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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: „Kremlkampagne gegen Baerbock“ – SPIEGEL, FAZ und Tagesschau als Schild und Schwert der Grünen Partei
Datum: 6. September 2022 um 10:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
Verantwortlich: Florian Warweg
Wir befinden uns im Jahre 2022 n.u.Z. Ganz Deutschland ist von einer angeblichen „prorussischen Kampagne“ gegen Außenministerin Annalena Baerbock erfasst. Ganz Deutschland? Nein! Eine von unbeugsamen „Investigativ-Journalisten“ bevölkerte Bubble hört nicht auf, Widerstand zu leisten und jede Art von Kritik an der amtierenden Außenministerin mit Grünen-Parteibuch abzuweisen. Und das Leben ist nicht leicht für die bundesdeutschen Leser, die sich in den abgeschirmten medialen Lagern von SPIEGEL, FAZ und Tagesschau „informieren“. Von Florian Warweg.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Annalena Baerbock hatte vergangene Woche in ihrer Funktion als Außenministerin bei einem Forum in Prag erklärt, dass sie so lange wie nötig auf Seite der Ukraine stehen werde, „egal, was meine deutschen Wähler denken“. Diese, sagen wir, mindestens ungeschickte Aussage hatte insbesondere in den Sozialen Medien, angesichts des damit zum Ausdruck gebrachten ambivalenten Demokratieverständnisses, für Verwunderung und Empörung gesorgt.
Außenministerin @ABaerbock offenbarte ein recht eigentümliches Demokratieverständis bei ihrem gestrigen Auftritt in Prag:
"Ich möchte liefern. Egal, was meine deutschen Wähler denken. Ich möchte den Menschen der Ukraine beistehen."
Mehr Hintergründe hier: https://t.co/6yVgfaKcBU pic.twitter.com/8NZ5ODQaR3— NachDenkSeiten (@NachDenkSeiten) September 1, 2022
Zumindest in den Niederungen der einfachen Bevölkerung und sogenannter „alternativer Medien“. In den höheren Sphären bei SPIEGEL und Tagesschau im standesbewussten Hamburg sowie bei der nicht weniger standesbewussten FAZ-Redaktion in Frankfurt wollte man sich nicht gemein machen mit so niederen Empfindungen und holte umgehend zum Gegenschlag aus. Und die dafür genutzte argumentative Waffe war erstaunlich grobschlächtig, hatte dafür aber den Vorteil, ein entsprechendes Kaliber aufzuweisen:
In der Ericusspitze 1 legte man als Erstes los und titelte:
„Kampagne gegen Baerbock von kremlnahen Accounts gestartet und befeuert“
Bei der Verteidigung der amtierenden Außenministerin und Grünen-Spitzenpolitikerin wollten die Tagesschau-Kollegen im Hugh-Greene-Weg 1 nicht zurückstehen und aktivierten gleich den hauseigenen „Faktenfinder“, der auch umgehend zum Fazit kam, dass es sich um eine „gezielte pro-russische Desinformationskampagne“ handle.
Noch schneller waren die Redakteure beim „Faktenfuchs“ des bayerischen ARD-Ablegers BR, die, ganz gegen sonstige Gewohnheiten, wohl sogar Überstunden einlegten, um noch am 1. September einen explizit die Äußerungen der Außenministerin verteidigenden „Faktencheck“ zur Causa veröffentlichen zu können:
„#Faktenfuchs: Baerbock-Zitat verfälscht und instrumentalisiert“
Bei so prominenten Fürsprechern wollte man auch in der Hellerhofstraße in Frankfurt nicht den Anschluss verlieren und titelte mit etwas Verspätung, dafür aber eine ordentliche Spur dramatischer:
„Kreml jagt Annalena Baerbock“
Die Argumentation bei allen erwähnten Medien ähnelt sich sehr und lässt sich so zusammenfassen: Auf Basis einer angeblichen „Analyse“ eines kaum bekannten „Disinformation Situation Center“ (das noch nicht einmal über eine eigene Website verfügt) wird das angebliche Kampagnen-Szenario beschrieben: Es soll mit einer Meldung der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti gestartet, von einer russisch-amerikanischen Lobbygruppe dann als Videoclip veröffentlicht worden sein und habe dann den Weg in die deutsche Twitter- und Facebook-Gemeinde gefunden.
