rücken zur Wand gegen ideologische Zombies und “Geister”, die man längst überwunden geglaubt hatte.

    Bitte stellt euren Kampf nicht ein, sonst haben wir unten an der “Basis” gar kein Licht und Recherchebackup mehr.

    Mit herzlichen Grüßen
    Monika Fath-Kelling

  2. Zum Thema Sanktionen

    Angenommen….

    1. Angenommen, es gäbe eine Wunderwaffe…
      • Anwender dieser Wunderwaffe brauchen nicht vor Ort zu intervenieren, sich gar die Finger schmutzig machen, geschweige denn Särge nach Hause holen.
      • Trotzdem tötet diese Waffe zuverlässig, fügt dem Feind größte Verluste zu, vernichtet die feindliche Gesellschaft gründlich.
      • Materielle Kulturgüter werden dabei geschont, auch vorhandene Versorgungseinrichtungen erhalten sich für Nachfolgende.
      • Die Opfer lassen sich der Nutzung dieser Waffe nicht auf den ersten Blick, und selten eindeutig zuordnen. Sie sterben still und langsam, nicht alle auf einmal, nach dem Zufallsprinzip und vor allem:
      • Unblutig. Also kein Gemetzel, an dessen Ende Massengräber ausgehoben werden, oder Hilfsorganisationen die blutigen Reste zusammenklauben müssen.
      • Die Opfer entsorgen sich gemäß ihrer Traditionen selbstständig, quasi im Alleingang.
      • Diese Waffe steht, trotz des ihr inhärenten Zufallsprinzips bei den Opfern, ihren Anwendern präzise gesteuert, zeitpunktgenau und sogar ohne Herstellungskosten global zur Verfügung.
      • Der mit dieser Waffe niedergerungene feindliche Staat existiert nicht mehr in seiner ursprünglichen Form, allenfalls als “leere Hülle”.
      • Nach einer gewissen Einwirkungszeit, abhängig von der Dosierung dieser Wunderwaffe, kann der Anwender dieser Waffe relativ unproblematisch seine Provision kassieren. In Form von Rohstoffausbeutung und/oder wirtschaftlichen Vorteilen bei einem evtl. gewünschten Wiederaufbau der ehemaligen Feindstaathülle.
      • Die eigenen Bevölkerungen der Anwender führen derweil ungefährdet und sicher das eigene Leben und Wirtschaften, meist sogar mit monetärem Gewinn, weiter.
      • Diese Wunderwaffe läuft weitgehend unter dem Aufmerksamkeits-Radar der medialen Weltöffentlichkeit, sie gilt weithin als “legitimes, politisches Mittel”, das blutige – und für den Anwender teuere – Kriege herkömmlicher Art komplett ersetzen kann, sie zumindest flankiert.
    2. …schlimmer als während des Krieges!
      • Kirchliche Hilfsorganisationen mahnen, in Syrien sei die Lage für die Bevölkerung “schlimmer als während des Krieges”, was den Alltag der Menschen angeht, so man einen nackten Überlebenskampf der verbliebenen Menschen “Alltag” nennen mag.
      • Weit reicht ihr Hilferuf in den westlichen Medien nicht, weil er deutliche Kritik am Einsatz dieser Massenvernichtungswaffe übt.
      • Im 11. Kriegsjahr sind immer noch islamische Milizen militärisch aktiv, wird immer noch gekämpft, gegen Islamisten und ums tägliche Überleben. Strom gibt es 1-2 Stunden täglich, die Wasserversorgung ist vielerorts unterbrochen, Löhne für Leute, die überhaupt noch Arbeit haben, belaufen sich im Schnitt auf 30 € im Monat, allein für die Miete sind 40-80 € fällig, die massenhafte Auswanderung der Bevölkerung dauert an. Die inhumane Waffe trifft das einfache Volk schwer, es leidet grausam. Es gibt wenig bis nichts zu essen, so gut wie keine Gesundheitsversorgung oder Medikamente, was man bekommen kann, ist sehr teuer, also nur für ganz Wenige.
      • Schwester Annie vom Orden der “Schwestern Jesu und Mariens” redet auf ihrer Betteltour durch Deutschland an die mediale Wand, wenn sie mahnt, die kleinen Leute von hier sollen “die humanitäre Not anerkennen” und spenden, um die Folgen zu mildern, welche die – auch von unserer Regierung mitgetragene – Anwendung der Wunderwaffe anrichtet.
      • In Syrien wird gerade ein Land, reich an Weizen, Oliven, Öl und Gas fast vollständig seiner Ressourcen beraubt, ein Land mit jahrtausendealter Geschichte und Kultur kann seine verbliebenen Kinder nicht geregelt zur Schule schicken.
      • Pater Francesco Patton spricht von einer Globalisierung des Hasses und einer Globalisierung von Lügen, unterstützt durch unterschiedlich verkleidete Wirtschafts- und Machtmotivationen.
      • UN-Experten schätzen, dass sich die Lage der syrischen Bevölkerung durch den Krieg in der Ukraine zusätzlich verschlechtern wird.
    3. Fazit

      Syrien ist derzeit nur eines von mehreren Ländern weltweit, deren Regierung mit dem Einsatz dieser Waffe für Unbotmäßigkeit gegenüber den “Machtmotivationen” der Anwender bestraft und somit entkernt werden soll.

      Blutiges, industriell durchorganisiertes Töten einer fest umrissenen Opfergruppe zu relativieren oder gar zu leugnen, steht bei uns zu recht unter Strafe.

      Unblutiges, bürokratisiertes Töten zur Durchsetzung weltanschaulicher Vorstellungen mit einer Massenvernichtungswaffe, wird, als “humanitäre Vermeidung eines blutigen Konflikts”, auch bei uns von vielen Menschen mit und ohne Regierungsverantwortung als legitimes Mittel zur Interessendurchsetzung gutgeheißen und mit der klaren Ansage(!), die Lebensgrundlagen von vielen Millionen Menschen ruinieren zu wollen, gebilligt, sowie gegen den erklärten Willen eines großen Teils der eigenen Bevölkerung durchgesetzt.

      Wenn eine Kernaussage feministischer Außenpolitik lautet: “die Sicherheit von Menschen und nicht die Sicherheit von Staaten” müssen im Zentrum der Außenpolitik stehen, dann sollten die Vertreter *innen dieser feministischen Außenpolitik die Ersten sein, die diese inhumane Massenvernichtungswaffe (genau so bezeichnete die UN sie nämlich schon in Veröffentlichungen aus 2010 zum Irakkrieg) ächten und ihr Verbot vorantreiben.

      Obwohl sich niemand den weißen Kragen oder die Finger schmutzig macht, existentiell strangulierende Wirtschafts-Sanktionen sind inhumane Massenvernichtungswaffen.

      Den Opfern kann es egal sein, ob sie sofort und blutig oder langsam und unblutig getötet werden: Ihnen fehlt am Ende das Leben.

Titelbild: Artemisia_Absinthium / Shutterstock


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