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Titel: Wie bastele ich einen Helden. Eine Anleitung für Profis und Amateure.
Datum: 24. März 2022 um 8:42 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Lobbyismus und politische Korruption, Strategien der Meinungsmache, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Redaktion
Fast eine Stunde lang konnte man am 15.3.2022 auf ARTE einer Homestory über den ukrainischen Präsidenten folgen: „Selenskyj – Ein Präsident im Krieg.“ Es ging wie im einem Beauty-Salon zu. Selenskyj, der als Komiker angefangen hatte und nun zum Helden gekürt wird. Ein Mann, der fast alles alleine macht: Seine Heimat verteidigen, jeden Tag kommunizieren, mal auf der Straße, mal im Bunker, mal in seinem Präsidentenzimmer, mal mit weißem Hemd, mal ganz militärisch: „In wenigen Tagen ist er zu einem globalen Helden aufgestiegen: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Wer ist dieser Mann – und wofür steht er? Der Film porträtiert den Politiker, der Putins Gegenspieler wurde.“ (Arte) Es war eine Heidi-Klum-Show mit einem Catwalk für einen sprachbegabten Präsidenten. Kein Wort, keine Passage über all die politischen und militärischen Machtstrukturen hinter dem Ex-Komiker. Keine Auskunft, wie viele Oligarchen dort das Sagen haben. Oder eine Antwort auf die Frage: Witzelt Selenskyj die Präsenz von profaschistischen Kräften in der Politik und in der Armee weg oder braucht er sie? Nicht minder wichtig wäre die Frage (also die Antwort): Wie souverän ist die Ukraine (vor dem Einmarsch)? Von Wolf Wetzel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Lesen Sie dazu auch: Jens Berger – „Ein Held unserer Zeit“
Was man heute weiß, dass man es nicht (mehr) weiß
Es gehört zu Merkmalen manipulativer und propagandistischer Berichterstattung, dass man Wissen hat und es unterschlägt. Denn es bedarf keines investigativen Journalismus, um sich ein halbwegs vollständiges Bild von Selenskyj machen.
Das ist verfügbar und gar nicht schwer abzurufen. So zum Beispiel die „Pandora Papers“, die vor einem halben Jahr die Öffentlichkeit erreichten und für ein gewisses Aufsehen sorgten. Nicht ganz ungeschickt und gewollt ging es dabei ganz viel um russische Oligarchen, die ihr Geld außer Landes geschafft haben.
Dass die russischen Oligarchen in diesem System nur Mitläufer sind, also von einem System profitieren, das in den Händen des freien Westens liegt, verschweigt man. Dass dieses System kein Wunderwerk an Verblendung ist, sondern in seinem Aufbau, in seiner Arbeitsweise schon lange bekannt ist, weiß man auch. Und noch etwas weiß man sehr genau: Dieses System, Millionen und Milliarden zu anonymisieren und an „unbekannte“ Orte zu schaffen, geht nicht ohne die westlichen Regierungen, die die „Schlupflöcher“ bauen und offenhalten, durch die dann die „Bösewichte“ schlüpfen – ohne sich bücken zu müssen.
Es ging – wieder einmal – um die reichen, einflussreichen und millionenschweren Menschen, die ihr Vermögen ‚unerreichbar‘ und anonymisiert ins Ausland schaffen, zum Beispiel in sogenannte Offshore-Paradiese – wo man sicher und gut geschützt sein Millionenvermögen verstecken kann, um zuhause den bescheiden lebenden und selbstlosen Mann zu spielen, der aus Liebe zum Beruf und nicht aufgrund von millionenschweren Verbindungen an die Macht kommt.
Dazu zählt auch der gegenwärtige ukrainische Präsident Selenskyj. Er und sein millionenschweres Kartell tauchen dort auch auf, recht detailliert – auch wenn man weiß, dass in den Pandora Papers nicht alles steht, was man in dem zugespielten Material finden würde.
Warum wird dieses millionenschwere Umfeld von Selenskyj nicht mehr erwähnt? Warum verschwindet es buchstäblich von der Bildfläche, wie das Geld, das diese „Geschäftsleute“ zur Seite geschafft haben?
Unter den Bösewichten, das verdanken wir den „Pandora-Papieren“, taucht auch der Kreis um Selenskyj auf. Es lohnt sich, dieses Wissen aus der Versenkung zu heben.
