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Titel: Das Getreideabkommen mit der Ukraine: Afrika geht bisher leer aus
Datum: 14. August 2022 um 11:45 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Ressourcen
Verantwortlich: Redaktion
Am 22. Juli 2022 wurde in Istanbul ein Getreideabkommen zwischen der Ukraine, Russland und der Türkei unter Vermittlung der Vereinten Nationen vereinbart. Der Vertrag basiert auf der internationalen Vereinbarung über die Sicherheit der Meere aus dem Jahr 1974. International wurde das Abkommen begrüßt, weil man davon ausging, dass auf diese Weise eine drohende Hungerkatastrophe in vielen Entwicklungsländern gemildert oder abgewendet würde. Im Folgenden soll dargestellt und bewertet werden, ob mit diesem Abkommen tatsächlich humanitäre oder eher wirtschaftliche Ziele verfolgt werden. Von Jürgen Hübschen.
Der Inhalt des Getreideabkommens
Die Vertragsparteien einigten sich grundsätzlich darauf, für 120 Tage den Export von Getreide, Nahrungsmitteln und auch Dünger aus den ukrainischen Schwarzmeerhäfen Chordonomorsk, Odessa und Pivdenny zu ermöglichen. Im Gegenzug sollte garantiert werden, den Export landwirtschaftlicher Güter aus Russland nicht zu sanktionieren.
Wesentliche Inhalte:
Die bislang bekannte Umsetzung der Vereinbarung
Die erste Phase des Abkommens diente dazu, die 28 wegen des Krieges in ukrainischen Häfen blockierten Schiffe freizubekommen. 14 von ihnen sind bislang wohl mittlerweile mit Getreide beladen und in See gestochen. Konkret wurde berichtet, dass das erste Schiff am 1. August mit einer Ladung Mais in Richtung Libanon abgefahren, aber dort noch nicht angekommen ist. Der Käufer hat angeblich den Liefervertrag gekündigt, weil er zu lange auf die Ladung warten musste. Von der libanesischen Regierung ist nicht bekannt, dass es eine Order für eine Maislieferung gab. Aktuell liegt das Schiff vor der türkischen Küste, weil es noch keinen neuen Käufer für die Ladung gibt.
Am 5. August haben weitere drei Schiffe die Ukraine verlassen und zwar mit den Zielen Großbritannien, Irland und Türkei. Andere Ziele wurden nicht genannt. Bekannt wurde allerdings, dass bislang – mit nur einer Ausnahme – alle Schiffe auf Grund privater Verträge, als sogenannte „Commercial Ships,“ in See gestochen sind. Im Klartext heißt das, dass die Ladung der Schiffe gekauft wurde und der Käufer den jeweiligen Zielhafen bestimmt.
Vier Konzerne kontrollieren den gesamten Exportmarkt für Agrarstoffe
Vor diesem Hintergrund ist es interessant zu wissen, dass lediglich vier Konzerne den In- und Export von Agrarstoffen weltweit kontrollieren und abwickeln:
Gemeinsam sind sie als „ABCD-Gruppe“ oder einfach „ABCD“ bekannt. Archer Daniels Midland (wiederum ADM abgekürzt), Bunge und Cargill sind US-Unternehmen, Louis Dreyfus hat seinen Sitz in der niederländischen Hauptstadt Amsterdam. Alle vier wurden zwischen 1818 und 1902 gegründet und, von ADM abgesehen, stehen sie bis heute unter dem Einfluss ihrer Gründerfamilien. Sie handeln, transportieren und sie verarbeiten auch viele Rohstoffe. Die Konzerne besitzen Hochseeschiffe, Häfen, Eisenbahnen, Raffinerien, Silos, Ölmühlen und Fabriken. Ihr Weltmarktanteil liegt bei 70 Prozent. Cargill ist die Nummer eins, gefolgt von ADM, Dreyfus und Bunge.
Nur ein einziges Schiff wurde bislang vom „World Food Program“ der UNO für „food aid“ (Hungerhilfe) gechartert, mit dem direkten Kurs in ein Land, dessen Bevölkerung vom Hunger bedroht ist. Das Land wurde expressis verbis nicht genannt. Bekannt ist in diesem Zusammenhang lediglich, dass es bislang z.B. kein Schiff in den Jemen, nach Äthiopien oder Somalia gab. Nach Aussage der UNO war das vorrangige Ziel nicht, die hungernde Bevölkerung in bestimmten Ländern zu versorgen, sondern durch die Exportmöglichkeiten der Ukraine die Preise auf dem Weltmarkt zu senken, was offensichtlich schon zu wirken beginnt.
Stéphan Dujarric, ein Sprecher des UN-Generalsekretärs, stellte dazu fest:
„In vielen Entwicklungsländern ist der Nahrungsimport nicht Teil einer humanitären Maßnahme, sondern eine wirtschaftliche Operation.“
Zusammenfassende Bewertung
Das Abkommen zwischen Russland und der Ukraine ist grundsätzlich positiv, vor allem, weil damit bewiesen wurde, dass Gespräche zwischen Russland und der Ukraine möglich sind, wenn man sich darum bemüht! Aufgrund der Berichterstattung konnte man davon ausgehen, dass die UNO, unter deren Ägide der Vertrag verhandelt wurde, auch die Federführung bei dessen Umsetzung hat. Ich war, wie sicherlich viele, vielleicht sogar die meisten, Menschen, die den Hergang des Abkommens verfolgt hatten, bisher der Meinung, der Vertrag würde in erster Linie dazu dienen, die von Hungersnot bedrohten Länder bei der Versorgung ihrer Bevölkerung zu unterstützen. Deshalb hatte ich erwartet, die UNO würde eine Reihenfolge für die Länder festlegen, in denen die Bevölkerung am dringendsten auf diese Lieferungen angewiesen ist, die dafür erforderlichen Schiffe chartern und die Ladungen zu einem zuvor festgelegten Kurs bezahlen. Auf diese Weise wären Preisspekulationen vermieden worden und keine neuen „Kriegsgewinnler“ entstanden.
Das war offensichtlich eine Fehleinschätzung. Vorrangig sollten wohl die blockierten Schiffe mit in der Ukraine gelagertem Getreide in See stechen, um die Silos für die neue Ernte zu leeren und durch die erhöhte Menge an Getreide auf dem Weltmarkt die Preise zu senken. Wie es die Vertreterin der UNO erklärt hat, stehen bei dem Abkommen nicht humanitäre, sondern wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund.
Deshalb muss jetzt darauf geachtet werden, wer eigentlich an diesem Getreideexport verdient und ob und wann die Schiffsladungen wirklich in die Länder gehen, die am meisten darauf angewiesen sind. Zum jetzigen Zeitpunkt entsteht der Eindruck, dass in erster Linie die Ukraine und die großen Konzerne und privaten Investoren von diesem Abkommen profitieren. Wer später beim „Zwischenhandel“ in den Entwicklungsländern zusätzlich noch die Hand aufhält, bevor das Getreide in den Töpfen der hungernden Menschen ankommt, kann man nur vermuten.
Titelbild: Elena Larina / shutterstock
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