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Titel: Gaspreisbremse – das Zwischenergebnis der Expertenkommission enttäuscht
Datum: 10. Oktober 2022 um 13:48 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Energiepolitik, Sozialstaat, Verbraucherschutz, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Jens Berger
Nun hat der von Olaf Scholz angekündigte „Doppelwumms“ konkrete Formen. Die Fragezeichen bleiben jedoch. Zwar fällt die Entlastung auf Basis eines subventionierten Preises von 12 Cent pro Kilowattstunde für Haushalte und Gewerbekunden ordentlich aus. Diese Entlastung gilt laut der heute vorgestellten Empfehlung der Expertenkommission jedoch erst in einer zweiten Stufe, die erst ab März nächsten Jahres in Kraft tritt. Das heißt, die Gaspreisbremse gilt für zwei Drittel der kommenden Heizsaison nicht. Als Ausgleich will der Staat eine Abschlagszahlung der Haushaltskunden übernehmen. Das federt die Belastung durch die massiv gestiegenen Gaspreise jedoch nur gering ab – zu gering, um negative Wirkungen auf die Binnennachfrage abzufedern. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Schnelle und substanzielle finanzielle Hilfen für die von Inflation und Energiepreissteigerungen gebeutelten Haushalte, das Gewerbe und Industrie – das war das Ziel des als „Gaspreisbremse“ kommunizierten Entlastungspaketes der Bundesregierung. Auch wenn die Vorgaben durchaus geeignet waren, diese Ziele im Rahmen der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten im Ansatz zu erreichen, scheiterte es letztlich am Faktor Zeit. Angeblich sahen die Versorger und die Vermieter keine Möglichkeit, einen subventionierten Gaspreis für ein Kontingent in Höhe von 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs in den nächsten Wochen umzusetzen. Stattdessen soll die eigentliche „Gaspreisbremse“ nun erst ab März gelten. Da die Heizsaison aber bereits begonnen hat und bis Ende April gehen wird, umfasst diese Regelung nur einen Bruchteil des Zeitraums, in dem die meisten Haushalte ihr Gas zu extrem teuren Konditionen beziehen müssen.
Um dies zu verdeutlichen, habe ich mir meine letzte Gasrechnung herausgesucht. Wir haben vom 1. September 2021 bis zum 31. August 2022 ziemlich exakt 20.000 kWh Gas verbraucht – für ein freistehendes Einfamilienhaus mit durchgängig genutztem Home Office ist dies ein normaler Wert. Schaut man sich jedoch die Verteilung dieses Verbrauchs an, stößt man erwartungsgemäß auf eine sehr ungleiche Verteilung. Während der Verbrauch in den Sommermonaten bei niedrigen 500 kWh pro Monat lag, lag er in den kalten Wintermonaten durchgängig bei mehr als 3.000 kWh pro Monat.
Überträgt man die Vorjahresdaten eins zu eins auf die kommende Heizsaison, heißt dies: 13.000 kWh werden vor dem März, also vor der Gaspreisbremse, verbraucht. 5.600 kWh fallen ab März bis zum Ende der Jahresabrechnung am 31. August 2023 unter das subventionierte 80-Prozent-Kontingent und 1.400 kWh unter die nicht subventionierten 20 Prozent. Im Ergebnis wird unser Haushalt also 14.400 kWh – also grob zwei Drittel – nicht subventioniertes Erdgas und nur 5.600 kWh – also grob ein Drittel – subventioniertes Gas beziehen. Das nicht subventionierte Gas kostet zurzeit 21,3 Cent/kWh. Im letzten Sommer waren es noch 6,3 Cent/kWh. Betrugen die Gesamtkosten in der vorletzten Heizsaison 1.260 Euro, so wären es ohne Gaspreisbremse in diesem Jahr 4.460 Euro. Mit Gaspreisbremse sind es 3.883 Euro. Die Entlastung ist zwar vorhanden, deckt jedoch nicht – wie zuvor kommuniziert – die Hälfte, sondern weniger als 20 Prozent der Mehrkosten ab.
Um diese Differenz zu verringern und die Haushalte für den Zeitraum bis zum März auch zu entlasten, hat sich die Expertenkommission ein Instrument ausgedacht, das zwar unbürokratisch ist, aber dafür auch denkbar grob und willkürlich ist. Der Staat will im Dezember eine Abschlagszahlung der Haushalts- und Gewerbekunden übernehmen. Bei Direktkunden wird demnach im Dezember kein Abschlag abgebucht und Mieter sollten von ihren Vermietern eine entsprechende Erstattung überwiesen bekommen; gerade bei Letzteren droht hier wohl eher ein Abrechnungschaos.
