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Titel: Auch Kriegstreiber wollen den Frieden
Datum: 8. September 2022 um 13:30 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Friedenspolitik, Kultur und Kulturpolitik
Verantwortlich: Jens Berger
Die Netflix-Produktion „Im Westen nichts Neues“ soll bei der kommenden Oscar-Verleihung für Deutschland an den Start gehen. Man darf gespannt sein, tritt diese Neuproduktion doch ein schweres Erbe an. Die 1930 erschienene Erstverfilmung des Meisterwerks von Erich Maria Remarque gilt zu Recht als Filmklassiker und einer der beeindruckendsten Antikriegsfilme, die je gedreht wurden. Seit ich diesen Film als junger Teenager das erste Mal sah, ist mir besonders eine Szene im Gedächtnis geblieben, die heute aktueller denn je ist. Wer will eigentlich, dass Kriege weitergehen? Zu Zeiten des jungen Protagonisten Paul Bäumer waren es die bürgerlichen alten Herren. Heute sind es auch und vor allem „Linksliberale“, die den Krieg in der Ukraine durch Waffenlieferungen und Unterstützung in die Länge ziehen wollen und dabei so weit von den Abgründen in den Schützengräben entfernt sind wie die bürgerlichen Schreibtischgeneräle in Remarques Buch. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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„Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen die Krieg, bis ich herausfand, daß es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hingehen müssen.“
– Erich Maria Remarque in einem Interview mit Friedrich Luft, 1963
Als das gerade einmal zwei Jahre zuvor veröffentlichte Buch „Im Westen nichts Neues“ 1930 von Lewis Milestone verfilmt wurde und als einer der ersten Tonfilme weltweit in die Kinos kam, war es einer der erfolgreichsten Filme überhaupt. Und dies nicht nur kommerziell. Die pazifistische Botschaft des Filmes wirkte. Das Branchenblatt „Variety“ schrieb damals, dass der Völkerbund den Film auf der ganzen Welt in jeder Sprache zeigen sollte; so lange, bis das Wort „Krieg“ aus den Wörterbüchern gestrichen ist. Dazu kam es nicht. In Deutschland sorgten rechte Kreise dafür, dass der Film nach kurzer Zeit wegen seiner „ungehemmt pazifistischen Tendenz“ verboten wurde – aber auch linke Blätter, wie die „Rote Fahne“, prangerten den Film an, der ohne weltanschauliches Pathos die Kriegsgräuel aus der Perspektive ganz normaler bürgerlicher Jugendlicher erzählt. Später wurde der ohnehin massiv gekürzte Film übrigens auch in Frankreich als „zu deutschfreundlich“ verboten. Das Verbot wurde erst 1963 wieder aufgehoben. In den Österreich fiel das 1931 verhängte Verbot erst in den frühen 1980ern. „Wehrkraftzersetzung“ ist offenbar nirgends gern gesehen.
Mich beeindruckte das Buch und mehr noch der Film bereits als Jugendlicher zutiefst. Die Schrecken in den Schützengräben, die Hoffnungslosigkeit und das Sterben der eigenen Ideale – so falsch sie sein mögen – werden hier meisterlich erzählt. Man erlebt Geschichte intensiv; intensiver, als es jeder Geschichtsunterricht je vermitteln könnte. Besonders berührt hat mich jedoch seit jeher eine Szene, die im Buch eher am Rande erzählt, aber im Film sehr eindrucksvoll in schlichter Nüchternheit inszeniert wurde. Schon fast gegen Ende der Erzählung bekommt der Protagonist Paul Bäumer nach einem Lazarettaufenthalt einen Heimaturlaub. Dort wird der von Tod, Schrecken und Kriegsgräuel desillusionierte Frontsoldat von den Freunden seines Vaters an deren Stammtisch eingeladen. Die bürgerlichen „Schreibtischgeneräle“ erklären dem Jungspund dann schulterklopfend bei Bier und Zigarre über eine Karte mit dem Frontverlauf gebeugt die Lage. Die jüngsten Nachrichten von der Front seien doch vielversprechend, der Feind zeige Schwächen und schon bald stünde man sicher schon in Paris; man sei stolz auf ihn, er verteidige – wie man wohl heute sagen würde – „unsere Werte“. Paul Bäumer resigniert und will nur noch eins – zurück an die Front, da der Zynismus der alten Männer, die vor kurzem für ihn noch Autoritäten darstellten, für ihn ein noch größerer Horror als das Sterben selbst ist. Und doch – auch die alten Herren wollen keinen Krieg, sondern den Frieden: „Schmeißt die Kerle ´raus, dann gibt es auch Frieden“, wie es im Buch heißt.
Heute sind es nicht die eigenen Söhne und Töchter, die in den Schützengräben niedergemetzelt werden. Die Verteidigung der westlichen Werte ist von den heutigen Kriegstreibern den Ukrainern überlassen. Heute debattieren sie in Foren und den sozialen Netzwerken über Karten, die den Frontverlauf und die angeblichen Fortschritte der Gegenoffensive im Süden der Ukraine zeigen. Und auch die heutigen Kriegstreiber wollen ja keinen Krieg, sondern nur, dass man die „Kerle rausschmeißt“ und es dann – aber auch erst dann(!) – „Frieden“ geben kann. Man macht sich für Waffenlieferungen stark. Sie sollen den Krieg – und damit das Leiden – verlängern. Erst wenn der Russe seine Landgewinne wieder verliert, sei Zeit, an den Verhandlungstisch zu gehen. Der Frontverlauf sei schließlich entscheidend für die Konzessionen, die man eingehen muss.
Bis dahin geht das Sterben weiter. Tausende Tote, zehntausende Verstümmelte, eine verlorene Generation – all dies wird in Kauf genommen und dies auf beiden Seiten der Schützengräben. Die Soldaten interessieren sie nicht; ihr Leid, ihr Sterben, ihre verstümmelten Körper – „Gewiss, der einzelne, aber es kommt doch auf das Gesamte an“, wie es einer der alten Herren im Buch dem Frontsoldaten altväterlich erklärt.
Die alten Herren von heute sind jung; sie sind nicht nationalistisch, sondern verstehen sich als progressiv, ja als „linksliberal“. In ihrem menschenverachtenden Zynismus und in ihrer Unfähigkeit, die Schrecken des Krieges zu begreifen, unterscheiden sie sich jedoch kein Jota von ihren wilhelminischen Brüdern im Geiste. Auch sie sehen nicht den Einzelnen, sondern nur noch das „Gesamte“. Sie kommen in großen Teilen aus einer Generation, die die Schrecken des Krieges nicht mehr aus erster Hand von den Eltern oder Großeltern überliefert bekam. Für sie ist Krieg etwas Abstraktes. Daher kann man nur hoffen, dass die Neuverfilmung von Remarques Meisterwerk ebenso eindringlich ist, wie die Erstverfilmung von 1930 und vor allem diese jungen alten Herren erreicht, für die Krieg heute eine Fortführung der Politik mit anderen Mitteln ist. Frieden mag nicht alles sein, aber ohne Frieden ist alles nichts.
Titelbild: Screencap „Im Westen nichts Neues“, 1930
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