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Titel: Es geht um Systemversagen, nicht um „menschliches Versagen“ – Das Beispiel des Bahnunglücks in Burgrain, Bayern
Datum: 12. Juli 2022 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Strategien der Meinungsmache, Verkehrspolitik
Verantwortlich: Redaktion
Eine Arbeitsgruppe aus unabhängigen Fachleuten hat zu dem Unglück von Burgrain vom 3. Juni Fakten zusammengetragen. Die Ergebnisse lauten zusammengefasst: Sehr viel spricht dafür, dass es sich bei diesem Unglück ein weiteres Mal um Systemversagen handelt. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der Konflikt Straße versus Schiene. Die Behauptung, „menschliches Versagen“ sei ursächlich für das Unglück, zielt darauf ab, dieses Systemversagen zu kaschieren. Von Winfried Wolf.
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Tagtäglich liest man – oder man erfährt im Wortsinne selbst – dass Bahnfahren allzu oft und von Jahr zu Jahr mehr nervt. Das ist nicht nur so in den 9-Euro-Ticket-Zeiten mit übervollen Regionalzügen. Das ist die ständige Erfahrung von jemandem, der seit 37 Jahren mehr als 35.000 Schienenkilometer pro Jahr (die Corona-Jahre 2020 und 2021 ausgenommen) zurücklegt. Aber ist Bahnfahren auch gefährlich? Ich weiß, dass Autofahren mindestens zehn Mal gefährlicher ist. Und der Bahnchef Richard Lutz behauptet auch weiter tapfer: „Wir machen keine Kompromisse bei der Sicherheit.“[1] Jedoch konnte man jüngst in der „Stuttgarter Zeitung“ in einem Grundsatzartikel zur systemischen Krise der Deutschen Bahn das Folgende lesen:
„Der tragische Unfall einer Regionalbahn bei Garmisch-Partenkirchen zeigt unter anderem, dass es bei der Krise der Bahn nicht bloß um Bagatellen geht. Hier werden Menschen nicht nur genervt, sondern auch gefährdet.“[2]
Das trifft leider zu. Das Burgrain-Bahnunglück vom 3. Juni ist symptomatisch für die Untergrabung der Sicherheit im Schienenverkehr – und für das Systemversagen, das dafür ursächlich ist.
Schauen wir uns also an, was in Burgrain in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen am 3. Juni passierte – und wie dieses Unglück, das fünf Tote und ein gutes Dutzend Schwerverletzte forderte, einen guten Monat später zu beurteilen ist. Denn es gibt eine Handvoll unabhängige Fachleute außerhalb der offiziellen Strukturen, die eine Arbeitsgruppe zu dem Thema bildeten und hierzu – in Zusammenarbeit auch mit Triebfahrzeugführern – aufschlussreiche Fakten zusammentrugen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen lauten zusammengefasst: Sehr viel spricht dafür, dass es sich bei diesem Unglück ein weiteres Mal um Systemversagen handelt. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der unauflösliche Konflikt Straße versus Schiene. Die vielerorts gestreute Behauptung, „menschliches Versagen“ und „individuelle Fehler von drei Bahnbeschäftigten“, gegen die wegen des „Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt“ wird, seien ursächlich für das Unglück, zielt darauf ab, dieses Systemversagen – und damit auch das Versagen der Verantwortlichen im Top-Management der Deutsche Bahn AG – zu kaschieren.
Konkret sind es fünf Ebenen, die unsere Kritik an der unzureichenden Aufarbeitung dieses Unglücks unterstreichen.
Ebene 1. Es gab an der Unglücksstelle vor gut zwanzig Jahren eine Straßenzusammenführung ähnlich eines Autobahndreiecks, ergänzt um die Verlegung eines Gewässers, was dazu führte, dass die Fußbreite des bestehenden Bahndamms verringert und ein gefährlicher Steilhang geschaffen wurde.
