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Titel: (Hoch-)Ofen aus. Mit der geplanten Gaspreisbremse könnte die Wirtschaft noch mehr erlahmen
Datum: 17. November 2022 um 14:06 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Energiepolitik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Redaktion
Mittels subventionierter Energie will die Bundesregierung Verbraucher und Unternehmen vom immensen Inflationsdruck befreien und nebenbei auch noch zum Sparen animieren. Das Vorhaben droht nach hinten loszugehen, warnen dagegen Ökonomen der Hans-Böckler-Stiftung und stehen mit ihrer Sorge nicht allein. Konzerne würden ermuntert, ihre Produktion zu drosseln oder gleich ganz stillzulegen, und dank „Winterschlafprämie“ zum Gashändler mutieren. In der Folge käme es zu Unterbrechungen von Lieferketten, Wachstumsverlusten, höheren Preisen und forcierter Deindustrialisierung. Von Ralf Wurzbacher.
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Anders als viele Regierungen vor ihr geht die amtierende Ampelkoalition nicht übertrieben zimperlich mit der deutschen Wirtschaft um. Eher im Gegenteil: Mit ihrer Gangart, Deutschland per Sanktionspolitik Knall auf Fall von billiger russischer Energie abzukoppeln, könnten über kurz oder lang ganze Industriezweige wanken, riesige Produktionskapazitäten ins Ausland abwandern und massenweise Kleinbetriebe von der Bildfläche verschwinden. Denn obgleich es Robert Habeck mit seinen exklusiven Anschauungen in puncto (Nicht-)Insolvenzen lange nicht wahrhaben wollte: Wenn der Bäcker seine Brötchen zum Mondpreis nicht losbekommt, ist schnell der Ofen aus – und bleibt das auch.
Aber der grüne Bundeswirtschaftsminister hatte schließlich doch ein Einsehen mit den Bedrängten und ließ die sogenannte Gaspreisbremse ausbaldowern, von der „ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme“. Nach dem im Oktober vorgelegten Zwischenbericht „Sicher durch den Winter“ sollen die Preise für Gas und Fernwärme für Privathaushalte, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie industrielle Verbraucher ab spätestens März 2023, vielleicht auch schon einen Monat früher, gedeckelt werden. Und so wie es aussieht, sollen die Empfehlungen weitgehend in die Tat umgesetzt werden.
Erster Gesetzentwurf
Nach dem am Dienstag bekannt gewordenen „Vorentwurf“ für das geplante Gesetz ist für die ersten beiden Adressaten ein subventioniertes Kontingent im Umfang von 80 Prozent des auf Basis des laufenden Jahres geschätzten Jahresverbrauchs vorgesehen. Der Verkaufspreis soll dabei auf zwölf Cent pro Kilowattstunde (kWh) festgesetzt werden. Industrielle Großabnehmer mit einem Bedarf von über 1,5 Millionen kWh sollen dagegen lediglich 70 Prozent verbilligtes Gas erhalten, dafür allerdings zu einem kWh-Preis von bloß sieben Cent, im Fall von Fernwärme sollen es 9,5 Cent sein. Insgesamt ist die aus Steuermitteln zu begleichende Entlastungswirkung bis Frühjahr 2024 – dann soll die Maßnahme enden – mit 54 Milliarden Euro beziffert. 33 Milliarden Euro entfallen demnach auf Haushalte und Gewerbe, 21 Milliarden Euro auf die Industrie. Und dann ist da ein Punkt, der von den Vorgaben der Kommission abweicht: Große Unternehmen sollen schon ab 1. Januar profitieren, einfache Kunden wie gehabt erst zwei Monate später.
Da ist sie also wieder, die „gute alte“ Ungleichbehandlung von einfachen Leuten und Konzernbossen und man fragt sich: Sind SPD, Grüne und FDP endlich zur Besinnung gekommen? Gilt jetzt wieder „Vorfahrt für die Wirtschaft“ und ist der Industriestandort Deutschland vielleicht doch noch zu retten? Nun ja, ein paar Restzweifel bleiben, geäußert etwa durch Isabella Weber, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der University of Massachusetts Amherst (USA). Sie ist nicht irgendeine Ökonomin, die nach Aufmerksamkeit heischt, von der Materie aber keine Ahnung hat. Stattdessen sitzt sie selbst als Mitglied in der Gaskommission und steht überdies im Ruf, die „Erfinderin des Gaspreisdeckels“ zu sein.
