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Titel: Die Weltwirtschaftskrise und das plötzliche Verschwinden des „Postfordismus“: Über den lautlosen Niedergang einer Theorie
Datum: 4. März 2011 um 9:24 Uhr
Rubrik: Neoliberalismus und Monetarismus, Sozialstaat, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Mit der 2009 unübersehbar gewordenen Weltwirtschaftskrise ist es um die im linken Diskurs stellenweise inflationär verwendeten Begrifflichkeiten wie „Fordismus“ und „Postfordismus“ merkwürdig still geworden. Die Weltwirtschaftskrise blamierte nicht nur die neoliberalen oder neoklassischen Ökonomen, sondern warf auch die neo-marxistisch inspirierte Post-/Fordismustheorie und die daraus abgeleiteten politischen Gewissheiten über die Obsoletheit einer keynesianisch ausgerichteten Politik über den Haufen. Von Christian Girschner
„Mit „Fordismus“ wird die historische Gestalt des Kapitalismus bezeichnet, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die siebziger Jahre dieses Jahrhunderts hinein für die globalen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Verhältnisse (…) bestimmend war. (…). Die Bezeichnung dieser historischen Periode des Kapitalismus als „fordistisch“ geht auf die Einführung der tayloristischen Massenproduktion in Henry Fords Automobilwerken zurück. Dies revolutionierte nicht nur die kapitalistische Arbeitsorganisation und die gesamtwirtschaftlichen Prozesse, sondern auch Klassenstrukturen, Wertvorstellungen und Lebensweisen.“ (Joachim Hirsch 1995, 75f.)
Mit der 2009 unübersehbar gewordenen Weltwirtschaftskrise ist es um die im linken Diskurs stellenweise inflationär verwendeten Begrifflichkeiten wie „Fordismus“ und „Postfordismus“ merkwürdig still geworden. Beide Begriffe stammen aus der Regulationstheorie, die in den achtziger und neunziger Jahren die kritische Sozial- und Wirtschaftswissenschaft beeinflusste und bestimmte. „Fordismus“ und „Postfordismus“ wurden daher auch in der linken Publizistik häufig benutzt. So bezog sich beispielsweise der inzwischen verstorbene Peter Glotz, der in den Medien gerne als SPD-Vordenker bezeichnet wurde, positiv auf die Post-/Fordismustheorie, um damit seine Abwendung von einer keynesianisch orientierten Politik zu rechtfertigen.
„Fordismus“ bezeichnet eine besondere Periode der kapitalistischen Entwicklung, die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, welche durch industrielle Massenproduktion, Massenkonsum, Ausbau des Sozialstaats, keynesianische Wirtschaftspolitik, mächtigen Gewerkschaften u.a.m. bestimmt wurde. Allerdings geriet nach Auffassung der Regulationstheorie die Periode des „Fordismus“ in den siebziger Jahren in eine strukturelle Krise und leitete den allmählichen oder vermuteten Übergang in den sogenannten „Postfordismus“ – eines angeblich neuen Entwicklungs- und Wachstumsmodells des Kapitalismus – ein. Die Regulationstheorie entwickelte zur besseren Charakterisierung kapitalistischer Perioden die Kategorien Akkumulationsregime und Regulationsweise, um so die historisch spezifische Stabilität und Dauerhaftigkeit aufzuzeigen. Wie dem auch im Einzelnen sei, nicht unwesentlich sind die daraus gezogenen politischen Konsequenzen dieser Periodisierung der kapitalistischen Entwicklung. So galt der „Fordismus“ mehr oder minder als Zeitalter der Sozialdemokratie und der keynesianischen Wirtschafts- und Wohlfahrtspolitik, während die Krise des „Fordismus“ das unwiederbringliche Ende dieser sozialdemokratischen Ära einläutete. Denn der Kapitalismus habe sich so sehr in seiner Struktur verändert, dass eine keynesianische Wirtschaftspolitik unerbittlich scheitern muss und damit der Abbau des Sozialstaats unvermeidlich wäre. Die Krise des Fordismus bzw. der Postfordismus bedeutet zugleich das Ende der „Sozialstaatsillusion“. Neokonservative bzw. neoliberale Strategien werden dagegen als politische Reaktionen auf die Krise des Fordismus bzw. auf das Scheitern des Keynesianismus angesehen, die darauf angelegt sind, neue ökonomische Wachstumspotenziale zu erzeugen. Die linke Postfordismustheorie geriet mit dieser starren Periodisierungskonzeption in Gefahr, die neoliberale Politik als quasi unabwendbaren Schicksalschlag der kapitalistischen Entwicklung zu legitimieren. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die vorgenommene Unterteilung der kapitalistischen Entwicklung in „Fordismus“ und „Postfordismus“ immer sehr schematisch und daher sehr willkürlich war. Politikökonomische Phänomene, die nicht unter das Post-/Fordismus-Modell subsumiert werden konnten, wurden entweder ignoriert oder als zu vernachlässigende Fakten erklärt. Dieser Schematismus und die damit einhergehende (unfreiwillige) theoretische Rechtfertigung des Wirtschaftsliberalismus als unausweichlicher Kern des „Postfordismus“ endete stets damit, keynesianische Handlungsalternativen des Staates als überholtes Relikt einer untergegangenen Epoche abzuqualifizieren.
