NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Hinweise des Tages

Datum: 23. März 2011 um 9:04 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

Heute unter anderem zu folgenden Themen: Aus Bürgerkrieg wird Krieg; Afghanen übernehmen das Kommando; AKW-Katastrophe in Japan; Bundesregierung gründet einen Arbeitskreis; Bundesgerichtshof entscheidet zu Beratungspflichten einer Bank; Steueroase Florida; Exportanstieg; Euro-Rettungsschirm: Deutschland muss 22 Milliarden Euro zahlen; Haushaltslage der Kommunen; Leiharbeit; 2,93 Millionen Arbeitslose 2011; Hartz IV; Wasserwirtschaft in Deutschland; Rechtsextremismus: Die 90 vergessenen Opfer; Analyse der Wahl in Sachsen-Anhalt; 60 Lügen über “Stuttgart21”; Mappus auf dem Schleudersitz; Lafontaine – “Es gibt keinen grünen Kapitalismus”; Der Front National hat gut lachen; Berliner Hochschulgesetz; Facebook als Tummelfeld für undurchsichtige Akteure; Zu guter Letzt: Was Sie sofort tun können: Zehn Empfehlungen. (WL/MB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Libyen: Aus Bürgerkrieg wird Krieg
  2. Afghanen übernehmen das Kommando in sieben Regionen
  3. AKW-Katastrophe in Japan
  4. Bundesregierung gründet einen Arbeitskreis
  5. Bundesgerichtshof entscheidet zu Beratungspflichten einer Bank
  6. Steueroase Florida: Unsere Wirtschaft würde nachhaltig geschädigt
  7. Exportanstieg im 4. Quartal 2010 um fast 21%
  8. Euro-Rettungsschirm Deutschland muss 22 Milliarden Euro zahlen
  9. Haushaltslage der Kommunen im Jahr 2010 weiter angespannt
  10. Leiharbeit
  11. IAB: 2,93 Millionen Arbeitslose im Jahresdurchschnitt 2011
  12. Hartz IV
  13. Wasserwirtschaft in Deutschland
  14. Rechtsextremismus: Die 90 vergessenen Opfer
  15. Analyse der Wahl in Sachsen-Anhalt
  16. 60 Lügen über “Stuttgart21”
  17. Mappus auf dem Schleudersitz
  18. Lafontaine – “Es gibt keinen grünen Kapitalismus”
  19. Der Front National hat gut lachen
  20. Berliner Hochschulgesetz: Novelle genügt studentischen Anforderungen nicht
  21. Freunde als Ware: Die Internet-Plattform Facebook als Tummelfeld für undurchsichtige Akteure
  22. Zu guter Letzt: Was Sie sofort tun können: Zehn Empfehlungen

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Libyen: Aus Bürgerkrieg wird Krieg
    1. Vom Bürgerkrieg zum Krieg
      Die neue „Koalition der Willigen“ hat, kaum war die UN-Resolution zur Flugverbotszone verabschiedet, begonnen, Bomben in Libyen abzuwerfen. Das ist, UN hin, UN her, die Ausweitung eines innerstaatlichen Krieges in einen zwischenstaatlichen Krieg – aber nicht automatisch der Anfang vom Ende der Diktatur Gaddafis. Kaum sind die ersten Luftattacken geflogen, werden sie schon kritisiert wegen der Opfer unter der Zivilbevölkerung, die zu schützen doch der Auftrag ist. Kritisiert zum Beispiel gerade auch von der Arabischen Liga, die den UN-Beschluss ja mitgetragen hatte. Und kaum hat die Intervention begonnen, gibt es schon Streit darüber, welche militärischen Operationen von der Resolution noch gedeckt werden und welche nicht mehr. Und darüber, was für die Menschen in Libyen gewonnen ist, wenn die Truppen des Diktators „nur“ noch zu Lande gegen das eigene Volk vorgehen.
      Der Einsatz der Alliierten bedeutet die Ausdehnung der Kampfzone, nicht ihre Einengung.
      Quelle: FR
    2. Obama will den Libyen-Krieg nicht anführen
      Der US-Präsident lehnt eine Führungsrolle der USA ab – die Europäer sollen ran. Einen weiteren, unkalkulierbaren Einsatz im Ausland will er vermeiden.
      Das Militär könne wegen Irak und Afghanistan keinen lang anhaltenden dritten Krieg führen und schon gar nicht Bodentruppen für ein weiteres Nation building stellen, wenn nach Gadhafis Sturz ein Machtvakuum entstehe und ausländische Streitkräfte die Sicherheit und später freie Wahlen garantieren sollen. Selbst wenn man die Mission von vornherein auf den Schutz der Zivilbevölkerung aus der Luft beschränke, könne sich aus dem weiteren Verlauf ein Sog entwickeln, der die USA ungewollt in einen vollen Krieg ziehe.
      Keine führende Rolle der USA? Obama hält daran fest. Er definiert den Auftrag viel enger als Frankreichs Präsident Sarkozy. “Die Zivilbevölkerung schützen”, sagt Obama. “Gadhafi stürzen”, sagt Sarkozy. Französische Kampfjets greifen Gadhafis Truppen an, das US-Militär beteiligt sich bisher nur an der Ausschaltung der libyschen Luftabwehr. Danach sollen “unsere europäischen und arabischen Verbündeten die Flugverbotszone durchsetzen”. Die USA wollen sich nach wenigen Tagen auf eine Rolle im Hintergrund zurückziehen.
      Quelle: Die Zeit
    3. NATO zeigt sich nicht bündnisfähig
      Der Militäreinsatz in Libyen droht die NATO zu spalten. Die Botschafter der 27 Mitgliedsstaaten konnten sich noch immer nicht auf eine gemeinsame Marschrichtung einigen. Mehrere Botschafter und sogar Generalsekretär Rasmussen verließen zweitweise den Saal.
      Frankreich beharrt auf der Führungsrolle beim Militäreinsatz. Nach Angaben von Diplomaten will die Regierung diese allenfalls an die EU abtreten. Die Türkei wiederum blockiert eine Steuerung des Militäreinsatzes durch die NATO. Ministerpräsident Tayyip Erdogan forderte, die Luftangriffe müssten so schnell wie möglich beendet und eine Besetzung des ölreichen Landes vermieden werden. “Unser größter Wunsch ist, dass die Libyer selbst über ihre Zukunft bestimmen”, sagte er in Mekka am Rande eines Saudi-Arabien-Besuches.
      Quelle: tagesschau.de
    4. Die flüchtige Macht der Rebellen
      Sie wollen die Macht in Libyen übernehmen – doch die Regierung der Rebellen in Bengasi ist ein flüchtiges Gremium: Der Chef hält sich versteckt, gemeinsame Treffen gibt es nicht, selbst viele Namen sind geheim. Im Interview erklärt der Generalsekretär, wie seine Leute die Zukunft des Landes organisieren wollen. 
      Quelle: Spiegel Online
    5. Libyen: Gut gemeint…
      …ist meist das Gegenteil von gut. Malte Lehming erläutert im Kontrapunkt, warum die “Odyssee Morgendämmerung”, mit der eine Kartenhauskoalition der Willigen in Libyen eingreift, falsch und töricht ist.
      Quelle: Tagesspiegel

