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Titel: Doppelwumms mit vielen Fragezeichen
Datum: 5. Oktober 2022 um 12:42 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Energiepolitik, Sozialstaat, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Jens Berger
Die von Olaf Scholz am Donnerstag mit dem eingängig-albernen Begriff „Doppelwumms“ angekündigte Gaspreisbremse ist eine volkswirtschaftlich sinnvolle Maßnahme zum richtigen Zeitpunkt. Jedoch gibt es bislang wenig verlässliche Informationen, wie die Gaspreisbremse eigentlich konkret aussehen soll. Das ist auch kein Wunder, da diese Fragen zurzeit in einem Expertengremium geklärt werden und Mitte des Monats dann ein fertiges Konzept präsentiert werden soll. Ob der „Doppelwumms“ seinen Namen verdient, muss sich also erst noch zeigen. Im schlimmsten Fall verpufft er wirkungslos, im besten Fall ist er durchaus geeignet, die deutsche Volkswirtschaft weitestgehend vor den negativen Folgen der Sanktionspolitik abzuschirmen – jedoch zu einem hohen Preis. Ein Herumdoktern an den Symptomen sollte den Blick auf die Ursachen der Krise nicht verstellen. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Warum hat sich der Preis für Gas in derartige Höhen katapultiert, dass ein normaler Haushalt mit einer Vervierfachung seiner Heizkosten rechnen muss? Die Antwort ist einfach: Es geht – wie immer bei der Preisbildung – um Angebot und Nachfrage. Nachdem Deutschland bei steigender Nachfrage seit dem Herbst 2021 Stück für Stück weniger Erdgas von seinem bis dahin größten Lieferanten Russland bezog, bewegten sich die Preise nach oben. Spätestens seit der Sprengung von Nord Stream ist klar, dass das Angebot mittel- bis langfristig knapp, die Preise dementsprechend hoch sein werden. Dass die Alternative LNG ohnehin deutlich teurer als das „billige“ Pipelinegas aus Sibirien ist, tut sein Übriges. Die Zeiten der preiswerten Energie sind vorbei. Es ist jedoch auch so, dass der momentane Preis zusätzlich von Marktexzessen getrieben ist und sich zumindest langfristig auf einem Niveau einpendeln dürfte, das zwar deutlich über dem Preis des letzten Jahrzehnts, aber auch deutlich unter dem zurzeit verlangten „Krisenpreis“ liegt.
Da es der Bundesregierung nach der Sprengung von Nord Stream und den polnischen Sanktionen gegen die Jamal-Pipeline – selbst bei politischem Willen – nicht möglich wäre, den Preis über eine kurzfristige Erhöhung des Angebots zu entschärfen, ist es durchaus sinnvoll, die mittelfristig anfallenden „Krisenpreise“ durch ein sinnvolles Instrument zu subventionieren, um damit außerordentliche Härten für Haushalte und Wirtschaftsbetriebe abzufedern und einen verheerenden Einbruch der Binnennachfrage zu verhindern. Und dies sollte so schnell wie möglich geschehen, da derartige wirtschaftspolitische Maßnahmen im Sinne eines „Deficit Spending“ die beste Wirkung entfalten, wenn sie mit möglichst großem Volumen gleich zum Beginn einer Rezession stattfinden. Denn wenn die Haushalte erst einmal ihre Konsumausgaben zurückgefahren haben, setzt sich eine Kette von Ereignissen in Gang, die fatale Auswirkungen hat – die Ausgaben der Haushalte sind schließlich die Einnahmen der Unternehmen.
Aus diesen Gründen ist ein „Doppelwumms“ bitter nötig. Die entscheidende Frage ist eher, ob die Gaspreisbremse auch geeignet ist, um einen Einbruch der Binnenkonjunktur zu verhindern, und parallel dazu Betriebe entlastet, die besonders unter den hohen Energiepreisen leiden. Gaspreisbremse ist nämlich nicht gleich Gaspreisbremse und für welches Modell sich die Bundesregierung entscheiden wird, ist zurzeit noch vollkommen offen; genauso wie die Höhe der Subventionen. Es gibt vier verschiedene Modelle, die zumindest theoretisch alle noch im Rennen sind.
