NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Hinweise des Tages

Datum: 17. November 2022 um 8:37 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (AT)

Wir weisen darauf hin, dass die jeweiligen Anbieter für die Barrierefreiheit ihrer Angebote selbst verantwortlich sind und es durchaus sein kann, dass der Zugang von zunächst freien Inhalten nach einer Zeit beschränkt wird.

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. “Jetzt hilft nur noch die Weisheit des westfälischen Friedens”
  2. Katar: Was bei der Empörungs-WM ausgeblendet wird
  3. „Zeitlich streng befristet“ höhere Steuern für die armen Reichen, weil sonst das Wachstum leidet – Der Sachverständigenrat macht sich lächerlich
  4. Alt, arm und abgehängt
  5. Soziale Schere weiter weit geöffnet: Familien mit niedrigem Einkommen haben 11,8 % Inflationsrate, wohlhabende Singles 8,4 %
  6. Gezerre um Hartz-IV-Nachfolge wird keine Verbesserung bringen: Armut bleibt Gesetz
  7. Führungsnation im Krieg
  8. Die neue französische Sicherheitsstrategie: eine hybride Kriegserklärung.
  9. Maximal aufgeblasen: Raketeneinschlag auf NATO-Territorium.
  10. Turkey to pursue targets in Syria, official says after Istanbul blast
  11. US-Medien: Goldene Zeit der Mittelklasse geht bald zu Ende
  12. Rechtsstaat und Grundrechte in der Corona-Krise
  13. Privilegien für Journalisten: Bundestags-Gutachten zweifelt an Neutralität des Verfassungsgerichts

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Verantwortlich für die Richtigkeit der zitierten Texte sind die jeweiligen Quellen und nicht die NachDenkSeiten. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. “Jetzt hilft nur noch die Weisheit des westfälischen Friedens”
    Antje Vollmer über die Notwendigkeit von internationaler Kooperation, über hybride politische Thinktanks und die Bedeutung des Zweifels an der veröffentlichten Mehrheitsmeinung. (Teil 2 und Schluss) […]
    Frau Vollmer, im ersten Teil dieses Gesprächs haben Sie politische Stiftungen und Thinktanks kritisiert, weil sie „eine ziemlich einheitliche Agenda“ verbreiteten. Das betrifft auch ehemalige grüne Mitstreiter von Ihnen, konkret Ralf Fücks und Marieluise Beck. Die beiden haben 2017 einen Thinktank mit dem Namen Zentrum Liberale Moderne gegründet. In den Jahren 2018 bis 2021 sind nach Auskunft der Bundesregierung rund 4,5 Millionen Euro an diese Organisation geflossen, die auf die öffentliche Meinung einwirkt. Wie bewerten sie das?
    Antje Vollmer: Diese sogenannte NGO ist ein besonders eklatantes Beispiel eines hybriden politischen Thinktanks. Zwei ehemalige Spitzenpolitiker nutzen sämtliche Netzwerke der Institutionen, in denen sie lange tätig waren, und gründen dann mit Staatsgeld einen antirussischen Thinktank, den sie “Non Government Organisation” nennen und der durch keine echte Praxis im Land ausgewiesen ist.
    Es gibt viele engagierte Städtepartnerschaften, die würden sich freuen, wenn sie auch nur punktuell Projektmittel vom Staat erhielten. Aber dieser Thinktank hat von Beginn an höchste politische Unterstützung genossen.
    Warum ausgerechnet das Zentrum Liberale Moderne, was macht diese Organisation so besonders?
    Antje Vollmer: Ich vermute, es sollte damals die zentrale Denkfabrik für eine schwarz-grüne Regierungsoption sein. Das würde dann aber auch bedeuten, dass das Postulat der Unabhängigkeit von Beginn an nicht stimmt. Es stimmt nicht die Regierungsferne, es stimmt nicht die Basisverankerung. Das Zentrum Liberale Moderne ist stattdessen ein Instrument eines ideologischen Lobbyismus.
    Quelle: Telepolis
  2. Katar: Was bei der Empörungs-WM ausgeblendet wird
    Kriegswaffen für Diktaturen? – Normalität. WM-Halligalli – verwerflich? Was Deutschland und andere westliche Staaten sonst noch mit der Region verbindet – und was an der aktuellen Debatte heuchlerisch ist.
