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Titel: Linker Wahlkampf – rechte Politik. Und die Linken in der SPD merken es nicht.

Datum: 10. Oktober 2005 um 12:14 Uhr
Rubrik: SPD, Wahlen, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Gestern stand in verschiedenen Medien, der rechte Seeheimer Kreis und die Parlamentarische Linke in der SPD Fraktion hätten eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der die SPD-Verhandlungsführer aufgefordert werden, für einen Kanzler Schröder „hart zu bleiben.“ Die Parlamentarische Linke lässt sich an der Nase herumführen. Schröder hat die SPD programmatisch ausgehöhlt und sie neoliberal auf dem Kopf gestellt, er hat die Mehrheit für Rot-Grün verspielt und er hat viele fähige Köpfe mit einem kritischen Potential „weggebissen“. Die Linke in der SPD nimmt das hin und nimmt offenbar nicht einmal wahr, dass von den linken Tönen des Wahlkampfes in den Koalitionsverhandlungen – soweit erkennbar – weder personell noch sachlich etwas übrig geblieben ist. Angesichts des gängigen und erfolgreichen Brainwashing ist es angebracht, an den Gesamtvorgang zu erinnern.

Schröder hat mit seiner neoliberal geprägten Agenda-Reform-Politik Zehntausende von engagierten Mitgliedern aus der SPD getrieben, er ist mit-verantwortlich für die Abwahl von sechs SPD-Ministerpräsidenten und für reihenweise verlorene Kommunal- und Landtagswahlen, für den Niedergang der Zustimmung vieler politisch interessierter Mitbürgerinnen und Mitbürger zur SPD und für das Entstehen einer neuen, die Mehrheitsfähigkeit der SPD bedrohenden Partei. Schon das allein wären Gründe genug, Schröder und auch Müntefering in Frage zu stellen.

Hinzu kommt der Vorgang „Neuwahlen“. Bei Lichte betrachtet ein unglaublicher Vorgang: Im Laufe des Frühjahrs und des beginnenden Sommers 2005 wird immer klarer, dass Schröders Reformpolitik weder den wirtschaftlichen Aufschwung noch sonstige versprochene Ergebnisse wie etwa die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme bringt. Es erscheinen selbst in Medien, die bis dahin für so genannte Reformen eintraten, vernichtende Bilanzen dieser Reformpolitik. (In den NachDenkSeiten haben wir mehrmals daraufhingewiesen.) Die neoliberale Ideologie müsste eigentlich Bankrott anmelden. So sehen es auch die Wähler, die der SPD in Nordrhein-Westfalen eine weitere dramatische Niederlage bescherten. In dieser Situation schlägt Schröder Neuwahlen vor und schafft es, das Scheitern seiner „Reformpolitik“ vergessen zu machen; jetzt sollten angeblich die Wähler die Fortsetzung der „Reformpolitik“ bestätigen. Das ist ein Musterbeispiel einer durch Ablenkungsmanöver gelungenen Gehirnwäsche.

Für jeden Wahlbeobachter, der bisherige Wählerbewegungen einigermaßen einzuschätzen vermag, war von vornherein klar, dass Rot-Grün die von Schröder gewollten Neuwahlen nie und nimmer gewinnen kann. Das kann auch Schröder nicht anders gesehen haben. Denn gerade wenn stimmen würde, was er und seine Anhänger angesichts des Scheiterns der Reformen behauptet haben, nämlich dass sie Zeit bräuchten bzw. man müsse nur noch ein bisschen auf die positive Wirkung der Reformen warten, ist die Entscheidung für Neuwahlen absolut unverständlich. Es hätte der inneren Logik der Behauptungen dieser „Reformer“ entsprochen, das verbliebene Jahr der Legislaturperiode noch abzuwarten.
Warum hat Schröder die Legislaturperiode abgebrochen? Logisch war dies nach seinen und den Äußerungen seiner Mitkämpfer nicht.
Deshalb habe ich von vornherein vermutet, dass es ihm nur darum ging, seine Reformpolitik nicht einer kritischen Bestandsaufnahme auszusetzen und ihre verschärfte Fortsetzung in einer breiteren (großen) Koalition abzusichern. Dafür sprechen auch die ersten Einlassungen von Müntefering bei der Neuwahlentscheidung vom 22. Mai. Damals wurde die Blockade durch die Bundesratsmehrheit beklagt und als Argument für Neuwahlen angeführt. Und schon damals gab es einzelne Stimmen, die fragten, wie denn durch einen Wahlsieg von Rot-Grün die von der Union bestimmte Bundesratsmehrheit überwunden werden soll. Schröder wollte also – davon bin ich überzeugt – von vornherein die Große Koalition, allenfalls noch eine Ampelkoalition mit den Liberalen.