      Anmerkung Orlando Pascheit: Es ist nicht unvorstellbar, dass eines Tages Gaddafi, ebenso wie von Vielen Saddam Hussein, als das kleinere Übel betrachtet werden wird – wenn sich in Libyen ein blutiger Bürgerkrieg entwickeln sollte. Wir haben, von einem extremen Standpunkt gesehen, die Wahl zwischen einer blutigen Abrechnung durch Gaddafi oder eben der Aufständischen mit ihren Gegnern. Malte Lehming hält letzteres Szenario für wahrscheinlich und dies auch noch unter der Flagge eines militanten Islamismus. – So wichtig es ist, sich zu fragen, was nach Gaddafi kommt, Lehmig machte sich zu einfach oder präziser: er arbeitet so unseriös, wie er das anderen vorwirft. Er ignoriert vollkommen, dass der libysche Protest zunächst genauso zivil war wie in Tunesien oder Ägypten. Er begann im Osten des Landes und erstreckte sich bis nach Tripolis, wo er bald mit Gewalt niedergeschlagen wurde. Vor dem Obersten Gericht in Tripolis demonstrierten nach Augenzeugenberichten Anwälte, Richter und Staatsanwälte gegen den Einsatz von Gewalt gegen Demonstranten. Die BBC berichtet von mindestens vier Protestzügen in Tripolis. Sicherheitskräfte seien dann mit scharfer Munition und Tränengas gegen die Protestierenden vorgegangen. Der arabische Sender Al Dschasira berichtete von 60 Toten. Ausländer, die aus Tripolis zurückkehrten, berichteten aber von Chaos und Gewaltexzessen. Scharfschützen hätten auf flüchtende Demonstranten geschossen, Frauen seien vergewaltigt und Menschen willkürlich verhaftet worden, hieß es. Auch im 200 Kilometer entfernten Misratah sei es zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Als in Benghazi 35 Regierungsgegner bestattet wurden, die tags zuvor getötet wurden, hätten Soldaten von einem Militärgelände aus mit schweren Waffen auf den Trauerzug geschossen, mit Dutzenden von Toten und über hundert Schwerverletzten (wiederum BBC und Al Dschasira). In Al-Baidha sollen nach unbestätigten Augenzeugenberichten mehr als 30 Menschen ums Leben gekommen. Die Armee-Brigade von Gaddafis Sohn Chamies habe damit begonnen, die Demonstranten dort zu vertreiben. Die Behauptung Lehmings, es sei nicht einmal belegt, dass Gaddafi gezielt Zivilisten angegriffen habe, verhöhnt die Opfer. Der Justizminister trat aus Protest gegen die „exzessive Gewalt gegen Demonstranten“ zurück. Mit Innenminister Abdul Fatah Junis al Abidi verlor der Staatschef einen seiner wichtigsten Mitstreiter. Der ständige Vertreter Libyens bei der Arabischen Liga trat aus den gleichen Gründen zurück. Bisher trat über ein Dutzend libyscher Spitzendiplomaten zurück. Der zurückgetretene libysche Botschafter in Indien warf der Regierung vor, sie setze Kampfflugzeuge gegen Demonstranten ein. Zwei Offiziere der Luftwaffe flohen in zwei Kampfflugzeugen nach Malta und baten um Asyl, sie hätten den Auftrag gehabt, auf Demonstranten zu schießen. In der Folge wendeten mindestens zwei Stämme von Gaddafi ab; unter ihnen auch der größte Stamm der Warfala, der südlich von Tripolis lebt und bisher auf Seiten Gaddafis stand. Ein Stammesführer wird mit den Worten zitiert, Gaddafi sei nicht mehr „ihr Bruder“ und er solle das Land verlassen. – Wohlgemerkt dies alles geschah, bevor der Protest in einen bewaffneten Aufstand umschlug, der vor allem davon profitierte, dass sich Einheiten der Armee und der Polizei auf die Seite der Demonstranten schlugen. Wenn Lehming aus der Zahl lybischer Al-Qaida-Terroristen im Irak auf einen islamistisch dominierten Aufstand schließen möchte, ist das eine sehr dünne Argumentation. Die libyschen Islamisten auch im Osten des Landes halten sich bisher zurück. Im Protest spielten sie keine bedeutende Rolle. Es dominierten die jungen Leute, die sich vor allem Arbeitsplätze und ein besseres Leben wünschen, wie viele Gleichaltrige in den Nachbarländern Ägypten und Tunesien. Auf einem Video erklärt ein Offizier: „Wir sind die kommandierenden Offiziere des Militärs in Dschabal Akhdhar und den umliegenden Regionen. Wir erklären, dass wir uns der Jugendbewegung anschließen und uns dem Kommando des Volkes unterstellt haben, um Frieden, Sicherheit und das öffentliche Interesse zu wahren … Möge Gott uns schützen.“ Da immer mehr Soldaten der regulären Armee zu den Demonstranten überlaufen, muss sich das Gaddafi- Regime, ein Unterschied zu Ägypten, auf Kräfte zu stützen, die auf Gedeih und Verderb mit ihm verbunden sind – oder auf Ausländer, die nicht im Land verwurzelt sind. Auch wie Lehming ausländische Söldner in Diensten Gaddafis abtut, ist fragwürdig. Er stützt sich dabei auf einen Wochenendaufenthalt eines Korrespondenten der FAZ in Benghazi. Seltsam ist nur, dass dieser Korrespondent von der Verhaftung von über 30 ausländischen Söldnern in Benghazi nichts mit bekommen hat. Dominic Johnson hat in der taz zum Thema Legionäre einige Quellen zusammen gestellt, die ausländische Söldner in Gaddafis Diensten in beträchtlichem Umfang nahe legen.
      Wie gesagt, es ist verdienstvoll, die Zeit nach Gaddafi zu thematisieren, aber nicht so. Leider hat sich die Regierung vor ihren Entschluss weder mit der völkerrechtlichen Frage, noch mit einer militärischen Analyse inklusive zivile Opfer und eben der Zeit nach Gaddafi in einer Weise befasst, die ihre Entscheidung nachvollziehbar macht. Einmal abgesehen davon, wie dumm muss man sein, um sich in der UNO zu enthalten, wohlwissend, dass man in der Nato zustimmen muss. Selbst jetzt erreichen uns fast nur Allgemeinplätze. Die intelligentesten Ausführungen zu der Zurückhaltung der Bundesrepublik waren von Thomas de Maizière gehört, aber eben erst im Nachhinein. – Wer übrigens einen sehr kritischen Beitrag zur völkerrechtlichen Legitimation der Intervention lesen möchte, sei auf den nachfolgenden Aufsatz vom Reinhard Merkel in der FAZ verwiesen.

    6. Die Militärintervention gegen Gaddafi ist illegitim
      Die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats vom 17. März, die den Weg zur militärischen Intervention in Libyen freigab, und Maß und Ziel dieser Intervention selbst überschreiten die Grenzen des Rechts. Nicht einfach nur die Grenzen positiver Normen – das geschieht im Völkerrecht oft und gehört zum Motor seiner Entwicklung. Sondern die seiner Fundamente: der Prinzipien, auf denen jedes Recht zwischen den Staaten beruht.
      Strenger als es der Sicherheitsrat getan hat, müssen zwei denkbare Ziele der Intervention unterschieden werden: die Verhinderung schwerer völkerrechtlicher Verbrechen und die gewaltsame Parteinahme zur Entscheidung eines Bürgerkriegs. Beides unterliegt höchst unterschiedlichen Möglichkeiten der Rechtfertigung. An eine dritte Unterscheidung sei vorsichtshalber erinnert: Ob man Gewalttaten unterbinden oder Diktatoren zum Teufel jagen soll, ist die eine Frage – selbstverständlich soll man das, so gut es geht. Eine ganz andere ist es aber, ob man zu diesem Zweck einen Krieg führen darf, dessen Folgen politisch wie normativ schwer abzusehen sind…
      Ganz gewiss: Gaddafi ist ein Schurke, dessen Entfernung von der Macht ein Segen wäre, nicht nur für Libyen. Aber die Annahme, die ihn bekämpfenden Rebellen seien eine Demokratiebewegung mit homogenen freiheitlichen Zielen, ist lebensblind. Niemand durchschaut das dunkle Gemisch politisch-ideologischer Orientierungen unter den Rebellen derzeit auch nur annähernd…
      Hätten die Verfasser der Resolution deren humanitäre Begrenzung ernst gemeint, dann hätten sie die drohende Nötigung, mit der Gewalt aufzuhören, deutlich an beide Seiten richten müssen. Das haben sie nicht. Es ist aber ein normatives Unding, zur Befriedung eines militärischen Konflikts die Machtmittel der einen Seite auszuschalten, um denen der anderen zur freien Wirkung zu verhelfen. Nur so freilich lässt sich der Sturz Gaddafis erreichen. Und eben darum geht es.
      Nun also: Darf man zum Schutz der Zivilbevölkerung eines anderen Staates gegen diesen Staat Krieg führen? Ja, in Extremfällen darf man das – wenn sich nur so ein Völkermord oder systematische Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhindern lassen, wie sie Artikel 7 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs beschreibt…
      „Der Diktator führt Krieg gegen sein eigenes Volk, bombardiert systematisch seine eigene Bevölkerung, massakriert die Zivilbevölkerung seines Landes“ – ja, das alles, in den vergangenen Tagen tausendfach wiederholt, wären Beispiele für gravierende Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber Gaddafi führt Krieg gegen bewaffnete Rebellen, die ihrerseits Krieg gegen ihn führen.
      Quelle: FAZ