Wir zitieren hier exemplarisch die Version der FAZ, alle anderen genannten Medien haben es aber fast wortgenau ebenso formuliert, und werden dann aufzeigen, was für eklatante Recherchefehler den „Edelfedern“ in Frankfurt und Hamburg dabei unterlaufen sind. Ob dies bewusst oder unbewusst so geschehen ist, sei mal dahingestellt.
Darstellung der „Kreml-Kampagne“ in der FAZ:
„Die Klappe fällt, der Film läuft. Die billige Inszenierung funktioniert. Wie, hat das Disinformation Situation Center, ein Zusammenschluss von NGOs, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die russische Propaganda zu durchlöchern, in Echtzeit nachvollzogen: Am 31. August, 17.03 Uhr, meldet der Telegram-Kanal der russischen Agentur Ria Novosti den Halbsatz Baerbocks. Drei Minuten später folgt das verkürzte Zitat in englischer Übersetzung über den Telegram-Kanal @sputnik (NewsZ), der darauf ausgelegt ist, die ganze Welt mit Putins Propaganda einzudecken. 42 Minuten nach der Erstveröffentlichung steigt der russische Fernsehhetzer Wladimir Solowjow auf seinem Telegram-Kanal ein. Um 21.30 Uhr erscheint auf dem Telegram-Kanal von „Russian American Daily“ ein 54 Sekunden kurzer Videoschnipsel mit Baerbocks Halbsatz. Der Kanal wird von der Organisation American Council for US-Russia Engagement betrieben, deren führende Köpfe vom FBI der Spionage verdächtigt werden.“
Fangen wir mit der Aussage an, dass der Telegram-Kanal „der russischen Agentur Ria Novosti den Halbsatz Baerbocks“ vermeldet.
Wie bei der FAZ (und auch der Tagesschau) üblich, wird auf die genannte Ursprungsquelle nicht verlinkt, würde den geneigten Leser vielleicht auch zu sehr verunsichern. Sucht man aber die konkrete Ria-Novosti-Meldung heraus, wird deutlich, dass die russische Nachrichtenagentur im Gegensatz zur FAZ-Darstellung mitnichten nur „den Halbsatz Baerbocks“ zitiert und zudem die Passage auch korrekt mit „meinen Wählern“ übersetzte hatte.
Bei RIA heißt es lapidar zwischen einer Meldung zu Plänen des russischen Bildungsministeriums, Schulbücher in Ukrainisch für die zwei Volksrepubliken herauszubringen, sowie einer Meldung zum Beschuss von Wohngebieten durch ukrainische Truppen:
„Bundesaußenministerin Baerbock: “Ich habe den Menschen in der Ukraine versprochen, dass wir so lange wie nötig an Ihrer Seite sind, und dieses Versprechen will ich halten. Egal, was meine deutschen Wähler denken.“
Bei FAZ, Tagesschau und Spiegel wird dann unisono als nächste konkrete Uhrzeit hinsichtlich der Weiterverbreitung 21.30 Uhr genannt und auf den „Russian American Daily“ verwiesen. Dabei scheint aber sowohl den „Analysten“ beim „Disinformation Situation Center“ als auch bei den deutschen Copypastern eine nicht unwichtige „Desinformationsquelle“ entgangen zu sein. Der „Kiev Independent“, eine englischsprachige Online-Zeitung mit Sitz in der Ukraine. Gelobt vom deutschen Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten als „unabhängige Zeitung aus der Ukraine“, die „zuverlässige, seriöse Informationen“ veröffentlicht, und gerne zitiert von EU-Präsidentin Ursula von der Leyen: „Lassen Sie mich aus dem Leitartikel einer ukrainischen Zeitung, dem Kyiv Independent, zitieren…“
Es war die Kiev Independent, nun wirklich unverdächtig, „Kreml-Kampagnen“ anzuschieben, die am 31. August um 20:54 Uhr, also lange vor der Onlinestellung des von FAZ & Co erwähnten Beitrags in den USA, folgende Meldung über ihren Telegram-Account veröffentlichte:
„Baerbock: Öffentliche Meinung wird Deutschland nicht dazu bringen, Sanktionen aufzuheben
Auf der Forum2000-Konferenz in Prag sprechend, versicherte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock der Ukraine, dass Berlin die Sanktionen auch dann nicht aufheben werde, wenn die Proteste gegen steigende Energiepreise zunehmen.
