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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 23. März 2011 um 9:04 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Heute unter anderem zu folgenden Themen: Aus Bürgerkrieg wird Krieg; Afghanen übernehmen das Kommando; AKW-Katastrophe in Japan; Bundesregierung gründet einen Arbeitskreis; Bundesgerichtshof entscheidet zu Beratungspflichten einer Bank; Steueroase Florida; Exportanstieg; Euro-Rettungsschirm: Deutschland muss 22 Milliarden Euro zahlen; Haushaltslage der Kommunen; Leiharbeit; 2,93 Millionen Arbeitslose 2011; Hartz IV; Wasserwirtschaft in Deutschland; Rechtsextremismus: Die 90 vergessenen Opfer; Analyse der Wahl in Sachsen-Anhalt; 60 Lügen über “Stuttgart21”; Mappus auf dem Schleudersitz; Lafontaine – “Es gibt keinen grünen Kapitalismus”; Der Front National hat gut lachen; Berliner Hochschulgesetz; Facebook als Tummelfeld für undurchsichtige Akteure; Zu guter Letzt: Was Sie sofort tun können: Zehn Empfehlungen. (WL/MB)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Libyen: Gut gemeint…
…ist meist das Gegenteil von gut. Malte Lehming erläutert im Kontrapunkt, warum die “Odyssee Morgendämmerung”, mit der eine Kartenhauskoalition der Willigen in Libyen eingreift, falsch und töricht ist.
Quelle: Tagesspiegel
Anmerkung Orlando Pascheit: Es ist nicht unvorstellbar, dass eines Tages Gaddafi, ebenso wie von Vielen Saddam Hussein, als das kleinere Übel betrachtet werden wird – wenn sich in Libyen ein blutiger Bürgerkrieg entwickeln sollte. Wir haben, von einem extremen Standpunkt gesehen, die Wahl zwischen einer blutigen Abrechnung durch Gaddafi oder eben der Aufständischen mit ihren Gegnern. Malte Lehming hält letzteres Szenario für wahrscheinlich und dies auch noch unter der Flagge eines militanten Islamismus. – So wichtig es ist, sich zu fragen, was nach Gaddafi kommt, Lehmig machte sich zu einfach oder präziser: er arbeitet so unseriös, wie er das anderen vorwirft. Er ignoriert vollkommen, dass der libysche Protest zunächst genauso zivil war wie in Tunesien oder Ägypten. Er begann im Osten des Landes und erstreckte sich bis nach Tripolis, wo er bald mit Gewalt niedergeschlagen wurde. Vor dem Obersten Gericht in Tripolis demonstrierten nach Augenzeugenberichten Anwälte, Richter und Staatsanwälte gegen den Einsatz von Gewalt gegen Demonstranten. Die BBC berichtet von mindestens vier Protestzügen in Tripolis. Sicherheitskräfte seien dann mit scharfer Munition und Tränengas gegen die Protestierenden vorgegangen. Der arabische Sender Al Dschasira berichtete von 60 Toten. Ausländer, die aus Tripolis zurückkehrten, berichteten aber von Chaos und Gewaltexzessen. Scharfschützen hätten auf flüchtende Demonstranten geschossen, Frauen seien vergewaltigt und Menschen willkürlich verhaftet worden, hieß es. Auch im 200 Kilometer entfernten Misratah sei es zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Als in Benghazi 35 Regierungsgegner bestattet wurden, die tags zuvor getötet wurden, hätten Soldaten von einem Militärgelände aus mit schweren Waffen auf den Trauerzug geschossen, mit Dutzenden von Toten und über hundert Schwerverletzten (wiederum BBC und Al Dschasira). In Al-Baidha sollen nach unbestätigten Augenzeugenberichten mehr als 30 Menschen ums Leben gekommen. Die Armee-Brigade von Gaddafis Sohn Chamies habe damit begonnen, die Demonstranten dort zu vertreiben. Die Behauptung Lehmings, es sei nicht einmal belegt, dass Gaddafi gezielt Zivilisten angegriffen habe, verhöhnt die Opfer. Der