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Titel: Hinweise des Tages (2)

Datum: 11. Februar 2011 um 18:06 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Nordafrika und Arabien; Iran: Das Band der Hoffnung; Taliban in Teilzeit; Weber macht den Köhler; „Einige Länder sollten eine Euro-Auszeit nehmen“; Ulrike Herrmann zum Zusammenschluss der Börsen: Fusion der Machtlosen; der Franken rollt wieder; wie der Staat die Großbanken subventioniert; Wolfgang Hetzer: Bürger – Banker – Banditen – Bonzen; erneuerbare verbilligen den Strom; Nahrungsmittelspekulation verbieten; Öffentliche Entwicklungshilfe auf Irrweg?; Waffengesetz: die Zeitbombe tickt weiter; Kundus-Affäre: Merkel geht auf Distanz zu Jung; Rätsel um Körpergewicht; Gesine Lötzsch: Fragen muss erlaubt sein; Duell – Gerhard Schröder gegen Oscar Lafontaine; Chinas Automobilmarkt im Umbruch; die Akte Berlusconi; Zu guter Letzt: „Es gibt Unfähige wie Weber und Taliban wie Stark“. (WL)

Hier die Übersicht. Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Nordafrika und Arabien
  2. Iran: Das Band der Hoffnung
  3. Taliban in Teilzeit
  4. Weber macht den Köhler
  5. „Einige Länder sollten eine Euro-Auszeit nehmen“
  6. Ulrike Herrmann zum Zusammenschluss der Börsen: Fusion der Machtlosen
  7. Der Franken rollt wieder
  8. Wie der Staat die Großbanken subventioniert
  9. Wolfgang Hetzer: Bürger – Banker – Banditen – Bonzen
  10. Erneuerbare verbilligen den Strom
  11. DGB: Nahrungsmittelspekulation verbieten
  12. Oxfam-Studie: Öffentliche Entwicklungshilfe auf Irrweg?
  13. Die Zeitbombe tickt weiter
  14. Kundus-Affäre: Merkel geht auf Distanz zu Jung
  15. Rätsel um Körpergewicht: Leiche von “Gorch-Fock”-Kadettin für Heimflug präpariert
  16. Gesine Lötzsch: Fragen muss erlaubt sein
  17. Duell – Gerhard Schröder gegen Oscar Lafontaine
  18. Chinas Automobilmarkt im Umbruch
  19. Die Akte Berlusconi
  20. Zu guter Letzt: „Es gibt Unfähige wie Weber und Taliban wie Stark“

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Nordafrika und Arabien
    1. General Gnadenlos
      Vizepräsident Suleiman, der nun den Übergang zur Demokratie in Ägypten mit leiten soll, ist nicht zimperlich. In Ägypten trägt Suleiman schon lange den Spitznamen “der Folterer”. Mit Fragen nach Menschenrechten oder Rechtsstaatlichkeit hält sich der 1936 im oberägyptischen Kena geborene Mann des Militärs normalerweise nicht auf. Sie gehören nicht zu seinem aktiven Vokabular.  Das Staatsfernsehen zeigte am Donnerstagabend das Gespräch von Staatschef Hosni Mubarak mit seinem Vize Omar Suleiman Doch bisher wurde er nicht nur von westlichen Regierungen, sondern auch von der Presse meist nur im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt gesehen. Seit einem Jahrzehnt schon spielt Suleiman als Vermittler zwischen Israelis und Palästinensern, aber auch zwischen der Hamas und der Fatah eine zentrale Rolle. Alle Parteien vertrauen ihm. Entsprechend milde haben Medien und Politik bisher über ihn geurteilt.
      Tatsächlich aber ist der große, schlanke Mann mit den scharfen Gesichtszügen, der nun das aufgewühlte und aufständische Ägypten mit führen und neu ordnen soll, ein General, der keine Gnade kennt. Wie kaum ein anderer hat er in Ägypten dafür gesorgt, dass die Opposition – und zwar keineswegs nur die islamistische – unterdrückt und klein gehalten wird.
      Quelle: FTD
    2. Ägypten: Die Armee als Stütze des Regimes
      Zu Beginn der Proteste habe das Militär gezögert, weil es nicht gewußt habe, wie es sich verhalten solle, meint Medizinprofessor Youssef Z. Doch inzwischen sei klar, daß Hosni Mubarak nicht vorhabe, vor Ende seiner Amtszeit zu gehen. Das Militär stelle sich hinter ihn aus einem einfachen Grund: »Sie wissen genau, wenn er geht, werden auch sie stürzen«, so Youssef Z. Das Militär habe seit mehr als 60 Jahren »Ali Mohammed Nagib, Gamal Abdul Nasser, Anwar Sadat, dann Hosni Mubarak« unterstützt, alle Präsidenten kamen aus dem Militär. Die Armee habe dabei viel Macht angehäuft, »militärisch, politisch und wirtschaftlich«. Krakenartig streckt das Militär seine Arme in alle Teile der Gesellschaft aus, betreibt Hotelketten, Baufirmen, Fabriken, baut Straßen und Flughäfen und produziert Lebensmittel. Mehr als zehn Prozent der ägyptischen Ökonomie werden vom Militär kontrolliert. Frühere Generäle zählen heute zur Finanzelite des Landes, mißtrauisch beäugt von traditionellen Geschäftsleuten, die sich oft vergeblich um Aufträge bemühen, die die Regierung an das Militär abgibt. Die ägyptische Armee gilt als die zehntgrößte der Welt und hat 468000 aktive Soldaten und 479000 Reservisten unter Waffen. Der Oberkommandierende der Streitkräfte ist Präsident Mubarak, das Militärbudget beträgt derzeit etwa 2,4 Milliarden US-Dollar, mehr als die Hälfte, 1,3 Milliarden, kommt aus den USA. Die fast eine Million Soldaten werden nur von den Sicherheitskräften des Innenministeriums übertroffen, die seit Anfang der 1990er Jahre auf 1,4 Millionen angewachsen sind.
      Omar Suleiman, der neuernannte Vizepräsident, war General, bevor er Chef des Geheimdienstes wurde. Ebenso ist der neue Ministerpräsident Ahmed Schafik ein pensionierter Luftwaffengeneral. Angesichts erneuter Proteste von Hunderttausenden am gestrigen Dienstag bekräftigte Suleiman, das Militär werde nicht gegen die Demonstranten vorgehen, denen auch keine Strafverfolgung drohe. Gleichwohl sei klar, daß das Regime nicht bereit sei, die Bühne zu räumen, meint Youssef Z., und mit dem Regime bleibe auch das Militär. »Die derzeitigen Zugeständnisse sind nicht mehr als eine Hinhaltetaktik« gegenüber den Ägyptern und dem Ausland. Sollte das Militär die Waffen gegen die Demokratiebewegung erheben, würden die meisten Soldaten desertieren, ist Youssef Z. sicher. »Und dann werden sich die Millionen aus den Slums erheben, die jetzt noch gar nicht auf den Straßen sind«.
      Quelle: Junge Welt