Am bekanntesten deutschen Vertreter der Fordismus-Postfordismus-Theorie, Joachim Hirsch, lässt sich diese These belegen. Denn Hirsch hatte noch vor einigen Jahren in einer Rezension über das Buch „Machtwahn“ von Albrecht Müller einige aus dieser Periodisierung entspringende Handlungskonsequenzen herausgestellt, als er ausführte:
„Der Autor (also Albrecht Müller; C.G.) hätte sich auf jeden Fall fragen müssen, was in den siebziger Jahren zur Krise der keynesianisch-staatsreformistischen Regulationsweise geführt hat. Sie ist schließlich an ihren eigenen Widersprüchen zerbrochen. Erst die Krise des Fordismus und das damit verbundene Scheitern des sozialdemokratischen Politikprojekts hatten schließlich den Siegeszug des Neoliberalismus (…) möglich gemacht. Erst dadurch erhielt die neoliberale Propaganda ihre materielle Basis. Die Wende der SPD hängt ganz wesentlich damit zusammen und lässt sich nicht allein mit der Inkompetenz und Korruptheit ihrer Funktionäre erklären. „Globalisierung“ wird bei Müller zu einem bloßen ideologischen Konstrukt. Der sicherlich höchst schwammige Begriff bezieht sich jedoch auch auf die Realität eines durchgreifend veränderten Akkumulationsmodus und tief greifend umgewälzter Klassenverhältnisse. Für Müller bedeutet die Krise des fordistischen Kapitalismus keinen historischen Bruch, sondern markiert nichts anderes als eine nicht weiter ernst zu nehmende Modifikation der alten Verhältnisse. Weil dem nicht so ist, erscheint der Appell, einfach zu alten sozialdemokratischen Konzepten zurückzukehren, nicht nur praktisch in den Wind geschrieben. Er zielt auch in die falsche Richtung.“ (Hirsch 2006: „Eliten“: dumm oder korrupt? Über Albrecht Müllers „Machtwahn“; vergl. dazu meine Kritik: Girschner 2006: Das Ende des Keynesianismus im ‘Post-Fordismus’)
Die auf sehr wackligen Füßen stehende regulationstheoretische Phaseneinteilung des Kapitalismus geht hier mit einer sehr harschen politischen Verurteilung all derjenigen einher, die sich dieses Phasenmodell nicht zu eigen machen. Wie wenig plausibel dieses Phasenmodell der Regulationstheorie jedoch ist, lässt sich anhand einiger Aussagen aus den Arbeiten von Joachim Hirsch selbst belegen.
„Ein überzeugendes Regulationsmodell für den nachfordistischen Kapitalismus“, so heißt es bei ihm noch 1995 über die Krise des Fordismus, „ist weder auf nationaler noch internationaler Ebene erkennbar. Sichtbar sind bestenfalls einige Entwicklungen und Tendenzen, die aber einen höchst widersprüchlichen Charakter tragen.“ (Hirsch 1995, 173f.) Es wird ferner eingeräumt: „Der in der wissenschaftlichen Diskussion ebenso geläufig gewordene wie inflationär gebrauchte Begriff des „Postfordismus“ bezeichnet also keine neue und kohärente kapitalistische Formation, sondern eher das inzwischen recht lange anhaltende Fortdauern einer globalen kapitalistischen Krise.“ (ebd., 178)
Dagegen geht der Verfasser keine zehn Jahre später dann plötzlich davon aus, dass der „Postfordismus“ doch schon existiert. Für diesen – von ihm selbst nicht thematisierten – Positionswandel findet man allerdings keine neuen Argumente, vielmehr bleibt es auf dem Niveau von suggestiven Versicherungen. Außerdem lieferte der Verfasser keine genauere zeitliche Angabe über die Herausbildung des „Postfordismus“ bzw. über das Ende des „Fordismus“.