Justizminister trat aus Protest gegen die „exzessive Gewalt gegen Demonstranten“ zurück. Mit Innenminister Abdul Fatah Junis al Abidi verlor der Staatschef einen seiner wichtigsten Mitstreiter. Der ständige Vertreter Libyens bei der Arabischen Liga trat aus den gleichen Gründen zurück. Bisher trat über ein Dutzend libyscher Spitzendiplomaten zurück. Der zurückgetretene libysche Botschafter in Indien warf der Regierung vor, sie setze Kampfflugzeuge gegen Demonstranten ein. Zwei Offiziere der Luftwaffe flohen in zwei Kampfflugzeugen nach Malta und baten um Asyl, sie hätten den Auftrag gehabt, auf Demonstranten zu schießen. In der Folge wendeten mindestens zwei Stämme von Gaddafi ab; unter ihnen auch der größte Stamm der Warfala, der südlich von Tripolis lebt und bisher auf Seiten Gaddafis stand. Ein Stammesführer wird mit den Worten zitiert, Gaddafi sei nicht mehr „ihr Bruder“ und er solle das Land verlassen. – Wohlgemerkt dies alles geschah, bevor der Protest in einen bewaffneten Aufstand umschlug, der vor allem davon profitierte, dass sich Einheiten der Armee und der Polizei auf die Seite der Demonstranten schlugen. Wenn Lehming aus der Zahl lybischer Al-Qaida-Terroristen im Irak auf einen islamistisch dominierten Aufstand schließen möchte, ist das eine sehr dünne Argumentation. Die libyschen Islamisten auch im Osten des Landes halten sich bisher zurück. Im Protest spielten sie keine bedeutende Rolle. Es dominierten die jungen Leute, die sich vor allem Arbeitsplätze und ein besseres Leben wünschen, wie viele Gleichaltrige in den Nachbarländern Ägypten und Tunesien. Auf einem Video erklärt ein Offizier: „Wir sind die kommandierenden Offiziere des Militärs in Dschabal Akhdhar und den umliegenden Regionen. Wir erklären, dass wir uns der Jugendbewegung anschließen und uns dem Kommando des Volkes unterstellt haben, um Frieden, Sicherheit und das öffentliche Interesse zu wahren … Möge Gott uns schützen.“ Da immer mehr Soldaten der regulären Armee zu den Demonstranten überlaufen, muss sich das Gaddafi- Regime, ein Unterschied zu Ägypten, auf Kräfte zu stützen, die auf Gedeih und Verderb mit ihm verbunden sind – oder auf Ausländer, die nicht im Land verwurzelt sind. Auch wie Lehming ausländische Söldner in Diensten Gaddafis abtut, ist fragwürdig. Er stützt sich dabei auf einen Wochenendaufenthalt eines Korrespondenten der FAZ in Benghazi. Seltsam ist nur, dass dieser Korrespondent von der Verhaftung von über 30 ausländischen Söldnern in Benghazi nichts mit bekommen hat. Dominic Johnson hat in der taz zum Thema Legionäre einige Quellen zusammen gestellt, die ausländische Söldner in Gaddafis Diensten in beträchtlichem Umfang nahe legen.
Wie gesagt, es ist verdienstvoll, die Zeit nach Gaddafi zu thematisieren, aber nicht so. Leider hat sich die Regierung vor ihren Entschluss weder mit der völkerrechtlichen Frage, noch mit einer militärischen Analyse inklusive zivile Opfer und eben der Zeit nach Gaddafi in einer Weise befasst, die ihre Entscheidung nachvollziehbar macht. Einmal abgesehen davon, wie dumm muss man sein, um sich in der UNO zu enthalten, wohlwissend, dass man in der Nato zustimmen muss. Selbst jetzt erreichen uns fast nur Allgemeinplätze. Die intelligentesten Ausführungen zu der Zurückhaltung der Bundesrepublik waren von Thomas de Maizière gehört, aber eben erst im Nachhinein. – Wer übrigens einen sehr kritischen Beitrag zur völkerrechtlichen Legitimation der Intervention lesen möchte, sei auf den nachfolgenden Aufsatz vom Reinhard Merkel in der FAZ verwiesen.