Konkret wurden im Jahr 2000 die Bundesstraßen 23 und 2 im Zuge des Baus des Farchant-Tunnels zu einem autobahnähnlichen Straßendreieck verbunden, welches aufgrund des hohen Platzbedarfs nah an den bestehenden Bahndamm herangerückt werden musste. Gleichzeitig musste ein Gewässer, der Katzenbach, umgelenkt und zwischen Bahndamm und Straßenbauwerk verlegt werden. Dadurch ist zwischen Bahndamm und Straßenbauwerk ein tiefer Graben entstanden, in den die entgleisten Wagen abgestürzt und zerschellt sind. Wäre der Bahndamm in seiner ursprünglichen Form beibehalten worden, hätten zwar die entgleisten Waggons auch den Bahndamm herunterrutschen können, doch eben ohne jenen zerstörerischen Aufprall am höher gelegenen Betonrand der B23, der die schwerwiegenden Verformungen der Wagenkästen mit der Folge der schweren und tödlichen Verletzungen der Fahrgäste verursacht hat. Erst das Verkeilen der Wagen zwischen Bahndamm und Fahrbahnrand führte zum fünffachen Tod und zur hohen Zahl der Schwerverletzten.
Ebene 2. Die beschriebenen Straßenbaumaßnahmen und die Verlegung des Katzenbachs hatten zur Folge, dass die stark frequentierte eingleisige Bahnstrecke nicht mehr zweigleisig ausgebaut werden kann.
Konkret gibt es in Deutschland rund 15.000 Kilometer eingleisige Bahnstrecken, was 45 Prozent des gesamten Netzes von 33.388 Kilometer entspricht.[3] An dieser unguten Relation hat sich in den letzten drei Jahrzehnten wenig geändert. Eingleisiger Betrieb schränkt die Leistungsfähigkeit einer Strecke ein, da Zugkreuzungen planmäßig nur in Bahnhöfen oder an Abschnitten mit Ausweichgleisen stattfinden können; auf der freien Strecke kann zwangsläufig nur eine Richtung gleichzeitig befahren werden. Offiziell soll der Schienenverkehr bis 2030 verdoppelt werden. Das bedeutet auch, dass die Leistungsfähigkeit des Netzes massiv ausgebaut und damit auch eingleisige Strecken in größerem Umfang zu zweigleisigen ausgebaut werden müssten. Doch das findet nicht statt; von Jahr zu Jahr ist sogar ein Abbau von Schienenkapazitäten festzustellen.
Die fragliche Strecke nach Garmisch-Partenkirchen ist hoch frequentiert. Seit mehr als zwei Jahrzehnten wurde gefordert, diese Bahnstrecke zu Zweigleisigkeit auszubauen. Wenige Wochen vor dem Burgrain-Unglück hieß es in einer Sendung des Bayrischen Rundfunks:
„Während in die Straßeninfrastruktur (im Bereich Garmisch-Partenkirchen; W.W.) investiert wird, geht die Bahn leer aus. Auf der eingleisigen Bahnlinie kommt es immer wieder zu Verspätungen, noch dazu dauert die Fahrt mit dem Zug nach München doppelt so lang wie mit dem Auto.“[4]
Würden die Standardaussagen der offiziellen Politik über eine „Verkehrswende“ ernstgenommen und nicht nach dem Motto „Was kümmert uns unser Geschwätz von gestern“ behandelt, dann hätte der Bahndamm bei Burgrain gar nicht dem Straßenausbau geopfert werden dürfen. Was wiederum heißt: Es hätte dieses Unglück nicht gegeben.
Ebene 3. Es fehlt an der Unglücksstelle eine Führungs- oder Fangschiene, die das Unglück weitgehend ausgeschlossen und die Tote und Schwerverletzte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte.