„Am 2. Oktober 2021 informierte das Internationale Netzwerk investigativer Journalisten (ICIJ) die Weltöffentlichkeit über die Existenz der so genannten Pandora-Papers, eines Daten-Leaks von 12 Millionen Dokumente aus 14 Quellen. Diese enthalten auch Daten zu bisher unbekannten Offshore-Geschäften des ‚Kwartal-95‘-Netzwerkes um den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij und dessen Verbindungen zu dem Oligarchen Ihor Kolomoiskij und der von ihm bis 2016 betriebenen und dann verstaatlichten ‚PrivatBank‘.“
So beginnt ein Bericht von Yana Lysenko, Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, der am 15.10.2021 als „Ukraine-Analyse“ veröffentlicht wurde. Man beleidigt diese Forschungsstelle an der Uni Bremen sicher nicht, wenn man ihre Grundhaltung als konservativ-liberal einschätzt.
Man kann das lustig finden, Selenskyj als Komiker zu bezeichnen, aber das wird ihm nicht gerecht. Denn er und seine „Freunde“ haben sich systematisch und geradezu perfekt für den Aufstieg bis ins Präsidentenamt der Ukraine (Mai 2019) vorbereitet.
„Nach dem Wechsel auf Kolomoiskijs Fernsehkanal ‚1+1‘ gründeten Selenskij und seine engsten Mitarbeiter Borys und Serhij Schefir und Andrij Jakowlew ab 2012 ein Geflecht von Offshore-Firmen, darunter die Firma ‚Maltex‘ auf den Britischen Jungferninseln. Diese hielt wiederum die Hälfte an der Produktionsfirma ‚SVT‘, die für ‚1+1‘ das TV-Format ‚Bring den Komiker zum Lachen‘ produzierte. Dafür erhielt sie 1,2 Mio. Dollar von der ‚Sprintex-Holding‘, einem ebenfalls offshore ansässigen Unternehmen, das zum Firmengeflecht von Kolomoiskij zählt. Dieser steht unter Verdacht, als Eigentümer der 2016 verstaatlichten ‚PrivatBank‘ große Summen durch faule Kredite an eigene Auslandsfirmen verschoben zu haben, um sie vor dem Zugriff der ukrainischen Steuerbehörden zu schützen.“
Man muss sich das nicht alles merken. Denn genau so funktioniert das System. Man verschachtelt Geld und Vermögen so lange und so oft, bis man den Überblick verliert und sich die Spur des Geldes verlieren soll.
Die Absicht dieses Unternehmens ist hingegen sehr handfest und äußerst lukrativ:
„So sollen vor der Verstaatlichung auch 41 Mio. Dollar von der ‚PrivatBank‘ auf das Konto von Selenskijs Produktionsfirma ‚Kwartal 95‘ überwiesen worden sein.“
Mit seinem Gönner und Oligarchen Kolomoiskij zusammen stiegen sie in die Millionärsklasse auf. Völlig unkomödiantisch wusste der Präsidentschaftskandidat Selenskyj 2019 genau, was zu tun ist: Man muss sich als Mann des Volkes verkaufen, sich arm machen und – das ist nun wirklich komisch – versprechen, die Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Zwei Monate vor der Präsidentschaftswahl in der Ukraine war man sehr beschäftigt:
„Am 13.03.2019 beurkundete der Anwalt Jurij Asarow ein Dokument über die Übergabe der bisher von Selenskij und seiner Ehefrau Olena gehaltenen Anteile von ‚Maltex‘ an das Unternehmen von Serhij Schefir. Diese wurden nicht verkauft, sondern unentgeltlich von Selenskij an Serhij Schefir überschrieben. Diese Transaktion wird als Versuch Selenskijs gedeutet, vor der Präsidentschaftswahl veröffentlichungspflichtige Vermögenswerte zu verschleiern. Serhij Schefir wurde am Tag nach Selenskijs Wahl zum Chefberater des Präsidenten ernannt.“
Das Besondere daran ist, dass dieses Wissen vor dem Krieg in allen staatsnahen Medien zu lesen war. Jetzt ist dieses Wissen spurlos verschwunden und Selenskyj gibt es nur noch als Held. Man nennt so etwas Kriegspropaganda – wenn es andere, der aktuelle Feind macht.