Anmerkung WL: Der Rechtsprofessor Reinhard Merkel hält die Enthaltung der Bundesregierung im Sicherheitsrat für richtig. Siehe jedoch zu den Widersprüchlichkeiten dieser Entscheidung Deutsche Militärpolitik à la Absurdistan. Konsequent wäre, wenn die Bundesregierung spätestens jetzt konsequent für einen sofortigen Waffenstillstand eintreten würde, bevor es zu einer ähnlichen Situation wie im Irak oder in Afghanistan kommt.
Anmerkung Orlando Pascheit: Vielleicht hätte sich Guido Westerwelle nicht so weit aus dem Fenster lehnen sollen. “Der Beginn des Übergabeprozesses ist ein Erfolg für die von uns mitbetriebene Neuausrichtung des internationalen Afghanistan-Einsatzes”, klingt gut, aber ist noch nicht von der Realität getestet worden. Die Winterpause der Taliban ist bald vorbei. – In Masar-i-Scharif ist das deutsche Hauptquartier des Afghanistan-Einsatzes. Auch in Kabul sind deutsche Truppen der Bundeswehr stationiert.
Anmerkung unseres Lesers C.L. zu den beide vorigen Artikeln: Profitmaximierung im Atomkraftwerk: Wartungskosten reduziert, Laufzeit verlängert, das Restrisiko auf den Staat verlagert. Plötzlich tritt das “unwahrscheinliche” ein und die Bevölkerung muss über Generationen für die Folgen aufkommen. Zu den Gewinnen aus dem Betrieb fehlt unterdessen jede Spur ? Dieses Szenario macht mir mehr Angst als jedes Erdbeben und jeder vermeintliche Terror-Angriff auf Atomkraftwerke und treibt mich zum ersten Mal in meinem Leben auf die Straße.
Anmerkung MB: Wenn Du nicht mehr weiter weißt, bilde einen Arbeitskreis. Und sorge dafür, dass er möglichst ausgeglichen wirkt und z.B. Mitglieder anderer Parteien hat, deren Ansichten hier ungefährlich sind (z. B. Klaus von Dohnanyi).
Anmerkung WL: Es ist bemerkenswert, dass sich die Richter mit der Deutschen Bank angelegt haben und sie zu einem Schadenersatz von immerhin einer halben Million Euro verurteilt haben. Über den Einzelfall hinaus macht dieses Urteil deutlich, welche Geschäftspraxis bei den Banken üblich ist: Die Bank habe ihre Beratungspflicht schon dadurch verletzt, dass sie die Klägerin nicht darüber aufklärte, dass die Zinswette zum Abschlusszeitpunkt für die Klägerin einen negativen Marktwert des Vertrages in Höhe von ca. vier Prozent der Bezugssumme (ca. 80.000 Euro) hatte – Kosten, Risiko und Gewinn der Bank waren schon von Anfang an zu seinen Lasten eingepreist. Außerdem habe die Bank ihre Gewinnchancen aus den Swaps gleich am Kapitalmarkt weiterverkauft – und ging so anders als der Anleger keinerlei Risiko ein. Das Risiko dieses Anlagegeschäfts wurde von Anfang an bewusst zu Lasten des Anlegers gestaltet.
Man kann nur hoffen, dass sich auch andere Anleger, u.a. auch viele Kommunen, durch dieses Urteil ermuntert fühlen gleichfalls zu Klagen.
So würden, wenn auch nicht über das Strafrecht (Betrug ?), so doch wenigstens über das Zivilrecht, solche unlauteren Geschäfte sanktioniert.
Anmerkung Orlando Pascheit: Die NZZ kann es nicht lassen, die Pflege von Steuersündern mit Offshore-Private-Banking gleichzusetzen, und freut sich über das Vorpreschen der Mitglieder des Repräsentantenhauses aus Florida zur Beibehaltung der Steueroase Florida. Dennoch können wir den Schweizer durchaus dankbar dafür sein, dass sie zwar aus durchsichtigen Motiven darauf hinweisen, dass “die USA weltweite Jagd nach ihren Steuerflüchtlingen betreibt”, sich aber nicht zu schade ist, “sich öffentlich für ihre Interessen an diesem Geschäft mit ausländischen Steuersündern einzusetzen.”