Hirsch ist sich seiner prekären Argumentationslage offensichtlich bewusst, denn er möchte auf seine neue Feststellung dann doch nicht festgenagelt werden, deshalb macht er entsprechende Einschränkungen: „Wenn hier von der Existenz einer spezifischen postfordistischen Formation des Kapitalismus ausgegangen wird, dann geschieht dies unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dieser keineswegs eine geschlossene und kohärente Akkumulations-, Regulations- und Hegemonialstruktur aufweist. Davon kann man allerdings bei genauerer Betrachtung auch in Bezug auf den Fordismus kaum sprechen.“ (Hirsch 2005, 130) Hier fragt man sich, welche theoretische Aussagekraft eine solche Periodisierung der kapitalistischen Entwicklung besitzt, wenn diese durch die Hintertür immer wieder relativiert werden muss. Wieso soll man überhaupt die kapitalistische Entwicklung in unterschiedliche Schablonen oder Perioden pressen, die, wie selbst eingestanden wird, dann doch nicht ganz so streng genommen werden sollten, weil die soziale Realität doch etwas komplexer, undurchsichtiger und diffuser ist? Diese Frage stellt sich Hirsch nicht. Aber dafür weiß er gegenüber Albrecht Müller und entgegen seinen schwammigen Aussagen über die Post-/Fordismus-Periodisierung eines mit letzter Gewissheit, dass im heutigen „Postfordismus“ eine keynesianisch ausgerichtete Wirtschafts- und Sozialpolitik unwiederbringlich scheitern muss.
Diese Behauptung wurde von Hirsch vor der schweren Weltwirtschaftskrise (2008/9) gemacht. Die Weltwirtschaftskrise nötigte inzwischen den Staaten eine mehr oder weniger keynesianisch orientierte Politik auf, um einen schnellen und völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch des Weltmarktes zu verhindern (was wohl, wie es augenblicklich aussieht, einigermaßen gelungen ist, was die Zukunft bringt, bleibt jedoch – u.a. wegen der erneuten Hinwindung zu neoliberalen Strategien der Staaten – abzuwarten). Und revidiert jetzt die Regulationstheorie ihre praktisch widerlegte These von der Unmöglichkeit einer keynesianischen Politik im „Postfordismus“?
Hirsch ändert angesichts der unerwarteten Renaissance keynesianischer Staatsstrategien nicht seine schematische Einteilung der historischen Entwicklung, vielmehr präsentiert er eine entscheidend geänderte Variante der Periodisierung des Kapitalismus. Demzufolge währte der Fordismus nur
„bis Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts, (…). Auf seine Krise folgte die als Globalisierung bezeichnete Etablierung des neoliberalen Finanzkapitalismus, auch Postfordismus genannt. Der ist nun, etwas über dreißig Jahre später, ebenfalls am Ende und wieder verschieben sich damit die globalen ökonomischen und politischen Machtverhältnisse. Bei diesen raschen Veränderungen ist natürlich nicht ganz leicht zu erkennen, mit welchem Kapitalismus man gerade zu tun hat. Das hat sich auch daran gezeigt, dass es keine Einigkeit darüber gab, wie seine eben zu Ende gehende Form genannt werden sollte und ob es sich dabei überhaupt um eine eigenständige Phase oder eher um ein sich Dahinschleppen der Fordismus-Krise gehandelt hat. Der Begriff „Postfordismus“ war jedenfalls eher eine Hilfsbezeichnung. Das ist nun deutlicher geworden.“ (Hirsch 2009,182)
Aber eindeutig ist: Der „Postfordismus (gehört) der Vergangenheit“ an (ebd., 183). Der „Postfordismus“, also der zentrale Untersuchungsgegenstand der Regulationstheorie, ist damit quasi über Nacht verschwunden, gleichzeitig ist der Keynesianismus in der Weltwirtschaftskrise wieder zurückgekehrt. Beide Entwicklungen wurden weder von Hirsch noch von einem anderen Postfordismustheoretiker vorausgesehen, geschweige jemals thematisiert. Für den Postfordismustheoretiker bleibt deshalb nichts anderes mehr übrig, als seine Theorie, wenn dieser ihr denn treu bleiben will, wieder mit der empirischen Realität der kapitalistischen Entwicklung in Einklang zu bringen. Aber wie soll dies gelingen, ohne die widerlegten Kernannahmen dieser Theorie über die kapitalistische Entwicklung zu verwerfen?