      Anmerkung Orlando Pascheit: Die Armeeführung steckt in der Klemme, profitiert gerade sie auch wirtschaftlich enorm im bisherigen Regime. Allerdings besteht die Armee zu zwei Dritteln aus Wehrpflichtigen. Insofern liegt der Gedanke nahe, dass diese sich größtenteils mit der Bevölkerung verbrüdern könnten. So kommt in der jetzigen Situation der mittleren Ebene der Offiziere, die weniger Privilegien zu verteidigen haben, die größte Bedeutung zu.

    3. Gespaltene Zunge
      Auch die Bundesregierung gefällt sich in Zurückhaltung. Nachdem man mit Mubarak gekuschelt hat, hält man weiterhin an der Stabilität und damit am repressiven Regime fest, ansonsten sucht man das Gesicht zu wahren, indem man von Demokratie und Menschenrechten spricht. Deutlich machte nach Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle diese Haltung nun auch der Entwicklungshilfeminister Niebel. Von der Frankfurter Rundschau gefragt, ob die Regierung daran denke, Hilfsgelder für Ägypten – in den letzten beiden Jahren flossen 190 Millionen – zu stoppen, wenn das Regime nicht weichen will, antwortete der “liberale” Minister:
      “Damit würden wir die Bevölkerung belasten. Wenn wir zum Beispiel die Turbinen im Assuan-Staudamm nicht renovieren, wäre die Konsequenz weniger Strom, weniger Industrieproduktion, weniger Arbeitsplätze, mehr Armut und damit mehr Nährboden für Extremisten. Das wollen wir nicht.” (Dirk Niebel)
      So argumentiert könnte man auch die schlimmsten Diktaturen unbedenklich weiter unterstützen. Seine Entwicklungspolitik, die für Niebel gleichwohl angeblich “werteorientiert” ist, ist in Ägypten “regierungsfern”, unterstützt nicht die Regierung, da “jeder Cent, den wir ausgeben, in erster Linie den Menschen (nutzt), weil wir Projekte fördern, die sonst nicht gefördert würden.” Das ist scheinheilig, ebenso wie die Argumentationskette weiter oben, die sich schon angesichts der aktuellen Proteste widerlegt hat. Schließlich hat die Hilfe nicht dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit in Ägypten weniger wurde, die Armut ist weiter hoch und sowohl Armut, Arbeitslosigkeit und ein brutales, repressives Regime, das sich nur das Mäntelchen der Demokratie umgehängt hat, haben den Extremismus gefördert.
      Quelle: Telepolis

      Anmerkung unseres Lesers G.K.: Alle wohlklingenden diplomatischen Erklärungen auch seitens der Bundesregierung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass den westlichen “Eliten” die Massenproteste im arabischen Raum eher “ungelegen” kommen. Man schlägt sich verbal auf die Seite der Massenprotestierer, um die “geostrategischen” Interessen und die Exportinteressen der Wirtschaft möglichst unbeschadet in die Zukunft zu retten.

    4. Handelt es sich um eine islamische Revolution, wie damals im Iran oder letztlich um eine demokratische Revolution
      Erstens, von einer Revolution zu sprechen ist vielleicht noch etwas zu früh. Wir sind ja erst am Beginn eines Wandels und ob der wirklich das alte Regime davontragen wird, oder ob es nur einige kleine kosmetische Veränderungen geben wird, ist ja noch völlig offen.
      Zweitens, es handelt sich ganz klar nicht um eine islamische Revolution, sondern um eine demokratische Protestbewegung. Die Menschen, die auf die Straße gehen, tun das nicht aus religiösen Motiven, sondern weil sie den Missstand leid sind, eine bessere Wirtschaft und mehr Arbeitsplätze wollen. Sie fordern mehr Partizipation ein, weil endlich sie als Bürger ernst genommen werden wollen. Im Übrigen ist demokratisch und islamisch in der arabischen Welt nicht unbedingt ein Gegensatz, aber die jetzigen Beweggründe sind hauptsächlich demokratischer Natur. Natürlich versuchen Kräfte, etwa aus dem Iran, diese Revolution für sich zu vereinnahmen.
      In Ägypten sind die offiziellen Gewerkschaftsstrukturen zu 100 % Teil des Regimes. Sie sind förmlich gleichgeschaltet und vertreten weit eher die Interessen des Regimes unter den Arbeitern. Insofern haben sich in den letzten Wochen die offiziellen Gewerkschaften auf die Seite des Regimes gestellt.
      Quelle: Gegenblende
    5. Jugend in Algerien: Am Anfang ist der Schrei nach Leben
      Frustriert, isoliert, im Würgegriff klandestiner Politstrukturen: Junge Algerier haben keine Chance auf eine nationale Erhebung wie in Tunesien, sagt der algerische Schriftsteller Boualem Sansal:
      “Das Gespräch ist die Grundlage des Menschseins. Wenn dem Menschen das genommen wird, stirbt er. Das genau passiert in der arabischen und islamischen Welt. Es ist ein langsamer Tod, wenn man über nichts sprechen, sich nicht mit den anderen austauschen, seine Widersprüche diskutieren kann. Die Menschen lehnen sich auf, wenn sie merken, dass der Tod nahe ist. Die Aufstände sind keine wirtschaftlich, sozialen oder politischen Unruhen, wie immer wieder behauptet wird. Die Menschen spüren ganz einfach die Notwendigkeit zu reden. Deshalb reagieren sie. Wie ein Tier, das getötet werden soll, auch reagiert. Die jungen Leute sehen im Internet und im Satellitenfernsehen, was draußen in der Welt geschieht. Sie sind Zeuge, wie die europäische und amerikanische Jugend lebt. Sie sehen Altersgenossen, die reden, ausprobieren, ihr eigenes Leben leben. Und dann schauen sie sich in ihren Ländern um und merken, dass sie über nichts reden können. Das betrifft nicht nur die Politik, die Diskussion über das politische Regime, über die Demokratie, sondern auch den Alltag. Sie können auch zu Hause über nichts reden. Alles dreht sich um den Respekt gegenüber den Eltern, gegenüber der Religion, den Traditionen, sie können nicht mit Mädchen oder Jungs sprechen, auch nicht mit ihren Lehrern … Es ist eine Rebellion gegen das Eingeschlossensein. Und im Laufe der Rebellion entdeckt man dann die Möglichkeiten, die man tatsächlich hat. Es taucht die Frage auf, was man machen kann. Erst dann kommt die Politik ins Spiel und es geht plötzlich gegen Ben Ali, gegen Mubarak, für die Demokratie … Aber am Anfang ist es nichts weiter als eine biologische Reaktion, ein Schrei nach Leben und gegen die Mauer, die alles umgibt. … Die Jugend fühlt sich völlig von der Gesellschaft ausgeschlossen. Es ist die Gesellschaft der Erwachsenen, die angepasst leben, die ein völlig antiquiertes politisches System akzeptieren und weiterhin starke familiäre Traditionen pflegen. Das nimmt den Jugendlichen jeden Tag ein bisschen mehr die Luft zum Atmen, bis das Ganze explodiert. … Der Kampf um die Unabhängigkeit vom Kolonialismus lebt in unseren Köpfen als Mythos weiter. Wir verbinden das mit der Freiheit und der Möglichkeit, unsere eigene Identität zu leben. Das Gegenteil, die Abkapselung, wurde Realität. Ganze Generationen haben das erduldet. Jetzt ist der Moment für die zweite, die echte Unabhängigkeit gekommen. Es geht nicht mehr um die Unabhängigkeit eines Landes, jetzt geht es um die Unabhängigkeit des Individuums.
      In Algerien gibt es tatsächlich mehr sichtbare Strukturen aus Parteien und Verbänden. Doch die Jugendlichen haben Angst davor, dass sie politisch manipuliert werden. Die Parteien in Algerien sind keine echten Parteien. Sie stehen im Ruf, mit der Aristokratie des Systems im Kontakt zu stehen. … Algerien ist, ähnlich wie Afghanistan, kein echter Staat. Es ist eine Summe aus Clans, Regionen und Hochburgen. Alles andere ist Fassade, weil man sie nach außen hin braucht. …. Es wird Aufstände geben und Mobilisierungen, aber ohne den Mächtigen wirklich gefährlich zu werden. Sie haben dank der Erdöleinnahmen Geld im Überfluss und sind somit jederzeit in der Lage, neue Parteien, neue Organisationen, neue Minister, neue Regierungschefs und selbst neue Präsidenten zu fabrizieren. … Die einzige unbekannte Größe in diesem Spiel sind die Jugendlichen. Keiner weiß, was tatsächlich in ihren Köpfen vorgeht. Doch solange die Macht nicht wirklich traumatische Fakten schafft, indem sie zum Beispiel eine große Zahl von Menschen tötet, wird der Funke nicht überspringen.
      Quelle: taz

