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Titel: Die Felle sind verteilt, doch der Bär lebt noch und geht seinen Weg weiter
Datum: 10. Oktober 2005 um 12:15 Uhr
Rubrik: Wahlen
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Bundeskanzler Schröder hat mit seinem Kurswechsel hin zum Niedrigsteuerland für Unternehmen und Kapitaleinkommen, zur Ausblutung der Staatseinnahmen bis an die Grenze der staatlichen Handlungsfähigkeit, mit seinem Einstieg in die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme, mit dem „Fordern“ der Arbeitslosen oder dem Druck auf Niedriglöhne einer konservativen Politik das Bett gemacht. Nach nur zwei Tagen anbandeln haben sich nun SPD und CDU ins gemachte Bett gelegt. Es war zwar schon immer nur eine schöne Redensart, dass Sachfragen vor der Aufteilung von Ressorts und vor der Verteilung von Posten stehen, dass es aber so offenkundig zunächst nur um die Verteilung der Felle geht, das hat man in der Geschichte der Regierungsbildungen in Deutschland noch selten erlebt.
Schröder hat seine wohl schon seit längerer Zeit angestrebte „Lebensplanung“ erfüllt: Er hat „seinen“ Agenda-Kurs mit einer Großen Koalition stabilisiert. Er wird vom Meinungsmainstream und in den Geschichtsbüchern dafür gelobt werden. Er hat es geschafft, dass die SPD, obwohl sie zwischenzeitlich in sechs Ländern und nun auch im Bund die Regierungsführung verloren hat, ihm zu Füßen liegt und er kann erhobenen Hauptes das Amt des Bundeskanzlers abgeben, auf das er ohnehin keine Lust mehr hatte. Er kann nun – wie Clement das für sich formulierte – „ausgiebig von seinen Freiheitsrechten Gebrauch machen“.
Die vier inhaltlichen Allgemeinplätze, die in den groß inszenierten Acht-Augen-Gesprächen „als Grundstein“ für die Große Koalition herausgekommen sind, taugen eher als Beruhigungspillen für die jeweiligen Gefolgschaften, die bittere Medizin einer „Agenda-Plus“ – jedenfalls für die, die an die sozialen Töne SPD geglaubt haben – wird folgen. Die Führungsgremien der Parteien geben sich – wie das halt unter Führungspersonal üblich ist – mit der Verteilung der Ressorts und damit der künftigen Postenaufteilung zufrieden. Acht zu Acht bei den Ministerposten, das ist doch was. Was stört da schon, dass bei den Sondierungsgesprächen über die wirklich wichtigen Fragen kein Wort verloren wurde.
Noch ein bisschen Wundenlecken in der SPD, dass nun doch Angelika Merkel Kanzlerin wird, das war alles. Erstaunlich, wie schnell sich Schröder und die SPD von dem hohen Baum, auf den sie geklettert waren, wieder abgeseilt haben. Schon alles vergessen, wofür Angela Merkel gestanden hat, von der Kopfpauschale, über den Bierdeckel oder die Entmachtung der Gewerkschaften. Sie wird Kanzlerin, denn „sie ist Vorsitzende der CDU“, sagt jetzt Franz Müntefering, das reicht ab heute als ausreichende Qualifikation für das Amt.
Eine „Koalition der neuen Möglichkeiten“ soll es werden, verkündete Angela Merkel mit Honigkuchen-Lächeln. „Erneuerung, soziale Gerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit“ fügt Müntefering an. Schon werden die sog. „Schnittmengen“ der Parteiprogramme ausgemacht und, wie am Vorabend bei Sabine Christiansen Wolfgang Schäuble, Erwin Huber und Ulla Schmidt miteinander turtelten, gibt es davon eine ganze Menge. „Es gibt Stöckchen, aber keine Tabus“ sagt Müntefering. Man braucht Mathematik nicht mittels der Mengenlehre vermittelt bekommen haben, um die Schnittmengen zwischen der „konsequenten Fortsetzung“ der Agenda der Sozialdemokraten und der „Agenda im Quadrat“ der Union ausrechnen zu können. Herauskommen wird eine „Agenda Plus“. Da mag Müntefering noch so sehr von über sozialen Zusammenhalt fabulieren. Die Agenda Schröders war schon sozial unausgewogen und die Agenda Plus einer großen Koalition wird sozial noch unausgewogener sein. Was diese politische Schnittmenge noch mit dem Wählerwillen zu tun hat, bleibt außen vor. Als Wählerwille gilt für Merkel und Müntefering ab heute die Große Koalition; die doch vor der Wahl angeblich keiner wollte, schon gar nicht die Wählerinnen und Wähler die der Sozialrhetorik der SPD vor der Wahl auf den Leim gegangen sind und die in ihrer Mehrheit links von Schwarz-Gelb gestimmt haben.
„Es gibt keine Alternative zum Reformkurs in Deutschland“ sagte Angela Merkel. Es wird also weitergehen mit Unternehmenssteuersenkungen, mit weiteren Schritten zum Sozialabbau und zu Lohnkürzungen, denn diese Koalition „wird alles tun, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft verbessert“. Als ob das unser Problem wäre.
Haben wir einen einzigen Hinweis dazu gehört, wie die Binnennachfrage gesteigert, wie die Konjunktur angekurbelt werden könnte? Das sind doch die eigentlichen Probleme.
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