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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Walter Riester täte gut daran, Asche auf sein Haupt zu streuen
Datum: 12. September 2005 um 15:31 Uhr
Rubrik: einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Riester-Rürup-Täuschung, Privatrente
Verantwortlich: Albrecht Müller
Statt dessen wirbt er mit einem Aufruf an Arbeitnehmer und Gewerkschafter für eine Politik, an der er persönlich als Sozialminister schon gescheitert ist. Siehe unten. Mit seinem Namen ist der staatlich geförderte Einstieg in die Privatvorsorge, der Umstieg vom Umlageverfahren in das Kapitaldeckungsverfahren verbunden. Die „Riester-Rente“ ist bisher ein grandioser Misserfolg. Sie ist trotz staatlicher Förderung von circa 6,7 Milliarden € pro Jahr von nur gut 10% der Arbeitnehmer angenommen worden. Walter Riester hat zudem den Weg bereitet, die Arbeitgeber aus der finanziellen Beteiligung an der Altersvorsorge zu entlassen. Er hat das Bett für die Privatisierung der Altersvorsorge bereitet, in dem sich eine von der CDU/CSU geführte Bundesregierung so richtig suhlen kann.
Vor allem hat er aber mit dazu beigetragen, den Menschen das Vertrauen in die gesetzliche Rente zu nehmen. Die Werbung für die Riester-Rente ist immer mit der Behauptung verbunden, die Gesetzliche Rente trage nicht mehr, sie reiche nicht mehr aus für ein auskömmliches Alterseinkommen. Es ist angesichts dieser Dauerpropaganda kein Wunder, dass gerade junge Leute das Vertrauen in die Gesetzliche Rente verlieren. Dies ist schon deshalb eine verheerende Entwicklung, weil wir diese öffentlich organisierte soziale Institution und das dazugehörige Umlageverfahren noch auf Jahrzehnte hinaus brauchen, wollte man nicht eine ganze Generation von Älteren schlicht der Sozialhilfe anheim geben.
Die Propaganda gegen das Umlageverfahren wird nach unseren Informationen in den kommenden Wochen und Monaten von der Versicherungswirtschaft weiter verschärft werden. Walter Riester spielt den Handlanger für diese Entwicklung.
Dies wäre ja zu ertragen, wenn die Verschiebung der Akzente vom Umlageverfahren auf das Kapitaldeckungsverfahren die Altersvorsorge der Arbeitnehmer begünstigen und fördern würde. Dies ist aber höchst fraglich. Dagegen sprechen einfache Berechnungen und dagegen sprechen Erfahrungen:
Wenn diese Kosten hereingeholt werden sollen, muss die Rendite schon sehr hoch sein. Das Umlageverfahren arbeitet eindeutig mit den niedrigsten Kosten. Das sind eben nur die Kosten für die Verwaltung bei den Landesversicherungsanstalten und bei der BfA. Die Riester-Rente verursacht Verwaltungs- und Vertriebskosten. Ohne staatliche Zuschüsse wäre sie total erfolglos. Die staatlichen Zuschüsse kann man getrost als Zuschüsse für die Vertriebssysteme der Versicherungsgesellschaften werten. Sie kommen weniger bei den Versicherten als bei den Versicherern an.
Die Sozialdemokraten in der Berliner Regierung und in der Fraktion der SPD haben diese Ratschläge ihres chilenischen Parteigenossen schlicht und einfach ignoriert. Auch Walter Riester ist offenbar gegenüber solchen Tatsachen erfahrungsresistent. Aus welchen Gründen – das wissen wir nicht. Wir wissen allerdings, dass die Banken und die Versicherungswirtschaft über eine massive PR-Arbeit und finanzielle Zuwendungen Einfluss auf Wissenschaft und Publizistik hat. Man achte nur einmal auf die nahezu täglich erscheinenden Anzeigen in den Medien und man schaue einmal genauer hin, von wem die wissenschaftlichen Institute unterstützt oder getragen werden. Dass eine genauso massive Einflussnahme auch auf die Politik ausgeübt wird, ist mehr als naheliegend. Anders ist die Ignoranz vieler Politiker nicht zu verstehen. Man schaue doch nur einmal auf das Wirken des Versicherungslobbyisten Otto Graf Lambsdorff.