Kassieren geht über Produzieren
Allerdings hatte sie sich bereits per Sondervotum von den Empfehlungen des Gremiums abgesetzt, wobei ihre Kritik im Wesentlichen auf einen Satz gemünzt ist, der da lautet: „Die geförderte Gasmenge kann das verbrauchende Unternehmen für seine Zwecke nutzen oder am Markt verwerten.“ Ihre Einwände dagegen sind gravierend: Zum Beispiel fürchtet sie, der Passus könne bei Umsetzung „nicht produktionserhaltend“ wirken, eine „Schließung von Unternehmen sogar befördert“ und die „Stabilität der europäischen Wirtschaftsstruktur gefährdet“ werden. Weber warnt damit genau vor solchen Szenarien, die zu verhindern eigentlich das erklärte Ziel der Gaspreisbremse ist. Vor allem glaubt sie nicht, dass der Krise damit nachhaltig begegnet wird, wenn sie konstatiert: „Es wird keine Gaspreisdämpfung erzielt. Damit fehlen auch Kostensenkung und inflationsdämpfende Wirkung.“
Am Montag legte Weber gemeinsam mit zwei Forschern des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung per „Kommentar“ mit dem Titel „Gezieltes Sparen besser als ‚Winterschlafprämien‘“ nach. Auch hierin wenden sich die Autoren gegen einen „Fehlanreiz“, der aus „Produktionsbetrieben Gashändler“ machen könne. Aber was heißt Gashändler? Tatsächlich soll es Unternehmen laut Gesetzentwurf freigestellt sein, was sie mit ihrem subventionierten Energiekontingent anstellen. Wenn die Geschäfte in ihrem Kerngeschäft nicht laufen, was angesichts der aktuellen Krisenballung – Ukraine-Krieg, Corona-Nachwehen, Personalmangel – keine Seltenheit ist, könnten sie das vergünstigte Gas einfach teuer weiterveräußern, zumal das bei den völlig überzogenen Marktpreisen ausgesprochen lukrativ wäre.
Kaskadeneffekte und Preisauftrieb
„Was zunächst harmlos klingen mag, droht, die deutsche Wirtschaft in ihrer Gesamtheit schwer zu schädigen“, befinden Weber und die beiden IMK-Ökonomen Sebastian Dullien und Jan-Erik Thie in ihrer Stellungnahme. Einschränkungen der Produktion seien demnach vor allem „im energieintensiven Bereich am Anfang der Wertschöpfungskette“ denkbar, „da hier ein Verkauf des subventionierten Gases zu derzeit hohen Marktpreisen schnell profitabler sein kann, als das Gas in der eigenen Produktion einzusetzen“. Empfänglich für solche Überlegungen könnten demnach gerade Stahl- und Chemieunternehmen sein, denen die Teuerungswelle bei Strom, Gas und anderen Brennstoffen schwer zu schaffen macht. Nicht nur drohten dann „starke Produktionsrückgänge (…), sondern auch weitreichende Kaskadeneffekte auf Lieferketten“, durch die Teile der Wirtschaft lahmgelegt würden, weil ihnen Vorprodukte fehlten. Und da bei reduziertem Angebot die Preissetzungsmacht der Erzeuger zunimmt, könne der Inflationsdruck noch einmal größer werden.
Die Wissenschaftler erinnern beispielhaft an die bis heute anhaltenden Nachschubengpässe bei Halbleitern in der Automobilindustrie im Gefolge der Pandemie. Durch Drosselung der Produktion bauten die Autobauer ihre Gewinne sogar aus. Künftig könnten manche energieintensive Unternehmen „sogar doppelt profitieren“: Indem sie einmal die Subventionen bei Produktionspausen einstrichen, „und dann, wenn sie etwa aus anderen, ausländischen Produktionsstätten die Nachfrage bedienen und wegen neuer Knappheiten dann höhere Preise und höhere Margen durchsetzen können“. Auch der Ansatz der Kommission, Standortgarantien etwa über sozialpartnerschaftliche Vereinbarungen zur Voraussetzung einer Subvention zu machen, löse dieses Problem nicht. Bei diesen Garantien gehe es nämlich um die Perspektive ab 2024, „nicht um die Sicherung von Produktion und Lieferketten bis zum Frühjahr 2024“.