“Wir unterstützen Euch und werden Euch so lange unterstützen, wie es nötig ist, unabhängig davon, was die deutsche Wählerschaft denkt“, sagte Baerbock.“
Und das war nicht die einzige entsprechende Meldung in ukrainischen Medien zu dem Zitat von Baerbock. Hier wurde in der Logik von Tagesschau & Co sowohl das Zitat von Baerbock verfälscht („die deutsche Wählerschaft“ statt „meine…“) als auch, wenn man das vom deutschen Mainstream angewandte Argumentationsmuster überträgt, eine „verzerrte“ Überschrift dafür gewählt.
Das heißt, ukrainische Medien hatten das nicht korrekt übersetzte Zitat von Baerbock und „verzerrte“ Überschriften zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, als es noch gar keinen Eingang in US-Plattformen gefunden hatte. Die präsentierte Ableitung der angeblichen „Kreml-Kampagne“ via RIA und Sputnik und dann Verbreitung in den Sozialen Medien der USA und im weiteren Verlauf in Deutschland hat alleine durch diese Tatsache einen argumentativen Schiffbruch erlitten. Denn man könnte genauso gut als zeitlichen Verbreitungsweg darlegen: RIA-Kiev Independent-USA-Deutschland: Nachweislich kursierte das „verfälschte“ Baerbock-Zitat erst in ukrainischen Medien und Sozialen Netzwerken, bevor es sich auf den Weg nach Übersee machte und dann insbesondere im deutschsprachigen Twitter viral ging.
Doch damit nicht genug. Bereits am 2. September hatte der inkriminierte Telegram-Kanal „Russian American Daily“ eine Stellungnahme veröffentlicht, in welcher betont wird, dass man keine Verbindung, „weder mit der russischen Regierung noch mit russischen Organisationen“, habe, ebenso wird erklärt, dass man in keiner Weise die Absicht hatte, der deutschen Außenministerin mit der Veröffentlichung zu schaden, und auch gar nicht damit gerechnet wurde, dass das Video so für Furore sorgen würde und zudem keine Beziehung bestehe zu dem Twitter-Account, über den das Video dann im späteren Verlauf viral gegangen ist.
Ebenso wird dargelegt, aus welchen Motiven entschieden wurde, den Videoausschnitt von Baerbocks Beitrag zu veröffentlichen. Das klingt alles nachvollziehbar, zudem reicht ein Blick auf die Veröffentlichungen und die Art der genutzten Sprache auf dem Kanal von Russian American Daily, um zu erkennen, dass die Vorwürfe, wie zum Beispiel vom SPIEGEL verbreitet, der Kanal sei „kremlnah“ und würde „Kriegspropaganda für Russland“ betreiben, keine Basis haben. Ein Großteil der Veröffentlichungen sind Wiedergaben von Artikeln des Wall Street Journals und anderer großer US-Medien in Bezug auf Russland, unterlegt mit ein, zwei eigenen Sätzen, eigentlich immer in einer nüchternen, sachlichen Sprache gehalten.
Doch von all dem erfährt der FAZ-, SPIEGEL- oder Tagesschau-Leser nichts. Eines der Grundelemente des Journalismus, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen, wird in diesem Fall komplett über Bord geworfen. Zum Zwecke der Dokumentation und damit sich die NachDenkSeiten-Leser eine eigene Meinung bilden können, geben wir die Stellungnahme der Organisation American Council for US-Russia Engagement, die den Kanal „Russian American Daily“ betreiben, im Wortlaut wieder:
„Ein Video, das wir ursprünglich auf Telegram veröffentlicht hatten und das Auszüge aus den Äußerungen des deutschen Außenministers zur Ukraine enthält, hat einen Skandal in Deutschland ausgelöst und den Vorwurf der russischen Desinformation aufgeworfen.
Klarstellung:
- The Russian American Daily ist weder mit der russischen Regierung noch mit russischen Organisationen verbunden.
