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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Zur Strategiedebatte der Linken
Datum: 4. April 2011 um 9:03 Uhr
Rubrik: DIE LINKE, Wahlen
Verantwortlich: Albrecht Müller
Wenn die Linkspartei keine oder eine schlechte Strategie verfolgt, kann dies nicht gleichgültig lassen, wer eine Alternative zur herrschenden Politik für notwendig hält. Wir erleben nämlich zur Zeit, dass in nahezu allen wichtigen Fragen die Korrektur von Irrwegen gravierender Art nicht erkennbar ist. Vielleicht mit Ausnahme der Atomenergiepolitik aber nicht der Atomrüstungspolitik. Albrecht Müller.
Ansonsten werden die Irrwege weitergegangen, so als gäbe es die jeweiligen Katastrophen und Belastungen nicht:
Die bisher etablierten Parteien – Union und FDP, SPD und Grüne – haben die notwendigen Korrekturen nicht angegangen. Auch die eigentlich für eine Umkehr prädestinierten Sozialdemokraten und die Grünen haben die Chance, Lehren aus den bitteren Erfahrungen zu ziehen und umzukehren, nicht ergriffen.
Das ist schlimm für uns alle. Wir leben ohne politische Alternative.
Es wäre eine einzigartige Chance für die Linkspartei, in die Bresche zu springen. Mit einem klaren Profil. Mit einem Profil, das weit über ihren engeren Bereich hinaus attraktiv wäre. Stattdessen debattieren sie nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wie die anderen Parteien – aktuell mit Ausnahme der Grünen – über ihr Führungspersonal und ihre politische Strategie. In Neuauflage sozusagen und mit viel Anpassungsgemurmel an den von den konservativen Parteien geprägten Zeitgeist.
Der erste Test für die Linke in diesem Jahr war die Bürgerschaftswahl in Hamburg, bei der ein solider Landesverband mit der geachteten Spitzenkandidatin Dora Heyenn trotz Gegenwinds aus Berlin den Wiedereinzug in das Landesparlament schaffte. Die Linke hatte zweifellos durch die ungeschickte Bezügeregelung für den Parteivorsitzenden Klaus Ernst Schaden genommen. Merkwürdig, genau gesagt: typisch war, dass die weitaus höheren Bezüge des SPD-Vorsitzenden Gabriel von den Medien in diesem Zusammenhang nicht diskutiert wurden. Die von Gesine Lötzsch anschließend provozierte Kommunismusdebatte war in Westdeutschland nicht zu vermitteln. – Diese Patzer wären wohl längst der Vergessenheit anheim gefallen, würden sie nicht von den Medien und den sog. Reformern in der Linken ständig am Leben gehalten.
Erwartungsvoll blickte die Linke am 20.März nach Sachsen-Anhalt, versprach man sich doch nach dem beeindruckenden Bundestagswahlergebnis von 32,4 Prozent einen deutlichen Zugewinn und Rückenwind für die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland Pfalz. Aber schon früh wusste nun das Kampagnenmagazin „Der Spiegel“, dass es zwar offen sei, ob die Linke im Südwesten in die Landtage käme. Aber in Sachsen-Anhalt konkurriere sie bei 30 Prozent mit der CDU um Platz 1 und wolle nichts riskieren. Daher sei ein Wahlkampfauftritt von Klaus Ernst nicht vorgesehen.
Leider blieb der erhoffte Rückenwind aus. Das Ergebnis lag mit 23,4 Prozent unter dem letzten Landtagswahlergebnis und 8,7 Prozent unter dem Ergebnis der Bundestagswahl. Aus den westlichen Landesverbänden kam keine Kritik und die ostdeutschen “Reformer” blieben stumm. Dabei wäre es doch angebracht, die auf der Hand liegenden Ursachen zu benennen. Während in der SPD die Brandtenkel Engholm, Lafontaine und Schröder aufgrund hoher Sympathiewerte bei den Landtagswahlen absolute Mehrheiten holten, scheinen die ostdeutschen Spitzenkandidaten der Linken unter Naturschutz zu stehen. Wulf Gallert hat sich das verglichen mit der Bundestagswahl schlechte Ergebnis zum beachtlichen Teil selbst zuzuschreiben. In einer Infratest Umfrage vom Februar 2011, die die sachsen-anhaltinische Linke vor der Landtagswahl bei 26 Prozent sah, erreichte er gerade mal 10 Prozent Zustimmung bei der Ministerpräsidentenfrage. Ein ähnlich schlechter Wert eines Spitzenkandidaten bei Landtagswahlen ist mir nicht in Erinnerung. Über Gallert sagte der sozialdemokratische Spitzenkandidat Bullerjahn, wenn dieser in der SPD wäre, müsste man ihn dem Seeheimer Kreis der rechten Sozialdemokraten zuordnen. Vor der Landtagswahl bestärkte Gallert dieses Urteil, in dem er in einem Interview mit der TAZ vom 9.3.2011 weiteren Personalabbau im öffentlichen Dienst ausdrücklich und im Gegensatz zum Grundsatzprogramm der Linken nicht ausschloss.