      Anmerkung WL: Der Rechtsprofessor Reinhard Merkel hält die Enthaltung der Bundesregierung im Sicherheitsrat für richtig. Siehe jedoch zu den Widersprüchlichkeiten dieser Entscheidung Deutsche Militärpolitik à la Absurdistan. Konsequent wäre, wenn die Bundesregierung spätestens jetzt konsequent für einen sofortigen Waffenstillstand eintreten würde, bevor es zu einer ähnlichen Situation wie im Irak oder in Afghanistan kommt.

  2. Afghanen übernehmen das Kommando in sieben Regionen
    Die afghanischen Streitkräfte übernehmen nach Angaben von Präsident Hamid Karzai in Kürze die Kontrolle in sieben Gebieten des Landes. Karzai erklärte in einer Rede am Dienstag, der Übergang werde im Juli in den Provinzhauptstädten Laschkar Gah im Süden des Landes, in Herat im Westen, Masar-i-Scharif im Norden und Mehtar Lam im Osten beginnen. Zudem sei die Übergabe der Macht in den Provinzen Bamiyan und Pandschir geplant, in denen es wenige oder sogar gar keine Kämpfe gegeben habe. Das gelte auch für die Provinz Kabul mit Ausnahme des Bezirks Surobi, der an der Straße nach Pakistan liege und wo es immer wieder zu Gefechten komme. “Das afghanische Volk will nicht, dass die Verteidigung des Landes in den Händen anderer ist”, sagte Karzai vor Hunderten Würdenträgern und afghanischen Polizisten und Soldaten in der Nationalen Militärakademie in Kabul. Die Übergabe der Macht werde dann von den Provinzhauptstädten auf die Provinzen ausgedehnt. Karzai rief auch die Taliban wieder auf, sich dem Friedensprozess anzuschließen.
    Quelle: Spiegel

    Anmerkung Orlando Pascheit: Vielleicht hätte sich Guido Westerwelle nicht so weit aus dem Fenster lehnen sollen. “Der Beginn des Übergabeprozesses ist ein Erfolg für die von uns mitbetriebene Neuausrichtung des internationalen Afghanistan-Einsatzes”, klingt gut, aber ist noch nicht von der Realität getestet worden. Die Winterpause der Taliban ist bald vorbei. – In Masar-i-Scharif ist das deutsche Hauptquartier des Afghanistan-Einsatzes. Auch in Kabul sind deutsche Truppen der Bundeswehr stationiert.

  3. AKW-Katastrophe in Japan
    1. Die Katastrophe als Normalzustand
      Weißer Rauch, ein Stromkabel: Erfolgsmeldungen. Die Maßstäbe in Fukushima ändern sich. Strahlen, kochende Abklingbecken und das verseuchte Meer werden verdrängt.
      Nach zehn Tagen der akuten Atomkatastrophe ändern sich die Maßstäbe. Die totale Katastrophe ist zum Normalzustand geworden. Immer noch glühen die Kerne von drei Reaktoren unkontrolliert vor sich hin, geben Radioaktivität in die Umgebung ab und drohen weiterhin, ihre Behälter durchzuschmelzen. Seit Tagen gibt es keine belastbaren Daten über die Strahlung auf dem Gelände, die radioaktive Belastung der Einsatzkräfte oder den Zustand der Druckbehälter, in denen die Kernschmelzen ablaufen.
      Quelle: taz
    2. Alle Reaktoren wieder mit Strom versorgt
      Weiterhin steigt Rauch aus den Meilern auf, Entwarnung kann nicht gegeben werden. Doch immerhin sollen die sechs Reaktoren in Fukushima wieder eine Verbindung mit dem Stromnetz haben. Im Meerwasser rund um das AKW werden indes drastisch erhöhte Strahlenwerte gemessen.
      Der japanische Industrie- und Wirtschaftsminister soll Feuerwehrmänner aus Tokio gezwungen haben, stundenlang Wasser auf den radioaktiv strahlenden Reaktor im Atomkraftwerk Fukushima-1 zu sprühen. Minister Banri Kaieda soll den Männern eine Strafe angedroht haben, falls sie die Aufgabe nicht ausführten, berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo.
      Quelle: Süddeutsche
    3. Betreiber Tepco fälschte Reparatur-Protokolle
      Der Betreiber des Atomkraftwerkes Fukushima-Daiichi hat Kühlpumpen und Generatoren jahrelang nicht kontrolliert und Wartungsprotokolle gefälscht. Waren die Notstromaggregate bereits vor Erdbeben und Tsunami defekt?
      Quelle: Süddeutsche

      Anmerkung unseres Lesers C.L. zu den beide vorigen Artikeln: Profitmaximierung im Atomkraftwerk: Wartungskosten reduziert, Laufzeit verlängert, das Restrisiko auf den Staat verlagert. Plötzlich tritt das “unwahrscheinliche” ein und die Bevölkerung muss über Generationen für die Folgen aufkommen. Zu den Gewinnen aus dem Betrieb fehlt unterdessen jede Spur ? Dieses Szenario macht mir mehr Angst als jedes Erdbeben und jeder vermeintliche Terror-Angriff auf Atomkraftwerke und treibt mich zum ersten Mal in meinem Leben auf die Straße.

    4. Robert von Heusinger: Was kostet die Katastrophe?
      Bei den Bildern der rauchenden Reaktoren von Fukushima herrscht vor allem eins: Unsicherheit. Und die könnte unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen, wirtschaftliche nämlich. Denn die Katastrophe in Japan hat das Zeug dazu, die Weltwirtschaft empfindlich zu treffen.
      Quelle: FR-Online
  4. Bundesregierung gründet einen Arbeitskreis
    1. Töpfer wird oberster Atom-Weiser
      Kanzlerin Merkel hatte zum Atomgipfel gerufen. Es sollte über den Atomausstieg beraten werden. Konkrete Ergebnisse hatte sie am Ende nicht zu bieten, dafür aber eine weitere Kommission – unter Leitung des früheren Umweltministers Töpfer.
      Quelle: Süddeutsche

      Anmerkung MB: Wenn Du nicht mehr weiter weißt, bilde einen Arbeitskreis. Und sorge dafür, dass er möglichst ausgeglichen wirkt und z.B. Mitglieder anderer Parteien hat, deren Ansichten hier ungefährlich sind (z. B. Klaus von Dohnanyi).

