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Titel: „Ich begann, auf die Straße zu gehen“

Datum: 13. Oktober 2022 um 10:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Demokratie, Interviews
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Landauf, landab demonstrieren zunehmend Bürger. Die Bundesrepublik befindet sich in einer schweren gesellschaftlichen Krise, viele Menschen wollen das nicht hinnehmen, sie protestieren auf verschiedene Weise. Manche organisieren Versammlungen auf Plätzen und Demonstrationszüge durch die eigene Heimatstadt. Moreen Thümmler aus dem Vogtland ist so eine Organisatorin der Plattform „Forum für Demokratie und Freiheit“, zudem sogar eine Rednerin, die vor ihren Auftritten noch nie vor so vielen Menschen sprach. Mit ihr hat sich Frank Blenz für die NachDenkSeiten unterhalten.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Sehr geehrte Moreen Thümmler, erzählen Sie über sich, wie Sie Ihr Leben meistern, was sie antreibt. Wie sind Sie darauf gekommen, vor tausenden Menschen eine Rede zu halten?

Ich bin alleinerziehende Mutter von drei Kindern (7, 11, 19), gelernte Kauffrau im Einzelhandel und staatlich anerkannte Heilerziehungspflegerin. Ich arbeite in Vollzeit als pädagogische Fachkraft an einer Schule. Meinen Alltag meistere ich Dank eines wundervollen Netzwerks an Freunden und Dank meiner Familie. Wir unterstützen uns gegenseitig bei der Kinderbetreuung, verbringen freie Zeit gerne auch gemeinsam, kurzum, wir sind füreinander da. Mich hat es schon immer zu sozialen Berufen gezogen. Ich bin gern für Menschen da, man sagt über mich, ich sei ein sehr direkter, aber ebenso fürsorglicher Mensch. Aber auf die Idee, vor Menschen zu sprechen, kam ich an und für sich nicht.

Nun hat sich alles irgendwie gefügt. 2015 bekam ich das erste Mal das Gefühl, dass in diesem Land und auf der ganzen Welt etwas in eine negative Richtung läuft. Bis dahin lebte ich unbekümmert, rückblickend auch fast etwas unwissend. Und ja, ich war eher oberflächlich. Doch seit 2015 beschäftigte ich mich mehr und mehr mit den Problemen dieser Welt, mit wirtschaftlichen Zusammenhängen, mit dem Geld an sich, mit den Reichen der Reichen, mit der Geschichte. Weil ich das tat, tiefer grub, wurde mir bewusst, es lässt mich nicht mehr los. Ich bin eine Frau, ich bin kommunikativ und sehr emotional. Ich will mit anderen Menschen darüber sprechen, was ich recherchiere, was mich bewegt.

Es kam zu einem einschneidenden Erlebnis. Der erste Lockdown wurde kurz vor dem Abschluss meiner Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin ausgerufen. Das war eine harte Zeit, kein Prüfungspraktikum fand statt, alle Kinder waren zu Hause, dazu kam das Lernen für die Prüfungen, das Verfassen meiner Facharbeit. Ich habe oft gedacht, dass ich das alles nicht schaffe. Ich war so fertig, wütend, traurig.

Ich begann, auf die Straße zu gehen. Ich habe bis heute nicht damit aufgehört. Genau da, auf der Straße, bei den Demonstrationen habe ich eine Vielzahl an wundervollen, wachen Menschen getroffen. Viele sind Freunde geworden, viele gehören zu meinem engsten Kreis, wir sind wie eine Familie. Ich traf auch David Thiele, den Initiator der aktuellen Demonstrationen in Plauen. Ich wusste sofort: Wir werden etwas bewegen! Ja, das tun wir! Ich hielt vor ein paar Wochen sogar meine erste Rede. Vor Menschen sprechen zu dürfen und zu können, egal ob es ein paar, hundert oder tausende sind, das ist ein Geschenk, ich bin jedes Mal aufgeregt, aber im positiven Sinne.

Ich bin dankbar, denn diese Menschen hören mir nicht nur zu, sie sind im wahrsten Sinne des Wortes bei mir. Ich sehe ihre Gesichter, spüre ihre Emotionen. Das berührt mich sehr!

Was sind Ihre Kernaussagen, welche neuen Fragen, Gedanken, Argumente kommen nach drei Großveranstaltungen des Forums für Demokratie und Freiheit hinzu?

Wir wollen den Menschen eine Plattform bieten,

  • um einen gemeinsamen Dialog zu führen
  • um Gemeinschaft und ein konstruktives Miteinander zu erleben
  • um Probleme, Ängste, Nöte, Kritiken aufzugreifen und Lösungsansätze zu finden
  • um Menschen „Werkzeuge“ zu geben, eigenverantwortlich agieren zu können
  • sich über aktuelle Ereignisse auszutauschen, Fragen zu stellen. Und all das als mündiger Bürger, ohne als verrückter Aluhutträger oder Verschwörungstheoretiker beschimpft zu werden.

Wir möchten Menschen zusammenbringen, frei von Fesseln, die sie in dieser Gesellschaft womöglich tragen.

Wer arbeitet im Forum mit, welche Ziele hat die Zusammenkunft?