Auf die Wahlen in Rheinland-Pfalz blickte die Linke nicht gerade hoffnungsvoll. Der dortige Landesverband hätte sich beinahe zerlegt und konnte nur durch die Intervention der Bundespartei zum Stillhalten bewegt werden. Der Absturz von 9,4 Prozent bei der Bundestagswahl auf 3,0 Prozent bei den Landtagswahlen war daher durch die sinkende Zustimmung im Bund, den Streit im Landesverband und die nukleare Katastrophe in Fukushima vorprogrammiert.
Ein Sonderfall ist Baden-Württemberg, weil sich die dortige Landespartei für den Beobachter in guter Verfassung präsentiert. Der Landesvorsitzende und Verdi-Funktionär Rixinger, die Spitzenkandidaten, die aus Argentinien stammende Arparicio und der IG-Metall-Funktionär Hamm haben zwar einen geringen Bekanntheitsgrad, stehen aber für die Vertretung der Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Migrantinnen und Migranten. Der Landtagswahlkampf war in Baden-Württemberg nicht schlecht organisiert. Das Landtagswahlergebnis lag mit 2,8 Prozent dennoch 4,4 Prozent unter dem Bundestagswahlergebnis von 7,2 Prozent. Das enttäuschende Ergebnis erklärt sich aus dem Rückgang der Sympathiewerte für die Bundespartei wie auch mit der traditionell hohen Volatilität, also der Wechselbereitschaft der Wählerinnen und Wähler in Baden-Württembergs rot-grünem Wählersegment. Hinzu kam, dass die Strategie, sich als Zünglein an der Waage für den Regierungswechsel darzustellen, in dem Moment in sich zusammenfiel, als die Umfragen eine Mehrheit für Grün-Rot auch ohne die Linke vorher sagten.
Die so genannten Reformer pflastern den Weg des weiteren Niedergangs mit falschen Analysen
Wenn man sich nicht eines Besseren besinnt, wird die Linke die gleichen Fehler machen wie die SPD seit Jahrzehnten. Der Weg ihres beständigen Niedergangs seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts ist gepflastert mit falschen Analysen von Wahlergebnissen. Ständig wurde der SPD sowohl vom rechten Flügel als auch vom politischen Gegner und maßgeblichen Medien zugeraunt, sie habe die Wahl verloren wegen des angeblichen Linksrucks; sie müsse in die Mitte rücken; dort seien die Wähler. An dieses Kombinationsspiel der Rechten innerhalb der SPD und der Spielführer in einschlägigen Medien und beim politischen Gegner zulasten der nächsten Wahlergebnisse muss ich denken, wenn ich die Vorgänge bei der Linken heute beobachte:
Statt eine sachliche und faire Debatte über das weitere Vorgehen der Partei zu führen, nutzen die “Reformer” die Wahlen im Südwesten für die Fortsetzung der innerparteilichen Grabenkämpfe. Der Ex-Vorsitzende Bisky, der gerade durch eine Sympathieerklärung für prekäre Arbeitsplätze (FAZ vom 1.2.2011) und die Zustimmung zu einer militärischen Intervention über Libyen von sich reden machte, sprach im Hinblick auf die Wahlergebnisse in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz (wohlgemerkt nicht in Sachsen-Anhalt) von einem miesen Resultat. Steffen Bockhahn, Vorsitzender der Linken in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Linke nach einem Bundestagswahlergebnis von 29 Prozent bei 16 Prozent dümpelt, schätzte es sei knapp geworden, gegen den Bundestrend zu gewinnen. Die Schuldigen stehen fest, wenn es in Mecklenburg-Vorpommern ein ähnliches Ergebnis gibt wie in Sachsen-Anhalt. Raju Sharma, als Schatzmeister der Linken eine Fehlbesetzung, weil er sich – seine Rolle falsch verstehend – zu allem und jedem äußert und in der Partei daher schon „Schwatzmeister“ genannt wird, findet eine Strategiedebatte sei unaufschiebbar. Es äußerten sich, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, Lederer (der Berliner Landesverband pendelt bei einem Bundestagswahlergebnis von 20,2 Prozent in Umfragen um 13 Prozent) Ramelow, Wawziniak, Korte. In der FAZ vom 30.3.2011 ist verdienstvollerweise ein Sammelsurium von Äußerungen dieser und anderer Linken-Mandatsträger dokumentiert. In der Regel Stichworte mit hohem Gebrauchswert für die politischen Gegner der Linken. Für mich auch dies ein Wiedersehen mit persönlichen Erlebnissen mit der SPD.
