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Titel: Die Russen sind „Unrat“: Pamphlet erhält den „Friedenspreis“ des Buchhandels
Datum: 24. Oktober 2022 um 11:04 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Kultur und Kulturpolitik, Wertedebatte
Verantwortlich: Tobias Riegel
Kulturpropaganda: Extremisten sind die Guten, wenn sie auf „unserer“ Seite stehen. Die Preisverleihung am Sonntag fungierte als ein Lagerfeuer jener westlichen Akteure, die den Krieg durch Waffenlieferungen und das Ablehnen von Verhandlungen möglichst in die Länge ziehen wollen. Dieser Opportunismus gegenüber der offiziellen Deutung des Ukrainekriegs wird dem „widerständigen“ Ruf der Kulturszene einen weiteren Schlag versetzen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Am Sonntag wurde der ukrainische Autor Serhij Zhadan in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet: „für sein herausragendes Werk sowie seine humanitäre Haltung, mit der er sich den Menschen im Krieg zuwendet und ihnen unter Einsatz seines Lebens hilft“, so der Börsenverein des Deutschen Buchhandels in der Begründung.
„Unrat, der aus dem Osten über uns hergefallen ist“
Was schreibt der Preisträger, dass er sich für einen Friedenspreis qualifiziert? Laut einem Kommentar der „Zeit“ bezeichnet Zhadan in seinem soeben im Suhrkamp Verlag erschienenen Buch „Himmel über Charkiw“ die Russen als „Horde“, „Verbrecher“, „Tiere“, „Unrat“. Er schreibt: „Die Russen sind Barbaren, sie sind gekommen, um unsere Geschichte, unsere Kultur, unsere Bildung zu vernichten.“ Er schreibt: „Brennt in der Hölle, ihr Schweine.“ Die „Junge Welt“ ordnet Zhadans Werk folgendermaßen ein:
„In seinem frisch erschienenen Band ‚Himmel über Charkiw. Nachrichten vom Überleben im Krieg’ betrachtet er die Invasoren als ‚Barbaren‘ und ‚Unrat, der aus dem Osten über uns hergefallen ist‘; er wünscht ihnen den Tod. Der Krieg habe das ‚wahre Wesen‘ der Russen offenbart, auch die russische Kultur als Stützpfeiler der ‚russischen Welt‘ sei verantwortlich, verkündete er auf seinem Facebook-Kanal. ‚Ist Puschkin daran schuld, dass Kriegsverbrecher in Russland geboren werden? Ja, er ist schuldig. Natürlich ist er schuldig. Sie sind alle schuldig.’“
Ein solches Pamphlet in der gegenwärtigen Zeit prominent auszuzeichnen, finde ich skandalös. Es ist das Gegenteil von der angeblich auszuzeichnenden „humanitären Haltung“.
Zhadan würde ich bei dem befremdlichen Vorgang noch eher in Schutz nehmen, als die Akteure, die ihn nun ausgezeichnet haben: Vielleicht kann der Schriftsteller nur bedingt etwas dafür, dass er zum Maskottchen der westlichen Kulturpropaganda auserkoren wurde? Auch mit seiner sprachlichen Verrohung möchte ich nicht zu hart ins Gericht gehen – als direkt mit einer Kriegspartei verbundener Künstler, unter dem subjektiven Eindruck der Erlebnisse an der Front und unter Einfluss der harten ukrainischen Propaganda kann er sich gegen eine solche Verrohung vielleicht nicht mehr wehren. Es ist aber etwas völlig anderes, ob man sprachliche Entgleisungen wegen schlimmer Erlebnisse des Autors gerade noch nachvollziehen kann – oder ob man diese teils rassistischen Entgleisungen dann auf einer großen Bühne auszeichnet.
Mit dieser Auszeichnung und mit der größtenteils verniedlichenden Berichterstattung machen sich die Juroren und die jeweiligen Journalisten die Tiraden von Zhadan zu eigen. Man kann den Börsenverein nicht mit „der Literaturszene“ gleichsetzen, aber es ist bisher auch kein angemessener Einspruch aus der Literaturszene gegen die Verleihung zu vernehmen.