    Anlässlich der bevorstehenden Herrenfußball-WM in Katar beherrscht die Kritik an Menschenrechtsverletzungen in dem Golfemirat die Schlagzeilen und erhitzt die Gemüter, wie es fast undenkbar ist, wenn es um militärische Zusammenarbeit und Energiepartnerschaften westlicher Staaten mit Diktaturen in der Ölregion am Golf geht. Der Kooperation mit Saudi-Arabien etwa steht nicht einmal der staatlich verantwortete Mord am Journalisten Jamal Khashoggi entgegen.
    Einige Staaten, die in den Jemen-Krieg verwickelt sind, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Kuwait und Katar, befinden sich unter den Ländern, die Kriegswaffen aus Deutschland erhalten. Von dieser Verletzung des Paragraphen 6 Kriegswaffenkontrollgesetzes lenkt auch die Empörung über homophobe Äußerungen von Funktionären aus Katar im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft der Männer ab. […]
    Die US-Armee ist in Katar nicht nur großzügig unterstützter Gast, sondern auch Partner bei Verletzungen des Völkerrechts, etwa in Afghanistan und im Irak sowie in Syrien. Militärinterventionen in diesen Staaten sind nur entweder auf Einladung der Staatsmacht oder auf der Basis von UNO-Mandaten zulässig. Doch hier wird darauf keine Rücksicht genommen: Das US-Magazin Airforce Times berichtete 2016 über täglich Hunderte von Flugzeugeinsätzen im Luftraum des Irak, Syriens und in anderen Staaten der Region.
    Al Udeid sei “ein integraler Bestandteil der Missionen in Afghanistan, die derzeit als Operationen Freedom’s Sentinel oder Resolute Support bezeichnet werden, sowie des Kampfes gegen die Gruppe Islamischer Staat im Rahmen der Operation Inherent Resolve”. Diese militärischen Aktivitäten werden durch Konflikte zwischen den Partnerstaaten des Westens nicht gefährdet. […]
    Katar ist nicht nur ein landgestützter Flugzeugträger für die USA, sondern zugleich auch eine Schaltzentrale für die US-Kriegsführung in dieser Region und weit nach Afrika hinein über sie hinaus. Dies alles auszublenden und lediglich die WM zu skandalisieren, ist ein willkommenes Mittel zur Verblendung der Weltöffentlichkeit.
    Quelle: Bernhard Trautvetter auf Telepolis
  3. „Zeitlich streng befristet“ höhere Steuern für die armen Reichen, weil sonst das Wachstum leidet – Der Sachverständigenrat macht sich lächerlich
    Das ist infam, auf nichts kann man sich mehr verlassen. Selbst die oft „Weise“ genannten Sachverständigen (zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, SVR) sind offenbar nicht mehr so neoliberal wie wir uns das vorstellen und natürlich auch wünschen. Bringen die doch wirklich in ihrem Jahresgutachten den Vorschlag, die Steuern zu erhöhen. Und nicht nur das, die wollen die Steuern für die Leistungsträger erhöhen, sie wollen den unantastbaren Spitzensteuersatz erhöhen, zeitlich „streng befristet“ zwar, aber dennoch. Das geht ja nun gar nicht.
    Die Aufregung im deutschen Blätterwald (siehe die Zitate im Anhang 1) ist enorm. Liest man im Jahresgutachten nach, was die „Weisen“ (in Ziffer 196) geschrieben haben, klingt das weit weniger revolutionär, ja, man könnte es sogar für besonders reaktionär halten:
    „Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Probleme, Entlastungsmaßnahmen zielgenau auszugestalten, erscheint eine ausgleichende Ergänzung durch zielgenauere Steuer- und Abgabenerhöhungen jedoch als denkbar. So könnten eine temporäre Erhöhung des Spitzensteuersatzes oder ein zeitlich streng befristeter Energie-Solidaritätszuschlag für Spitzenverdienende in Erwägung gezogen werden. Dies würde die öffentliche Kreditaufnahme und somit den fiskalischen Impuls begrenzen. Dadurch könnte die Inflationswirkung der Entlastungsmaßnahmen reduziert werden. Die Befristung könnte etwa an die Dauer der Gas- oder Strompreisbremse gekoppelt werden. Der negative Wachstumseffekt dürfte im Fall solch temporärer Maßnahmen überschaubar bleiben.“
    „Zeitlich streng befristet“ soll die Steuererhöhung für die höheren Einkommen sein, weil sonst die negativen Wachstumseffekte nicht mehr „überschaubar“ sein könnten. Was offenbar heißt, dass man einen permanent höheren Spitzensteuersatz per se für wachstumsdämpfend hält. Da der Rat nach Meinung eines seiner neuen Mitglieder von nun an ideologische und theoretische Konfrontationen möglichst meiden will und weit stärker „evidenzbasiert“ arbeiten möchte (so das Ratsmitglied Ulrike Malmendier im Spiegel vom 11. 11.), hätte man sich genau bei dieser einfach in den Raum gestellten Behauptung einen Verweis auf empirische Evidenz gewünscht – zumal von einem Rat, der jedes Kapitel des Jahresgutachtens mit hunderten von Literaturhinweisen schmückt.