Das Forum besteht aus dem Kern-Team, das sind knapp 30 wundervolle Menschen, die das Forum auf unterschiedliche Art und Weise regelmäßig unterstützen. Das gesamte Forum besteht momentan aus fast 3.000 Menschen. Zu unseren Zielen sei gesagt: Wir haben 21 Thesen aufgestellt, welche online nachzulesen sind. Nicht jedes Mitglied des Forums hält jede These gleichwertig im Vergleich zu anderen Thesen. Manche werden als richtig, manche sogar als falsch bewertet. Gut so! Bei uns gilt es, demokratisch, offen, ehrlich zu diskutieren, um gemeinsam bestmögliche Ergebnisse zu erarbeiten. Ich finde die rege Debatte um die Thesen wichtig, allerdings würde ich mir von manchen Diskutanten wünschen, dass sie, beispielsweise zu politischen Entscheidungen, genauso kritisch sprechen und diese hinterfragen würden. Unsere Thesen sind erstmal Ansatzpunkte, welche wir ausgearbeitet haben.

Was sagen Sie zu den Reaktionen der Menschen, der Medien in Ihrem Umfeld?

Ich beobachte, dass die meisten Menschen bei unseren Veranstaltungen einfach dankbar und froh sind, dass jemand den Mut hat, das auszusprechen, was viele denken. Immer wieder höre oder lese ich: „Endlich macht mal jemand was!“, „Gott sei Dank gibt es Euch!“, „Bitte macht weiter!“, „Gebt nicht auf!“. Ich werde sehr viel umarmt. Ich muss viel Hände schütteln und Schulterklopfen gibt es gratis dazu. Oft erreichen mich nette und mir Kraft gebende Worte, die laut über einen Platz gerufen oder leise im Vorbeigehen im Supermarkt geflüstert werden.

Ja, wir werden auch kritisiert und mitunter sogar persönlich angegriffen. Damit müssen wir lernen umzugehen. Zu den Medien sage ich: Vorab, mein Fernseher ist seit vielen Jahren aus! Zeitung lese ich eher wenig beziehungsweise sehr ausgewählt. Ich finde, die führenden Medien tun das, was sie schon immer getan haben. Sie liefern ab, was gewünscht ist. Von der Redaktion, von der Wirtschaft, von der Politik und letzten Endes von den Lesern. Es steht jedem frei, sich zu informieren, wie und wo er das möchte.

Die Medien besitzen große Macht und meiner Meinung nach findet schon seit sehr vielen Jahren damit ein Machtmissbrauch statt. Nach und nach merken die Bürger das und ich hoffe, dieses Misstrauen, diese Offenheit der Bürger bleibt bestehen. Mein Respekt gilt den Journalisten, die sich immer noch oder wieder trauen, ihrem Berufsethos gerecht zu werden. Journalismus muss kritisch sein, Denkanstöße geben, den Menschen die Möglichkeit geben, zu hinterfragen. Kritische, nicht dem Mainstream gefällige Berichterstattung darf heutzutage kein Einzelfall sein.

Die Ereignisse, gerade international, überschlagen sich, wir Deutschen spüren, dass wir direkt betroffen sind, was schlagen Sie vor, welche Forderungen stellen Sie der Regierung, womöglich in Form eines Punkteprogramms?

Die aktuelle Situation erfordert den Ruf nach Frieden und nach Friedenssicherung in Europa. Ein sofortiger Stopp aller Waffenlieferungen, egal in welche Länder, muss her. Wir sind weiter der Meinung, dass diplomatische Gespräche mit Russland geführt werden müssen. Unsere Wirtschaft muss gesichert werden. Wir fordern Preisbremsen und Deckelung, wie in anderen Ländern. Die Bürger können die finanziellen Lasten nicht tragen, dazu kommen die Angst und die Fragen: Welche Firma geht als nächstes pleite? Die Angst grassiert, den eigenen Job zu verlieren, die Familie nicht mehr ernähren zu können. Für unsere Regierung sollten die Menschen in Deutschland an erster Stelle stehen.

Was haben Sie erreicht, was nicht? Wohl schon das, dass die Anzahl der Demonstrationen zunimmt und die Aufmerksamkeit in den Medien.

Wir können sagen, dass bei unseren Veranstaltungen unsere zahlreichen Besucher zueinander gefunden haben, wir haben eine rege Diskussion angestoßen, wir haben eine Plattform geschaffen. Alle Veranstaltungen unter unserer Regie liefen friedlich ab. Trotzdem wurde Druck von außen aufgebaut. Von Medien, von politischen Gegnern, von Leuten, die uns nicht gern auf der Straße sehen und die nicht gern sehen, dass es immer mehr werden. Gut und wichtig ist auch, dass sich die Zusammenarbeit mit anderen Initiativen entwickelt.

Ja, und was haben wir noch nicht erreicht? Die über Jahrzehnte aufgebauten Mauern sind noch in vielen Köpfen vorhanden, Ost – West, Links – Rechts. Wir sind vor allem eins: Menschen! Eine Gemeinschaft! Dahin möchten wir. Zusammen mit möglichst vielen Menschen eine gute Gesellschaft für alle aufbauen. Dort sind wir noch nicht angekommen. Ich beobachte, die Menschen wachen auf, sie sind mutiger, werden sich ihrer Selbst bewusster. Meinen Mitbürgern möchte ich mit meinen Reden Denkanstöße geben, nicht nur das System, sondern auch sich selbst zu hinterfragen. Des Weiteren versuche ich, Menschen in konstruktive Diskurse zu bringen, sich anderen in einem gewissen Maß zu öffnen, zuzuhören, andere Meinungen nicht einfach hinzunehmen, sich aber damit zu befassen.


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