Ein Sozialdemokrat, der nicht den Einflüsterungen oder gar dem Druck der Versicherungswirtschaft ausgesetzt wäre, würde sich darauf besinnen, welche Vorteile das Umlageverfahren hat, welche großen Leistungen es selbst in der Nachkriegszeit und bei der Bewältigung der deutschen Vereinigung erbracht hat. Er würde erkennen, wie notwendig es ist, das Vertrauen der Millionen unselbständig Beschäftigten in dieses System zu erhalten. Walter Riester tut das Gegenteil. Er feiert den Einstieg in die Privatvorsorge auch in seinem Wahlaufruf; auch da ist – wie in den Werbekampagnen der Versicherungswirtschaft – die Rede vom demografischen Wandel und vom „notwendigen Umbau der sozialen Sicherungssysteme“.
Walter Riester hat den privaten Versicherungskonzernen den Weg bereitet – zulasten der Steuerzahler und zulasten der Arbeitnehmer. Statt weiter Propaganda für die Versicherungslobby zu machen, sollte er sich lieber Asche auf`s Haupt streuen und schweigen. Das wäre das Mindeste, wenn er nicht die Kraft hat zu bekennen, dass er – der ehemalige Vize einer großen Gewerkschaft – den Weg zur Zerstörung einer unserer besten sozialen Errungenschaften geebnet hat.
Damit Sie sich selbst ein Bild machen können von der Art der Argumentation hier der Text des Aufrufs. Interessant ist dabei auch, was jetzt alles neu versprochen wird und was an der bisherigen Politik alles als korrekturbedürftig betrachtet wird. Das ist schon ganz schön doppelzüngig:
Aufruf von Walter Riester, MdB:
Soziale Demokratie und
Verantwortung verbinden!Am 18. September 2005 steht eine Richtungswahl an. Es geht darum, welchen Weg Deutschland wählt: Den Weg der sozialen Demokratie oder den Weg der sozialen Ausgrenzung, den Weg der Verantwortung oder den Weg der Verweigerung. Als Betriebsräte, Personalräte und Gewerkschafter stellen wir uns in Betrieben und Verwaltungen tagtäglich den Herausforderungen, vor denen Deutschland steht: Angesichts der Massenarbeitslosigkeit, der mangelnden Binnennachfrage, der Mängel im Bildungssystem und der zunehmenden sozialen Ausgrenzung, des demografischen Wandels, des notwendigen Umbaus der sozialen Sicherungssysteme und der nach wie vor ungleichen Teilhabechancen von Frauen und Männern versuchen wir, Veränderung mit Sicherheit, Gerechtigkeit mit Solidarität, Arbeit mit Innovation und Teilhabe mit Verantwortung zu verbinden. Dies sind für uns auch die Maßstäbe, an denen wir die unterschiedlichen politischen Konzepte messen.
Aus unserer Sicht hat die rot-grüne Bundesregierung in den letzten sieben Jahren in der Außenpolitik, bei der Mitbestimmung, in der Integrationspolitik, bei der betrieblichen Altersvorsorge, bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, in der Forschungs- und Innovationspolitik und weiteren Feldern richtige Wegentscheidungen getroffen. In der Gesundheitspolitik, in der Rentenpolitik, der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- sowie der Steuer- und Finanzpolitik verbinden sich notwendige und richtige Entscheidungen für Veränderungen mit konkreten Umsetzungen, die in die falsche Richtung weisen und die wir kritisiert haben. Dringend korrigiert werden müssen beispielsweise die – von der Union noch verschärften – Entscheidungen zur Zumutbarkeit von Arbeit, weil sie Lohndumping befördern oder die Entbindung großer Einkommen und Gewinne von der Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben. Die größte Ernüchterung für uns ist, dass in sieben Jahren rot-grüner Politik keine Erfolge bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit erzielt wurden – eine direkte Folge einer Steuer- und Finanzpolitik, die die Handlungsfähigkeit des Staates zu sehr eingeschränkt hat.Wenn wir heute dafür werben, bei der Bundestagswahl im Herbst die SPD und damit den Weg der sozialen Demokratie zu unterstützen, dann aus fünf Gründen:
- Gerade jetzt brauchen wir eine Politik, die auf engagierte und motivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer setzt und die den Kündigungsschutz, die Mitbestimmung und die Tarifautonomie als Pfeiler der sozialen Demokratie verteidigt anstatt sie, wie von CDU/CSU und FDP geplant, zu zerstören.
- Gerade jetzt brauchen wir eine Politik, die die sozialen Sicherungssysteme zukunftssicher macht, indem sie die gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen zu Bürgerversicherungssystemen umbaut und damit die Solidarität der Starken mit den Schwachen ausbaut. Wenn CDU/CSU planen, Einkommensmillionäre gleich zu behandeln wie Krankenschwestern, dann ist das ungerecht.