      Anmerkung Orlando Pascheit: Eine zutiefst pessimistische Sicht der algerischen Verhältnisse, aber der Schriftsteller Boualem Sansal kennt die Machtstrukturen der algerischen Elite aus eigener Anschauung. Der Ingenieur Sansal  war etliche Jahre Generaldirektor einer öffentlichen Consulting-Firma für den Bereich Geschäftsführung und Informatik und wechselte 1992 in das Industrieministerium, wo er als hoher Beamter die Regierung beriet. Zwar hatte er mit den Romanen “Der Schwur der Barbaren” (1999) und das “Das verrückte Kind aus dem hohlen Baum”  (2002) durchaus die Verhältnisse im Land kritisiert, aber erst mit “Persönliches und Politisches Tagebuch, Algerien, 40 Jahre danach”, gemeinsam mit Maïssa Bey, Mohamed Kacimi, Nourredine Saadi, Leïla Sebbar, wurde Sansal im Industrie-Ministerium gekündigt. Zudem hatte er in der Tageszeitung “Quotidien d’Oran”  (Mai 2003) seinen Chef, den Industrieminister El-Hachemi Djaaboub, als Islamisten. bezeichnet. Keines seiner Bücher ist in Algerien zu lesen. Im obigen Interview fasziniert vor allen der Schriftsteller. Wer sonst könnte seine Analyse der Jugendrevolte damit beginnen: “Das Gespräch ist die Grundlage des Menschseins …”

    6. Tunesien: Ein Hauch von Jasmin
      Tatsächlich fängt der Umbruch gerade erst an. Denn alle Faktoren, die Ben Alis Herrschaft in Tunesien begründeten, bestehen noch unverändert weiter: die strategischen Interessen des Westens, die alte Machtelite Ben Alis, die ihren einstigen Chef heute scheinheilig als Kleptokraten verwünscht und sich schon neue Plätze in der Politik sucht, sowie der Islam – als Argument mal für, mal gegen die Demokratisierung. Die Revolution beginnt. Hoffentlich auch in unseren Köpfen.
      Quelle: taz
    7. Joseph E. Stiglitz – Der tunesische Katalysator
      Die Augen der Welt sind jetzt auf dieses kleine Land von zehn Millionen Menschen gerichtet, um Lehren aus seinen bisherigen Erfahrungen zu ziehen und zu sehen, ob die jungen Leute, die einen korrupten Autokraten stürzten, eine stabile, funktionierende Demokratie schaffen können.
      Was für Lehren sind das? Zunächst einmal: Es reicht nicht, wenn Regierungen ein vernünftiges Wachstum liefern. Immerhin wuchs das BIP in Tunesien in den letzten 20 Jahren um rund 5 Prozent jährlich, und das Land wurde oft als eine der sich besser entwickelnden Volkswirtschaften genannt, vor allem innerhalb der Region.
      Quelle: FTD
  2. Iran: Das Band der Hoffnung
    Die Revolution in Ägypten schürt die Angst des Teheraner Regimes. Denn die Iraner lassen sich vom Tahrir-Platz inspirieren – und die Ägypter haben vom Iran gelernt.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Wie Katajun Amirpur selbst schreibt, stehen im Iran zwei Gruppen auf Seiten des Regimes, die auch bereit sind durch Ströme von Blut zu waten: die Bassidsch-Milizionäre und die Revolutionsgarden. Die 5-10 Millionen Bassidsch-Milizionäre kommen aus dem Milieu der kleinen Leute und gruppieren sich um die Moscheen im Lande. Als Sittenwächter machen sie Jagd auf unzureichend verhüllte Frauen, stürmen illegale Partys und montieren Satellitenschüsseln ab. Bei den Demonstrationen gegen das Ergebnis der letzten Wahlen verbreiteten sie mit Knüppeln und Messern bewaffnet, oft in kleinen Einheiten auf Motorrädern Angst und Schrecken. Die Bassidsch sind den Revolutionsgarden untergeordnet. Deren Truppenstärke  wird heute auf 125.000 Mann geschätzt. Die Revolutionsgarde unterhält eigenständige Truppenteile für Heer, Luftwaffe und Marine.
    Die Revolutionsgarden kontrollieren inzwischen große Bereiche des Staates und der Wirtschaft. Sie alle werden, nicht nur weil sie Macht und Privilegien zu verteidigen haben, sondern beim Volk verhasst sind, auch mit dem Rücken zur Wand das Regime verteidigen.