Das Instrument des Energiesparbonus wurde von der SPD-Energieexpertin Nina Scheer in die Debatte eingeführt. Kern des Instruments ist es, Haushalte im Verhältnis ihrer Einsparungen zu entlasten. Wer weniger Gas als im Vorjahr verbraucht, soll rückwirkend mit einer Prämie belohnt werden.
Dieses Modell ist von allen zur Debatte stehenden das schlechteste, da das Geld rückwirkend ausgezahlt wird und damit so gut wie gar keinen Einfluss auf die Binnennachfrage hat. Zudem ist es sozial unausgewogen, da nicht jeder Haushalt die Möglichkeiten hat, im gleichen Maße Energie einzusparen. Belohnt werden bei diesem Modell paradoxerweise vor allem die Haushalte, die im letzten Jahr „ohne Sinn und Verstand“ die Heizung laufen ließen. Wie relevante Einsparungen im Gewerbe vorgenommen werden können, ist von Branche zu Branche unterschiedlich und hat neben der konjunkturellen Lage vor allem etwas mit dem zur Verfügung stehenden Investitionsvolumen zu tun. Krisenzeiten sind aber vor allem für besonders betroffene Betriebe nicht der beste Zeitpunkt für teure Investitionen.
Dieses Modell ist eher ein „Wümmschen“ als ein „Doppelwumms“ und sollte daher auch nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden.
Ernsthaftere Chancen hat da schon das Gaspreisdeckelmodell der Ökonomen Dullien und Weber. Hier wird ein vorher festgelegter Grundverbrauch zu einem deutlich subventionierten Preis angeboten. Der Versorger kriegt dafür vom Staat einen Ausgleich zwischen den realen Kosten und den Einnahmen für dieses Kontingent. Im Entwurf ist von einem Grundverbrauch von 8.000 Kilowattstunden pro Jahr und einem subventionierten Preis von 7,5 Cent pro Kilowattstunde die Rede. Alles, was darüber hinausgeht, wird zu dem Preis abgerechnet, den der Versorger seinen Kunden bereits mitgeteilt hat. Dieses Modell soll angeblich besonders zielgenau und sozial ausgewogen sein. Letzteres stimmt zumindest im Ansatz, da die meisten finanziell schwachen Haushalte in vergleichsweise kleinen Wohnungen leben und so nicht mehr als den Grundverbrauch verbrauchen. Es wohnt jedoch nicht jeder in einer kleinen Mietwohnung – gerade die von den Gaspreisen besonders bedrohten Bewohner älterer und damit nicht optimal energiesanierter Einfamilienhäuser werden über dieses Modell vergleichsweise wenig entlastet, da ihr Gasverbrauch in aller Regel deutlich über dem Grundverbrauch liegt. Dieses Modell ist also eher „sozial ausgeglichen“ als volkswirtschaftlich sinnvoll, da es nicht wirklich geeignet ist, die Kaufkraft der Mittelschicht zu bewahren und damit die Binnennachfrage auf breiter Ebene zu stabilisieren.
Ein zweites Problem bei diesem Instrument ist die Bemessung nach Bewohnern. Dullien und Weber schlagen hier einen Zuschlag pro Haushaltsmitglied vor. Dummerweise weiß der Staat jedoch nicht immer und der Gasversorger sowieso nicht, wie viele Personen in einem Haushalt leben. Um die nötigen Nachweise zu erbringen und korrekt abzurechnen, ist einiges an Bürokratie nötig. Wie in diesem Modell das Gewerbe berücksichtigt werden soll, ist ebenfalls offen.
