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Titel: Neugegründete Europäische Politische Gemeinschaft – Sinnvolle „Organisation“ oder Grundlage einer erneuten Teilung Europas?
Datum: 10. Oktober 2022 um 9:20 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Europapolitik
Verantwortlich: Redaktion
Am 6. Oktober 2022 hat die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Rede auf dem Festakt anlässlich des 77-jährigen Bestehens der Süddeutschen Zeitung gehalten. Darin hat sie betont, dass ein dauerhafter Friede in Europa „nur unter Einbeziehung Russlands“ erfolgen könne und sagte wörtlich: „So lange wir das nicht wirklich geschafft haben, ist auch der Kalte Krieg nicht wirklich zu Ende.“ Vor dem Hintergrund dieser Aussage stellt sich die Frage, ob die neu gegründete Europäische Politische Gemeinschaft eine sinnvolle neue „Organisation“ ist oder die Grundlage einer neuen Teilung Europas. Von Jürgen Hübschen.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG)
Die EPG soll eine Plattform für politische Koordinierung der europäischen Länder auf dem gesamten Kontinent sein und einen politischen Dialog und die Zusammenarbeit fördern. Dabei sollen Fragen von gemeinsamem Interesse behandelt werden, wodurch Sicherheit, Stabilität und Wohlstand auf dem europäischen Kontinent gestärkt werden. Die Idee geht auf eine Initiative des französischen Staatspräsidenten Macron vom 9. Mai 2022 im Europaparlament zurück. Ob diese Plattform eine Organisation oder ein Club oder auch weiterhin ein eher zwangloses Treffen sein soll, ist offensichtlich noch nicht abschließend geklärt
Mitgliedsländer der EPG sind die EU-Staaten:
Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, die Slowakei, Slowenien, Spanien, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern
Und zusätzlich: Armenien, Aserbaidschan, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, das Vereinigte Königreich, Island, Kosovo, Liechtenstein, Moldau, Montenegro, Nordmazedonien, Norwegen, die Schweiz, Serbien, die Türkei und die Ukraine
Das Gründungstreffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer fand am 6./7. Oktober 2022 im Rahmen der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft in Prag statt. Bis auf die dänische Ministerpräsidentin Katrin Jacobsdottir, die wegen innenpolitischer Schwierigkeiten nicht angereist war, nahmen alle Mitgliedsländer teil. Zusätzlich zu dem anwesenden ukrainischen Premierminister Denys Schmyhal war der ukrainische Präsident Selensky per Video zugeschaltet.
Es gab keine festgeschriebene Tagesordnung, aber zentrale Themen waren der Krieg in der Ukraine und eine gemeinsame Strategie gegen Russland, außerdem natürlich die damit zusammenhängende Energiekrise. Eine Satzung für die EPG wurde nicht beschlossen, braucht man vielleicht auch nicht, weil es wohl eher ein Club zum Meinungsaustausch als eine Organisation ist. Leider war aber auch eine gemeinsame Initiative zur Beendigung des Krieges in der Ukraine kein Thema dieses Treffens.
Bundeskanzler Scholz bezeichnete die neue Gemeinschaft als „große Innovation“, weil so ein Treffen entstanden sei, bei dem sich die Staats- und Regierungschefs einen ganzen Tag lang in verschiedenen Formaten unterhalten könnten, um einfach mal ohne Tagesordnung und Zwang von Beschlüssen über gemeinsame Anliegen in Europa zu sprechen. Das sei „gut für den Frieden und die Sicherheitsordnung“, aber auch gut für die ökonomische Entwicklung und dafür, die Beziehungen zu den Nachbarn der EU zu vertiefen.
EU-Ratspräsident Charles Michel stellte abschließend zu diesem ersten Zusammentreffen der „27+17“ fest, Europa komme mit der EPG zu „mehr Stabilität, mehr Sicherheit und mehr Frieden“. Man wolle sich in Zukunft „regelmäßig“ treffen.
Die Europäische Politische Gemeinschaft – eine sinnvolle neue Organisation oder Grundlage einer neuen Teilung Europas?
Mit der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE) gibt es seit 1995 eine Organisation, der alle europäischen Staaten mit Ausnahme des Kosovo und zusätzlich USA und Kanada angehören. In der EPG sind dagegen folgende europäischen Staaten nicht vertreten: Andorra, der Heilige Stuhl, Island, Kasachstan, Kirgistan, Monaco, die Mongolei, Russland, San Marino, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan und Weißrussland. Dass Andorra, Island, Monaco und San Marino der EPG nicht angehören, könnte man wegen der geringen Größe dieser Länder nachvollziehen, aber bereits beim Heiligen Stuhl ist das schon schwieriger, weil dieser in der Vergangenheit vor allem im Bereich der Diplomatie häufig eine wichtige Rolle gespielt hat. Die Ausgrenzung der ehemaligen Mitgliedsstaaten der Sowjetunion und vor allem den gezielten Ausschluss von Russland und Weißrussland muss man als falsches Signal für ein geeintes Europa und als eine neue Teilung dieses Kontinents bezeichnen. Mit der Mongolei verzichtet man auf ein mögliches „Clubmitglied“, das über gute Drähte ins Nachbarland China verfügt. Eine Zusammenarbeit mit Kanada und den USA ist dagegen sicherlich auch auf anderem Wege möglich, aber dann unbedingt als Partner auf Augenhöhe.
Mit der Gründung der EPG entsteht ein Zusammenschluss, den man aus meiner Sicht als politisch völlig unnötig und für ein geeintes Europa als kontraproduktiv bezeichnen muss. Es entsteht der Eindruck, dass diese Organisation, oder wie immer man dieses Treffen bezeichnen will, in erster Linie als „politisches Bollwerk“ Europas gegen Russland geschaffen wurde, wobei vergessen wird, dass dieses Russland bis zum Ural genau ein Teil eben dieses Europas ist. Die Ausgrenzung Weißrusslands und der anderen ehemaligen Mitgliedsstaaten der Sowjetunion erscheint wie ein Warnsignal an alle Staaten, denen eine gewisse Nähe zu Russland unterstellt wird. Es klingt wie: Wir, die Mitgliedsstaaten der EPG, entscheiden selbst, wer zu Europa gehören darf und wer eben nicht. Das ist schon an Selbstgefälligkeit und Borniertheit nicht zu überbieten, aber viel schlimmer ist die politische Dummheit, die sich in einer solchen Position widerspiegelt.
Sich regelmäßig mit Freuden zu treffen, um in zwangloser Atmosphäre über politische Themen zu plaudern, ist grundsätzlich keine schlechte Idee, zumal solche Treffen ja vom Steuerzahler finanziert werden. Aber dann sollte so ein Treffen, so ein Meinungsaustausch sich nicht gegen bestimmte Länder Europas richten, sondern vielmehr ein Zusammenwachsen dieses Europas zum Inhalt haben.
Bleibt die grundsätzliche Frage: Warum setzt man – statt einer neuen Organisation oder Clubs, das ist ja noch nicht ganz klar – nicht endlich auf die OSZE, die genau dieses „mehr Stabilität, mehr Sicherheit und mehr Frieden“ für Europa zum Ziel hat, wie es der EU-Ratspräsident Michel formuliert hat?
Vor allem aber müssen die europäischen Staats- und Regierungschefs endlich begreifen, was Angela Merkel in München gesagt hat:
„Ein dauerhafter Friede in Europa kann nur unter Einbeziehung Russlands erfolgen. So lange wir das nicht wirklich geschafft haben, ist auch der Kalte Krieg nicht wirklich zu Ende.“
Titelbild: shutterstock / vectorfusionart
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