- Das Twitter-Konto, über das unser Video viral wurde, ist nicht mit Russian American Daily verbunden. Wir wissen nicht, wer dieses Konto verwaltet, und wir haben sicherlich auch nicht darum gebeten, dass unser Video dort veröffentlicht wird.
- Das Video selbst enthält Auszüge aus der direkten Rede von Frau Baerbock, ohne dass etwas hinzugefügt oder verändert wurde. Mehrere ukrainische und russische Nachrichtenagenturen berichteten über die Äußerungen der Ministerin, bevor wir das Video fanden und veröffentlichten.
- Wir haben nicht damit gerechnet, dass sich dieses Video verbreiten würde, und wir hatten auch keine feindlichen Absichten gegenüber der deutschen Außenministerin, als wir es veröffentlichten.
- Unser Kanal konzentriert sich auf Nachrichten und Ansichten, die für die aktuelle Westen-Russland-Krise relevant sind. Baerbocks Äußerungen waren für uns von Interesse, weil sie die Entschlossenheit der deutschen Führung verdeutlichen, die Ukraine trotz der zunehmenden Ablehnung und der wirtschaftlichen Härten, die sich aus den Sanktionen gegen Russland ergeben, zu unterstützen.
Wir veröffentlichen regelmäßig Auszüge aus Interviews und Reden verschiedener Persönlichkeiten zu Themen im Zusammenhang mit den westlich-russischen Beziehungen und dem Konflikt in der Ukraine, der zu einem wichtigen Streitpunkt und einer Konfrontation zwischen Moskau und den westlichen Hauptstädten geworden ist.“
Zumindest mit einem Satz hätte man in den erwähnten Tagesschau-, SPIEGEL- und FAZ-Artikeln darauf verweisen können und wenn man Journalismus ernsthaft betreiben will, eigentlich auch müssen, dass es diese Stellungnahme gibt und dass die erhobenen Vorwürfe in aller Deutlichkeit verneint werden. Dasselbe gilt für die Tatsache, dass mehrere „pro-ukrainische“ Quellen das Baerbock-Zitat in derselben Form verbreitet hatten wie die „pro-russischen“ Quellen.
Es scheint aber, dass das Narrativ, es handle sich um eine bewusst vom Kreml gesteuerte Kampagne, scheinbar um jeden Preis aufrechterhalten werden muss. Fakten und Aspekte, die dieser Darlegung widersprechen könnten, stören da nur bei der etablierten Krisenstrategie: Man verweist auf „pro-russische Twitter-Accounts“ und eine „Kremlkampagne“ und schon glaubt man, dass man sich nicht mehr mit inhaltlichen Fragen und Kritik auseinandersetzen müsse. Bezeichnend ist dabei auch, mit welcher Vehemenz die Verteidigung der Aussagen der deutschen Außenministerin in den benannten „Leitmedien“ erfolgt. Nicht ein Artikel bei SPIEGEL oder Tagesschau, der auch nur im Ansatz einräumt, dass die Aussage von Baerbock „egal, was meine Wähler denken“ zumindest ungeschickt formuliert war und sehr wohl auf ein fragwürdiges Demokratieverständnis schließen lässt. Denn dem Wahlvolk so deutlich zu verstehen zu geben, dass deren Meinung, und sei es auch nur im spezifischen Kontext der Ukraine, egal sei, birgt natürlich die Gefahr, die Politikverdrossenheit und gewisse Stereotypen über Spitzenpolitiker zu verstärken.
Dass sich SPIEGEL, Tagesschau & Co bei ihrem krampfhaften Versuch, die Kritik an der Baerbock-Äußerung einer russischen Einflusskampagne zuzuschreiben, zudem dermaßen an einer Übersetzung festbeißen, in der von „deutschen Wählern“ statt „meinen deutschen Wählern“ die Rede ist, zeugt auch davon, wie fragil deren ganzes Argumentationsmuster ist.
Annalena Baerbock wurde am 26. September 2021 im Wahlkreis 61 (Potsdam, Potsdam-Mittelmark II und Teltow-Fläming II) mit 35.452 Stimmen (18,8 Prozent) in den Bundestag gewählt. Glaubt jemand wirklich, dass Frau Baerbock sich in ihren Äußerungen wirklich bewusst nur auf diese 0,08 Prozent der Wählerstimmen bei der Bundestagswahl 2021 bezogen hat?
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