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Titel: Ein Wirtschaftskrieg ist ein Wirtschaftskrieg – und die Regierung hat ihn vom Zaun gebrochen

Datum: 21. September 2022 um 11:02 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Eine häufige Aussage dieser Tage lautet sinngemäß: „Nicht der Westen führt einen Wirtschaftskrieg gegen Russland, sondern Russland führt einen Angriffskrieg gegen die Ukraine.“ Dadurch wird so getan, als würden sich diese beiden Aussagen ausschließen – das ist aber nicht der Fall: Westliche Regierungen reagieren momentan (entgegen ihren bisherigen außenpolitischen Praktiken) mit einem radikalen Wirtschaftskrieg auf einen „militärischen“ Krieg. Das belegen auch prahlerische Aussagen der Verantwortlichen. Dieser Wirtschaftskrieg berührt das „echte“ Kriegsgeschehen nicht in angemessener Weise, er richtet aber im Rest Europas erheblichen Schaden an und er lindert nicht die Leiden der Ukrainer. Dieses irrationale Handeln muss also im Interesse der europäischen Bürger umgehend durch Gespräche mit Russland beendet werden. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Auch als Reaktion auf eine gute und aufsehenerregende Rede von Sahra Wagenknecht gibt es aktuell eine Debatte darum, ob Wagenknechts Aussage, die Regierung hätte einen „beispiellosen Wirtschaftskrieg mit unserem wichtigsten Energielieferanten vom Zaun gebrochen“, zutrifft (etwa hier). Eindeutig kann man sagen: Ja, die Aussage trifft zu. Krieg und Wirtschaftskrieg schließen sich nicht aus. Die Feststellung der Existenz eines Wirtschaftskriegs leugnet auch nicht die Folgen eines echten Kriegs oder nimmt diesen moralisch in Schutz. Wagenknechts Aussage wird auch durch Zitate einiger Hauptdarsteller der teils durch die Sanktionen selber hergestellten Energiekrise bestätigt.

Die „strengsten Sanktionen, die die Welt jemals sah“

So hat gerade die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das aktuelle westliche Sanktionsregime als die „strengsten Sanktionen, die die Welt jemals sah“, in geradezu prahlerischer Weise beschrieben. Eine Liste der EU-Sanktionen gegen Russland kann man unter diesem Link einsehen. Laut dem luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn hat die EU bereits vor einigen Wochen antirussische Sanktionen beschlossen, wie es diese „in diesem Paket so noch nie gab“. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat einst den Schlachtruf zum westlichen Wirtschaftskrieg verkündet, als sie ausrief, die westlichen Sanktionen würden „Russland ruinieren“. Dass Baerbock den „Ruin” Russlands (mit den fatalen Folgen für die Bürger Russlands und Resteuropas) offensichtlich begrüßen würde, zeigte einmal mehr ihre politische Skrupellosigkeit. Wenn diese Worte keinen Wirtschaftskrieg beschreiben, was dann?

Habeck: „Wir sind quasi Kriegspartei als Wirtschaftskriegspartei“

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat ebenfalls früh eindeutig den neuen „grünen“ Status Deutschlands im Wirtschaftskrieg definiert, als er laut Medien sagte: „Wir sind quasi Kriegspartei als Wirtschaftskriegspartei.“ Damals kündigte Habeck auch schon das grüne Verarmungsprogramm an und den Preis, den „wir“ bereit seien, für unhaltbare grüne Moralkonstrukte zu zahlen:

„Das muss man so klar sagen, wir werden dadurch ärmer werden. (…) Die Frage wird beantwortet werden müssen, wie wir das gerecht verteilen, wie viel wir über Schulden strecken und dann späteren Generationen zur Tilgung der Schulden übertragen. (…) Aber ich glaube und ich bin mir eigentlich sicher, dass wir bereit sind, diesen Preis zu zahlen. Er ist ja gegenüber dem Leiden in der Ukraine klein genug.“

„Nord Stream 2 wird nie in Betrieb gehen“

Die auch von Habeck aufgemachte Gleichung „Für die Sanktionen = Für die Ukraine“ ist Betrug und hält einer näheren Betrachtung nicht stand. Inzwischen ist es trotz massiver Propaganda eindeutig: Dieser Wirtschaftskrieg berührt das „echte“ Kriegsgeschehen kurzfristig kaum, er richtet im Rest Europas aber erheblichen Schaden an und er lindert nicht die Leiden der Ukrainer. Darum ist es auch nicht moralisch verwerflich, die Sanktionen abzulehnen, im Gegenteil. Den Fakt, dass die Sanktionen uns härter treffen könnten, als sie mutmaßlich Russland treffen, wurde auch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bereits thematisiert, als er sagte, die Sanktionen dürften uns nicht härter treffen als die russische Führung.