    2. Michael Müller: Ein schneller Ausstieg ist möglich
      Dass die Bundeskanzlerin es mit der Wahrheit nicht genau nimmt – geschenkt. So ist beispielsweise die Behauptung, bei Rot-grün wäre nur Neckarwestheim vom Netz gegangen, ziemlich kühn, auf jeden Fall falsch, denn nach dem Ausstiegsgesetz von 2001 wären neben den Reaktoren Stade und Obrigheim (sowie das endgültig stillgelegte AKW Mühlheim-Kärlich) bis heute die Atomkraftwerke Biblis A und Biblis B, Neckarwestheim 1, Brunsbüttel und Isar 1 sowie bis März 2012 noch Unterweser und Philippsburg 1 abgeschaltet worden. Nimmt man den Pannenreaktor Krümmel hinzu, sind das exakt die Kraftwerke, deren Stilllegung jetzt als Sofortmaßnahme von der Anti-Atombewegung gefordert wird.
      Wenn es Verzögerungen beim Abschalten gegeben hat, dann nur deshalb, weil die vier Betreiber EnBW, Eon, RWE und Vattenfall darauf gesetzt haben, dass CDU/CSU und FDP ihnen nach einem Sieg bei der Bundestagswahl von 2009 längere Laufzeiten zugestehen.
      Quelle: Gegenblende
    3. Umweltverbände kritisieren Netzausbaupläne
      Bund und Nabu halten ein neues Gesetz für unnötig und warnen vor kürzeren Verfahren. Auch im Sachen nötiger Investitionen gehen die Umweltverbände auf Abstand zu den Aussagen von Wirtschafsminister Brüderle.
      Quelle: Frankfurter Rundschau
  5. Bundesgerichtshof entscheidet zu Beratungspflichten einer Bank bei Abschluss eines Zinssatz-Swap-Vertrages
    Bei einem so hochkomplex strukturierten und riskanten Produkt wie dem CMS Spread Ladder Swap-Vertrag (Erklärung siehe in der Pressemitteilung (WL))sind hinsichtlich der Risikodarstellung des Anlageprodukts hohe Anforderungen an die beratende Bank zu stellen. Dem Kunden muss in verständlicher und nicht verharmlosender Art und Weise insbesondere klar vor Augen geführt werden, dass das für ihn nach oben nicht begrenzte Verlustrisiko nicht nur ein “theoretisches” ist, sondern abhängig von der Entwicklung des “Spreads” real und ruinös sein kann, wohingegen die ihn beratende Bank – abgesehen von den “Hedge-Geschäften” – ihr Verlustrisiko von vornherein eng begrenzt, weil sich durch die Kappung der variablen Zinsen bei 0% keine “negative Zinszahlungspflicht” des Kunden errechnen kann, die die auf 3% p.a. festgeschriebene Zahlungspflicht der Bank erhöhen könnte. Die Aufklärung, die in ihrer Intensität von den Umständen des Einzelfalls abhängt, muss bei einem so hochkomplexen Produkt gewährleisten, dass der Kunde im Hinblick auf das Risiko des Geschäfts im Wesentlichen den gleichen Kenntnis- und Wissensstand hat wie die ihn beratende Bank, weil ihm nur so eine eigenverantwortliche Entscheidung möglich ist, ob er die ihm angebotene Zinswette annehmen will.
    Ob die Beklagte diesen hohen Anforderungen an die Darstellung der Risiken des CMS Spread Ladder Swap-Vertrages gerecht geworden ist, konnte offen bleiben, weil sie ihre Beratungspflicht bereits dadurch verletzt hat, dass sie nicht auf den zum Abschlusszeitpunkt für die Klägerin negativen Marktwert des Vertrages in Höhe von ca. 4% der Bezugssumme (ca. 80.000 €) hingewiesen hat. Der XI. Zivilsenat hat entschieden, dass die Beklagte im Rahmen der von ihr durchgeführten Anlageberatung zu einer dahingehenden Aufklärung verpflichtet gewesen wäre, weil der von ihr bewusst strukturierte negative Marktwert Ausdruck eines schwerwiegenden Interessenkonfliktes ist. Bei der in Rede stehenden Zinswette ist der Gewinn der einen Seite der spiegelbildliche Verlust der anderen Seite. Für die Beklagte als Partnerin der Zinswette erweist sich der “Tausch” (engl. swap) der Zinszahlungen nur dann als günstig, wenn ihre Prognose zur Entwicklung der Zinsdifferenz gerade nicht eintritt und die Klägerin Verlust erleidet. Als Beraterin ist die Beklagte hingegen verpflichtet, die Interessen der Klägerin zu wahren. Diesen Interessenkonflikt hat die Beklagte nicht dadurch gelöst, dass sie ihre Rolle als “Wettgegnerin” der Klägerin nicht für die vertraglich vereinbarte Laufzeit beibehalten hat, sondern ihre Risiken und Chancen des Geschäfts sofort durch “Hedge-Geschäfte” an andere Marktteilnehmer weitergegeben hat. Die weitere Entwicklung des “Spreads” über die Laufzeit des Vertrages konnte der Beklagten nur deshalb gleichgültig sein, weil sie durch diese Gegengeschäfte bereits ihre Kosten gedeckt und ihren Gewinn erzielt hat. Dies hat die Beklagte dadurch ermöglicht, dass sie die Konditionen des Swap-Vertrages bewusst so strukturiert hat, dass der Markt das Risiko, das die Klägerin übernimmt, in Höhe von ca. 4% der Bezugssumme negativ und die Chancen der Beklagten in dieser Höhe positiv bewertete, so dass sie sich diesen Vorteil durch die “Hedge-Geschäfte” abkaufen lassen konnte. Der Pflicht zur Aufklärung über den negativen Anfangswert des Vertrages steht nicht entgegen, dass eine Bank, die eigene Anlageprodukte empfiehlt, grundsätzlich nicht verpflichtet ist, darüber aufzuklären, dass sie mit diesen Produkten Gewinne erzielt. Der insofern bestehende Interessenkonflikt ist offenkundig. Er ist jedoch dann aufklärungspflichtig, wenn – wie hier – über das reine Gewinnerzielungsinteresse hinaus besondere Umstände hinzutreten. Diese besonderen Umstände bestehen bei der Empfehlung eines CMS Spread Ladder Swap-Vertrages darin, dass die beratende Bank die Risikostruktur des Anlagegeschäfts bewusst zu Lasten des Anlegers gestaltet hat, um unmittelbar im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vertrages das Risiko gewinnbringend verkaufen zu können, das der Kunde aufgrund ihrer Beratungsleistung übernommen hat.
    Quelle: Bundesgerichtshof

    Anmerkung WL: Es ist bemerkenswert, dass sich die Richter mit der Deutschen Bank angelegt haben und sie zu einem Schadenersatz von immerhin einer halben Million Euro verurteilt haben. Über den Einzelfall hinaus macht dieses Urteil deutlich, welche Geschäftspraxis bei den Banken üblich ist: Die Bank habe ihre Beratungspflicht schon dadurch verletzt, dass sie die Klägerin nicht darüber aufklärte, dass die Zinswette zum Abschlusszeitpunkt für die Klägerin einen negativen Marktwert des Vertrages in Höhe von ca. vier Prozent der Bezugssumme (ca. 80.000 Euro) hatte – Kosten, Risiko und Gewinn der Bank waren schon von Anfang an zu seinen Lasten eingepreist. Außerdem habe die Bank ihre Gewinnchancen aus den Swaps gleich am Kapitalmarkt weiterverkauft – und ging so anders als der Anleger keinerlei Risiko ein. Das Risiko dieses Anlagegeschäfts wurde von Anfang an bewusst zu Lasten des Anlegers gestaltet.
    Man kann nur hoffen, dass sich auch andere Anleger, u.a. auch viele Kommunen, durch dieses Urteil ermuntert fühlen gleichfalls zu Klagen.
    So würden, wenn auch nicht über das Strafrecht (Betrug ?), so doch wenigstens über das Zivilrecht, solche unlauteren Geschäfte sanktioniert.