- Gerade jetzt brauchen wir eine Politik, die für Frauen und Männer eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch ausreichend Ganztagsangebote für Kinder und Jugendliche ermöglicht und durch ein Elterngeld, das als Lohnersatzleistung ausgestaltet ist.
- Gerade jetzt brauchen wir eine Politik, die die Binnennachfrage ankurbelt, indem sie die Finanzsituation von Städten und Gemeinden stärkt, indem sie größere Einkommen stärker in die Pflicht nimmt und mit der Bürgerversicherung kleine und mittlere Einkommen entlastet. CDU/CSU und FDP hingegen wollen kleinen Einkommen durch Streichung der Steuerfreiheit von Sonntags-, Nacht- und Schichtarbeitszulagen tiefe Einschnitte zumuten!
- Gerade jetzt brauchen wir eine Politik, die Lohn- und Sozialdumping durch eine generelle Ausweitung des Entsendegesetzes und ggfs. durch gesetzliche Mindestlöhne bekämpft. CDU/CSU und FDP dagegen wollen den Druck auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie auf Arbeitslose weiter erhöhen.
Der Einfluss des Staates und der Gewerkschaften ist in Zeiten der Globalisierung tendenziell gesunken. Regierungen und Gewerkschaften sind dennoch nicht ohnmächtig. Wir brauchen eine Bundesregierung, die den verbleibenden wirtschaftspolitischen Spielraum umfassend nutzt. Dazu müssen die richtigen Ansätze aus den vergangenen 7 Jahren fortgesetzt und endlich auch in Deutschland um eine koordinierte Industrie- und Dienstleistungspolitik ergänzt werden, wie sie in anderen Ländern längst praktiziert wird. Diese setzt auf Förderung von Innovationen, auf qualifizierte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, auf eine verantwortungsvolle und nachhaltige Energie- und Rohstoffpolitik, auf technologieintensive Prozesse und Produkte und die flexible und schnelle Umsetzung von Neuerungen. Eine aktive Beschäftigungspolitik darf sich nicht nur um schnellere Vermittlung bemühen, sondern muss vor allem das weite Feld nicht erfüllter Humandienstleistungen und öffentlicher Aufgaben erschließen.
Dies zielt nicht auf einen Niedriglohnsektor, sondern auf neue Beschäftigungsmöglichkeiten für das breite Spektrum aller Qualifikationen. Aber nur wenn solche Maßnahmen mit gezielten Initiativen zur Stärkung der Binnenkonjunktur verknüpft werden, lässt sich eine nachhaltige Wachstumssteigerung und die damit verbundene Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen realisieren. Wir wissen, dass die Politik von CDU/CSU und FDP diesen Anforderungen nicht gerecht wird. Sie sagen selbst, dass sie die Einkommen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen noch stärker unter Druck setzen und die Möglichkeiten zur Gegenwehr beschneiden werden. Schwarz und Gelb wollen Deutschland in eine Gesellschaft verwandeln, in der die Wirtschaft die Regeln des Zusammenlebens definiert. Der soziale Zusammenhalt bleibt dabei auf der Strecke. Der Weg der sozialen Ausgrenzung von CDU/CSU und FDP ist eine Sackgasse.
Wir wissen auch, dass die PDS (Linkspartei) teilweise politische Forderungen der Gewerkschaften übernimmt. Eine Partei jedoch, die keine Chance hat, politische Verantwortung zu übernehmen und dies nach eigenem Bekunden auch nicht ins Auge fasst, ist aus unserer Sicht keine ernsthafte Alternative. Wir brauchen eine Regierung, die sich den vielfältigen Herausforderungen stellt und sie im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestaltet. Wir streiten uns lieber mit einer Regierung mühevoll über den richtigen Weg als uns gemeinsam mit der Opposition in Ohnmacht wohl zu fühlen.
Deshalb unterstützen wir bei der Bundestagswahl im Herbst bewusst und kritisch die SPD und werben dafür, dass andere dies auch tun. Wir verbinden unsere Zustimmung mit der Aufforderung, in der künftigen politischen Praxis den Schwachpunkt des SPD Wahlprogramms zu korrigieren: Mehr Mut in der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik! Wir brauchen eine koordinierte Industrie- und Dienstleistungspolitik, und wir brauchen eine Stärkung der Binnennachfrage! Die SPD hat in den sieben Regierungsjahren nicht alles richtig gemacht. Aber sie steht der Politik, die wir für richtig halten, am nächsten – dem Weg der sozialen Demokratie und Verantwortung im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
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