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Titel: Kampagne gegen die Bürger und ihre Proteste: Wer Kritik übt, „brüllt Verachtung für die Demokratie heraus“
Datum: 19. Juli 2022 um 10:42 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Innere Sicherheit, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
Verantwortlich: Tobias Riegel
Die möglicherweise kommenden Proteste gegen die gefährliche Sanktions-, Energie- und Sozialpolitik der Bundesregierung sollen schon jetzt als rechts und extremistisch gebrandmarkt werden. Im Zuge dieses Prozesses setzen sich die Regierung und flankierende Medien anmaßend mit „der Demokratie“ gleich. Manche Akteure aus Medien und Politik haben sonst weniger Berührungsängste – mit echten Rechtsextremen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warnte kürzlich laut Medienberichten :
„Natürlich besteht die Gefahr, dass diejenigen, die schon in der Coronazeit ihre Verachtung gegen die Demokratie herausgebrüllt haben und dabei oftmals Seite an Seite mit Rechtsextremisten unterwegs waren, die stark steigenden Preise als neues Mobilisierungsthema zu missbrauchen versuchen.“
Die Sanktionen sind keine höhere Gewalt
Drei Fliegen mit einer Klappe: Die Innenministerin beleidigt in diesem kurzen Absatz nicht nur pauschal jene Bürger, die von ihren Grundrechten der Versammlungsfreiheit und der Meinungsäußerung Gebrauch machten, als sie gegen unangemessene und zerstörerische Corona-Maßnahmen protestiert haben. Gleichzeitig versucht Faeser, die mit großem Aufwand hergestellte Diffamierung der Corona-Proteste auf die kommenden Sozialproteste zu übertragen. Zu guter Letzt besitzt sie die Anmaßung, die kritikwürdige Politik der Bundesregierung mit „der Demokratie“ gleichzusetzen. Dabei ist Demokratie undenkbar, wenn Proteste gegen die Regierung pauschal verteufelt werden.
Die Sanktionen sind keine höhere Gewalt. Sie sind bewusste Entscheidungen der Bundesregierung. Sie sind keineswegs alternativlos und sie sind ebenso wie die kriegsverlängernden Waffenlieferungen moralisch nicht gerechtfertigt. Außerdem erreichen sie die proklamierten angeblichen Ziele nicht: Weder lindern sie das schreckliche Leid der ukrainischen Zivilisten, noch treffen sie Russlands Wirtschaft entscheidend. Darum können die Sanktionen und ihre potenziell schlimmen sozialen Folgen nicht mit der „Schuld Russlands“ begründet werden: Unsere Regierung hätte es in der Hand, die Situation für die eigenen Bürger durch geschickte Diplomatie umgehend zu verbessern bzw. erheblichen Schaden gar nicht erst entstehen zu lassen.
Dagegen, dass die Bundesregierung diese offensichtlichen Schritte der Schadensabwehr unterlässt, wird sich wahrscheinlich Protest auf der Straße formieren – auch wenn das bei den angeblichen aktuellen „Zustimmungswerten“ zur Ukrainepolitik noch schwer vorstellbar ist. Andererseits sind vielleicht die Proteste am Hamburger Hafen oder mögliche Bauernproteste als mögliche Vorboten zu betrachten.
„Solidarität“ bedeutet heute, keine Kritik zu äußern
Wenn Faeser weiter ausführt: „Wir sind vorbereitet, auch auf mögliche neue Protestgeschehen“, dann meint sie mit dieser Vorbereitung mutmaßlich auch Schritte zur Diffamierung dieser „Protestgeschehen“. Dass auf eine Diffamierung auch potenziell weitere Schritte folgen können, haben wir im Artikel “Corona-Protest: Erst verleumdet, dann verboten“ beschrieben. Faeser mahnte außerdem laut Medien: „Aus der politischen Mitte heraus sollten nicht die Ängste derer befeuert werden, die von den steigenden Preisen besonders hart getroffen würden.“ Soll hier das Eintreten für die Benachteiligten zu einem unredlichen „Befeuern von Ängsten“ erklärt werden?
Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz argumentiert laut „Handelsblatt“ in eine ähnliche Richtung: „Es steht zu befürchten, dass Rechtspopulisten auch diese gesellschaftliche Krise für die eigene Agitation ausnutzen“, sagte er. Vor diesem Hintergrund werde es in den nächsten Wochen und Monaten sehr auf Solidarität und gesellschaftlichen Zusammenhalt ankommen.
„Zusammenhalt“ ist hier vermutlich als kritikloses Erdulden des Regierungshandelns gemeint. Fällt nicht vieles Anderes bereits unter die neue Geheimdienst-Kategorie der „Feinde der Demokratie“?