  6. Steueroase Florida: Unsere Wirtschaft würde nachhaltig geschädigt
    Das grenzüberschreitende Geschäft mit vermögenden Privatkunden, während vieler Jahrzehnte einer der wichtigsten Pfeiler des Schweizer Finanzplatzes, scheint seit dem Fall UBS und der seither in der Schweiz neu definierten Weissgeldstrategie auf jeden Fall unappetlich geworden zu sein. Dass es auch anders geht, und dass es für das System des Offshore-Private-Banking durchaus Argumente geben kann, das wird nun ausgerechnet in den USA demonstriert. In einem Brief vom 2. März 2011 fordern sämtliche Mitglieder des Repräsentantenhauses aus Florida – 19 Republikaner und 6 Demokraten – den Präsidenten der Vereinigten Staaten auf, einen Gesetzesvorschlag vom Finanzdepartement und der Steuerbehörde IRS zurück zu ziehen. Dieser sieht vor, dass alle amerikanischen Banken und Finanzinstitute neu auch die Daten ihrer ausländischen Bankkunden gegenüber dem IRS offen legen müssten. Diese Informationen, so der Gesetzesvorschlag weiter, können dann den jeweiligen Regierungen der entsprechenden Länder zur Verfügung gestellt werden. Kapital, das Jobs geschaffen habe, würde aus Amerika abfliessen, und zwar in einem solchen Ausmass, dass «die amerikanische Märkte und unsere Wirtschaft nachhaltig geschwächt würden». Schätzungen gehen davon aus, so der Brief, dass Nicht-Amerikaner (ausgenommen sind kanadische Bürger) insgesamt etwa 3 Billionen Dollar in amerikanischen Finanzhäusern angelegt haben. Ein substanzieller Teil davon dürfte abfliessen. Florida gilt als eine der grossen Steueroasen Amerikas. Bei den dortigen Banken dürften auch aus geografischen Gründen grosse Mengen an Schwarzgeldern von lateinamerikanischen Kunden liegen.
    Quelle: Neue Zürcher Zeitung

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die NZZ kann es nicht lassen, die Pflege von Steuersündern mit Offshore-Private-Banking gleichzusetzen, und freut sich über das Vorpreschen der Mitglieder des Repräsentantenhauses aus Florida zur Beibehaltung der Steueroase Florida. Dennoch können wir den Schweizer durchaus dankbar dafür sein, dass sie zwar aus durchsichtigen Motiven darauf hinweisen, dass “die USA weltweite Jagd nach ihren Steuerflüchtlingen betreibt”, sich aber nicht zu schade ist, “sich öffentlich für ihre Interessen an diesem Geschäft mit ausländischen Steuersündern einzusetzen.”

  7. Exportanstieg im 4. Quartal 2010 um fast 21%
    Die deutschen Ausfuhren stiegen im vierten Quartal 2010 um 20,7% gegenüber dem entsprechenden Vorjahresquartal auf insgesamt 256,3 Milliarden Euro. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, war das ein preisbereinigter Anstieg der Ausfuhren um 14,7%.
    Die Ausfuhren in die EU-Mitgliedstaaten nahmen im vierten Quartal 2010 gegenüber dem vierten Quartal 2009 um 18,2% auf 154,0 Milliarden Euro zu. Dabei wuchsen die Ausfuhren in die EU-Mitgliedstaaten, die nicht zur Eurozone gehören, mit + 21,5% stärker als die Ausfuhren in die Euroländer mit einer Zunahme von 16,7%. Den vergleichsweise höchsten Anstieg hatten die Ausfuhren in Drittstaaten mit + 24,8% auf 102,4 Milliarden Euro.
    Quelle: Statistisches Bundesamt

    Anmerkung WL: Das leichte wirtschaftliche Wachstum in Deutschland ist nach wie vor dem Export zu verdanken. Die Ungleichgewichte auch in der Eurozone nehmen also weiter zu. Was unsere Wirtschaft durch Lohndumping an Leistungsbilanzüberschüssen erzielt, dürfen die Arbeitnehmer mit ihren gekürzten Löhnen als Beiträge zu den Euro-Rettungsschirmen als Steuerzahler noch einmal finanzieren. Siehe den nachfolgenden Beitrag.

  8. Euro-Rettungsschirm Deutschland muss 22 Milliarden Euro zahlen
    Die Finanzminister der Euro-Gruppe haben sich auf einen neuen Rettungsschirm für klamme Staaten geeinigt. Deutschland beteiligt sich an dem 500-Milliarden-Euro-Topf zu einem guten Viertel.
    Quelle: Süddeutsche
  9. Haushaltslage der Kommunen im Jahr 2010 weiter angespannt
    Die Gemeinden und Gemeindeverbände in Deutschland (ohne die Stadt­staaten) hatten im Jahr 2010 – in Abgrenzung der Finanzstatistik – ein kassenmäßiges Finanzierungsdefizit in Höhe von 7,7 Milliarden Euro. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, lag der Fehlbetrag im Jahr 2009 bei 7,2 Milliarden Euro. Im Vergleich zu 2009 zeigte sich bei den Einnahmen der Kommunen im Jahr 2010 ein Aufwärtstrend: sie erhöhten sich um 2,6% auf 174,5 Milliarden Euro. Die kassenmäßigen Ausgaben stiegen allerdings ebenfalls und zwar um 2,8% auf 182,2 Milliarden Euro. Somit bleibt die Haushaltslage der Kommunen auch im Jahr 2010 weiter angespannt.
    Auf der Ausgabenseite wiesen die Sachinvestitionen mit + 5,5% auf 23,1 Milliarden Euro die größte Steigerungsrate im Jahr 2010 auf. Ursache für diesen starken Anstieg sind die darin enthaltenen Bauausgaben: Konjunkturpakete von Bund und Ländern sorgten für eine Steigerung um 10,5% auf 18,6 Milliarden Euro.
    Quelle: Statistisches Bundesamt

    Anmerkung WL: Jedenfalls ein Indiz dafür, dass die Konjunkturprogramme die Sachinvestitionen förderten.