    Quelle: Heiner Flassbeck auf Relevante Ökonomik
  4. Alt, arm und abgehängt
    Immer mehr älteren Menschen wird in Deutschland die Würde genommen. Covid-19-Pandemie, Energiepreisexplosion und Inflation besonders verheerend. Doch Altersarmut ist keine Naturkatastrophe.
    Während die bereits seit geraumer Zeit auf einem hohen Niveau verharrende Kinderarmut mittlerweile in der (Medien-)Öffentlichkeit relativ viel Aufmerksamkeit erfährt, stellt die Altersarmut nach wie vor einen blinden Fleck dar, obwohl das Armutsrisiko keiner anderen Altersgruppe in den vergangenen Jahren stärker gestiegen ist als jenes der Senior:innen. Man kann sogar von einer Reseniorisierung der Armut sprechen, nachdem zur Jahrtausendwende von einer „Infantilisierung der Armut“ (Richard Hauser) die Rede war.
    Beide Tendenzen bestehen nebeneinander, denn aufgrund der Tatsache, dass von einer sozialen Misere auch wieder mehr Senior:innen betroffen sind, die jahrhundertelang als „würdige Arme“ galten, heute jedoch bezichtigt werden, nicht genug vorgesorgt zu haben, wird kein einziges Kind materiell bessergestellt.
    Umso notwendiger ist es, dieses politische Armutszeugnis in einem vermögenden Land zu skandalisieren und gleichzeitig Druck auf Regierende wie Parlamentarier:innen auszuüben, damit sich etwas ändert. (…)
    Wenn die obige Analyse der Entstehungsursachen von Altersarmut richtig ist, muss eine Gegenstrategie auf zwei Ebenen ansetzen: Notwendig ist die Reregulierung des Arbeitsmarktes, ergänzt um die Fortentwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung zu einer solidarischen Bürger- bzw. Erwerbstätigenversicherung.
    Quelle: Christoph Butterwegge in gewerkschaftsforum.de
  5. Soziale Schere weiter weit geöffnet: Familien mit niedrigem Einkommen haben 11,8 % Inflationsrate, wohlhabende Singles 8,4 %
    Die Inflation hat im Oktober im Durchschnitt aller Haushalte mit 10,4 Prozent einen historischen Höchststand erreicht. Noch einmal deutlich stärker belastet sind einkommensschwache Familien und, in etwas abgeschwächter Form, Alleinlebende mit niedrigem Einkommen. Gemessen an den für diese Haushaltstypen repräsentativen Warenkörben trugen Familien mit niedrigem Einkommen im Oktober sogar eine Inflationsbelastung von 11,8 Prozent, bei ärmeren Singles waren es 11,4 Prozent. Dagegen weisen Alleinlebende mit hohem Einkommen wie in den Vormonaten die im Vergleich geringste haushaltsspezifische Teuerungsrate auf: 8,4 Prozent. Damit ist die soziale Schere bei den Inflationsraten auf dem hohen Niveau des Vormonats geblieben und beträgt 3,4 Prozentpunkte. Das ist der höchste in diesem Jahr gemessene Wert und liegt daran, dass die weiterhin größten Preistreiber – Haushaltsenergie und Lebensmittel – bei den Einkäufen von Haushalten mit niedrigen bis mittleren Einkommen einen größeren Anteil ausmachen als bei wohlhabenden. Auch Alleinerziehende und Familien mit jeweils mittleren Einkommen hatten mit 10,9 Prozent bzw. 10,6 Prozent etwas überdurchschnittliche Teuerungsraten zu tragen, während Alleinlebende und Paarhaushalte ohne Kinder mit jeweils mittleren Einkommen mit 10,4 bzw. 10,3 Prozent im oder sehr nahe am allgemeinen Durchschnitt lagen. Alleinlebende und Familien mit jeweils höheren Einkommen wiesen unterdurchschnittliche Raten von 10,0 bzw. 9,7 Prozent auf (siehe auch die Informationen zur Methode unten und die Abbildung in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Das ergibt der IMK Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, der monatlich die spezifischen Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen liefert.
