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Titel: Berliner Bahnhofswerbung: „Stand with Ukraine“
Datum: 20. Mai 2022 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innen- und Gesellschaftspolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
Verantwortlich: Redaktion
Der Journalist Ulrich Heyden lebt seit 1992 in Moskau. Anfang Mai war er für eine Woche in Hamburg und Berlin, um Freunde zu besuchen und um sich politisch zu informieren. Weil seine russischen Freunde wissen wollten, wie es in Deutschland heute aussieht, hat er ein paar Zeilen zu seinen Eindrücken aufgeschrieben. Ein Kommentar von Ulrich Heyden.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Auf Straßen und Plätzen in Deutschland habe ich viele Leute Russisch sprechen gehört. Und ich habe niemals erlebt, dass sie deshalb angemacht wurden. Aber die Hetze gegen Putin und das „gefährliche Russland“ quillt aus allen Fernsehern und Zeitungen und hat auch schon die Köpfe einiger meiner Freunde besetzt. Meinen Erzählungen trauen sie nicht mehr. Dafür habe ich neue Freunde in Deutschland gefunden, die beim Russland-Bashing nicht mitmachen.
Die Mehrheit der Deutschen ist der Meinung, die Ukraine sei ein selbstständiges Land und es sei ein Verbrechen, dieses Land anzugreifen. Diese Mehrheit der Deutschen teilt sich aber in zwei Gruppen. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen ist folgender: Wenn man fragt, warum Deutschland sich acht Jahre lang nicht über die Beschießung der „Volksrepubliken“ erregt hat, sagt die eine Gruppe, davon habe man nichts gewusst und man wird nachdenklich. Die andere Gruppe geht in Angriffsstellung und wirft mir vor, ich wolle „von Russlands Verbrechen“ ablenken.
In Deutschland sieht man viele ukrainische Flaggen. Im Hamburger Stadtteil St. Georg – wo ich bis 1991 wohnte – hängt eine ukrainische Flagge sogar an der Heiligen Dreieinigkeitskirche.
Wer bezahlt die Propaganda?
Auf den Bussen des öffentlichen Nahverkehrs in Hamburg stehen die Worte „Solidarität mit der Ukraine“. Im Berliner Hauptbahnhof hängt ein Riesen-Plakat mit der Aufschrift „#Stand with Ukraine“. Wer bezahlt diese Propaganda eigentlich? Die Steuerzahler? Die Rüstungsindustrie?
Auf mich wirkte das alles bedrückend, denn welche „Ukraine“ ist gemeint? Die ukrainisch-sprachige Westukraine oder die russisch-sprachige Südostukraine? Die offizielle Ukraine oder die von der Regierung unterdrückte Opposition?
Die Menschen in den „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk, die alle einen ukrainischen Pass haben, aber wegen ihrer Hinwendung zu Russland von der ukrainischen Armee beschossen werden, können mit dem deutschen „Solidaritäts“-Gedudel nicht gemeint sein.
Ein weiteres Plakat auf einer elektronischen Reklamewand im Berliner Hauptbahnhof zeigt ein Porträt vom ukrainischen Präsidenten Selenski. Darunter stehen folgende Worte:
„Selenski: Putin wird stürzen, so wie Hitler gestürzt wurde.“
Haben die deutschen Experten für Public Relations vergessen, was „Hitler“ eigentlich bedeutet? Ist ihnen denn nicht bewusst, dass meine Generation es in den 1960er und 1970er Jahren nur mit Mühe geschafft hat, dass überhaupt öffentlich über die Verbrechen des Hitler-Faschismus diskutiert werden konnte und dass erst 1979 der US-amerikanische Film „Holocaust“ im deutschen Fernsehen gezeigt wurde? Woher kommt diese Selbstgerechtigkeit und Geschichtsvergessenheit?
Wer die politische Repression in Russland, die es zweifellos gibt, mit dem Tod von sechs Millionen Juden, dem Tod von 27 Millionen Sowjetbürgern, die durch deutsche Hand gestorben sind, und den Massakern an italienischen und griechischen Partisanen vergleicht, hat anderes im Sinn als Frieden mit Russland. Der will Krieg!
Wie die Faust aufs Auge
An Berliner Häuserwänden sah ich selbstgemalte Klein-Plakate, auf denen Putin als blutrünstiger Schlächter abgebildet wird. Dass der 8. Mai in Deutschland nur von einer kleinen Minderheit mit Veranstaltungen begangen wurde, passt wie die Faust aufs Auge in die anti-russische Stimmung.
Die grassierende Angst vor Russland in Deutschland hat auch psychologische Gründe. In den letzten drei Jahren gab es mehrere Angst-Kampagnen der großen deutschen Medien. Zuerst wurde die Angst vor der Klimaveränderung geschürt, dann die Angst vor Corona und jetzt die Angst vor „russischen Eroberungen in Osteuropa“. Die deutsche Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung, Ulrike Guerot, sagte in einem Interview: „Wir erleben ein Ansteigen der Angst. Eine Gesellschaft, die Angst hat, tendiert dazu, nicht mehr rational zu sein.“ Ich meine, wer Angst hat, will nur noch die eigene Haut retten und fragt nicht mehr nach Fakten. Viele Deutsche haben berechtigte Angst vor Krieg und in der Folge Angst vor einer Verminderung des Lebensstandards und Verarmung. Vielen Deutschen – aber nicht allen – scheint nun, man könne die quälende Angst mit Waffenlieferungen an die Ukraine stoppen.
Ich habe diese Zeilen geschrieben, weil ich den Russen, mit denen ich zusammenlebe, erklären wollte, was in Deutschland vor sich geht. Ich fürchte aber, viele Russen werde ich mit meinem Text nicht erreichen. Denn nach der Lieferung schwerer deutscher Waffen in die Ukraine ist die Bereitschaft vieler Russen, sich über das deutsche Innenleben zu informieren, auf fast Null heruntergegangen.
Titelbild: Ulrich Heyden
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