Symbol gegen die Verständigung
Dieser Preis ist ein hartes Symbol gegen die für eine friedliche Entwicklung Europas unverzichtbare Verständigung mit Russland – schließlich stellen sich die Verantwortlichen und die lobenden Kommentatoren hinter die Aussage, dass „die Russen“ als „Barbaren“ und „Unrat“ zu bezeichnen sind: Was wird das wohl bei vielen russischen Bürgern auslösen gegenüber Deutschland und seinen Dichtern und Denkern? Die Auszeichnung ist außerdem ein deutliches Zeichen der Unterwerfung der Jury unter die sehr dominante und falsche offizielle Deutung des Ukrainekonfliktes durch Politik und viele Medien unter Leugnung einer langen Vorgeschichte.
In vielen Medienkommentaren zur Preisverleihung werden die rassistischen Tendenzen von Zhadans Text nicht angemessen thematisiert. Da ist also der eingangs zitierte „Zeit“-Artikel noch als positive Ausnahme zu bezeichnen – allerdings nur im Einstieg, wo treffende Fragen (leider nur rhetorisch) gestellt werden, etwa diese:
„Ist es nicht einfach nur fatal, in diesen grauenvollen, hasserfüllten Zeiten den Hass mit literarischen Mitteln noch zu verstärken?“
Ja, selbstverständlich ist es das. Doch diese Verstärkung des Hasses sei dann eben doch durch Zhadans schlimme Kriegserlebnisse begründet und darum indirekt preiswürdig, so die „Zeit“:
„Es ist passiert, dass er Kinder im Luftschutzkeller sah und sah, wie das die Kinder verändert. Es ist passiert, dass er einen gefallenen Freund nicht richtig beerdigen konnte, weil dessen Kopf nicht zu finden war. Es ist passiert, dass er über eine Kreuzung ging, und zehn Minuten später wurde diese Kreuzung beschossen. Der Krieg ist passiert. (…) Es ist der richtige Ort, diesen Preisträger zu ehren. Es ist auch der richtige Preis.“
Wie gesagt: Die rassistischen Ausfälle des Autors finde ich unter dem Eindruck eines Bombenhagels zwar nicht akzeptabel, aber gerade noch erklärbar – aber auch nur dann. Wer solche Ausfälle allerdings aus der Distanz auch noch lobt und auszeichnet, handelt eindeutig gegen den Frieden.
Der Mythos von der mutigen Kulturszene
Aus der Wahl des Preisträgers und aus der ganzen Inszenierung des Vorgangs spricht viel Opportunismus der Beteiligten. Das ist ein weiterer Schlag gegen den Mythos einer mutigen Kulturszene, die es mit den Mächtigen im eigenen Land aufnimmt. Dieser „engagierte“ Ruf vieler Künstler hat bereits während der Corona-Politik starken Schaden genommen, als von vielen Kulturschaffenden kein Einspruch gegen die Verhetzung und den Ausschluss von Andersdenkenden zu hören war.
Andererseits gab und und gibt es viele Ausnahmen in der Kulturszene – und diese wenigen mutigen Künstler verdienen umso mehr unseren Respekt. Aber gerade viele prominente Kulturschaffende nutzen momentan ihre Reichweite nicht, um der Kriegsverlängerung durch Waffenlieferungen oder der gesellschaftlichen Bedrohung durch die Sanktionspolitik öffentlich etwas entgegenzusetzen. Während viele Akteure der Kulturszene schweigen, fallen andere durch besonders schrilles Auftreten auf, wie etwa der ehemalige PEN-Präsident Deniz Yücel.
Kulturpropaganda
Die Verletzung der Würde verbietet sich auch gegenüber mutmaßlichen Schwerverbrechern oder gegenüber Menschen, die man selber so einordnet. Diese wichtige Regel verletzt Zhadan und wird dafür von deutschen Kulturschaffenden belohnt. Das Verhalten fügt sich ein in eine ganze Reihe von fragwürdigen Sympathiebekundungen von westlicher Seite für Rechtsextreme, wenn sie nur auf der „richtigen“ (also antirussischen) Seite stehen. Zu beobachten war das bereits 2014 beim Maidan-Umsturz, es setzt sich unter anderem fort bei Alexej Nawalny, beim Asow-Regiment oder beim ukrainischen Botschafter Melnyk.
Diese Preisverleihung war ein fragwürdiger Akt der Kulturpropaganda, die ganze Veranstaltung fungierte als ein Lagerfeuer jener westlichen Akteure, die den Krieg durch Waffenlieferungen und das Ablehnen von Verhandlungen möglichst in die Länge ziehen wollen.
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Titelbild: Oleksandr Osipov / Shutterstock
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