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Titel: Medienmanipulation auf amerikanisch. Al Gore sieht im Niedergang der Medien und des öffentlichen Diskurses eine Bedrohung für die Demokratie

Datum: 9. Oktober 2005 um 12:10 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Medien und Medienanalyse, USA
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Es sei etwas grundsätzlich und schrecklich schief gelaufen, auf dem Weg, wie der einstmals gerühmte „Marktplatz der Ideen“ heutzutage in Amerika funktioniere. Das sagte Albert Arnold Gore Jr. in einer Rede am 5. Oktober 2005, die von Associated Press verbreitet wurde.
Es ist hoch interessant, wie offen in den USA Medienkritik geübt werden kann, ohne dass das Medienimperium zurückschlägt. Oder ist schon eine Situation eingetreten, wo die Macht der Medien in Amerika inzwischen so groß ist, dass die Kritik daran einfach abprallt.

Al Gore war während der Präsidentschaft Clintons dessen Vizepräsident und unterlag als Präsidentschaftskandidat der „Demokraten“ im Jahre 2000 dem „Republikaner“ George W. Bush.

Die große von den amerikanischen Gründervätern begründete Tradition der „Herrschaft der Vernunft“ auf der Grundlage der „Herrschaft des Rechts“ sei in Amerika verloren gegangen. Der Niedergang der „öffentlichen Sphäre“ bzw. des „öffentlichen Forums“ sei ursächlich für den Verlust eines kollektiven vernünftigen Abwägens von Alternativen, welche die Nation gemeinsam zu diskutieren und zu entscheiden habe, um einen gemeinsam getragenen Konsens, „a general agreement“ zu finden.
Als ein Beispiel für den Verlust an Rationalität in der Gesellschaft nennt Gore die Tatsache, dass dreiviertel der Amerikaner der Meinung waren, dass Saddam Hussein für den Angriff vom 11. September 2001 auf die Twin-Towers in New York verantwortlich war und dass sogar noch vier Jahre später ein Drittel bis zur Hälfte der Amerikaner das immer noch glaubten.

Die gegenwärtige Regierung tue alles nur erdenkliche, bis hin zum Kauf von Journalisten um die großen Nachrichtenvermittler von PBS zu CBS bis Newsweek auf sich einzuschwören und Kritiker auszuschalten. Unter anderen vor allem auch aus diesen Gründen sei die US-Presse in einer vergleichenden internationalen Studie über die Pressefreiheit nur auf Platz 27 gelandet.

Statt des freien und ungehinderten Zugangs der Bürger zum nationalen Diskurs in früheren Zeiten über das gedruckte Wort, entmündige das Fernsehen heutzutage die Bevölkerung. Das Zeitalter des gedruckten Wortes sei jedoch unumkehrbar im Niedergang. Die Republik der Bücher und Zeitungen sei durch das Fernsehen unterwandert und besetzt worden. Heute gelte:„If it’s not on television, it doesn’t exist.” Das Fernsehen dominiere den Informationsaustausch im modernen Amerika. Die Amerikaner schauten derzeit durchschnittlich 4 Stunden und 28 Minuten in die Glotze, die Jugendlichen eher noch mehr. Das sei mehr als dreiviertel der frei verfügbaren Zeit der Menschen.

Die Fernsehketten seien dem einzelnen Bürger nicht nur verschlossen, sondern an seinen Ideen und Vorstellungen auch gänzlich uninteressiert. Rundfunk und Satellitenfernsehen seien von ganz wenigen beherrscht und es gebe keine Vielfalt und keinen Austausch der Meinungen im Fernsehen mehr. Gore zitiert den deutschen Sozialphilosophen Jürgen Habermas, der diese Entwicklung eine „Refeudalisierung der Öffentlichkeit“ genannt habe.

Der professionelle Journalismus habe sich in ein “News Business”, d.h. zu einer Medienindustrie verwandelt, die von wenigen Großunternehmen beherrscht werde.
Die Nachrichtenredaktionen, die früher dem öffentlichen Interesse dienten, würden inzwischen als Profit-Centers betrachtet, die der Gewinnerzielung dienten. Die Informationsredaktionen hätten weniger Reporter, weniger Stoff und Geschichten, kleinere Budgets, weniger Reisemöglichkeiten, weniger Büros, weniger unabhängige Entscheidungs- und Beurteilungsmöglichkeiten und stünden in weitgehender Abhängigkeit vom Management und von regierungsamtlichen Quellen. Und das obwohl die heutige Journalistengeneration die am besten ausgebildete und fähigste sei. Aber es sei ihnen nicht erlaubt, ihren Job so zu machen, wie sie ihn gelernt habe. Die journalistische Profession verkomme zur Skandalisierung, zu Selbstinszenierung, zur fiktionalen Darstellung, zur Boulevardisierung von Mainstream-Nachrichten. Kurz: Im Fernsehen gebe es keinen Austausch der Ideen mehr. Die Leitlinie der meisten lokalen Fernsehnachrichten sei, “if it bleeds, it leads“ und manche ergänzten sogar, “If it thinks, it stinks.”