    Quelle: Hans Böckler Stiftung
  6. Gezerre um Hartz-IV-Nachfolge wird keine Verbesserung bringen: Armut bleibt Gesetz
    Die Ärmsten in diesem Lande, auf deren Rücken dieses Schmierentheater stattfindet, hätten aber dringend noch viel umfassendere Hilfe nötig. Einen Tag nach der unwürdigen, weil folgenlosen Abstimmung im Bundestag veröffentlichte das Statistische Bundesamt die neue Schätzung zur aktuellen Inflationsrate, die inzwischen mit 10,4 Prozent ihren höchsten Stand seit 1951 (!) erreicht hat. Das Amt hat diese Durchschnittsrate ergänzt durch Berechnungen für einzelne Warengruppen. Danach haben sich die Kosten für Energie nicht um 10, sondern um 43 Prozent verteuert, Speisefette und Speiseöle um 50 Prozent, Molkereiprodukte und Eier um 29 Prozent, Gemüse um 23 Prozent, Brot und Getreideerzeugnisse um 20 Prozent – und so weiter. Das sind aber die Waren, für die die Armen im Gegensatz zu den Reichen im Lande den größten Teil ihrer schmalen Einkünfte ausgeben. Für sie liegt die Inflationsrate also nicht bei 10 Prozent, sondern viel höher. Sie sollen nun weiter gleichzeitig frieren und hungern. Die Begründungen, die im Bundestag zur Ablehnung selbst dieser Mini-Reform angeführt wurden, trieften vor Heuchelei und Zynismus. Da wurden vom CDU-Sprecher Hermann Gröhe fiktive Hartz-IV-Empfänger mit „150.000 Euro Vermögen“ herangezogen, um gegen die schüchterne Lockerung bei der Heranziehung von Rücklagen zu wettern. Das ist plumpe Hetze gegenüber Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet haben und nun arbeitslos geworden sind. Vergeblich hatte im Vorfeld der Deutsche Gewerkschaftsbund die vor der Bundestagsdebatte seitens der CDU und CSU aufgeführten Rechenbeispiele auseinandergepflückt und ins Reich der Fabeln verwiesen. Praktisch keine Rolle hat bei der Debatte ein Plädoyer gespielt, das von den Personalräten der Jobcenter vorgetragen wurde. Sie sprachen sich für großzügige Übergangsregelungen zur Linderung der im Lande unter den Ärmsten grassierenden Not, aber gleichzeitig für eine Verschiebung der grundlegenden Umstellung von Hartz IV auf das Bürgergeld aus. „Schon jetzt“, ließ die Gewerkschaft ver.di am 12. November in ihren „ver.di news“ wissen, fehle „in den Jobcentern Personal“. Die Beschäftigten seien überlastet „nicht zuletzt, weil durch etwa eine halbe Million Geflüchteter aus der Ukraine das Antragsvolumen sprunghaft gestiegen sei. Die Personalräte fordern mehrere tausend Neueinstellungen – sonst drohe der Kollaps.“ Das unwürdige Schwarzer-Peter-Spiel, das den gegensätzlichen Abstimmungsergebnissen von Bundestag und Bundesrat nun folgt, wird also nicht nur auf dem Rücken der Empfänger der Grundsicherung, sondern auch auf dem Rücken derer ausgetragen, die das alles im Alltag umsetzen sollen.