Durch die beschriebenen Veränderungen bei Straße, Bach und Bahndamm wäre der Einbau einer sogenannten Fang- oder Führungsschiene erforderlich gewesen. Die Fangschiene ist eine dritte Schiene im Abstand von 180 Millimetern zur bogeninneren Schiene des Gleises, die auch ein entgleistes Fahrzeug sicher im Gleis hält. Solche Führungs- oder Fangvorrichtungen werden bei Streckenabschnitten, bei denen es unter spezifischen Bedingungen zu einer Entgleisung kommen kann bzw. bei denen eine Entgleisung mit besonderen Gefahren verbunden ist (beispielsweise eben bei einem Streckenabschnitt mit einem Steilhang am Bahndamm oder mit einer Brücke), eingebaut. Ihnen kommt die gleiche Aufgabenstellung zu wie Leitplanken bei Straßen, die auch bevorzugt an Gefahrenstellen verbaut werden. Fangschienen werden vor allem auf und unter Brücken und Viadukten eingesetzt. Sie sind gerade in Bayern auf Bahndämmen mit steilen Flanken weit verbreitet.
Nach der Veränderung des Bahndamms im Zuge der Verbreiterung und Verlegung der Straße hätte das Gleis zumindest im Bogenbereich vor und hinter der Unfallstelle durch eine Fangschiene ergänzt werden müssen.
Ebene 4. Die Verantwortlichen bei der Deutschen Bahn beziehungsweise bei deren Tochter DB Netz waren sich bewusst, dass es sich bei dem fraglichen Streckenabschnitt seit geraumer Zeit um eine kritische Stelle handelte. Doch aus dieser Erkenntnis resultierten keine Maßnahmen zum Schutz des laufenden Bahnbetriebs. Vor allem wurde keine Langsamfahrstelle (La) eingerichtet.
Laut Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ vom 8. Juni gab es eine Baustelleninformation der Deutschen Bahn. Danach stand unter anderem eine Gleiserneuerung auf Höhe von Farchant an und eine Gleislageberichtigung bei Oberau und Farchant. Das betrifft den Streckenabschnitt des Bahnunglücks. Diese Arbeiten hätten Ende Juni – also nur vier Wochen nach dem Unglück – beginnen sollen.
Nach dem Burgrain-Unglück richtete die Deutsche Bahn eine größere Zahl Langsamfahrstellen ein, auch auf der Strecke München über Garmisch-Partenkirchen. Dies erfolgte offensichtlich, wie es in einem Bericht heißt, „um keine weiteren Unfälle zu riskieren.“[5]
Anfang Juli wurde schließlich bekannt, dass einige Betonschwellen an der Unglücksstelle „horizontale Risse“ hatten, was zusätzlich zu einer instabilen Gleislage beigetragen haben könnte. Horizontale Risse entstehen, wenn Schwellen nicht mehr vollflächig auf dem Schotter aufliegen, weil beispielsweise der Untergrund partiell nachgegeben hat. Und Luftaufnahmen belegen, dass es im Bereich der Unglücksstelle auch rund 30 neuere Betonschwellen gab, die offensichtlich in jüngerer Zeit ausgewechselt wurden, was auch als Indiz für einen problematischen Zustand des Gleisbettes in diesem Bereich gesehen werden kann.
Ebene 5. Es gab konkrete Hinweise von Triebfahrzeugführern, wonach der Zustand der Schieneninfrastruktur in dem Bereich, in dem es das Unglück gab, kritisch ist. Diese Hinweise blieben offenkundig ungehört.
In einer aktuellen Sendung des SWR wurden die folgenden Kommentare dokumentiert:
Lokführer I (Ausschnitt aus WhatsApp-Chat): „Wir wissen alle in welchem Zustand diese Strecke ist …” Lokführer II (ebenfalls Ausschnitt aus WhatsApp-Chat): “Ab Tutzing ist alles im Arsch … Also quasi wirklich richtig im Arsch”. Lokführer III (am Telefon, Stimme nachgesprochen): „Als ich das gehört habe, dachte ich sofort, das hätte auch mir passieren können. Auf der Strecke gab es in den letzten Jahren ganz viele Oberbaumängel, also Schienenfehler, das heißt Gleise, die nicht mehr ganz gerade sind oder sich abgesenkt haben.”[6]
Diese Aussagen und der gesamte SWR-Bericht werfen erneut die Frage auf: Warum wurde an diesem Streckenabschnitt nicht zumindest eine Langsamfahrstelle eingerichtet? Warum wurde zugelassen, dass in diesem Kurvenbereich weiterhin mit bis zu Tempo 100 gefahren werden konnte?