Der Hauptzweck der Nachrichtensendungen sei nicht mehr, die amerikanische Bevölkerung zu informieren oder dem öffentlichen Interesse zu dienen, sondern dass die Augen der Zuschauer auf der Mattscheibe kleben bleiben, um die Einschaltquote zu erhöhen, und das allein deswegen, um Werbung zu verkaufen.
Wichtige Themen, wie Klimakrise, die katastrophale Haushaltslage, die Aushöhlung der industriellen Basis der USA und viele andere ernsthafte Probleme kämen im Fernsehen nicht vor.

Die Unterwerfung der Nachrichten unter die Unterhaltung gefährde die Demokratie: Dies führe zu einem fehlgeleiteten Journalismus, der sich an dem Ziel, die Menschen zu informieren, versündige. Und wenn die Menschen nicht mehr informiert seinen, könnten sie auch die Regierung nicht mehr zu Verantwortung ziehen, etwa wenn sie unfähig, korrupt oder gar beides sei. Al Gore ist der Meinung – die nach seiner Ansicht viele mit ihm teilen – dass Amerikas Demokratie in Gefahr sei.

Einer der wenigen verbliebenen Lücken, die für die Verbreitung von politischen Themen im Fernsehen noch übrig geblieben seien, das seien kommerzielle 30-Sekunden-Wahlwerbespots. Diese kurzen Werbeeinblendungen seien inzwischen zur wichtigsten Form der Kommunikation zwischen den Politikern und ihren Wählern geworden. Das Ergebnis sei, dass die gewählten Politiker inzwischen die meiste Zeit damit zubringen, dass sie Spenden von Interessengruppen für solche Werbesendungen für die nächste Wahlkampagne einsammelten. Das sei im übrigen auch der Grund, warum die Wahlkomitees inzwischen vor allem solche Kandidaten suchten, die Multi-Millionäre seien und die sich solche mediale Unterstützung aus ihrem eigenen Vermögen bezahlen könnten. Das sei auch eine der Ursachen, warum sich der Kongress mehr und mehr mit Reichen auffülle.
(Anmerkung AM: Über den Wettbewerbsvorteil der Reichen und der von Reichen finanzierten Kandidaten klagte der unabhängige Gegenkandidat von Reagan schon nach der Präsidentschaftswahl von 1980 in einem Gespräch mit deutschem Journalisten und Begleitern des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt in Washington. Die damalige Kampagne war von privat finanzierten Fernsehspots Reagans förmlich zugedeckt worden.)

Um dieser „Bedrohung der Demokratie“ Einhalt zu gebieten, sollten beide amerikanischen Parteien darauf drängen, der Herrschaft der Vernunft wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. Man müsse z.B. einerseits aufhören solide wissenschaftliche Erkenntnisse zu ignorieren und andererseits die Wissenschaft für politische Zwecke zu missbrauchen. Man müsse darauf bestehen, dass ein Ende gemacht werde mit dem zynischen Missbrauch von Pseudostudien, die wissend, dass sie falsch sind, nur dem Zweck dienten, die Fähigkeit der Öffentlichkeit zu unterdrücken, die Wahrheit zu erkennen.

Seine Hoffnung für ein Wiedererstarken der „Herrschaft der Vernunft“ setzt Al Gore auf das Internet, sofern es nicht gleichfalls wieder nur zur Übertragung von kommerziellen Videos oder zur zeitlichen Anpassung des Fernsehkonsums an individuellen Fernsehgewohnheiten missbraucht werde.
Um dieser Fehlentwicklung zu begegnen, sei es das wichtigste, dass das Internet als „Medium einer demokratischen Zukunft“ sich zu einem Katalysator für einen offenen und freien Markt der Ideen entwickle, den die Gründerväter der USA als grundlegend für die Aufrechterhaltung der Freiheit erkannt hätten.

Vielleicht sollten wir Al Gore die Mitherausgeberschaft bei den NachDenkSeiten anbieten.

Quelle: TPM CAFE

Nachtrag AM:
Im Zusammenhang mit diesem interessanten Thema weise ich noch auf zwei andere Medienereignisse hin:

1. Auf ein interessantes Buch: Robert W. McChesney, Rich Media Poor Democray, Communication Politics in dubious Times, 1999

2. Auf eine einschlägige Sendung im Deutschlandfunk von vor gut zwei Jahren, die ein Stück weit auch auf dem erwähnten Buch und Gesprächen mit dem Autor aufbaut. Hier die Angaben und der Link:

01.04.2003 · 00:00 Uhr
Reiche Medien – Arme Demokratie
Eine Reise in die US-amerikanische Medienwelt
Elise Fried und Peter Kreysler

Nach den Ereignissen des 11. September und der folgenden Woge patriotischer Berichterstattung anstelle sachlicher Aufklärung fragen sich auch in den USA viele, wie es zu dem rapiden Qualitäts-Verfall bei den heimischen Medien kommen konnte.

Quelle: museum in progress


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