Halten wir kurz fest, wie widersprüchlich und sprunghaft der Frankfurter Politikwissenschaftler bislang argumentiert hat: In seinem Buch von 1995 kriselte der „Fordismus“ noch vor sich her, von einem „Postfordismus“ war noch nichts zu sehen. Aber im Krisenjahr 2009 wird plötzlich behauptet, dass es einen „Postfordismus“ schon seit Ende der siebziger Jahre gegeben haben soll. Die Existenz eines sich langsam herausbildenden „Postfordismus“ hatte derselbe Autor jedoch erst 2005 postuliert. Damals behauptete er nicht, dass sich der „Postfordismus“ bereits Ende der siebziger Jahre herausgebildet habe. In seiner periodisierungstheoretischen Not macht Hirsch, die durch die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise herrührt, eine Tugend und behauptet deshalb, dass der „Postfordismus“ schon seit über dreißig Jahren existierte. Wäre der Autor bei seiner Auffassung von 2005 geblieben, dann hätte der „Postfordismus“ bis zur aktuellen Weltwirtschaftskrise keine drei bzw. vier Jahre (oder ein paar Jahre mehr?) existiert. Jedoch wäre dies eine sehr kümmerliche und kurze Periode innerhalb der kapitalistischen Entwicklung gewesen und hätte den Grundannahmen der Regulationstheorie über den Verlauf des Kapitalismus völlig widersprochen. Wenn man aber an der Regulationstheorie festhalten will, darf dies nicht sein, weshalb es den „Postfordismus“ für Hirsch nun bereits am Ende der siebziger Jahre gegeben haben muss. Man sieht hier deutlich, wie sich der Autor die kapitalistischen Perioden je nach argumentativer Zweckmäßigkeit und theoretischer Notwendigkeit zurechtschneidet. In seiner argumentativen Not gesteht er allerdings ein, dass die Periodisierungskategorien Post-/Fordismus doch nur „Hilfsbezeichnungen“ gewesen sein sollen. Aber auf dieser Grundlage maßte sich der Autor früher an, das unwiederbringliche Ende der keynesianischen Politik zu verkünden und alle Verfechter einer solchen Politik als unbelehrbare Nostalgiker hinzustellen.
Aber was kommt nach dem untergegangenen „Postfordismus“? Vielleicht der „Neo-Postfordismus“? Eine Antwort darauf findet man bei den inzwischen sprachlos gewordenen Post-/Fordismus-Theoretikern derzeit nicht. Die Postfordismustheoretiker wurden von der ökonomischen Krisenentwicklung buchstäblich überrollt, weswegen sie auch über keine Bezeichnung für die „neue“ Periode nach dem plötzlich verschwundenen „Postfordismus“ verfügen. Auch Hirsch gibt keine regulationstheoretische Antwort darauf, vielmehr steht er mit leeren Händen da. Indessen schreibt er, dass sich im Zuge der Weltwirtschaftskrise ein „staatsmonopolistische(r) Kapitalismus“ herausbildet, wo die „enge Verbindung von Staat und Kapital, zwecks Sicherung des Profits weiter ausgebaut wird und festere institutionelle Strukturen bekommt“ (Hirsch 2009, 186).
Damit stellt Hirsch das regulationstheoretische Periodisierungsmodell nun völlig infrage und kehrt in seiner theoretischen Hilflosigkeit wieder zu einem älteren neomarxistischen Theorem zurück, ohne sich jedoch explizit von der Regulationstheorie zu verabschieden, geschweige diese als gescheitert zu betrachten. In einem weiteren Artikel führt er diese Argumentation fort:
„Die aus der Krise hervorgehende gesellschaftliche Formation könnte als eine neue Variante des staatsmonopolistisch-interventionistischen Kapitalismus bezeichnet werden. Das heißt, dass das neoliberale Programm verstärkt mit Hilfe der Staaten durchgesetzt wird. Allerdings ist das, was man als relative Autonomie des Staates bezeichnet, zumindest stark eingeschränkt. Der Staat operiert immer deutlicher im Interesse einer Kapitalfraktion.“ (Hirsch 2010: Gestern standen wir noch am Rande des Abgrunds – heute sind wir schon einen Schritt weiter)
Außerdem verabschiedete sich Hirsch mit dem staatsmonopolistischen Theorem nicht nur von der alten regulationstheoretischen Periodisierung, sondern auch von seinem früheren Pauschalurteil über die historische Obsoletheit der keynesianischen Wirtschaftspolitik. Angesichts der schweren Weltwirtschaftskrise und die damit verbundene Wiederkehr keynesianischer Politikansätze hält Hirsch nun doch die von ihm früher scharf kritisierten und abgelehnten Positionen und Handlungsoptionen weitgehend für sinnvoll (allerdings mit den obligatorischen Einschränkungen und rhetorischen Rückzugsgefechten eines Strukturtheoretikers), die doch Albrecht Müller bereits vor einigen Jahren in seinem Buch „Machtwahn“ vertreten hatte:
„Momentan haben keynesianische wirtschaftspolitische Konzepte wieder eine gewisse Konjunktur. Eine Rückkehr zum fordistischen Status quo ist jedoch weder möglich noch sinnvoll. Das heißt sicher nicht, dass auf kürzere Sicht entsprechende Maßnahmen unsinnig wären. Dies allerdings nur, wenn sie mit einer grundlegenden Umgestaltung der Arbeitsmarktbedingungen verbunden werden, die der immer weiter gehenden Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse entgegenwirkt, die zunehmend schiefer werdende Einkommensverteilung korrigiert und auf diese Weise die innere Nachfrage gestützt wird, also z. B. durch die flächendeckende Einführung von Mindestlöhnen, den Ausbau des Kündigungsschutzes und das Verbot prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Die Schieflage der deutschen Ökonomie beruht auf einer grundlegenden Schwäche der inneren Nachfrage, die durch eine Jahrzehnte lang geübte und schließlich gewaltsam erzwungene „Lohnzurückhaltung“ hervorgerufen worden ist. Daraus resultiert eine Exportabhängigkeit, die international ebenso destabilisierend wirkt wie auf der anderen Seite das wachsende Außenhandelsdefizit der USA. Zweifellos ist auch das Auflegen von staatlichen Konjunkturprogrammen sinnvoll. Dies allerdings nur, wenn sie nicht darauf hinauslaufen, die bestehenden industriellen Strukturen, z. B. in der Autoindustrie zu befestigen und die Umverteilung von unten nach oben weiter vorantreiben. Staatsschulden müssen nämlich irgendwann aus Steuern zurückgezahlt werden, und diese werden unter den Bedingungen des herrschenden Steuersystems immer stärker durch die Masse der Bevölkerung aufgebracht. Kurzfristig ist also die Rückkehr zu keynesianischen Politikformen sinnvoll, sofern ihre Instrumente sinnvoll und nachhaltig eingesetzt werden. Die grundlegenden Probleme würden damit allerdings nicht gelöst.“ (Hirsch 2009: Die Krise des neoliberalen Kapitalismus: welche Alternativen?)
Fazit: Die Weltwirtschaftskrise blamierte nicht nur die neoliberalen oder neoklassischen Ökonomen, sondern warf auch die neo-marxistisch inspirierte Post-/Fordismustheorie und die daraus abgeleiteten politischen Gewissheiten über die Obsoletheit einer keynesianisch ausgerichteten Politik über den Haufen. Allerdings bedeutet dies nicht, dass es eine an der Kritik der politischen Ökonomie orientierte Kritik der keynesianischen Theorie und Praxis nicht gibt bzw. nicht geben kann, aber von der Regulationstheorie, die einen starren Schematismus über die historische Entwicklung des Kapitals entwickelt und verfochten hatte, wird man eine ausdifferenzierte Kritik nicht erwarten können. Da man davon ausgehen kann, dass die Verfechter der Post-/Fordismustheorie diese nicht sang- und klanglos aufgeben werden, nachdem sie in den letzten drei Jahrzehnten eine unendliche Anzahl von Aufsätzen und Büchern verfasst haben, wird es spannend, mit welchem intellektuellem Manöver sie diese gescheiterte Theorie aufrecht erhalten und weiter führen wollen. Eines lässt sich jetzt schon festhalten, die Regulationstheorie hat – wie viele andere Theorien vor ihr – die politikökonomische Entwicklungs- und Krisendynamik völlig unterschätzt und falsch bestimmt.
Literatur
Girschner, Christian 2006: Ökonomismus und Funktionalismus. Eine Kritik an der Regulationstheorie von J. Hirsch; unter: trend onlinezeitung Nr.12.
Hirsch, Joachim 1995: Der nationale Wettbewerbsstaat. Staat, Demokratie und Politik im globalen Kapitalismus; Berlin-Amsterdam
Hirsch, Joachim 2005: Materialistische Staatstheorie. Transformationsprozesse des kapitalistischen Staatensystems; Hamburg
Hirsch, Joachim 2009: Weltwirtschaftskrise 2.0 oder der Zusammenbruch des neoliberalen Finanzkapitalismus; in: Zeitschrift für kritische Theorie 28-29, S. 182-186
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