Fragen, denen sich der DB-Konzern stellen muss
In der Summe sind den Verantwortlichen bei Deutsche Bahn AG und bei DB Netz die folgenden Fragen zu stellen:
Der fragwürdige Allerweltsbegriff „menschliches Versagen“ und die tragischen Unfälle in Hordorf 2011 und in Bad Aibling 2016
Aktuell gibt es zwei große Gefahren. Erstens, dass das Thema Ursachenforschung beim Burgrain-Unglück in Vergessenheit gerät. Und zweitens, damit zusammenhängend, dass es dann irgendwann heißt, es habe „menschliches Versagen“ gegeben, ein untergeordneter Bahnbeschäftigter oder ein Bauernopfer im mittleren Management hätten versäumt, Baumaßnahmen rechtzeitig anzuordnen oder eine Langsamfahrstelle an der besagten Stelle einzurichten. Ein solches Vorgehen hat Methode.
Am 29. Januar 2011 kam es auf der eingleisigen Hauptstrecke Magdeburg – Halberstadt bei Hordorf zu einem folgenschweren Zugunglück, bei dem ein Güterzug und ein Personenzug kollidierten und zehn Menschen getötet wurden. Bei der Untersuchung des Unglücks wurde in den Vordergrund gestellt, dass der Lokführer das Vor- und das Hauptsignal der Überleitstelle Hordorf missachtet hatte, womit „menschliches Versagen“ und „Augenblicksversagen“ als Unglücksursache genannt und schließlich auch so gerichtlich geahndet wurden. Die wesentliche Ursache für das Unglück bestand jedoch darin, dass das Sicherungssystem „Punktförmige Zugbeeinflussung – PZB“ nicht installiert war, obgleich bereits 1997 beschlossen worden war, insbesondere in den neuen Bundesländern, alle Schienenstrecken mit PZB nachzurüsten. Es gab dann einen offensichtlich lebensbedrohlichen, fast ein Jahrzehnt währenden Streit zwischen Deutscher Bahn, Eisenbahnbundesamt und Bundesverkehrsministerium, wer die Kosten für diese Nachrüstung tragen würde. Seit Gründung der Deutschen Bahn AG gab es mehr als ein Dutzend Fälle mit schweren Eisenbahnunfällen, die bei einem rechtzeitigen Einbau dieser vorhandenen und nicht sonderlich teuren Sicherungstechnik verhindert worden wären.
Am 9. Februar 2016 kam es in Bad Aibling, Bayern, zu einem schweren Eisenbahnunfall mit zwölf Toten und 89 Verletzten. Auch hier hieß es sofort „menschliches Versagen“; der Traunsteiner Oberstaatsanwalt formulierte:
„Was wir momentan haben, ist ein furchtbares Einzelversagen“.