  3. Taliban in Teilzeit
    Dhani-Ghorri im Norden Afghanistans gleicht einem Flickenteppich aus Feldern, die durch Erdwälle, Pappelbäume und Bewässerungskanäle voneinander abgetrennt sind. Wir fahren in die Region, um den dortigen Taliban-Kommandeur zu treffen. Unsere Begleiter sind Afghanen aus allen Landesteilen. Und dann sind da noch zwei, die sagen, dass sie in Europa leben. Wir sollen auf den Kommandeur im Haus eines stämmigen, bärtigen Mannes warten, der passables Englisch mit einem leichten Londoner Akzent spricht. Die meiste Zeit, erzählt er, lebe er im Londoner Osten. Drei Monate komme er jedoch jedes Jahr nach Afghanistan, um zu kämpfen. Wir erfahren, dass er ein Mullah und Taliban-Kommandeur der mittleren Ebene ist. „In London arbeite ich als Taxifahrer“, sagt er. „Ich verdiene gutes Geld damit. Aber diese Leute sind meine Freunde und meine Familie und es ist meine Pflicht, hierher zu kommen, und mit ihnen den Dschihad zu kämpfen. Es gibt viele wie mich. Wir sammeln Geld für den Dschihad und kommen, um zu kämpfen, wann immer wir können.“ Der Mann wird bald in sein Leben als Zivilist zurückkehren.
    Quelle: der Freitag
  4. Weber macht den Köhler
    1. Webers Abgang schwächt den Euro
      Axel Weber war Garant für einen stabilen Euro, mit seinem Abgang als Bundesbankchef bekommt Deutschland ein Problem. Denn im schlimmsten Fall steht die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank auf dem Spiel – und damit die Stabilität der Währung. Was also sind die deutschen Interessen in diesem Euro-Spiel? Der Bundesrepublik muss es darum gehen, die deutsche Tradition der Geldpolitik in der europäischen Währungsunion hochzuhalten. Sprich: Die Notenbank soll unabhängig von den Regierungen sein, die Geldversorgung soll strikt sein und inflationäre Entwicklungen vorausschauend bekämpfen. Auch wenn das hochgradig unpopulär ist. Axel Webers Verdienst ist es, der Bundesbank zu neuem Selbstbewusstsein verholfen zu haben. Als Mitglied des EZB-Rats hat er deutschen stabilitätspolitischen Vorstellungen Gehör verschafft und maßgeblich die Denkweise des obersten EZB-Gremiums beeinflusst.
      Quelle: Spiegel Online

      Anmerkung Orlando Pascheit: Die NachDenkSeiten haben schon sich schon oft mit den Positionen Axel Webers auseinandergesetzt, siehe zuletzt resümierend Albrecht Müller. Was an dem Spiegel- Artikel stört, ist die geradezu Verherrlichung Axel Webers. Siehe auch das Loblied von Friedrich Merz im Handelsblatt.
      Manche, auch die NDS, mögen sich mögen sich freuen, dass der geldpolitische Hardliner endgültig aus dem Rennen ist. Das ändert aber nichts daran, dass sein Verhalten schlechtester Stil ist. Wie schreibt Robert von Heusinger: Angesichts der immer nicht gelösten Eurokrise “schmeißt man nicht einfach hin, da macht man nicht den Köhler. Das ist im höchsten Maße unverantwortlich – gegenüber dem Amt, der Institution und natürlich erst recht gegenüber der Öffentlichkeit.” Zu vermuten ist, dass Weber endgültig realisiert hat, dass er nicht mehr EZB-Präsident werden kann. Es spricht nicht für den Mann, dass er nur mit der Perspektive auf das EZB-Spitzenamt an Bord bleiben zu wollen. Anscheinend turnen im Spitzenfeld deutscher Politik Leute herum, die einerseits vom Ehrgeiz zerfressen, andererseits die reinsten Mimosen sind. Seien wir froh, dass wir Axel Weber los sind, der noch tief in der Geldtheorie und  -politik des letzten Jahrhunderts verankert ist und die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat – wie zuletzt zu sehen war, als er seinen EZB-internen Dissens bezüglich der Ankäufe von Staatsanleihen öffentlich machte.
      Ärgerlich im Spiegelartikel ist auch die starke Personalisierung der Geldpolitik der EZB. Henrik Müller erwähnt zwar die institutionelle Konzeption der EZB, realisiert aber nicht deren Bedeutung. Die Unabhängigkeit der Zentralbank ist in deren Statuten verankert und ihre Politik ist vorrangig der Geldwertstabilität (Preisniveaustabilität) verpflichtet (Art. 105 EGV). Wenn Müller von deutschen Interessen schwafelt, verkennt er vollkommen, dass diese schon längst im Statut der EZB ihren Niederschlag fanden. Das Modell der EZB war die Bandesbank. Wie meinte noch Theo Waigel seinerzeit triumphierend: „Unsere Stabilitätspolitik wird zum Modell und zum Maßstab für das neue Europa! Wir exportieren das Wesen der Deutschen Mark nach Europa!“ – Tja, das deutsche Wesen. Deutschland konnte seinerzeit erfolgreich die französische Vorstellung einer doppelten Zielsetzung der EZB, Preisstabilität und Vollbeschäftigung, verhindern. Die auf ihren Auftrag pochende EZB kann nur durch eine Änderung ihres Statuts daran gehindert werden, bei der Verfolgung des Zieles, Geldwertstabilität, eine Rezession in Kauf zu nehmen, wie dies die Bundesbank z.B. in den frühen 90ern vorexerzierte.