Schlechter Rat ist teuer
Im Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Umsetzung der Gaspreisbremse findet sich – anders als im Kommissionsbericht – nicht die Wendung „am Markt verwerten“. Vielmehr heißt es da, die Förderung solle „unabhängig vom tatsächlichen Verbrauch“ erfolgen. Damit werden die Freiheiten der Industrie sogar noch größer. „Ökonomisch sei diese Regelung äquivalent zu der Möglichkeit, das subventionierte Gas am Markt zu verkaufen, allerdings müssen die Unternehmen nicht mehr als Gashändler auftreten, um in den Genuss der Subventionen zu kommen. Sie können einfach ihre Produktion zurückfahren und die Subventionen einbehalten.“ Die Konsequenzen wären dabei dieselben: Der „Deindustrialisierung Deutschlands“ werde Vorschub geleistet und „eine schnelle Transformation hin zu einer grüneren Wirtschaft“ verunmöglicht.
Aber wie entstand überhaupt die Idee mit dem Gasweiterverkauf? Offenbar verspricht sich die Kommission damit Impulse zum Energiesparen. Motto: Was weniger in der Produktion verpufft, lässt sich in bare Münze umsetzen, was wiederum die hohen Mehrkosten für den Bezug des restlichen, nicht subventionierten Gases (30 Prozent) minimieren, ausgleichen oder gar überkompensieren könnte. Dass Unternehmer ermuntert sein könnten, gleich den ganzen Kuchen zu Gold zu machen, kam den Damen und Herren Vordenkern offenbar nicht in den Sinn, so wenig wie den Verantwortlichen in der Regierung, die die Ratschläge nahezu eins zu eins in ihren Gesetzentwurf übernommen haben.
Habecks nächste Pleite?
Dabei braucht es für eine bessere und naheliegende Lösung gar nicht viel Phantasie. Laut IMK-Papier müsse die Politik auf „gezielte Rückkäufe für laufend nötige Sparvolumina“ setzen. „Das heißt: Grundsätzlich bekommen Unternehmen nur Gas subventioniert, das sie auch wirklich in der Produktion einsetzen.“ Und nur für den Fall ganz akuter Versorgungsengpässe „könnte beispielsweise die Bundesnetzagentur Unternehmen gezielt Gas zu einem höheren Preis abkaufen, wenn diese zeitweilig ihre Produktion drosseln, ohne dabei elementare Lieferketten zu gefährden“.
Unweigerlich denkt man dabei an die groben Handwerksfehler bei der Konzeption der sogenannten Gasumlage. Weder wurden die finanzverfassungsrechtlichen Hindernisse durch die bevorstehende Verstaatlichung des Hauptadressaten, des Gasimporteurs Uniper, bedacht, noch konnte man gesetzgeberisch sicherstellen, dass auch wirklich nur bedürftige Konzerne von dem Instrument profitieren. Als die Kritik überhand nahm, musste Habeck seinen Masterplan in letzter Minute wieder einmotten.
Ein Milliardengeschenk mehr
Womöglich ereilt die Gaspreisbremse ja ein ähnliches Schicksal. Ursprünglich wollte das Bundeskabinett die fraglichen Gesetzentwürfe zur Gas- und zur Strompreisdeckelung in der laufenden Woche auf die parlamentarische Reise schicken. „Angesichts der Komplexität und auch des Abstimmungsbedarfs, den wir da im Besonderen mit der EU sehen“, wird der Beschluss nach Auskunft der Regierung auf voraussichtlich 28. November verschoben. Zu den „Sorgen vor Fehlern“ zählen laut Spiegel „in erster Linie“ die Pläne zur Abschöpfung sogenannter Zufallsgewinne, aus der die Bremsen finanziert werden sollen. Eine Rolle bei der Hängepartie könnten zudem die Einwände aus besagter IMK-Studie spielen, ließ das stets bestens informierte Hamburger Nachrichtenmagazin durchblicken.
Alleine stehen die Kritiker jedenfalls nicht. Die Gaspreisbremse könne in ihrer geplanten Form eine „tiefe Rezession“ auslösen, schrieb dieser Tage Ex-IMK-Direktor und SPD-Vorstandsmitglied Gustav Horn. Das Magazin Makroskop prophezeite zuletzt ein „Eldorado für Subventionsjäger“ und Tom Krebs, Mannheimer Professor für Makroökonomik, nannte das Instrument in einem Beitrag für das Makronom-Portal „ein ineffizientes Milliardengeschenk für die Industrie“. Zitat: „Dies ist nicht das erste Mal, dass ein gewisser Marktfundamentalismus dazu führt, dass öffentliche Gelder ohne nennenswerten wirtschaftlichen Nutzen von unten nach oben umverteilt werden“. Da sage noch einer, auf die Bundesregierung wäre kein Verlass.
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