Dabei stand im Zentrum die Behauptung, der Fahrdienstleiter, der zwei Meridian-Regionalzüge, die in entgegengesetzter Richtung fuhren, aufs gleiche Gleis geschickt hatte, hätte „auf seinem Handy gespielt“. Entsprechend wurde der Mann zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Knapp zwei Jahre nach dem Urteilspruch, Ende 2018, wurde der offizielle Bericht der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung zu diesem Unglück vorgelegt. In diesem wurde konstatiert, das auch nach dem Regelwerk der Bundesbahn beziehungsweise der Deutschen Bahn AG seit mindestens zwei Jahrzehnten an dem fraglichen Streckenabschnitt eine spezifische technische Komponente („Erlaubnisabhängigkeit“) hätte eingebaut werden müssen, die, wie es in der Erstfassung dieses Berichts hieß, „die Kollision mit hoher Sicherheit verhindert hätte“. Nach einer Intervention der Deutschen Bahn AG wurde diese Formulierung dann abgeschwächt.[8]
Bilanz
Es muss alles getan werden, das Thema „Bahnunglück in Burgrain“ weiter ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stellen. Dabei muss insbesondere vermieden werden, dass bei der Ursachenforschung die billige Tour „menschliches Versagen“ gewählt wird, wie dies bei den beiden vorgenannten Bahnunfällen – und bei dutzenden anderen Unfällen, wie unter anderem von mir dokumentiert[9] – erfolgt ist. In der Regel handelt es sich um ein Systemversagen, bei dem der Mensch und dessen Handeln sekundär sind. Der Zustand der Schieneninfrastruktur befindet sich in einem miserablen Zustand. Und er verschlechtert sich von Jahr zu Jahr – in krassem Gegensatz zu dem Gerede von „Verkehrswende“ und dem lächerlichen Verweis, man investiere in „die digitale Schiene“. Jahr für Jahr wird die Straßeninfrastruktur erheblich weiter ausgebaut und die Schieneninfrastruktur abgebaut; Letzteres dokumentierten wir Ende März mit dem jüngsten, dem vierzehnten Alternativen Geschäftsbericht Deutsche Bahn AG.[10]
Der fortgesetzt hohe Anteil der Eingleisigkeit und das Schneckentempo bei der Erhöhung des Elektrifizierungsgrads im Schienennetz sind charakteristisch für das faktische Scheitern der Verkehrswende im Bereich Schiene. Selbst wenn es, wie jüngst bei der Südbahn (Ulm –Friedrichshafen – Lindau) zu einer umfangreichen Elektrifizierungsmaßnahme kommt, so sind der Konzern Deutsche Bahn AG und die Bundesregierung nicht willens, einen relativ kurzen eingleisigen Abschnitt, denjenigen zwischen Friedrichshafen und Lindau, zu Zweigleisigkeit auszubauen, womit ein Flaschenhals bestehen bleibt. Der Unfall in Burgrain ist darüber hinaus ein schlagendes Beispiel dafür, welche fatalen Folgen der Zielkonflikt Straße – Schiene haben kann. Im Übrigen wackelt der Schwanz weiter mit dem Hund, will sagen: der Bahnkonzern macht das Gegenteil dessen, was sein Eigner, der Bund, immer wieder verlautbaren lässt: er setzt primär auf Investitionen im Ausland und auf solche im Bereich Straße, was einen autoverliebten FDP-Bundesverkehrsminister Wissing nur recht sein kann: Ende Juni lautete eine Schlagzeile „Bahn kauft 1900 Laster in Amerika“ mit der sarkastischen Zusatzzeile „Goldene Zeiten für die Bahn auf der Straße?“[11]
Die Krise des Bahnkonzerns hat eine Dimension erreicht hat, wo die sprichwörtliche Sicherheit im Bahnverkehr auf dem Spiel steht. Tatsächlich sollten alle Neubauprojekte – von denen ohnehin sehr viele den Bahnverkehr zerstörend und darüber hinaus spezifische Projekte wie Stuttgart 21 oder die Verlegung des Bahnhofs Altona nach Diebsteich verstörend sind – solange aufs Abstellgleis gestellt werden, bis alle Langsamfahrstellen im Schienennetz beseitigt und rund 100 spezifische Sofortmaßnahmen zur Beseitigung von Flaschenhälsen und Gefahrenstellen umgesetzt wurden.