    2. Wer passt jetzt auf unseren EURO auf?
      Wer soll statt Weber an die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) rücken, als neuer „Mr. Euro“ auf unsere Währung aufpassen? BILD macht den Kandidaten-Check: hart, direkt, geradeaus – so wie ein „Mr. Euro“ eben sein muss.
      Quelle: BILD

      Anmerkung WL: Der alltägliche Chauvinismus der Bild-Zeitung. Der von diesem Blatt favorisierte Klaus Regling ist ein überzeugter Monetarist und gehört zu den strammen „Chicago Boys“, arbeitete für Moore Capital Strategy Group, einem Hedge-Fonds. Regling hat unter Theo Waigel des Stabilitätspakt verfochten.

    3. Thomas Fricke: Axel weg – Euro gut
      Das Lamento darüber, dass nun kein Deutscher an der EZB-Spitze stehen wird, ist unsinnig. Weder sind Bundesbanker Heilige. Noch ist gesagt, dass ein Südeuropäer den Euro nicht besser schützt.
      Axel Weber möchte doch nicht mehr Chef der Europäischen Zentralbank werden. Und das Wehklagen ist groß. Seit die Unlust des Bundesbankchefs bekannt wurde, zetern deutsche Sorgenpäpste über den “schweren Schlag gegen den Euro”. Oder den Verlust von Frau Merkels “wichtigstem Mitstreiter” beim Euro-Retten. Und dass jetzt wohl kein Deutscher EZB-Chef wird. Wie furchtbar.
      Fragt sich nur, ob das wirklich so schrecklich ist. Und ob die Bundesbank und ihre Chefs noch so zweifelsfrei als Vorbilder taugen. Wer sich um die Währung wirklich sorgt, sollte vor so viel Klischeegedresche und ordnungsdeutscher Selbstherrlichkeit eher erschrecken. […]
      Solches Gebrabbel klingt absurd, gemessen daran, was die betreffenden Länder in den ersten zehn Jahren an Notenbankern nach Frankfurt geschickt haben: vom kürzlich verstorbenen Tommaso Padoa-Schioppa über italienische Investmentbanker und spanische Wirtschaftsprofessoren bis hin zum Griechen Lucas Papademos. Dagegen wirkt mancher Ex-Bundesbankchef wie ein Volllaie.
      Quelle: FTD
  5. „Einige Länder sollten eine Euro-Auszeit nehmen“
    Der ehemalige IWF-Chefökonom Kenneth Rogoff übt im F.A.Z.-Interview scharfe Kritik an der EU-Rettungspolitik. Er fordert einen Schuldenschnitt von 30 bis 40 Prozent für die Euro-Peripherie. Einige Länder sollten für zehn Jahre aus dem Euro austreten.
    Quelle: FAZ
  6. Ulrike Herrmann zum Zusammenschluss der Börsen: Fusion der Machtlosen
    Das klingt nach Marktbeherrschung und allgewaltiger Kontrolle. Doch auf den Finanzmärkten ereignet sich das Gegenteil. Die permanenten Börsen-Fusionen sind ein Zeichen der Schwäche – obwohl es zunächst eindrucksvoll klingt, dass durch den Zusammenschluss der New Yorker NYSE und der Deutschen Börse die weltweit größte Handelsplattform für Aktien und Derivate entstehen würde. Aber Superlative können täuschen. Der Grund: Die Banken, Fonds und Versicherungen handeln lieber direkt miteinander, statt noch eine Börse dazwischenzuschalten. Das spart erstens Gebühren – und ist zweitens erfreulich intransparent. Abseits der Börsen lassen sich selbst große Aktienpakete verschieben, ohne dass dies die Kurse beeinflusst. Das Schauerwort für diese Handelsformen heißt “Dark Trading”.
    Quelle: taz
  7. Der Franken rollt wieder
    Zürich – Krise – welche Krise? Die Schweizer Großbanken schreiben wieder Milliardengewinne.
    Der Bankenplatz Schweiz zeigt sich nach der weltweiten Finanzkrise und den Diskussionen um das Schweizer Bankgeheimnis wieder erholt. Kapital fließt herein, insbesondere aus den boomenden Märkten in Asien und Lateinamerika. Das macht die Verluste wett, die entstanden sind, weil verunsicherte Kunden ihre Gelder abzogen. Und UBS-Konzernchef Oswald Grübel hat schon ein neues Ziel: Den letztjährigen Gewinn möchte er bis 2012 auf 15 Milliarden verdoppeln.
    Wer hätte dies vor zwei Jahren gedacht? Damals musste die Schweizer Nationalbank die UBS retten … Damals waren sich alle einig, Banker und Ökonomen ebenso wie Politiker von links bis rechts, dass es strenge Vorschriften brauche, damit sich so etwas niemals wiederhole.
    Doch nun schlagen die Bankchefs andere Töne an, warnen vor einer allzu scharfen Regulierung und zu strengen Eigenkapitalvorschriften, die die Rendite schmälern könnten. Und sie lassen gar durchblicken, andernfalls könnten sie sich aus der Schweiz verabschieden.
    Quelle: SÜDKURIER Online

    Anmerkung GG: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt’s sich weiter ungeniert.

  8. Wie der Staat die Großbanken subventioniert
    Inzwischen mehren sich die Indizien dafür, dass Großbanken die wirtschaftliche Stabilität eines Landes eher gefährden als sichern – weil sie den Staat de facto in Geiselhaft nehmen. Denn globale Geldkonzerne sind für Finanzsystem und Realwirtschaft so wichtig, dass sich keine Regierung erlauben kann, sie Pleite gehen zu lassen…
    Mehrere Finanzmarkt-Forscher liefern darauf jetzt neue Antworten. Sie kommen unisono zu dem Schluss: Bankenregulierer und Finanzpolitiker haben das Too-big-to-fail-Problem unterschätzt. Allein in den USA summieren sich die versteckten Subventionen für die größten Banken auf mehrere Milliarden Dollar pro Jahr und Institut. Der staatliche Schutz ist zudem so attraktiv, dass Geldinstitute systematisch versucht haben, den Too-big-to-fail-Status zu erreichen – die impliziten Staatsgarantien waren eine zentrale Triebfeder für die vielen Fusionen und Übernahmen in der Branche seit den 1990er-Jahren…
    Die US-Regierung subventioniert jede Großbank im Jahr im Schnitt mit 4,7 Milliarden Dollar.
    In den Jahren vor Ausbruch der Finanzkrise haben die versteckten Staatshilfen dramatisch zugenommen, stellen die Forscher fest. So seien die Subventionen für die Citigroup zwischen 2000 und 2005 um 45 Prozent gewachsen, bei der Bank of America lag das Plus gar bei 50 Prozent.
    Quelle 1: Die Zeit
    Quelle 2: How Much Did Banks Pay to Become Too-Big-To-Fail and to Become Systemically Important?
  9. Wolfgang Hetzer: Bürger – Banker – Banditen – Bonzen
    Auf einmal hat Steinbrück sogar verstanden, dass sich die Politik in Deutschland zu lange der „Deutungshoheit“ entfesselter Finanzmärkte ergeben hatte. Sie zeigte sich für Marktliberalisierungen offen und gab der „Schattenwelt“ bzw. den „Zauberkunststücken“ der Banken sehr stark Raum, um das Finanzzentrum Frankfurt am Main auf Augenhöhe mit der City of London und der Wall Street in New York City zu halten und das Gewicht der Finanzwirtschaft an dem der Realwirtschaft zu orientieren. Dieser ehemalige Finanzminister spricht zwar von Fehlern der Politik, vermeidet aber eine Beantwortung der Frage, wer denn an dem ganzen Schlamassel schuld ist. Die Frage nach der – individuellen oder kollektiven – Verantwortlichkeit führt nach seiner Meinung nämlich ins „Nirwana“.
    Dr. Wolfgang Hetzer (OLAF) European Anti-Fraud Office, Brüssel
    Quelle: Cleanstate