    Quelle: unsere zeit

    dazu: Zur Debatte um das Bürgergeld: Widerwärtig
    Das Schauspiel um das Bürgergeld ist abstoßend wegen des schreienden Kontrastes zwischen der Freigiebigkeit, mit der die Herrschenden in diesem Land Milliarden über Milliarden für ihren Aufrüstungskurs ausgeben, und der sturen Geizhaltung, mit der dieselben Leute Menschen gegenübertreten, die aus Angst vor der nächsten Gasrechnung und Sorgen um Kleidung und Nahrungsmittel für ihre Kinder nicht in den Schlaf kommen. Abstoßend ist das Geschachere auch wegen der durchsichtigen Manöver, mit der die einen – vor allem CDU/CSU – die Erhöhung der Regelsätze abkoppeln wollen von der leisen Erweiterung von Grenzen für das Schonvermögen, und die anderen – die Regierungsparteien – sehenden Auges akzeptieren, dass beim Pokerspiel zwischen Bundestag und Bundesrat dann eben mitten im Winter noch nicht einmal die viel zu kleine Erhöhung der viel zu niedrigen Regelsätze zu erwarten ist. Wechselseitig werden so die Ärmsten in politische Geiselhaft genommen.
    Quelle: Manfred Sohn in unsere zeit

  7. Führungsnation im Krieg
    Die Bundeswehr soll sich auf Angriffe „ohne Vorwarnung“ und „mit großer, gegebenenfalls sogar existenzieller Schadenswirkung“ vorbereiten und dabei in Europa als „Führungsnation“ auftreten. Dies fordert laut einem Bericht der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, in einem Grundsatzpapier von Ende September. Demnach müsse nicht nur die „Fähigkeit zu sichtbarer und glaubwürdiger Abschreckung“ deutlich verstärkt werden, sondern auch die „Einsatzbereitschaft“ der Truppe sowie der „Einsatzwille“ der deutschen Soldaten. Auf eine schnelle Aufrüstung dringt auch Heeresinspekteur Alfons Mais, der im Februar erklärt hatte, die Bundeswehr stehe „mehr oder weniger blank da“; Mais zufolge kommt die Beschaffung von Kriegsgerät nicht rasch genug voran. Dabei hat der Haushaltsausschuss des Bundestags soeben erst den neuen Militäretat beschlossen und die Freigabe der ersten Summen aus dem 100-Milliarden-Euro-Militärprogramm vorbereitet, das Kanzler Olaf Scholz am 27. Februar angekündigt hat. Auch die EU stellt neue Gelder für kurzfristige Aufrüstungsmaßnahmen bereit. Die deutsche Rüstungsindustrie meldet erhebliche Umsatz- und Gewinnsprünge.
    Quelle: German Foreign Policy
  8. Die neue französische Sicherheitsstrategie: eine hybride Kriegserklärung.
    Das Bild der Welt, wie es in diesem Papier gezeichnet wird, ist düster. Auch wenn das für solche Arten von Dokumenten typisch und angesichts des Krieges in der Ukraine erwartbar sein mag, ist es in seiner französischen Variante besonders augenfällig. So wird einerseits in einer ökonomistischen Sprache ganz generell von einem strategischen Wettbewerb zwischen Blöcken und Staaten ausgegangen, der aber – so wird an verschiedenen Stellen formuliert – in eine offene Konfrontation übergegangen sei. Damit ist auf der einen Seite natürlich im herkömmlichen militärischen Sinne der Krieg in der Ukraine gemeint. Zugleich findet sich die Formulierung des Übergangs in eine Konfrontation jedoch auch im expliziten Hinblick auf die Sahel-Region und den Pazifik und mit Bezug auf China – wo ja bislang noch keine offenen militärischen Konfrontationen bestehen.