Übrigens: Der ukrainische Präsident Selenskyj hielt im Juni 2021 die Eröffnungsrede für die „Democracy in Action: Zero Corruption“-Konferenz in Kiew.
Saddam ist ein Hundesohn, aber er ist unser Hundesohn
Diesen Satz telegrafierte der Statthalter der CIA in Bagdad am 16. Juli 1979 nach Washington [*]. Besser kann man das Wertekorsett der ‚freien‘ Welt nicht beschreiben, der US-Supermacht, die Selenskyj doch tatsächlich als „Anführer der Welt“ wünscht und anfleht.
Aber es gibt noch eine andere Seite, die damit verdunkelt werden soll. Es geht nicht nur um den Kampf der Köpfe in der Bevölkerung. Es geht eben auch um die Köpfe, die an der Macht sind. Selbstverständlich sind Selenskyj und alle, die davor an der Macht waren, nur Bauern auf einem Schachbrett. Das wissen die ‚Bauern‘ … und das wissen die ‚Könige‘ auf diesem Schachbrett. Das heißt: Man weiß eben nie, wann die ‚Bauern‘ noch nützlich sind, wann man sie opfern und gegebenenfalls schlachten muss. Saddam Hussein ist ein eindringliches und tödliches Zeichen. Denn auch die ‚Bauern‘ machen all das nicht aus Liebe zu ihren ‚Königen‘ und wissen, wie gefügig sie sein müssen, um die Gunst der ‚Könige‘ zu bewahren.
Früher war das Wissen von heimlichen Geliebten oder gar das Schwulsein ein Erpressungskapital, damit sich kein Hund von der Leine beißt. Heute sind es eher geheime Konten, die man im Ausland unterhält, wie die der Offshore-Geschäfte des Kwartal-95-Netzwerkes. Diese sind nur so lange geheim und unauffindbar, wie es allen daran Beteiligten dient und nützt. Aber es gibt auch „Datenlecks“ oder „Whistleblower“, die nicht selten von Geheimdiensten bedient und als Frisiersalon genutzt werden, um die Herkunft der Daten zu toupieren, zu anonymisieren.
Und ganz sicher wissen Selenskyj und sein Kwartal-95-Netzwerk um die Erpressbarkeit dieser „geheimen“ Konten. Sie werden allesamt viel dafür tun, dass es nur bei einer Drohung bleibt.
Ein Mann, der mit dem Antikorrutionsversprechen zum Präsidenten gewählt wurde und selbst ein Teil dieses Systems ist, dem er angeblich den Kampf ansagt, ist auch genau der Richtige, der … einen Friedensnobelpreis verdient. Im Rahmen dieses schwarzen Theaters wurde der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj – wirklich, ohne Schmu – von einer Gruppe europäischer Politiker in einem Offenen Brief an das Nobelpreiskomitee für den Friedensnobelpreis nominiert. Der Brief, der bis zum 30. März zur Unterzeichnung ausliegt, wurde bereits von 36 Politikern aus ganz Europa unterzeichnet.
[«*] Ergänzung Jens Berger: Dieser Satz hat in der US-Außenpolitik eine gewisse Geschichte. Laut historischen Abhandlungen soll der Satz zum ersten Mal von Franklin D. Roosevelt in Bezug auf den Diktator Rafael Trujillo geäußert worden sein, der in den 1930ern und 1940ern sein Land und das benachbarte Haiti terrorisiert hat. Anderen Quellen zufolge soll der Ausspruch auch noch vom US-Außenminister Cordell Hull gefallen sein und sich auf den nicaraguanischen Diktator Anastasio Somoza García bezogen haben. Die USA haben also durchaus eine Tradition, ihre „Hurensöhne“ zu unterstützen.
Wolf Wetzel
Quelle und Hinweise:
Offshore-Geschäfte: Selenskyj und Kolomojskyj in den Pandora-Papers, Länder Analysen Nr. 56 vom 15.10.2021
Dokumentation: Offshore-Geschäfte: Selenskyj und Kolomojskyj in den Pandora-Papers
Der „Panama-Scoop“, NDS vom 18.4.2016
Ein Stelldichein des staatlich lizenzierten Untergrundes, 2018, Wolf Wetzel
Panama goes to paradise, 2018, Wolf Wetzel
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