    Anmerkung: Ohne Kommentar: „Für sein Buch „Unterm Strich“ erhält Peer Steinbrück den diesjährigen Preis „Das politische Buch“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Jury würdigte die herausragende Qualität des Buchs, in dem der Autor klar und präzise die Herausforderungen der gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Situation beschreibt. „Unterm Strich“ ist die Summe von politischen Einsichten, Analysen und Kritik. Steinbrück formuliert klare Perspektiven als Alternativen zu den Problemlagen und scheut sich auch nicht, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. „Unterm Strich“ ist ein Buch, das dem politischen Bewusstsein und dem Sinn für politische Verantwortung hervorragende Impulse gibt.
    Der Preis wird verliehen an herausragende Neuerscheinungen, die sich in kritischer Auseinandersetzung gesellschaftspolitischen Fragestellungen annehmen, diese auf der Höhe der Zeit durchdringen und einem breiten Publikum verständlich machen. Ziel des Preises ist die Würdigung wichtiger politischer Bücher. Durch den Preis wird die herausragende Bedeutung des politischen Buchs für die lebendige Demokratie gewürdigt.
    Steinbrück erhält von der Friedrich-Ebert-Stiftung den Preis „Das politische Buch“.

  10. Erneuerbare verbilligen den Strom
    Mit viel Trara ist im vergangenen Jahr die Erhöhung der sogenannten EEG-Umlage bekannt gegeben worden, die von vielen Energieversorgern umgehend als Rechtfertigung für eine weitere Anhebung der Strompreise benutzt wurde. Das Umweltbundesamt hat sich zwischenzeitlich in einer kleinen Studie damit auseinander gesetzt, ob die Begründung der Verteuerung mit der höheren Umlage stichhaltig ist. Die Antwort lässt sich in einem einzigen Wort zusammenfassen: nein. Die höhere EEG-Umlage ist nicht der wahre Grund für die Preiserhöhungen zum Jahresanfang.
    Quelle: Telepolis
  11. DGB: Nahrungsmittelspekulation verbieten
    Der Versuch, die Finanzkrise als Unfall zu kaschieren, scheitert ständig an der Realität. Kaum war sie zur Schuldenkrise unsolider Staaten umdefiniert, setzte die deutsche Industrie die Rohstoffspekulation auf die Agenda. China fest im Blick, wurde flugs eine EU-Rohstoffstrategie gezimmert. Unbeachtet blieben explodierende Nahrungsmittelpreise – bis sich die Völker südlich des Mittelmeeres gegen bisher so zuverlässige Machthaber erhoben…
    Bankenexperten geben gern den Klimawandel und Missernten als Gründe an. Die Preissteigerungen stehen jedoch in keinem Verhältnis zum Ernteausfall oder einem plötzlichen Nachfrageanstieg. Im Jahresverlauf 2010 sank die Produktion von Getreide und Reis um nur 1 Prozent, deren Preise stiegen aber um 40 Prozent. Die explosionsartigen Preissteigerungen bei vielen Agrarprodukten und die abrupten Preisschwankungen lassen sich nicht ohne Spekulation erklären.
    Allein Goldman Sachs machte 2009 mit Rohstoffderivaten 5 Milliarden US-$ Gewinn – darunter in steigendem Maße durch Agrarrohstoffderivate. Gefolgt von Merrill Lynch und Deutsche Bank. Steigende Nahrungsmittelpreise erhöht die Zahl der Hungernden. Weltweit hungern 925 Millionen Menschen. Ende 2009 gab es 100 Millionen Hungernde mehr.
    Quelle: DGB [PDF – 135 KB]
  12. Oxfam-Studie: Öffentliche Entwicklungshilfe auf Irrweg?
    Oxfam spricht in seiner neuen Studie von einem zweifelhaftem Trend bei der Ausrichtung von weltweiter öffentlicher Entwicklungshilfe: Hilfsleistungen sollten auf Bedarf und Verringerung von Armut ausgerichtet sein und nicht kurzsichtige politische Ziele verfolgen.
    Ein großer Anteil der internationalen Not- und Entwicklungshilfe fließt in Länder, die aus Sicht von Geberstaaten große sicherheitspolitische Bedeutung haben. Strategisch weniger bedeutende Regionen, die ebenfalls dringend Hilfe benötigen, gehen dagegen fast leer aus. Das zeigt der am 10. Februar 2011 veröffentlichte Oxfam-Bericht “Whose aid is it anyway? Politicising aid in conflicts and crises”.
    Seit 2002 floss ein Drittel der weltweiten Entwicklungshilfe für insgesamt 48 fragile Staaten in nur drei Länder: Irak, Afghanistan und Pakistan. Oxfam fordert, die Hilfe am Bedarf und an der nachhaltigen Armutsbekämpfung auszurichten – und nicht an kurzsichtigen politischen Zielen und Sicherheitsinteressen der Geberländer.
    Quelle 1: Glocalist
    Quelle 2: Oxfam-Bericht “Whose aid is it anyway? Politicising aid in conflicts and crises” [PDF – 1 MB]
  13. Die Zeitbombe tickt weiter
    Die Politik versprach, Lehren aus Winnenden zu ziehen – doch das Waffenrecht bleibt lasch. Das Verbot von privaten Großkalibern gilt als aussichtslos. Die Forderung tödliche Sportwaffen ganz zu verbieten ist illusorisch.
    Es sind kleine Zeitfenster, in denen überhaupt eine Chance besteht, das Waffenrecht zu verschärfen. Nach den Amokläufen in Erfurt 2002 und in Winnenden 2009 gab es solche Fenster: Der Schock war so groß, dass die Politik reagieren musste und dass die Waffenlobby sie kaum abhalten konnte. Zunächst.