    Vermittelt wird dieser latente Kriegszustand über die vermeintliche hybride Kriegführung, die von China und Russland ausgehe und Frankreich, NATO und EU zu entsprechenden Gegenmaßnahmen zwinge. Zugleich wird in dem Dokument jedoch deutlich, dass diese Hybridität längst, aber nicht explizit, auch die französische Außenpolitik prägt. So wird bereits in Absatz elf ganz allgemein „Einfluss“ als „strategische Schlüsselfunktion“ definiert, die es ermöglichen soll „französische Interessen durchzusetzen und den Handlungen unserer Wettbewerber (compétiteurs) im gesamten Spektrum der Hybridität entgegenzuwirken“. Wohlgemerkt beziehen sich diese Äußerungen nicht auf die Landes- und Bündnisverteidigung, sondern auf (Groß-)Regionen wie Afrika, den Pazifik und explizit auch die Ukraine. Eine zentrale Rolle spielen für diesen globalen Machtanspruch, der in Verbindung mit dem proklamierten Übergang in eine offene Konfrontation eigentlich eine globale Kriegserklärung ist, außerdem die französischen Überseegebiete, die vielfach erwähnt werden. In Absatz 67 wird daraus nicht nur eine „Pflicht“ abgeleitet, in verschiedenen Weltregionen zu „Sicherheit und Stabilität“ beizutragen, sondern aus der „geografischen Lage einiger unserer Territorien in diesen Regionen“ eine Notwendigkeit und „besondere Legitimität“ begründet, „dort präsent und in allen Domänen aktiv zu sein“. Zugleich wird wie gesagt Russland vorgeworfen, einen „globalisierten hybriden Krieg“ ausgerufen zu haben, in dem es „externe Gebiete als Hebel“ nutze, um die eigenen Handlungsspielräume einzuschränken.
    Quelle: Informationsstelle Militarisierung e.V.
  9. Maximal aufgeblasen: Raketeneinschlag auf NATO-Territorium.
    Kein Zweifel: Wäre die Rakete, die am Dienstag nachmittag die ostpolnische Ortschaft Przewodow traf, zehn Kilometer weiter östlich in einer ukrainischen Getreideankaufstelle eingeschlagen und hätte dort zwei Landarbeiter getötet, kein Hahn hätte groß danach gekräht – war nicht beabsichtigt, ist aber halt passiert. Etwas, was man im NATO-Sprech einen Kollateralschaden nennt. Dass das auch im Westen so gesehen wird, zeigen die Kommentare von Politikern. Sie laufen einhellig darauf hinaus, es sei völlig egal, wessen Rakete da explodiert sei, schuld sei ohnehin Russland (so Kanzler Olaf Scholz). Dass Vorfälle wie dieser im Krieg geschehen, ist also unterstellt. Nun ist die Rakete aber in Polen eingeschlagen, also auf dem Territorium eines NATO-Landes, und deshalb wird dieser Vorfall maximal aufgeblasen. Die polnische Presse wärmt die bereits im Frühjahr von den USA zurückgewiesene Forderung nach der Einrichtung einer »Flugverbotszone« – die sie faktisch hätten durchsetzen müssen – zumindest über der Westukraine wieder auf, die baltischen Außenminister vertwitterten, während in Przewodow noch die Trümmer rauchten, tiefempfundene Solidaritätsadressen an die »polnischen Waffenbrüder«. Darin wiederholten sie alles, was sie ohnehin immer schon sagen wollten über das »terroristische Russland« und so weiter. (…) Das beschwört nun freilich die Frage herauf, ob es wirklich nur ein tragischer Zufall war, dass die Rakete ein Ziel in Polen traf – oder ob sie, wenn man schon annimmt, dass es eine ukrainische war, vielleicht gerade ein Ziel auf NATO-Territorium treffen sollte. Ein an sich völlig unbedeutendes Ziel mit nichts als dieser symbolischen Bedeutung. Um eine Debatte loszutreten, die die Ukraine sich wünscht, aber die NATO zu vermeiden sucht: über eine direkte Kriegsbeteiligung der westlichen Allianz. Mit Provokationen hat Kiew Erfahrung. Schließlich hat es die erste Sanktionswelle gegen Russland im Sommer 2014 damit losgetreten, dass es entgegen aller Risiken unterlassen hat, den Luftraum über dem Donbass für den zivilen Flugverkehr zu sperren, und 298 Menschen an Bord der Maschine mit der Flugnummer »MH17« für den politischen Zweck starben. Jetzt immerhin »nur« zwei.