  10. Leiharbeit
    1. Missbrauch von Leiharbeit verhindern
      Um den Missbrauch von Leiharbeit einzudämmen müssen gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt und die Dauer der Arbeitseinsätze begrenzt werden. Viele Unternehmen nutzen die gesetzlichen Möglichkeiten der Arbeitnehmerüberlassung aus um Löhne zu drücken. Dabei erhalten die Betriebe mit den schlechtesten Löhnen zum Teil noch Subventionen, da vielfach die geringen, nicht existenzsichernden Löhne aus den staatlichen Sozialkassen aufgestockt werden müssen. Nach der EU-Richtlinie zur Leiharbeit müssen die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Zeitarbeitskräften den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen vergleichbarer Stammarbeitskräfte entsprechen. Bei abweichenden tariflichen Regelungen ist der „Gesamtschutz“ von Leiharbeitskräften zu beachten. Die Zahl der Leiharbeitskräfte in Deutschland lag im Oktober 2010 bereits bei über 900.000 und damit deutlich über dem bisherigen Höchststand vor der Krise. Die Bedingungen in der Branche haben sich drastisch verschlechtert, inzwischen arbeiten zwei von drei Leiharbeitsbeschäftigten zu Niedriglöhnen. Während Vollzeitbeschäftigte in im Durchschnitt 18,04 € brutto pro Stunde (2006) verdienen, erreichen Leiharbeitskräfte mit 9,71 € nahezu nur die Hälfte. Wegen der niedrigen Löhne müssen 11,5% aller Leihkräfte ergänzend Leistungen der Grundsicherung (Hartz IV) in Anspruch nehmen, fünfmal mehr als der Durchschnitt aller Beschäftigten. Die Kosten für diese Aufstockung betrugen nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit zwischen Juni 2008 und Mai 2009 rund 531 Millionen Euro. Leiharbeit als Brücke in Beschäftigung und normale Arbeit funktioniert nicht: Aus den 2004 eingeführten Personal-Service-Agenturen erwartete man Übergänge von 50 Prozent und mehr, stattdessen gab es nur rund 7 Prozent Einmündungen in reguläre Beschäftigung. Wenn der Gesetzgeber die Brückenfunktion verbessern will, muss zum einen die Überlassungsdauer zeitlich begrenzt werden, damit die Zeitarbeit nicht zum Dauerzustand wird; zum anderen muss gleicher Lohn gezahlt werden, damit eine Übernahme von Leihkräften in dauerhafte Beschäftigung für den Entleiher betriebswirtschaftlich attraktiv wird. Angesichts der Zahlen kann man nicht mehr von einer marginalen Nutzung von Leiharbeit in Deutschland sprechen. Zunehmend haben Unternehmen und auch öffentlich-rechtliche Einrichtungen eigene Verleiheinheiten gegründet, um Arbeitskräfte zu den niedrigeren Zeitarbeitstarifen beschäftigen zu können. Solche Personalkarusselle sollen durch die beabsichtigten Gesetzesänderungen begrenzt werden, indem Leihkräfte, die innerhalb von sechs Monaten wieder eingestellt werden, gleichen Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen erhalten.
      Quelle 1: Institut Arbeit und Qualifikation (Zusammenfassung)
      Quelle 2: Institut Arbeit und Qualifikation (Langfassung) [PDF – 102 KB]
    2. Detlef Wetzel: Für eine Regulierung der Leiharbeit
      Die Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist fatal. Schon 2009 mussten sich 6,7 Millionen Menschen mit nicht ausreichend bezahlter Arbeit durchschlagen. Der Anteil von Beschäftigten mit Billigjobs steigt kontinuierlich. Immer mehr Menschen sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. Der Bund gibt jährlich elf Milliarden Euro für sogenannte „Aufstocker“ aus. Das sind Beschäftigte, deren Verdienste nicht zum Leben ausreichen.
      Für Junge ist hier das Risiko besonders hoch: Mehr als 50 Prozent der unter 25-Jährigen drohen in den Billiglohnsektor abzurutschen.
      36 Prozent der 20 bis 24-Jährigen hangeln sich ausschließlich von Job zu Job.
      Aktuell sind rund 900.000 Menschen in Leiharbeit beschäftigt – ca. 400.000 in der Metall- und Elektronindustrie. Die Unterschiede der Einkommen sind erschreckend: Sie liegen bei den Leiharbeitnehmern und Leiharbeitnehmerinnen um bis zu 40 Prozent unter denen der fest Angestellten mit vergleichbaren Tätigkeiten. Diese Einkommensunterschiede führen zu Wettbewerbsverzerrungen zu Ungunsten der Unternehmen, die keine Leiharbeit einsetzen oder Leiharbeit besser bezahlen…
      Heute werden nur noch 15 Prozent des Arbeitskräftebedarfs im Organisationsbereich der IG Metall über normale und unbefristete Arbeitsverhältnisse besetzt. Über Leiharbeit werden 43 Prozent, über befristete Beschäftigungsverhältnisse 42 Prozent abgedeckt.
      Nur der Gesetzgeber kann das Lohndumping über Leiharbeit flächendeckend verhindern. Mit Equal Pay bei der Leiharbeit und allgemeinverbindlichen Mindestlöhnen könnte die Politik einen wirksamen Riegel vorschieben.
      Quelle: DGB Gegenblende
    3. Lohnrisiko bei Nichtbeschäftigung hat Leiharbeitsfirma zu tragen
      Arbeitnehmer haben Anspruch auf Kurzarbeitergeld bei erheblichem Arbeitsausfall. Dies gilt nicht, wenn er branchenüblich und damit vermeidbar sei. Hiervon sei auszugehen, wenn Leiharbeitnehmer nicht beschäftigt werden können. Dies hat heute der 7. Senat des Hessischen Landessozialgerichts entschieden.
      Ein Unternehmen mit Sitz im Main-Taunus-Kreis überlässt gewerbsmäßig anderen Firmen Arbeitnehmer. Im Juni 2003 beantragte dieses Leiharbeitsunternehmen Kurzarbeitergeld für 100 Arbeitnehmer, die in einem Automobilkonzern eingesetzt wurden. In einer Woche im Juni 2003 sei in der betreffenden Konzernabteilung nicht gearbeitet worden, weil streikbedingt benötigte Produktionsteile nicht verfügbar gewesen seien. Das Leiharbeitsunternehmen habe zudem mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit geschlossen.
      Die Bundesagentur für Arbeit lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass es für die Arbeitnehmer zu keinem Lohnausfall gekommen sei. Denn diese hätten auch bei Nichtbeschäftigung einen Entgeltanspruch gegenüber dem Leiharbeitsunternehmen. Zudem gehöre es zum allgemeinen Wirtschaftsrisiko eines Verleihunternehmens, das Lohnrisiko bei Arbeitsausfällen zu tragen…
      Die Richter beider Instanzen gaben der Bundesagentur für Arbeit Recht. Die Leiharbeitnehmer hätten auch dann Anspruch auf Lohn, wenn ihr Arbeitgeber sie nicht einsetzen kann. Ein Arbeitsausfall sei für den Verleiher daher branchenüblich und könne nicht durch Kurzarbeitergeld ausgeglichen werden. Könne der Verleiher seine Leiharbeitnehmer bei Arbeitsausfall nicht in einem anderen Entleihbetrieb einsetzen, weil sie in die Produktion wie eine „zweite Belegschaft“ eingegliedert seien, erhöhe sich zwar das Beschäftigungsrisiko für das Leiharbeitsunternehmen. Eine Risikoverlagerung zu Lasten der Leiharbeitnehmer oder der Allgemeinheit in Form von Kurzarbeitergeld rechtfertige das jedoch nicht. Nichts anderes gelte, wenn der Arbeitsausfall auf einer mittelbaren Streikfolge beruhe. Hiervon sei jedenfalls auszugehen, solange die Kampfparität zwischen Leiharbeitsunternehmen und ihren Gewerkschaften dabei gewahrt bleibe.
      Quelle: Landessozialgericht Hessen
  11. IAB: 2,93 Millionen Arbeitslose im Jahresdurchschnitt 2011
    Im Jahresdurchschnitt 2011 wird es voraussichtlich 2,93 Millionen Arbeitslose geben, zeigt die aktuelle Arbeitsmarktprognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Das wären rund 320.000 weniger als im Jahresdurchschnitt 2010. Der Prognose zufolge werden 2011 mit 40,84 Millionen Personen so viele Menschen erwerbstätig sein wie nie zuvor im geeinten Deutschland. Dabei unterstellt die IAB-Studie ein Wachstum des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts um drei Prozent.
    Quelle: IAB [PDF – 653 KB]

    Anmerkung WL: Schon wieder eine neue Berechnungsmethode. Das IAB berücksichtigt bei seinen Berechnungen das Labour-Force-Konzept der International Labour Organisation (ILO) (eine Stunde Arbeit pro Woche reicht bereits aus, um als erwerbstätig klassifiziert zu werden). Da kommt man natürlich leicht auf eine „Mini-Arbeitslosenrate“ (so der Spiegel). Das IAB setzt ausschließlich auf die Job-Quantität, Inhalt, Sicherheit der Beschäftigung oder eine angemessene Bezahlung, wie sie oben etwa bei der Leiharbeit festgestellt werde, spielen kaum noch eine Rolle.
    Die in der Studie selbst erwähnte „Stille Reserve“ von 1,2 Millionen wird zur unproblematischen Restgröße.