    Denn sowohl 2002, als auch 2009 sorgten die Lobbyisten der Sportschützen, Jagdvereine und Waffenhersteller dafür, dass der Bundestag das Waffenrecht zwar änderte – aber kaum verschärfte. So meldeten die Medien im September 2009, die Politik habe Lehren aus Winnenden gezogen: strengere Kontrollen, höhere Altersgrenzen für Großkaliber, ein zentrales Waffenregister, Notfallpläne für Schulen. Doch daran, dass Waffenscheine und tödliche Waffen leicht erhältlich sind, änderte sich nichts. Die zwölf Millionen Schusswaffen in Privathaushalten bleiben unangetastet. Die Lobby setzte durch, dass Kontrollen angemeldet werden, die Altersgrenze für Sportschützen bei 12 Jahren bleibt und die für den Umgang mit Großkalibern nur auf 18 wuchs (der Erfurter Täter war 19). Ein Verbot von privaten Großkalibern – aussichtslos.
    Quelle: FR
  14. Kundus-Affäre: Merkel geht auf Distanz zu Jung
    Bundeskanzlerin Angela Merkel ist im Untersuchungsausschuss zur Kundus-Affäre deutlich auf Distanz zum seinerzeitigen Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (beide CDU) gegangen. Mehrfach wies die CDU-Politikerin am Donnerstagabend darauf hin, dass sie selbst schon unmittelbar nach dem von einem Bundeswehr-Oberst angeordneten und von zwei US-Piloten ausgeführten Bombardement in der afghanischen Kundus-Region vom 4. September 2009 im Gegensatz zu Jung die Existenz ziviler Opfer nicht ausgeschlossen habe. Die Regierungschefin betonte, sie habe Jung wiederholt gedrängt und aufgefordert, in seinen öffentlichen Erklärungen diese Möglichkeit ebenfalls einzuräumen. Nach drei Tagen sei Jung schließlich auf ihre Linie eingeschwenkt. Der damalige Verteidigungsminister, der zunächst nur von ”terroristischen Taliban“ als Opfern des Luftschlags gesprochen hatte, war Ende November 2009 vom zwischenzeitlich übernommenen Amt des Arbeitsministers zurückgetreten, um die Verantwortung für die umstrittene Informationspolitik des Verteidigungsministeriums in der ersten Phase nach dem Angriff zu übernehmen….
    Die Kanzlerin erläuterte im Ausschuss, dass sich Jung trotz ihres Drängens, alle verfügbaren Informationen zu dem Bombardement in seine öffentlichen Stellungnahmen einzubeziehen, zunächst allein auf Berichte aus Afghanistan gestützt habe, die nur Taliban als Opfer erwähnt hätten.
    Rückendeckung in der Kundus-Affäre gab die Kanzlerin dem jetzigen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der mit der Bildung der schwarz-gelben Koalition Jung an der Spitze des Verteidigungsministeriums abgelöst hatte. So habe sie ”keine Einwände“ dagegen gehabt, dass auf Drängen des CSU-Politikers Staatssekretär Peter Wichert und Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan Ende November 2009 ihren Hut nehmen mussten. Guttenberg hatte Schneiderhan und Wichert vorgeworfen, ihm wesentliche Informationen zum Angriff auf die Tanklaster wie vor allem einen Feldjägerbericht der Bundeswehr vorenthalten zu haben. Merkel bezeichnete es auch als ”gut nachvollziehbar“, dass Guttenberg unter Einbeziehung der ihm zunächst nicht bekannten Informationen sein anfängliches Urteil revidierte, das Kundus-Bombardement sei militärisch angemessen gewesen.
    Quelle: Deutscher Bundestag

    Anmerkung WL: Typisch Merkel: Nun da Jung nicht mehr in der Regierung ist, kann man ihn zum Sündenbock machen.

  15. Rätsel um Körpergewicht: Leiche von “Gorch-Fock”-Kadettin für Heimflug präpariert
    Das Rätsel um das Körpergewicht der am 7. November vergangenen Jahres auf dem Segelschulschiff “Gorch Fock” tödlich verunglückten Offiziersanwärterin Sarah Lena S. scheint gelöst zu sein. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dapd vom Donnerstag aus Marinekreisen wurde die Leiche von Sarah Lena im Krankenhaus der Hafenstadt mit 20 Kilo Formaldehyd versehen. Diese Präparierung hätten die brasilianischen Ärzte vorgenommen, um die Leiche für den Flug in die Heimat transportfähig zu machen. Das Flugzeug habe über keine Tiefkühleinrichtung verfügt, war zu erfahren.
    Die Sozialdemokraten hatten sich “entsetzt” darüber gezeigt, dass drei Monate nach dem tragischen Tod der Soldatin auf dem Segler die Umstände des Unglücks noch immer nicht geklärt sind. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, warf Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) in der “Bild”-Zeitung vom Mittwoch vor, er habe seinen “Laden einfach nicht im Griff”.
    Quelle: FTD

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die Bildzeitung ist die Bildzeitung. Die Lehre und der eigentlich Skandal sind, dass der Schnellschuss der Bild von den anderen Medien, ohne näher zu recherchieren, übernommen wurde. Eine Anfrage an den Anwalt der Familie hätte gereicht, selbst Fotos wecken Zweifel. – Allmählich nervt auch die Opposition, die ziemlich platt und durchsichtig jede Gelegenheit nutzt, zu Guttenberg ans Bein zu pinkeln. Begraben wir doch zuerst einmal die junge Frau.