Mit weniger bürokratischem Aufwand kommt das Fifty-Fifty-Modell aus, das vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Weil und seinem Energieminister Lies entworfen wurde. Bei diesem Modell bildet der im Vorjahr gezahlte Durchschnittspreis die Basis. Die Mehrkosten, die in diesem Jahr gegenüber dieser Basis anfallen, sollen jeweils zur Hälfte vom Staat und von den Endverbrauchern getragen werden. Das ist sowohl transparent als auch vergleichsweise einfach umzusetzen und ließe sich problemlos auch auf das Gewerbe ausweiten. Es gibt daher wenig Argumente, die gegen dieses Modell sprechen.
Das zurzeit wohl aussichtsreichste Modell stammt paradoxerweise nicht von den Ampelparteien, sondern geht auf einen Vorschlag der CDU zurück. Bei diesem Modell bildet der Vorjahresverbrauch die Basis. Jeder Haushalt soll in diesem Jahr für ein Kontingent von 75% bzw. 80% des Vorjahresverbrauchs Gas zu einem subventionierten Preis beziehen können. Alles, was darüber hinausgeht, muss zum normalen Preis bezahlt werden. Damit bietet dieses Modell einerseits – anders als das Modell von Dullien/Weber – für alle Haushalte eine finanzielle Erleichterung und bietet den Bürgern zudem eine klare Kalkulationsgrundlage und Anreize, Energie einzusparen, da jeder Kubikmeter, der über den individuellen Sockelverbrauch hinausgeht, ja zum teuren „Marktpreis“ bezahlt werden muss. Ein weiterer Vorteil dieses Modells ist, dass es sich auch problemlos eins zu eins auf das Gewerbe übertragen ließe.
Fragezeichen beim Preis
Während die Modelle 1 und 2 also aus volkswirtschaftlicher Sicht abzulehnen und die Modelle 3 und 4 zu begrüßen sind, hat vor allem das zurzeit wohl aussichtsreichste Modell 4 das Problem, dass die Höhe der Subventionen sich nicht aus dem Modell ergibt, sondern eine politische Größe ist. Daher ist es auch nicht möglich, dieses Modell wirklich seriös zu bewerten. Es macht einen großen Unterschied, ob der subventionierte Preis beispielsweise sehr niedrig bei 7,5 Cent pro Kilowattstunde oder sehr hoch bei 20 Cent pro Kilowattstunde festgelegt wird. Die Preisfestlegung ist dabei alles andere als trivial, da hier verschiedene Faktoren eine Rolle spielen.
Neben dem offensichtlichen Faktor der Finanzierbarkeit besteht bei hohen Subventionen natürlich immer die Gefahr, dass sie psychologisch so gut wirken, dass die Haushalte ihren Verbrauch nicht verringern. Das würde zum berühmten Teufelskreis führen – je weniger eingespart wird, desto knapper das Angebot, desto höher der Gaspreis und desto teurer die Subventionen. Hinzu kommt, dass es auch physisch zu einer Gasmangellage kommen kann, ja kommen wird, wenn der Verbrauch nicht deutlich unter dem Niveau des Vorjahres liegt.
Daher stellt die Feinjustierung des subventionierten Preises ein echtes Problem dar. Ist er zu gering festgelegt, ist das gut für die Binnennachfrage, dafür laufen die Kosten aus dem Ruder und im schlimmsten Falle geht dem Land sogar das Gas aus. Ist er jedoch zu hoch festgelegt, minimiert sich der positive Effekt für die Binnennachfrage, womit das Risiko einer schweren Wirtschaftskrise steigt.
Es knirscht im Ampel-Gebälk
Es ist unverkennbar, dass es im Gebälk der Ampel knirscht. Bei der Gaspreisbremse treffen die ideologischen Unterschiede der Parteien frontal aufeinander. Den Grünen kann der Energiepreis bekanntlich gar nicht hoch genug sein, da er für sie der entscheidende Faktor für die Forcierung der von ihnen propagierten Energiewende ist. Es ist schon verrückt. Ging es in den letzten Jahren immer darum, die Vorzüge der Energiewende mit den Nachteilen für die Bevölkerung in Einklang zu bringen, haben wir nun die massiven Nachteile, ohne dass in Sachen Energiewende auch nur ein klitzekleiner Erfolg zu erzielen wäre. Im Gegenteil. Kernkraft und Kohle sind wichtiger denn je und das vergleichsweise klimafreundliche Erdgas aus Russland wird gegen klimaschädliches LNG aus den USA und Katar ausgetauscht. Das mag im Sinne der Grünen ja geopolitisch wunderbar sein; für die Klimafrage ist es verheerend.