    Ergänzende Anmerkung J.A.: In den 1980er Jahren bezeichnete man eine Arbeitslosigkeit von 3 Millionen zumindest noch als die Massenarbeitslosigkeit, die sie ist. Selbst regierungsoffiziell zusammengelogen entspricht das einer Arbeitslosenquote von 7,6%, real sind wir sowieso bei über 4,5 Millionen Arbeitslosen bzw. 12%, und die Qualität der 40,5 Millionen erwarteten Arbeitsplätze ist zu einem Großteil deutlich schlechter als noch in den 1980er Jahren. Die seltsamen Empfehlungen angesichts des angeblich drohenden “Arbeitskräftemangels” (inmitten der Massenarbeitslosigkeit) sprechen für sich.

    Ergänzende Anmerkung MB: Das IAB ist eine Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit, also nicht ganz ohne Interessenbezug – ganz zurückhaltend formuliert.

  12. Hartz IV
    1. Kurze Übersicht über die anstehenden Verschärfungen bei Hartz IV
      Der Rechtsweg ist ein Holzweg: immer wenn die Betroffenen juristisch Erfolge zu verzeichnen haben, wird das Gesetz der Realität und den Repressionswünschen angepasst. Unter anderem deshalb wurde das SGB II in derVergangenheit bereits 51 mal geändert.
      Quelle: TREND-Onlinezeitung
    2. NACHGEFRAGT beim Sozialrichter Dr. Jürgen Borchert
      Unter dem Vorsitz Borcherts hatte der 6. Senat des Hesssischen Landessozialgerichts den entscheidenden Vorlagenbeschluss für das vielbeachtete Bundesverfassungsgerichtsurteils vom Februar 2009 geliefert.
      Die Genese dieser Gesetzgebung steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Schaffung eines Niedriglohnsektors und der gleichzeitigen Abschaffung jeglichen Statusschutzes für Arbeitnehmer in Deutschland, den bis dahin vor allem die Arbeitslosenhilfe und das System der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten bewirkten. Ziel war die Senkung des Lohnniveaus, auch aus währungspolitischem Interesse nach der Euro-Einführung, was jetzt nach der Griechenlandkrise mit allen Folgen offensichtlich wird. Mit Hartz I wurde zuerst die Leiharbeit entfesselt, der man mit Hartz IV dann die Arbeitskräfte gefügig machte… Was man jetzt als Arbeitsmarkterfolg feiert, ist genau betrachtet die Explosion der prekären Beschäftigung, deren langfristige Folgen verheerend sein werden…
      Die Entscheidung für Hartz IV war im Jahr 2003 gleichzeitig die Absage an das parallel diskutierte Konzept zur Einrichtung eines öffentlichen Beschäftigungssektors, für den die Wohlfahrtsverbände akribisch vorrechneten, dass er für die öffentlichen Kassen eine deutliche Minderbelastung in der Größenordnung von 190 Millionen Euro pro Jahr je 100 000 Langzeitarbeitslose mit sich gebracht hätte -von den irren Folgekosten, die aus der Explosion der Kinderarmut resultieren, ganz zu schweigen. Diese Lösung war aber offensichtlich nicht gewollt. Welche Kreise sich durchgesetzt haben, kann man auf den Nachdenkseiten.de bei Helga Spindler (Stichwort: „Bertelsmann-Projekt“) nachlesen, die seit Jahrzehnten darauf hinweist, dass sich die Stärke eines Landes am Umgang mit den Schwächsten erweist.
      Quelle: DGB Gegenblende

      Anmerkung MB: Und hier finden Sie den von Dr. Borchert zitierten Artikel von Helga Spindler.

    3. WDR5-Redezeit: Streitfälle um Anspruch und Bedürftigkeit
      Jürgen Brand, bis Ende April 2010 Präsident des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen
      Quelle: WDR5 (mp3, ca. 27 Minuten)
  13. Wasserwirtschaft in Deutschland
    Eine Chronik von Werner Rügemer
    Quelle: arte

    Anmerkung MB: Interessante Hintergrundinformationen zum Themenabend in Arte.

  14. Rechtsextremismus: Die 90 vergessenen Opfer
    Die enorme Diskrepanz zwischen der offiziellen Zahl der Todesopfer rechter Gewalt und dem erschreckenden Ergebnis einer Recherche von Tagesspiegel und “Zeit” beschäftigt nun Bundestag und Bundesregierung. Die Zeitungen kamen im September 2010 auf 137 Todesopfer, die Regierung spricht bis heute, gestützt auf die Angaben der Polizeien der Länder, von lediglich 47 Toten. Die Linksfraktion hat in der vergangenen Woche eine detaillierte Große Anfrage gestellt, in der alle 90 Todesopfer aufgelistet sind, die in den Angaben der Regierung nicht auftauchen.
    Quelle. Tagesspiegel
  15. Analyse der Wahl in Sachsen-Anhalt
    Wie bei der Landtagswahl 2006 ergibt auch das Wahlergebnis 2011 zwei theoretische Möglichkeiten der Regierungsbildung: Ein Bündnis der SPD mit der CDU oder eine Regierungsbildung mit der LINKEN.
    Die SPD hat letztere Möglichkeit ausgeschlossen, sofern damit die Wahl eines Ministerpräsidenten der LINKEN verbunden wäre. Sie steht damit in der Tradition entsprechender Positionierungen in Thüringen im Landtagswahlkampf 2009 und vor dem strategischen Dilemma, unter dieser Maßgabe in eine babylonische Gefangenschaft zur CDU zu geraten.
    Eine solche Einschränkung der Souveränität führt in Koalitionsregierungen, die dem Wesen
    nach Institutionen stetiger Aushandlungsprozesse sind, dazu, dass die SPD in Konfliktsituationen faktisch über keine Eskalationsmöglichkeiten zur Durchsetzung eigener Ziele und Interessen verfügt, da sie glaubhaft keine Exit-Option formulieren kann, mit der sie die CDU unter Druck setzen kann.
    Unabhängig von diesen machtpolitischen Argumentationen beschränkt sich die SPD zudem der Möglichkeiten, ihre wahlpolitischen Ziele durchzusetzen, bei denen…eine vielfache Übereinstimmung zwischen LINKEN-Anhänger/-innen und SPD-Anhänger/-innen besteht.
    Gleichzeitig führt diese Situation jedoch auch mittelbar zu einer Beschränkung der Handlungsfähigkeit der LINKEN. Denn sowohl in Sachsen-Anhalt, in Thüringen als auch in Sachsen (wenn auch bislang nicht in mehrheitsfähiger Form) verfügt die LINKE über die größten Stimmenanteile im rot-roten bzw. rot-rot-grünen Lager.
    Es wäre jedoch zu einfach, dieses Dilemma in altbekannter Weise auf den Vorwurf an die sozialdemokratische Parteiführung zu reduzieren, diese würde – über die Interessen ihrer Mitglieder hinweg gehend – die Chance auf einen Politikwechsel verspielen.
    Es kann für Sachsen-Anhalt festgehalten werden, dass die SPD-Führung in ihrer Positionierung nicht nur von der Wählerschaft allgemein, sondern insbesondere von den sozialdemokratischen Wähler/-innen gedeckt ist.
    Quelle: Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, Horst Kahrs [PDF – 438 KB]

    Anmerkung: Die Autoren gehen davon aus, dass die Wahl in Sachsen-Anhalt kein Stimmungstest für die bevorstehenden Wahlen im Südwesten seien und schließen sich der Meinung der Forschungsgruppe Wahlen an: „ Als Vorab-Indikator für die Südwestwahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz oder gar Stimmungstest für den Bund ist Sachsen-Anhalt keinesfalls zu gebrauchen. Mit einer sehr eigenen Themenagenda, einer nichtpolarisierenden Ausgangslage nach einem ruhigen Wahlkampf sowie einer spezifischen politischen Landeskultur sind die Ergebnisse dieser Landtagswahl von sehr eigenen Kontextfaktoren geprägt.“

    Analyse der Wahl in Sachsen-Anhalt

    Quelle: Sozialismus

    Anmerkung WL: Man beachte die Stimmenanteile gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten.