Winfried Wolf, der sich an dieser Stelle für die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit Prellbock Altona e.V. bedankt. Siehe: prellbock-altona.de/
Titelbild: J5M / Shutterstock
[«1] Zitat Lutz nach: Süddeutsche Zeitung vom 2. Juli 2022
[«2] Stuttgarter Zeitung vom 11. Juni 2022
[«3] Hier nach: Der Spiegel vom 10. Februar 2016, interessanterweise im Zusammenhang mit dem Bahnunglück in Bad Aibling; siehe unten. Die Deutsche Bahn weist in ihrem statistischen Material nicht mehr aus, wie groß der Anteil der eingleisigen Strecken im gesamten Netz ist. Das war in früheren Ausgaben von „Daten und Fakten“, herausgegeben von der Deutschen Bahn AG, durchaus der Fall. 1994 z.B. hatte das Netz noch eine Betriebslänge von 41.256 km; 24.161 km oder 58,6% waren eingleisig (Daten und Fakten 1995/96). Ähnlich im (vom Bundesverkehrsministerium herausgegebenen) Standardwerk „Verkehr in Zahlen“, wo in den 1990er Jahren noch Eingleisigkeit bzw. Mehrgleisigkeit getrennt ausgewiesen wurde, worauf inzwischen großzügig verzichtet wird. Im Übrigen stellt der prozentuale Rückgang der Eingleisigkeit eher keinen Fortschritt dar. Dieser kommt schlicht dadurch zustande, dass das Schienennetz seit 1994 um knapp 20 Prozent abgebaut wurde – wobei fast ausschließlich eingleisige Strecken gekappt wurden.
[«4] Martin Breitkopf, Tal der Tunnel: Milliarden für Straßenverkehr in Garmisch Partenkirchen, BR24, Bayrischer Rundfunk, Sendung vom 24. Februar 2022
[«5] Markus Balser und Klaus Ott, Ermittler nehmen Trasse ins Visier, in: Süddeutsche Zeitung vom 2. Juli 2022
[«6] Monika Anthes und Gottlob Schober, „Die Bahn und die marode Infrastruktur“, swr-Report vom 5. Juli 2022.
[«7] Es sei hier darauf verwiesen, dass Verantwortliche der DB auch 1998 bei der Eisenbahn-Katastrophe von Eschede versucht hatten, das Unglücksrad, das ursächlich für die Katastrophe war, verschwinden zu lassen. Es waren damals Leute der Fraunhofer-Gesellschaft, darunter der stellvertretende Chef der Darmstädter Niederlassung, Professor Vatroslav Grubisic, die das verhindern konnten. Auch beim ICE-3-Achsbruch in Köln im Juli 2008 hatte die DB das entscheidende Beweismittel, die entsprechende Achse einschließlich des Drehgestells, vom Unglücksort entfernt und eigenmächtig nach Berlin verbracht.
[«8] Die gedrechselte Formulierung lautet jetzt: Die Nachrüstung hätte „zur sicheren Seite gewirkt und einen entsprechenden Beitrag zur Vermeidung des Unfalls geliefert.“ Ausführlich zu diesen beiden (und anderen) Unfällen siehe: Bernhard Knierim und Winfried Wolf, „Abgefahren. Warum wir eine neue Bahnpolitik brauchen“, Köln 2019, S.178ff.
[«9] Siehe Knierim/Wolf, Abgefahren, wie oben, Seite 179, Fußnote 10
[«10] Seit 15 Jahren erscheint jeweils am Tag vor der Bilanzpressekonferenz der Deutschen Bahn der Alternative Geschäftsbericht Deutsche Bahn. In diesem Jahr wurde er am 30. März 2022 im dbb-Haus in Berlin unter anderem von Michael Jung, Prellbock Altona, und mir vorgestellt klimabahn-initiative.de/2022/03/30/alternativer-geschaeftsbericht-deutsche-bahn-2020-21/ und – als Zusammenfassung auf den NachDenkSeiten Winfried Wolf, Klimabahn statt Betonbahn, 13. Mai 2022
[«11] Die DB-Tochter Schenker erwarb für 435 Millionen Dollar das börsennotierte Unternehmen USA Truck, das über eine Flotte von 1900 Lkw verfügt. Nach: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. Juni 2022. Ich gestatte mir, zu erinnern: 2006 hatte der Bahnkonzern in der Ära des unsäglichen Hartmut Mehdorn mit Bax Global bereits einen großen Versuch gestartet, im US-Logistik- und Lkw- und Frachtflugverkehr-Geschäft Fuß zu fassen. 2011 musste der Bahnkonzern dieses Engagement aufgeben und rund eine Milliarde Dollar Verluste hinnehmen.
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