Anmerkung WL: Das leichte wirtschaftliche Wachstum in Deutschland ist nach wie vor dem Export zu verdanken. Die Ungleichgewichte auch in der Eurozone nehmen also weiter zu. Was unsere Wirtschaft durch Lohndumping an Leistungsbilanzüberschüssen erzielt, dürfen die Arbeitnehmer mit ihren gekürzten Löhnen als Beiträge zu den Euro-Rettungsschirmen als Steuerzahler noch einmal finanzieren. Siehe den nachfolgenden Beitrag.
Anmerkung WL: Jedenfalls ein Indiz dafür, dass die Konjunkturprogramme die Sachinvestitionen förderten.
Anmerkung WL: Schon wieder eine neue Berechnungsmethode. Das IAB berücksichtigt bei seinen Berechnungen das Labour-Force-Konzept der International Labour Organisation (ILO) (eine Stunde Arbeit pro Woche reicht bereits aus, um als erwerbstätig klassifiziert zu werden). Da kommt man natürlich leicht auf eine „Mini-Arbeitslosenrate“ (so der Spiegel). Das IAB setzt ausschließlich auf die Job-Quantität, Inhalt, Sicherheit der Beschäftigung oder eine angemessene Bezahlung, wie sie oben etwa bei der Leiharbeit festgestellt werde, spielen kaum noch eine Rolle.
Die in der Studie selbst erwähnte „Stille Reserve“ von 1,2 Millionen wird zur unproblematischen Restgröße.
Ergänzende Anmerkung J.A.: In den 1980er Jahren bezeichnete man eine Arbeitslosigkeit von 3 Millionen zumindest noch als die Massenarbeitslosigkeit, die sie ist. Selbst regierungsoffiziell zusammengelogen entspricht das einer Arbeitslosenquote von 7,6%, real sind wir sowieso bei über 4,5 Millionen Arbeitslosen bzw. 12%, und die Qualität der 40,5 Millionen erwarteten Arbeitsplätze ist zu einem Großteil deutlich schlechter als noch in den 1980er Jahren. Die seltsamen Empfehlungen angesichts des angeblich drohenden “Arbeitskräftemangels” (inmitten der Massenarbeitslosigkeit) sprechen für sich.
Ergänzende Anmerkung MB: Das IAB ist eine Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit, also nicht ganz ohne Interessenbezug – ganz zurückhaltend formuliert.
Anmerkung MB: Und hier finden Sie den von Dr. Borchert zitierten Artikel von Helga Spindler.
Anmerkung MB: Interessante Hintergrundinformationen zum Themenabend in Arte.
Anmerkung: Die Autoren gehen davon aus, dass die Wahl in Sachsen-Anhalt kein Stimmungstest für die bevorstehenden Wahlen im Südwesten seien und schließen sich der Meinung der Forschungsgruppe Wahlen an: „ Als Vorab-Indikator für die Südwestwahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz oder gar Stimmungstest für den Bund ist Sachsen-Anhalt keinesfalls zu gebrauchen. Mit einer sehr eigenen Themenagenda, einer nichtpolarisierenden Ausgangslage nach einem ruhigen Wahlkampf sowie einer spezifischen politischen Landeskultur sind die Ergebnisse dieser Landtagswahl von sehr eigenen Kontextfaktoren geprägt.“
Quelle: Sozialismus
Anmerkung WL: Man beachte die Stimmenanteile gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten.
Anmerkung MB: Mehrere gute Gründe, eine Laufzeitverlängerung für Mappus zu verhindern und für eine Endlagerung außerhalb von politischer Verantwortung zu suchen. S. auch „Störfall Mappus“
Quelle: FAZ
Anmerkung WL: Die wichtigste Empfehlung: Lesen Sie jeden Tag die NachDenkSeiten, dort finden Sie die meisten dieser zehn Empfehlungen erfüllt.
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Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=8775