Man sollte auch nicht dem Denkfehler erliegen, dass der Staat damit die „Dezemberrechnung“ übernimmt. Das ist nämlich nicht der Fall. In meinem Beispiel entspricht der Dezemberverbrauch rund 3.000 kWh. Würde der monatliche Abschlag die durchschnittliche Verbrauchsmenge pro Monat erfassen, wären dies jedoch nur 1.685 kWh, also etwas mehr als die Hälfte des realen Dezemberverbrauchs. Zum Glück hat mein Versorger die Abschläge jedoch deutlich über den Durchschnittsverbrauch erhöht, so dass ich zur Zeit 570 Euro pro Monat bezahle, was rund 2.700 kWh entspricht. Ich würde also nach dem Modell der Expertenkommission 570 Euro erstattet bekommen. Das ist zwar schön, aber reine Willkür.
Hätte mein Versorger den Abschlag vor gut einem Monat nicht deutlich erhöht, würde ich nur die alte Abschlagssumme von 230 Euro bekommen. Hätte ich – was online möglich ist – den Abschlag auf 100 oder 900 Euro festgelegt, würde ich dann diese Summe bekommen? Das erinnert eher an eine Lotterie als an eine durchdachte und gerechte Entlastung. Nimmt man diese erste Stufe hinzu, komme ich bei meinem Rechenbeispiel übrigens auf eine Gesamtentlastung von 35 Prozent der Mehrkosten – also trotz der eigentlich eher positiven Rahmendaten nicht einmal im Ansatz auf die angepeilten 50 Prozent. Wer einen teureren Gasvertrag und im Verhältnis geringere Abschlagszahlungen hat, liegt noch einmal deutlich darunter.
Fraglich ist vor allem, wie ein solches Paket die Binnennachfrage stabilisieren soll. Hier sind die zu leistenden Abschläge bzw. Nebenkosten die entscheidende Größe. Alleine in den drei Monaten vor der „freien“ Abschlagszahlung im Dezember habe ich beispielsweise schon so viel Geld für das Gas bezahlt wie im gesamten Vorjahr zusammen. Dieses Geld ist weg und kann nicht noch einmal ausgegeben werden.
Es ist ja schön, dass der Dezemberabschlag wegfällt, aber dies wird mich auch nicht dazu verleiten, mehr Geld auszugeben, da ja ab Januar wieder der massiv erhöhte Abschlag auf Basis der extrem gestiegenen Gaspreise fällig wird. Erst ab März wird der Abschlag dann sinken, aber immer noch auf einem Niveau verharren, das mehr als doppelt so hoch wie im Vorjahr ist. Die zentrale Aufgabe der Gaspreisbremse ist somit nicht erreicht. Denn wenn die Abwärtsspirale von Kaufzurückhaltung und Konjunkturrückgang erst einmal in Gang gesetzt ist, wird sie erst einmal nicht mehr so leicht zu stoppen sein.
Dies alles wäre vermeidbar gewesen, wenn man nicht nur an den Symptomen herumgedoktert hätte, sondern die Ursachen der Gaspreisexplosion bekämpft hätte. Und ja, das heißt, dass man bezahlbares Gas aus Russland beziehen müsste. Selbst wenn man die offenbar noch intakte Röhre von Nord Stream 2 einmal außer Acht lässt – Deutschland ist auch über die über polnisches Gebiet verlaufende Jamal-Pipeline und das über ukrainisches Gebiet verlaufende Transgas-Pipeline-System mit Russland verbunden. Es bestünde also ohne weiteres die Möglichkeit, sich mit Russland zusammenzusetzen und gemeinsam an einer tragfähigen Lösung zu arbeiten, wie man den Gaspreis durch eine Steigerung des Angebots unter Kontrolle bringen könnte. Das hätte nicht nur den Vorteil, dass man so direkt die Belastung der Haushalte mildern, sondern auch die indirekten Effekte auf den Strompreis und vor allem die Erzeugerpreise drücken würde, die wir letztlich mit höheren Preisen für die Produkte in unserem Warenkorb bezahlen. Doch diese naheliegende Lösung ist ja tabu.
Titelbild: Phoenix.de
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