  16. 60 Lügen über “Stuttgart21”
    Quelle: Kopfbahnhof 21 [PDF – 32.7]
  17. Mappus auf dem Schleudersitz
    Keiner hat sich bei der Atomkraft derart verkämpft wie Stefan Mappus. Und keiner hat so viele Parteifreunde beschimpft. Baden-Württembergs CDU-Ministerpräsident, das “Krokodil”, ist ein Unsympath geworden – und droht die Landtagswahl zu verlieren.
    Reihum machte er in der Partei alle an. Dem früheren CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla teilte er mit, die Partei brauche keinen profillosen “Koalitionssekretär.” Die Kanzlerin bediente er mit dem Zuruf, man benötige kein “konturenloses Herumlavieren” und überhaupt sei “Führung mehr gefragt denn je.” Baron zu Guttenberg ging er wegen dessen Dr.-Plagiat als Erster frontal an. Der sei dabei, ihm den Wahlkampf zu verhageln. Und der Südwest-SPD riet er, das Problem der Vorsitzenden Ute Vogt, “final” zu lösen. Vielleicht ein Krokodil, jedenfalls ein Verbal-Brutalo, ein Haudrauf ohne Selbstkontrolle – das ist Mappus.
    Das bekam ganz besonders auch CDU-Hoffnungsträger Norbert Röttgen zu spüren. Als die Union die Laufzeit-Verlängerung der Atommeiler diskutierte, befand Mappus, er sei nicht länger bereit “die Eskapaden des Bundesumweltministers” zu akzeptieren. Er verlangte von der Kanzlerin, ihn zu feuern. Dem Stuttgarter CDU-Oberbürgermeister Wolfgang Schuster teilte er über Journalisten mit, dass er gefälligst nicht noch einmal für das Amt zu kandidieren habe. Als Ursula von der Leyen zu ihrer Zeit als Familienministerin mehr Kinderkrippen propagierte, beschimpfte er ihre Familienpolitik als “blindes Streben nach Modernität”.
    Er teilt gerne aus, beim Einstecken ist er indes ein Sensibelchen. Journalisten des Landes-Rundfunks drohte er “Folgen” an, weil sie es gewagt hatten, über seine chronische Streiterei mit Günter Oettinger zu dessen Zeiten als Ministerpräsident zu berichten. Die Staatsanwaltschaft prüfte daraufhin eine Anzeige wegen Nötigung.
    Quelle: stern

    Anmerkung MB: Mehrere gute Gründe, eine Laufzeitverlängerung für Mappus zu verhindern und für eine Endlagerung außerhalb von politischer Verantwortung zu suchen. S. auch „Störfall Mappus

  18. Lafontaine – “Es gibt keinen grünen Kapitalismus”
    Oskar Lafontaine wirft den Grünen eine falsche Energiepolitik vor und erklärt, warum Rot-Rot in Sachsen-Anhalt keine Chance hat.
    Quelle: Welt
  19. Der Front National hat gut lachen
     In der ersten Runde der Departementswahlen können sich viele Kandidaten der rechtsextremen Partei behaupten. Deutlicher Denkzettel für die Regierungspartei.  Die sehr regierungsfreundliche Pariser Zeitung Le Figaro spricht von einem “historischen Rückschlag” für die bürgerliche Rechte. Bei der UMP dagegen ist man der Meinung, dass diese Departementswahlen, die vom Wähler traditionell benutzt werden, um der Pariser Regierungspartei aus der Provinz einen Denkzettel zu verpassen, letztlich glimpflich verlaufen seien. Die Linke, die bisher in 58 von 100 Departementen den “Generalrat” regiert, dürfte am kommenden Sonntag einige Departements hinzugewinnen. Zusammen haben Sozialisten, Linksfront (Kommunisten und Linkspartei), die Umweltliste Europe-Ecologie-Les Verts und diverse Linke laut den Ergebnissen vom Sonntag einen Stimmenanteil von knapp 50 Prozent, die UMP hat 17, der FN 15,2 und “diverse Rechte” haben 15 Prozent. Mit einer Stimmenthaltungsrate von 55,5 Prozent war die Beteiligung so gering wie noch nie. Das wird ebenso wie das Erstarken des Front National als Zeichen wachsender Unzufriedenheit oder Verdrossenheit gewertet.
    Quelle: taz
  20. Berliner Hochschulgesetz: Novelle genügt studentischen Anforderungen nicht
    Am morgigen Tag wird im Wissenschaftsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses erneut eine Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes befasst. Der fzs kritisiert Teile der Novelle als nicht weitgehend genug oder als in die falsche Richtung gehend…
    Diese Novelle könnte etwa die Zahl der pro Modul zulässigen Prüfungen festlegen und so eine Antwort auf die viel besprochene Prüfungsinflation geben, den momentan im Rahmen von 25 bis 30 Stunden möglichen Workload je Kreditpunkt präzisieren oder unangemessenen Zugangshürden in den Modulen Einhalt gebieten.
    Darüber hinaus fordern wir Senator Prof. Dr. Zöllner auf, unmissverständlich klar zu stellen, dass Bachelor-Abschlüsse aller staatlichen Hochschulen und Universitäten gleichwertig sind und entsprechend auch Absolvent*innen von Fachhochschulen nach Abschluss ihres Bachelor-Studiums ohne Wenn und Aber für Master-Studiengänge an Universitäten zugelassen werden können und umgekehrt.”
    Der fzs bemängelt weiter, dass der rot-rote Senat zu wenig Engagement für eine Demokratisierung der Hochschulen zeigt. Exemplarisch hierfür ist der Verbleib der Experimentierklausel im vorliegenden Entwurf, welche Abweichungen von der Gremienstruktur an Hochschulen ermöglicht.
    Quelle: fzs
  21. Freunde als Ware: Die Internet-Plattform Facebook als Tummelfeld für undurchsichtige Akteure
    In der Affäre Guttenberg wurde Facebook zu einem machtvollen Instrument. Hinter privatem Engagement verbarg sich aber eine parteipolitische Kampagne.
    Quelle: Neue Zürcher Zeitung
  22. Zu guter Letzt: Was Sie sofort tun können: Zehn Empfehlungen
    Unter anderem:

    • Selber denken.
    • Trauen Sie endlich Ihrem Gefühl, dass um Sie herum ein großes Illusionstheater stattfindet. Die Kulissen simulieren Stabilität, aber das Stück ist eine Farce: Immerfort treten dicke Männer auf und brüllen „Wachstum!“, Spekulanten spielen Länderdomino, und dauernd tänzeln Nummerngirls mit Katastrophenbildern über die Bühne. Das Publikum ist genervt und wütend, bleibt gleichwohl bis zum Ende der Vorstellung sitzen. Aber: Wann wird das wohl kommen?
    • Verlassen Sie besser die Vorstellung und beginnen Sie, ganz einfache Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Warum muss man immer mehr arbeiten, wenn man immer mehr arbeitet? Warum werden die Schulden größer, wenn immer mehr gespart wird? Warum schrumpft alles andere, wenn die Wirtschaft wächst?…
    • Beschließen Sie, ab sofort nicht mehr mitzumachen, falls Ihre Antworten Sie beunruhigen.
    • Fangen Sie damit an, aufzuhören. Hören Sie auf, Europapolitikern zu glauben. Hören Sie erst recht auf, Wirtschaftsforschungsinstituten zu glauben. Und hören Sie um Gottes willen damit auf, sich widerspruchslos erzählen zu lassen, irgendeine Entscheidung sei alternativlos gewesen. So etwas gibt es in Demokratien nicht.

    Quelle: FAZ

    Anmerkung WL: Die wichtigste Empfehlung: Lesen Sie jeden Tag die NachDenkSeiten, dort finden Sie die meisten dieser zehn Empfehlungen erfüllt.


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=8775