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Titel: Klingbeil (SPD): „Militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik sehen”
Datum: 23. Juni 2022 um 10:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Redaktion
Auch dazu Willy Wimmer (CDU): Der österreichische Diplomat redete pausenlos auf den amerikanischen Repräsentanten ein. Das Gespräch war derart laut in der Lufthansa-Maschine auf dem Weg von Belgrad nach Frankfurt, dass die anderen Passagiere nicht umhinkonnten, dem zuzuhören, was der Mann aus Wien dem Mann aus Washington pausenlos nahelegte. Amerika müsse auf dem Balkan „Führung“ zeigen, Führung, Führung. Beide Herren waren auf dem Weg nach Rambouillet, dem letzten Sargnagel für den Krieg gegen Jugoslawien.
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In der Rückschau betrachtet, brachten mit dieser Führung die USA den Krieg wieder zurück nach Europa, und zwar mittels ihrer „Führung“. Dabei benötigten sie keinesfalls die Ermunterung aus Wien. Spätestens seit der Wolfowitz-Doktrin des Jahres 1991 war jedem klar, was die USA in Europa wollten. Sie haben es später auf der Konferenz von Bratislava 2000 unmissverständlich gesagt. Der strategische Fehler von General Eisenhower aus dem Jahr 1944 musste auf dem Balkan korrigiert werden. Eisenhower hatte 1944 noch darauf verzichtet, amerikanische Bodentruppen auf dem Balkan zu stationieren. Das musste sich in den neunziger Jahren ändern, wie das größte amerikanische Feldlager „Bond Steel“ im Kosovo deutlich machen sollte. Es ging aber auch darum, den vorhandenen und traditionell gewachsenen russischen Einfluss von der Adria bis hinter die Wolga zurückzudrängen. Ein neuer „Eiserner Vorhang“, quer über den europäischen Kontinent, sollte Moskau aus dem amerikanisch dominierten Europa auf Dauer fernhalten. Moskau sollte seinen europäischen Platz verlieren und nicht mehr zur europäischen Völkerfamilie zählen.
Hat das, was die USA seither und nicht nur in Europa angerichtet haben, den Ruf von Herrn Klingbeil (SPD) nach „deutscher Führung“ in Europa derart provoziert, dass jetzt unter den Geschütztürmen deutscher Panzerhaubitzen in der Ukraine Derartiges gerechtfertigt sein sollte? Die Berliner Feinfühligkeit wird daran deutlich, dass die deutschen Schwerstwaffen an dem Tag der internationalen Öffentlichkeit als in der Ukraine angekommen präsentiert werden, als sich andere daran erinnerten, dass dieser Tag mit dem Angriff des Deutschen Reiches auf die damalige Sowjetunion verbunden war, ist und bleiben wird. Es klingt dann im wahrsten Sinne des Wortes „geschichtsvergessen“ im Sinne von Richard von Weizsäcker, wenn Herr Klingbeil davon schwadroniert, „den Anspruch einer Führungsmacht haben“ zu müssen.
Es kommt aber noch besser, wenn man Herrn Klingbeil weiter hört. Es muss nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit Deutschland so etwas wie eine „Dornröschen-Erweckung“ anlässlich des mörderischen Krieges in der Ukraine gegeben haben. Nach Herrn Klingbeil hat Deutschland „nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung heute eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem“. So klingt „Zeitenwende“, wenn sie als Missachtung einer maßvollen und auf Ausgleich mit den Nachbarstaaten beruhenden deutschen Politik seit 1949 formuliert wird, herbeigeprügelt und fern jeder inneren und äußeren Überzeugung. Darauf hat die Welt jetzt aber wirklich gewartet, zumal das Menetekel noch mit der Feindstaatenklausel in der Charta der UN formuliert worden ist. Deutschland müsse, so Herr Klingbeil, „militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik sehen”.
Was davon zu halten ist unter NATO-Bedingungen und als weltweiter Dienstleister der NATO im amerikanischen Globalinteresse, das hat Gerhard Schröder als Vermächtnis beim Irak-Krieg hinterlassen. Es genügt eben nicht, unsere Völker von einem Krieg in den anderen zu lügen und das Gewaltmonopol der UN mit Füßen zu treten. Deutsche Führung? Das Gedächtnis ist wohl nicht nur bei Herrn Klingbeil derart kurz, dass in Vergessenheit geraten ist, was bei der Brexit-Kampagne weite Teile Großbritanniens in seiner europafeindlichen Einstellung bestimmte: nicht von Berlin über Brüssel beeinflusst werden zu wollen. Das sollte sich geändert haben und nicht nur bei den Briten?
Schnell wie ein Rotor hat sich der deutsche Bundespräsident Steinmeier von der wohlbegründeten deutschen Außenpolitik, die er selbst mitgestaltet hatte, in diesen Wochen verabschiedet. Spricht das Bekenntnis zum eigenen Fehlurteil bei anderen für „deutsche Führung“? Will man etwa den Kräften im Baltikum gefallen, die Veteranenverbände der Waffen-SS auf ihren Straßen paradieren lassen, oder den Kräften in Polen, die vor der Eskalation in Königsberg mit Russland dieses deutsche Kernland dem polnischen Staat einverleiben wollten? So, wie sie es für das ukrainische Galizien öffentlich fordern und damit die europäische Grenzziehung seit der Konferenz von Potsdam in der Weichsel versenken? Soll das Fass aufgemacht werden, das mit dem Begriff „Oder-Neiße“ verbunden ist? Es herrscht ohnehin eine westlich zu verantwortende „Schlussverkaufs-Haltung“ für ein tragfähiges Gerüst europäischer Regeln vor.
Es war doch die Politik von Willy Brandt, die den entscheidenden deutschen Beitrag zum Frieden in Europa geliefert hat. Es sollte nicht nur „mehr Demokratie“ gewagt werden, sondern von Deutschland eine Politik der „guten Nachbarschaft“ ausgehen. Die Kriegsreden des heutigen SPD-Vorsitzenden Klingbeil sind der endgültige Todesstoß für die befriedende Politik von Willy Brandt. Unser Volk wird dieses haltlose Geschwätz von „deutscher Führung“ teuer bezahlen und andere auch.
Willy Wimmer, 22. Juni 2022
Nachtrag Albrecht Müller:
Während ich diesen Text für das Einstellen in den NachDenkSeiten vorbereite – 16:18 Uhr am 22. Juni – üben über der Südpfalz, wie fast jeden Tag, alliierte Kampfflugzeuge den Krieg. Es ist ernst.
Es wird auch noch in anderer Weise ernst. Gerade brachte mir unsere NachDenkSeiten-Mitarbeiterin Post und berichtete von aktuellen Einkäufen:
Es wird schlimm. Und die Klingbeils dieser Welt merken es nicht. Sie merken schon gar nicht, dass sie dafür verantwortlich sind.
Titelbild: Corona Borealis Studio / Shutterstock
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