Er hat dann einen Wahlkampf mit linken Tönen und Akzenten geführt und damit die SPD aus dem Stimmungstief mit Werten von 24% bis 26% herausgeführt. Mit diesem „nach links blinkenden“ Wahlkampf ist es gelungen, vor allem das eigene Potenzial wieder ein Stück weit zu binden, sie aus der Wahlenthaltung herauszuholen und die Linkspartei von den anvisierten 12% auf 8,7% zu reduzieren.

Gewonnen hat Schröder damit die Wahl nicht, die SPD hat über 4% verloren und eines ihrer schlechtesten Ergebnisse erzielt, Rot-Grün ist nicht mehr regierungsfähig, die SPD ist nicht mehr die stärkste Fraktion – eigentlich ein totaler Misserfolg für Schröder und Müntefering, der unter normalen Umständen und bei einem einigermaßen wachen Personal im Parteivorstand der SPD und in der Bundestagsfraktion dazu hätte führen müssen, Schröder davon zu schicken.

Das Gegenteil trat ein. Die Tricks, mit denen Schröder und Müntefering dies erreicht haben, sind eigentlich leicht zu durchschauen: Erstens haben die Beiden den Zuwachs im Vergleich zu Umfragen (!) zu einem Wahlsieg hochstilisiert. Zweitens haben sie mit ihrer Medien-Schelte den Eindruck vermittelt, es habe nicht an ihnen gelegen, wenn der Sieg nicht ganz geklappt hat. Und drittens hat Schröder seine provokanten Ansprüche in der Elefantenrunde des Wahlabends (und vorher bei seinem Jubel-Auftritt bei den SPD-Wahlhelfern) auch deshalb inszeniert, um sich zumindest bei der eigenen Gefolgschaft als Sieger darzustellen. Das ist ihm trotz oder gerade wegen seines krawalligen Auftretens gelungen. Er hat damit bei den Funktionären und dem Führungspersonal der SPD das Siegerimage festgezurrt – ja noch mehr, den Eindruck vermittelt, als liege ihm die Partei geradezu zu Füßen, und das obwohl er gerade grandios eine Wahl verloren hat.
Dieser Vorgang ist zum einen aus professioneller Sicht bewundernswert, zum andern ein Symbol für den Niedergang demokratischer Willensbildung und für die reale Möglichkeit von Brain-washing.

Die Gehirnwäsche bei der Parlamentarischen Linken ist offenbar von so nachhaltiger Wirkung, dass sie ihre frühere Ablehnung einer Großen Koalition offenbar schlicht vergessen hat und darüber hinaus schon gar nicht mehr merkt, wie sehr sie bei den Koalitionssondierungen kaltgestellt worden ist. In das Sondierungsteam wurde Wolfgang Clement aufgenommen. Er ist einer der Hauptmatadoren der neoliberal geprägten Reformen; er hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er inhaltlich mit den sozialen Tönen des Wahlkampfes nichts am Hut hat und konsequenterweise macht er in der Praxis der Hartz-Reformen weiter wie bisher, im Gegenteil er verschärft sie noch (siehe seine Aktionen gegen angeblichen Hartz-Missbrauch). Ansonsten führen neben Schröder und Müntefering die bundesweit bekannten „Linken” Schily, Steinbrück und eben Clement das große Wort. Ist ein einziger Vertreter der parlamentarischen Linken auch nur vorher zu irgendetwas gefragt worden?

Und inhaltlich? Ich habe aufmerksam nachgelesen, was an Nachrichten über die Sondierungsgespräche nach außen dringt. Von so genannten linken Projekten ist kaum etwas zu hören, geschweige denn von einem nun wirklich notwendigen Programm zur Belebung von Binnennachfrage und Konjunktur. Es ist zu befürchten, dass die gemeinsame Programmatik einer großen Koalition in der Sache dem weiteren Vorantreiben der „Reformen“ dient und die sozialen Akzente mal wieder übertüncht werden. Es wird einvernehmlich weitergehen mit der Privatvorsorge bei der Rente, mit der Steuersenkung für die großen Unternehmen und möglicherweise mit einer Mehrwertsteuererhöhung. Vermutlich wird sich die SPD am Ende brüsten, die Tarifautonomie erhalten und Merkels Kopfpauschale verhindert zu haben. Dabei gäbe es so viele lohnenswerte und echte sozialdemokratische Projekte. (Siehe auch meinen Beitrag für die Zeitschrift „Die Pfalz“ in der Rubrik Veröffentlichungen der Herausgeber.)

Fazit für unsere Nutzer: Soweit Sie Kontakt zu SPD-Abgeordneten, vielleicht sogar zu Mitgliedern der Parlamentarischen Linken, haben, sollten Sie diesen zu erkennen geben, wie verschlafen und manipulierbar sie sind.


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