    Quelle: junge Welt

    dazu: Die Rakete von Przewodów
    Nach dem Raketeneinschlag vom Dienstag im polnischen Przewodów gibt die NATO Entwarnung. Weder sei die Rakete, die zwei Menschen tötete, von den russischen Streitkräften abgefeuert worden, noch gebe es Anzeichen für eine russische Militäroffensive gegen ein Bündnismitglied, teilte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gestern mit. Am Dienstagabend hatten führende Politiker aus mehreren europäischen Staaten, darunter die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, ohne jeglichen Beleg Russland für den Beschuss verantwortlich gemacht und damit Befürchtungen ausgelöst, es könne zu einer direkten Konfrontation zwischen der NATO und Russland kommen. Ähnliches war bereits im März der Fall gewesen, als auch in Deutschland die Errichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine gefordert worden war – ein sicherer Weg in einen NATO-Krieg gegen Russland. Die Kriegspolitik liegt auf einer Linie mit der Forderung von Außenministerin Annalena Baerbock, Russland müsse in „eine strategische Niederlage“ getrieben werden. Eine klare Mehrheit der Bevölkerung hingegen spricht sich für Verhandlungen zur Beendigung des Krieges aus.
    Quelle: German Foreign Policy

    dazu auch: „Russische Raketen treffen Polen“ – Neuer Tiefpunkt von Politik und Medien in Deutschland
    Quelle: NachDenkSeiten

    und: How a lightly-sourced AP story almost set off World War III
    A deadly explosion in Poland kicked off hours of near-gleeful speculation about whether NATO would join the fight against Russia.
    Quelle: Responsible Statecraft

  10. Turkey to pursue targets in Syria, official says after Istanbul blast
    Turkey plans to pursue targets in northern Syria after it completes a cross-border operation against outlawed Kurdistan Workers Party (PKK) militants in Iraq, a senior official said on Tuesday, after a deadly weekend bomb in Istanbul.
    The government has blamed Kurdish militants for the blast on Istanbul’s Istiklal Avenue on Sunday that killed six people and injured more than 80.
    Threats posed by Kurdish militants or Islamic State on Turkey are unacceptable, the official told Reuters, adding that Ankara will clear threats along its southern border “one way or another.”
    Quelle: Reuters
  11. US-Medien: Goldene Zeit der Mittelklasse geht bald zu Ende
    Die Goldene Zeit der Mittelklasse in den USA wird bald zu Ende gehen. Dies geht aus einem Beitrag der US-Zeitschrift „The Fortune“ vom 3. November hervor.
    Ökonomen zufolge sei das durchschnittliche Eigentum der Mittelklasse, die 40 Prozent der US-Bevölkerung ausmache, von März bis Mitte Oktober um sieben Prozent zurückgegangen, so der Bericht weiter. Damit handle es sich um die größte Senkung seit der globalen Finanzkrise 2008. Dies sei auf wirtschaftliche Instabilität zurückzuführen: die Erhöhung des Zinssatzes, die Flaute auf dem Markt, das hohe Niveau der Inflation in den vergangenen Jahren, die allmähliche Abwertung des Geldes in den Banken. Immer weniger US-Amerikaner könnten ein Gleichgewicht von Einnahmen und Ausgaben erzielen.
    Einer weiteren Studie zufolge ist die reale Zahl der Mittelklasse in den USA geschrumpft. Gemäß einer Analyse des Pew Research Center wurden 61 Prozent der US-Erwachsenen im Jahr 1971 als Mittelklasse betrachtet. Bis 2021 sei dieser Anteil bereits auf 50 Prozent gesunken. Aufgrund der ökonomischen Rezession sei ihr neu erworbenes Eigentum allmählich annektiert worden, was die Mittelklasse stark beunruhige.
    Quelle: CRI online
  12. Rechtsstaat und Grundrechte in der Corona-Krise
    Dieser Vortrag wurde auf dem Symposium „Corona, der Rechtsstaat und die demokratische Gesellschaft“ des Netzwerks Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA) am 17.9.2022 in Halle (Saale) gehalten und ist ebenfalls auf FreiDok, dem Publikationsserver der Albert-​Ludwigs-Universität Freiburg, veröffentlicht. (…)
    Nie zuvor gab es im Deutschland der Nachkriegszeit so flächendeckende, einschneidende und langdauernde Freiheitseinschränkungen wie diejenigen, die Bund und Länder zum Schutz vor COVID-19 angeordnet haben. Seit März 2020 bis ins Frühjahr 2022 haben wir diverse Lockdowns und weitere Freiheitseinschränkungen erlebt, die – wie die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und die einrichtungsbezogene Impfpflicht – zum Teil heute noch gelten. Besonders gravierend waren die harten Lockdown-Maßnahmen wie Schließung von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen, Schließung von Einzelhandelsgeschäften, Gastronomiebetrieben, Kultureinrichtungen, Verbote von Sport- und Kulturveranstaltungen usw., zeitweise auch von Versammlungen und sogar von Gottesdiensten, das alles verbunden mit weiteren Kontaktbeschränkungen in der Öffentlichkeit und im privaten Bereich. Alte Menschen mussten in Kliniken alleine sterben, Kinder durften die Gesichter ihrer Lehrer und Mitschüler nicht sehen.