Es fällt auf, dass sich Bartsch in den letzten Tagen auffallend zurückhielt. Vor den Wahlen hatte er in verschiedenen Interviews aber den Ton angegeben und erklärt, dass die Währungen, in denen Parteien und ihre Führungen gemessen würden, die Wahlergebnisse und Mitgliedszahlen seien. Da hat er Recht. Angesichts der schlechten Wahlergebnisse und Mitgliederzahlen, die er als Bundesgeschäftsführer der PDS ohne die WASG vor allem im Westen zu verantworten hatte, ist die aktuelle Zurückhaltung nur konsequent. (Siehe dazu insgesamt auch die NachDenkSeiten vom 22.12.2010)
Erfreulich ist die neue Einsicht Wulf Gallerts, die Linke müsse sich stärker gegen SPD und Grüne abgrenzen, zugleich aber kooperationsfähig bleiben, um mit anderen linke Mehrheiten zu bilden. Genau das ist die von den “Reformern” bekämpfte Strategie, die bis zur Bundestagswahl der Linken ihre Erfolge brachte. Mangelnde Kooperationsbereitschaft gibt es bei SPD und Grünen, die gegenüber der Linken eine brutale Ausgrenzungsstrategie bis zur weiteren Beobachtung durch den Verfassungsschutz betreiben. Insbesondere in NRW, wo die Bereitschaft zur Zusammenarbeit durch die Linke mit Händen zu greifen ist, zeigen SPD und Grüne mit dieser Überwachungspraxis totalitärer Staaten ein Gesicht, das viele Sozialdemokraten und Grüne an der Basis nicht wahrhaben wollen. Ich auch nicht. Deshalb macht mich dieses Gebaren genauso betroffen wie die Dummheit der SPD-Generalsekretärin Nahles, einen großen Erfolg und die Erreichung eines Wahlziels darin zu sehen, die Linke aus den Landesparlamenten in Stuttgart und Mainz herausgehalten zu haben. Es wäre an der Zeit, dass die “Reformer” begreifen: Kooperationsbereitschaft setzt voraus, dem anderen mit Respekt zu begegnen und seine Würde zu beachten.
Die inhaltliche Auseinandersetzung um eine friedliche Außenpolitik, die Stärkung des Sozialstaates, um Leiharbeit und prekäre Arbeitsverhältnisse, die Neuordnung der Weltfinanzmärkte, um eine nichtausgrenzende Schulorganisation und um eine umweltgerechte Energiepolitik muss weitergehen. Gerade jetzt und vor allem mit den Grünen, die längst ihre Unschuld verloren haben, weil sie u.a. von der Finanzindustrie und der Automobilindustrie gesponsert werden. In Nordrhein-Westfalen wollten sie nicht mit der Linken kooperieren, weil diese eine öffentlich-rechtliche Energieversorgung, Stichwort Rekommunalisierung forderte. Japan hat gezeigt, wozu private Atomkonzerne fähig sind. Die Partei der Besserverdienenen, die Grünen – Golo Mann sah in ihnen die neue FDP – , wird in Baden-Württemberg weiterhin spritfressende Autos bauen lassen, Stuttgart 21 kaum verhindern und eine öffentlich-rechtliche Energieversorgung allenfalls zögerlich angehen. Ihre Wählerklientel bedauert die nukleare Verseuchung in Japan, weil sie Sushi nur noch eingeschränkt genießen kann. (Diese Polemik sei mir verziehen!) Dass der Konzern Tepko Leiharbeiter in die verseuchten Atomkraftwerke schickte, dürften die grünen Funktionäre kaum diskutieren. Auch nicht mehr die wiederkehrende Erfahrung, dass wie im konkreten Fall die Gewinne von den Aktionären privatisiert wurden, die absehbar von Tepko nicht mehr zu begleichenden Verluste und Schäden sozialisiert werden.
Genau hier liegt die Chance der Linken. Die von den Grünen zusammen mit der SPD weiter betriebene Verarmung weiterer Bevölkerungsschichten durch Kürzung des Arbeitslosengeldes und der Renten, durch Leiharbeit und die Einrichtung eines Niedriglohnsektors, bei steigenden Energiepreisen ist grüne Klientelpolitik. Sie muss von der Linken – Kooperationsbereitschaft hin oder her – kompromisslos bekämpft werden. Die Wähler kreuzen bei Wahlen die Linke nur dann an, wenn sie wissen, was diese Partei von den anderen unterscheidet.
Und dann wäre zu hoffen, dass sich unter dem Eindruck dieser Linken-Profilierung bei den Sozialdemokraten und den Grünen etwas rührt und sie sich ihrer früher einmal gepflegten Werte und Zielvorstellungen erinnern. Das wäre dann die Zeit wirklich produktiver Kooperation. Aber das ist mit Sicherheit ein sehr langer Weg.
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