Medien machen mit
Es ist zu erwarten, dass nun zahlreiche Redakteure großer und kleinerer Medien dieser regierungsoffiziellen Agitation folgen und legitime Bürgerproteste vorausgreifend als (rechts-)extrem verteufeln. Beispielsweise die „Welt“ hat sich der Kampagne offenbar bereits angeschlossen. In diesem Artikel erklärt das Medium, „Rechtsextreme und Vordenker aus dem ‚Querdenker‘-Milieu’“ würden Abstiegsängste anheizen und Frust über steigende Preise „instrumentalisieren“: „Dabei nutzen sie Netzwerke aus der Zeit der Corona-Proteste.“ Diese Formulierungen könnten fast von einem rot-grünen Kommunikationsbüro übernommen sein – oder umgekehrt.
Das sogenannte „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ baute kürzlich ebenfalls vor, um Kritik an Waffenlieferungen und an der Sanktionspolitik als „AfD-Position“ zu brandmarken:
„Schon jetzt versuchen beispielsweise die Rechtspopulisten von der AfD ihr Süppchen zu kochen auf der wachsenden Not der Bevölkerung, den Alltag zu finanzieren. Für den Kanzler wird es auch schwieriger werden, sein Versprechen einzuhalten, dass sich die Ukraine keinem russischen Diktatfrieden unterwerfen muss.“
Radikalisierung könnte reale Gefahr werden
Meiner Meinung nach wären legale und friedliche Proteste gegen die Sanktions- und Sozialpolitik der Regierung angemessen und ich würde sie begrüßen. Die Mahnung vor einer Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft und einer folgenden versuchten Instrumentalisierung durch extremistische Rechte ist meiner Meinung nach trotzdem nicht ganz unbegründet, angesichts der von der Regierung angekündigten und umgesetzten gesellschaftlichen Schockwellen. Das sollte aber doch ein Grund mehr sein, die aktuelle Politik, die absehbar und ohne Not soziale Verwerfungen produzieren wird, sofort zu beenden! Die entsprechenden offenen Politikfelder sollten zudem besetzt und bearbeitet werden, bevor die AfD sie nutzen kann.
Der Nährboden für extreme Rechte wird nicht von besorgten und aus guten Gründen wütenden Bürgern bereitet, sondern von der Schwäche der gesellschaftlichen Linken und von der Politik der Bundesregierung. Es gibt kein besseres Programm gegen Rechtsextremismus als gute Sozialpolitik. Die Bundesregierung und die sie abschirmenden Medien betreiben eine Umkehrung von Symptom und Ursache: Extremistische Rechte werden vor allem durch die eigene Politik „produziert“ – und anschließend wird als politisches Programm lauthals (und wirkungslos) ihre Existenz beklagt. Gleichzeitig wird mancherorts noch immer bei Gerichten und bei Polizei gespart.
Schon wieder: „Gute Demos, Schlechte Demos“
Die pauschale Diffamierung von Bürgerprotesten ist abzulehnen, meiner Meinung nach sogar weitgehend unabhängig von der jeweils vertretenen Sache. Mit der jeweils vertretenen Sache macht man sich selbstverständlich nicht gemein, wenn man das Prinzip der Meinungsfreiheit verteidigt. Ungleichbehandlungen von Protestbewegungen („Gute Demos, Schlechte Demos“) und selektives Dämonisieren sind unseriös. Doch dieses Messen mit zweierlei Maß, je nach dem politischen Inhalt der jeweiligen Proteste, ist auch dieser Tage vielerorts zu beobachten.
Zu all dem kommt der Aspekt der Heuchelei hinzu. Wie gesagt: Die Gefahr, dass die aktuelle Politik einen Radikalisierungsschub auslöst, ist real. Aber zum einen hätten die, die nun warnen, die Pflicht und die Möglichkeiten, die Situation zu entschärfen. Zum anderen haben viele der Politiker und Redakteure, die jetzt Bürgerproteste als rechtsextrem darstellen wollen, in den vergangenen Monaten beflissen die Ausfälle eines tatsächlichen nationalistischen Extremisten und Faschisten-Verehrers verniedlicht.
Was sagen unsere Leser? Stimmen Sie der Beschreibung der Vorgänge als „allzu pauschale Diffamierung von Bürgerprotesten“ zu? Nehmen Sie eine Ungleichbehandlung zwischen verschiedenen Protest-Themen wahr? Oder hat die Innenministerin recht mit ihrer Haltung gegenüber möglichen Sozialprotesten? Würden Sie sich selber an friedlichen Protesten gegen die Sanktionspolitik beteiligen? Schreiben Sie uns an [email protected].
Titelbild: GERARD BOTTINO / Shutterstock
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