Ähnlich groß ist der innere Spagat der FDP. Auf der einen Seite predigen die Liberalen die Weisheit der Märkte und halten jeden Eingriff des Staates für Teufelswerk. Auf der anderen Seite sieht sich die FDP jedoch auch als Schutzherrin der Wirtschaft und kann nicht sehenden Auges die Volkswirtschaft in eine tiefe Krise schlittern lassen.
Vergleichsweise einfach hat es da die SPD, aus deren Reihen die Rufe nach einer Gaspreisbremse ja auch am lautesten sind. Dummerweise ist die Partei jedoch auf ihre beiden Koalitionspartner angewiesen, die lieber ideologisch irrlichtern, als sich auf vernünftige Kompromisse einzulassen.
Dass gerade die Ampel trotz Schuldenbremse und ideologischen Scheuklappen bei den beiden Juniorpartnern sich nun doch noch, kurz bevor es zu spät wäre, zu einer Gaspreisbremse entschlossen hat, ist überraschend. Man kann nur spekulieren, was die Regierungsparteien letztlich dazu bewogen hat. Die Angst vor einem „heißen Winter“ steht dabei sicherlich an erster Stelle. Durch die angekündigten spürbaren Entlastungen ist erst einmal der Dampf aus dem Kessel. Es wird zwar zahlreiche Demonstrationen geben; da die ökonomische Not jedoch begrenzt wird und wohl vor allem die Mittelschicht spürbar entlastet wird, dürften die Proteste eher überschaubar sein. Hier spielt es der Regierung natürlich auch in die Karten, dass durch die Sprengung von Nord Stream eine greifbare Alternative ausgefallen ist.
War es das?
So richtig und wichtig eine wirksame Gaspreisbremse ist, so klar ist es aber auch, dass es mit diesem Instrument nicht getan sein wird. Was ist mit den Bürgern, die mit Öl heizen? Was ist mit den Pelletheizungen und mit Fernwärme? Alle Formen der Heizenergie haben sich schließlich in diesem Jahr massiv verteuert. Eine Gaspreisbremse ist relativ einfach umzusetzen, da die Versorger die nötigen Daten ihrer Kunden haben. Bei Öl, Holz und Pellets ist das nicht der Fall. Zudem steht immer noch das womöglich viel größere Problem der Stromkosten außen vor. Hier sind die Bedrohungen für die Haushalte und vor allem für Industrie noch größer als bei der Gasproblematik. Die Gaspreisbremse ist der erste Schritt, ihm müssen weitere folgen.
Es ist nicht nur das übliche „ceterum censeo“, wenn man an dieser Stelle noch einmal klipp und klar darauf hinweist, dass es letztlich wenig bringen wird, wenn man an den Symptomen herumdoktert und die Ursachen ignoriert. Auch wenn es momentan mehr und mehr aus dem Blickfeld gerät – langfristig wird Europa seinen Wohlstand ohne bezahlbare Energie aus Russland nicht halten können. Wir haben die Wahl. Wir können uns mit sehr teuren, schuldenfinanzierten Schutzschirmen über die nächsten Jahre retten. Damit schieben wir die unvermeidliche Frage jedoch nur hinaus. Denn wenn der „Doppelwumms“ sich 2024 ausgewummst hat, werden Gas und Strom immer noch deutlich teurer sein als vor der Krise. Die grundlegenden Fragen können solche politischen Notlösungen nicht beantworten. Man kann nur hoffen, dass man die gewonnene Zeit sinnvoll nutzt und klarer sieht, wenn der Rauch der Kanonen in der Ukraine sich einmal verzogen hat.
Titelbild: BrightRainbow/shutterstock.com
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