  16. Gesine Lötzsch: Fragen muss erlaubt sein
    Die Konservativen wollen sich die Definitionshoheit über den Begriff Kommunismus sichern. Und wir sollen das einfach hinnehmen? Nein, wir müssen uns mit dem Kommunismus und dem, was in seinem Namen an entsetzlichem Unrecht begangen wurde, auseinandersetzen. Wir müssen aber auch sagen, dass die Idee des Kommunismus nichts, aber auch gar nichts, mit dem zu tun hat, was Stalin, Mao oder Pol Pot darunter verstanden haben. 
    Quelle: taz
  17. Duell – Gerhard Schröder gegen Oscar Lafontaine
    Quelle: YouTube

    Anmerkung unseres Lesers S.K.: Dem Einleitungstext auf der Senderseite nach (‘Den Lafontaine machen’), konnte man eigentlich nur mit einem Lafontaine-Bashing rechnen. Die Sendung selbst war dann aber nicht ganz so einseitig in ihrem Urteil.  Man konnte zumindest zu der Einsicht gelangen, das Lafontaine in einigen Medien deswegen als der “gefährlichste Mann Europas” galt, weil er die Finanzwelt regulieren wollte. Wie sich herausstellte, man es aber damals auch schon einsehen konnte, wäre das die richtige politische Maßnahme gewesen. Ebenfalls hätte ein aufmerksamer Zuseher auch bemerken können, dass Lafontaine zurücktrat, weil er seine politischen Ideen unter Schröder keine Realisierungschance mehr gab. Im Gegenteil, so hätte er als Regierungsmitglied auch noch für eine aus seiner Sicht falschen Politik eintreten müssen.
    Dennoch schien die Absicht der Sendung in der Popularisierung folgender Thesen gelegen zu haben: Erstens waren beide Machtpolitiker und ausschließlich darin interessiert, ihre Selbstdarstellung zu fördern. Zweitens hat Schröder dabei überzogen und Lafontaine hat, da er das Verlieren nicht gewohnt war, die beleidigte Leberwurst gespielt und hat alles hingeworfen.
    Noch eine Anmerkung: Es wird immer vom Wahlsieg Schröders 1998 gesprochen. Ich für meinen Teil und viele mir Bekannte haben damals aber einzig und allein wegen Lafontaine die SPD gewählt.

  18. Chinas Automobilmarkt im Umbruch
    Westliche Autohersteller konnten sich letztes Jahr in China, dem inzwischen größten Absatzmarkt der Welt, über enorme Wachstumsraten freuen. Doch 2011 trüben staatliche Bremsmanöver und härtere chinesische Konkurrenz die Aussichten. Wer für einen Personenwagen eine Neuzulassung erhält, entscheidet seit Anfang des Jahres nun das Los. Insgesamt wollen die Behörden in Peking 2011 noch 240 000 Autokennzeichen verlosen. 2010 waren in Chinas Hauptstadt fast dreimal so viele Autos neu angemeldet worden. Im Januar haben sich fast 190 000 Bürger an der Verlosung von 20 000 Kennzeichen beteiligt. Die Begrenzung der Zulassungen in Peking ist nur einer von mehreren Faktoren, die in diesem Jahr Spuren auf dem chinesischen Automobilmarkt hinterlassen werden. Auch das Auslaufen des Ende 2008 aufgelegten Konjunkturprogramms, eine gewisse Sättigung im Kleinwagensegment in manchen Städten sowie Basiseffekte sorgen dafür, dass das Wachstum im Automobilgeschäft in China 2011 deutlich schwächer ausfallen dürfte als 2010.
    Die vielen Hersteller aus Europa, Japan und den USA kommen allerdings noch von einer anderen Seite unter Druck: von den chinesischen Herstellern. Firmen wie Geely, Chery, Dongfeng und Chang’An haben in den vergangenen Jahren ihre Qualität gesteigert, ihr Händlernetz vor allem in kleineren Städten ausgebaut und die Modellpaletten erheblich erweitert. Zwar bieten die japanischen und koreanischen Hersteller schon seit Jahren für den chinesischen Markt maßgeschneiderte Autos an. Auch der Volkswagen-Konzern hat seit einiger Zeit speziell für den chinesischen Markt entwickelte Mittelklassewagen im Sortiment. Doch die chinesische Konkurrenz holt bei Design und Qualität schnell auf. Dies auch dank chinesischen Eigenheiten. Nichtchinesische Autokonzerne dürfen in China nämlich nur als Joint-Venture-Partner von lokalen Herstellern ihre Autos bauen. Durch diese weltweit wohl einzigartige Politik werden Chinas Automobilkonzerne erzwungenermassen mit Know-how versorgt.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Es schon erstaunlich, wie das westliche Kapital vor dem chinesischen Staat im Staube liegt  und Bedingungen akzeptiert, die jeder liberalen Freihandelsvorstellung spotten, um vom Wachstumsboom dieses Landes zu profitieren. Wie wäre es, wenn wir einmal die berühmte Meistbegünstigungsklausel der WTO bezüglich des Verhältnis des westlichen Kapitals zu China auf den Rest der Welt, speziell die Entwicklungsländer anwenden würden. Das Prinzip der Meistbegünstigung verpflichtet einen Staat, Handelsvorteile, die er einem anderen Staat einräumt, auch jeder anderen Vertragspartei zu gewahren.  Bezogen auf die Akzeptanz Local-content-Forderungen Chinas würde das für westliche Firmen heißen: Der Verkauf eines Gutes in andere Ländern dieses Globus darf nur erfolgen, wenn ein bestimmter wertmäßiger Anteil an diesem Produkt in diesen  Ländern produziert worden ist. Der damit einhergehende Know-how-Transfer würde den Entwicklungsländern enorm in ihrer Aufholjagd zu den entwickelten Volkswirtschaften helfen. Ach ja, natürlich ist das chinesische Regime weitaus weniger autoritär und menschenverachtend als das ägyptische Regime.

  19. Die Akte Berlusconi
    Quelle: YouTube
  20. Zu guter Letzt: „Es gibt Unfähige wie Weber und Taliban wie Stark“, schreibt El Pais.
    Quelle: Die Welt

    Anmerkung WL: EZB-Volkswirt Jürgen Stark wird als Nachfolger von Weber gehandelt. Dem Kommentar von El Pais ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Wenn ein monetaristischer Falke wie Weber den Köhler macht, könnte man eigentlich nur in Jubel ausbrechen. Es scheint typisch für solche finanzpolitischen Dogmatiker, dass wenn ihr Dogma an der Wirklichkeit zerschellt, sie einfach davon laufen, ohne Rücksicht auf Verluste.
    Wenn Weber jetzt auch noch die Nachfolge von Ackermann bei der Deutschen Bank antreten sollte, dann wäre das ein Beweis dafür, dass es solchen Geldpolitikern um nichts anderes geht, als ihr eigenes Geld zu vermehren.


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