Diese Einsicht geht vielen Politikern und Journalisten dieser Tage ab. Ein aktuelles Paradebeispiel der Verantwortungslosigkeit und der Unterwürfigkeit unter einen scharfen geopolitischen Wind aus Übersee sind die Äußerungen von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der laut Medien vollmundig behauptet: „Nord Stream 2 wird nie in Betrieb gehen.“

Linkspartei: Irreführende Darstellungen zu Austritten

Da sich die Debatte um die Definition des westlichen Wirtschaftskriegs auch an der erwähnten Rede von Wagenknecht entzündete, hier noch einige Anmerkungen dazu. Zum einen sind einige Berichte in großen Medien über die Rede mit irreführenden Darstellungen verbunden. Unter vielen anderen Artikeln wird etwa vom „Merkur“ über die Wirkung der Rede gesagt:

„Die Folge: Ein Aufschrei auch in der eigenen Partei. Und Austritte mindestens zweier Polit-Promis. Linke-Finanzexperte Fabio de Masi und Soziallobbyist Ulrich Schneider warfen das Handtuch.“

Dass Fabio de Masi jedoch nicht wegen Wagenknechts Rede, sondern wegen des Verhaltens der Parteiführung ausgetreten ist, geht aus seiner Mitteilung hervor. Der von den Ex-Parteichefs Bernd Riexinger und Katja Kipping eingeleitete Niedergang der Linkspartei äußert sich auch beim Schlagwort „Wirtschaftskrieg“ weiter in Grabenkämpfen: Der rechte Flügel der Partei hat mit „befreundeten“ Journalisten nach Wagenknechts wichtiger Rede die Angriffe gegen die bekannteste und beliebteste Politikerin der eigenen Partei nochmals verschärft (mehr dazu hier oder hier).

Fragwürdige Moral: Sanktionen lindern das Leid nicht

Als ein Fazit ist festzustellen: Russland hat einerseits diesen Krieg (nach einer langen Vorgeschichte und zahlreichen ignorierten Roten Linien) begonnen. Andererseits wird von EU-Seite auf diesen Krieg aber völlig anders reagiert als auf zahlreiche (z.B. US-geführte) Kriege davor: Ein Regionalkonflikt wird vorsätzlich an die Grenze eines Weltkriegs geführt. Außerdem können die Sanktionen und ihre Folgen für die eigenen Bürger nicht mit dem russischen Angriff gerechtfertigt werden, weil sie kurzfristig keinen Einfluss auf den Kriegsverlauf nehmen. Die Sanktionspolitik erscheint darum eher wie ein wirtschafts- und geopolitischer Angriff auf Resteuropa, mehr noch als auf Russland.

Angesichts der in diesem Artikel beschriebenen antirussischen Sanktionen und der vorhergehenden jahrelangen Dämonisierung des Landes ist auch die jetzt zur Schau gestellte, nur scheinbare „Verwunderung“ der deutschen Politik über russische Reaktionen als Betrug einzuordnen. Auch die verbreitete Argumentation von der angestrebten Unabhängigkeit von russischer Energie ist längst zur Farce geworden, weil die neuen Abhängigkeiten nicht nur teurer und klimaschädlicher, sondern auch moralisch fragwürdiger als die von Russland sind.

Verhandlungen jetzt

Dass die hier geführte Argumentation nichts mit der russischen Innenpolitik oder gar dem Wunsch nach Unterwerfung unter ein „russisches System“ zu tun hat, sondern schlicht von den Interessen der deutschen Bevölkerung ausgeht, ist selbstverständlich: Russische Energie und die Öffnung von Nord Stream 2 liegen im Interesse unserer Bürger. Diese Debatte wird von vielen Akteuren in Politik und Medien aber oft vernebelt und auf die billige Moralformel „gegen die Sanktionen = für Autokratie“ reduziert.

Die selbstzerstörerische Situation muss durch Verhandlungen mit Russland schnell gelöst werden – und diese Verhandlungen müssten einen realistischen Ansatz verfolgen: Unrealistische Vorbedingungen, um Gespräche überhaupt erst zu beginnen – wie ein Rückzug Russlands hinter die eigenen Grenzen – sollen solche wichtigen Verhandlungen unmöglich machen und das Sterben und die destruktive Wirkung der Sanktionen verlängern. Diese Verhandlungen müssten berechtigten russischen Sicherheitsbedenken Rechnung tragen sowie eine (auch von russischer Seite) langfristig entmilitarisierte und blockfreie Ukraine in den Blick nehmen.

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Titelbild: woocat / Shutterstock


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