    Das sind nur Stichworte zur Erinnerung. Die Coronapolitik hatte Deutschland in einen Ausnahmezustand versetzt, in dem ein normales Leben, wie wir es zuvor gewohnt waren, nicht mehr möglich war.
    Einen Ausnahmezustand hatte die Coronapolitik auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht geschaffen. Denn die grundlegenden rechtsstaatlichen Regeln, die im Normalzustand unser Verfassungsleben bestimmen, wurden in ihr Gegenteil umgestülpt.
    Quelle: Dietrich Murswiek in KRiStA – Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte n.e.V..
  13. Privilegien für Journalisten: Bundestags-Gutachten zweifelt an Neutralität des Verfassungsgerichts
    Die höchsten Richter in Karlsruhe verschaffen einem Karlsruher Presseklub vorzeitig Zugang zu ihren Urteilen. Die Praxis könnte gegen das Grundgesetz verstoßen. (…)
    Kann die staatliche Informationstätigkeit einem privaten Verein überlassen werden?
    Das Gutachten mit dem Titel „Pressetätigkeit des Bundesverfassungsgerichts und Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb“ kritisiert die Praxis scharf: Pressemitteilungen nur einem exklusiven Kreis an Journalisten zur Verfügung zu stellen, sei demnach für die benachteiligten Journalisten „besonders schwerwiegend“, heißt es darin. Das Kriterium der „Professionalität“, mit dem das Gericht die Bevorzugung rechtfertige, sei „sehr vage und unbestimmt“. Es sei auch zweifelhaft, ob es einem privaten Verein überlassen werden könne, den Kreis der Empfänger der gerichtlichen Vorab-Infos festzulegen. Dieses Vorgehen könne nur eine „eingeschränkte Gewähr“ dafür bieten, „dass ein nicht meinungsneutraler Zugang zu den Vorabinformationen ausgeschlossen ist“. (…)
    Mit dem Gutachten kommt die erst 2020 öffentlich bekannt gewordene Praxis stärker unter Druck. Zwar hat das Karlsruher Verwaltungsgericht eine Klage der AfD in erster Instanz zurückgewiesen, dies jedoch vorwiegend aus formalen Gründen. Die AfD kritisiert einen Verstoß gegen ihr Recht auf ein faires Verfahren als Prozessbeteiligte. In Justizkreisen gibt es wenig Verständnis für das Handeln in Karlsruhe. Würden Richterinnen und Richter an anderen Gerichten ihre Urteile vorab bekannt geben, wären Disziplinarverfahren die Folge, heißt es. (…)
    Erst kürzlich wurde zudem bekannt, dass das Gericht mit seiner Medienarbeit offenbar jahrelang gegen die eigene Geschäftsordnung (BVerfGGO) verstoßen hatte. Dort hieß es früher, Presseverlautbarungen über Urteile dürften erst dann „hinausgegeben“ werden, wenn „anzunehmen ist, dass die Entscheidung den Prozessbeteiligten zugegangen ist“. Das „Hinausgeben“ an die JPK-Mitglieder fand aber immer schon statt, bevor Kläger und Beklagte von den Urteilen erfuhren. Vor rund zehn Jahren ist die Regelung dann angepasst worden.
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung Christian Reimann: Bitte lesen Sie dazu auch bzw. erneut:

    1. Unternehmer von Haftung befreien, die Politik retten? Werner Rügemer zum künftigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes.
    2. Unternehmens-Lobbyist als Hüter des Grundgesetzes?
    3. Verfassungsgericht: Rückenwind für autoritäre Politik.


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=90497