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Titel: Energiepreise und Importstopp-Debatten – es ist ernst, sehr ernst
Datum: 9. März 2022 um 12:06 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Energiepolitik, Ressourcen, Soziale Gerechtigkeit, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Jens Berger
Die Preise für Benzin und Diesel haben an den Zapfsäulen bundesweit die Zwei-Euro-Marke geknackt, eine baldige Trendwende ist nicht in Sicht. Erdgas wird momentan an den Spotmärkten mit mehr als 200 Euro pro MWh mehr als zehnmal so hoch wie im langjährigen Mittel gehandelt. Hier schlagen sich die vollen Preissteigerungen zum Glück noch nicht voll auf den Endkunden und die Industrie durch. Diese Preisexplosionen finden wohlgemerkt in einer Situation statt, in der Russland nach wie vor voll liefert. Ein Stopp der russischen Energielieferungen – gleich, von welcher Seite er kommt – wäre eine epische ökonomische Katastrophe. Und dies nicht nur für Deutschland. Wir stünden am Beginn einer Weltwirtschaftskrise. Um die bereits jetzt eingetretenen Schäden zu mildern, muss die Politik sofort handeln. Gedankenspiele über ein Importstopp russischer Energieimporte sollten bereits im Keim erstickt werden, bevor sie von Medien und Politik als „Option“ gehandelt werden. Von Jens Berger
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Die Sanktionen gegenüber Russland hätten aus ökonomischer Sicht wohl zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können. Bereits vor der Invasion der Ukraine durch russische Truppen war die Situation auf dem Gasmarkt extrem angespannt und auch die Ölpreise stiegen aufgrund der weltweit nach dem „Corona-Schock“ anziehenden Konjunktur bereits wieder seit Monaten. Der Krieg in der Ukraine hat die Energiemärkte dann seinerseits in einen Schock versetzt. Der Rohölpreis stieg binnen weniger Tage um mehr als dreißig Prozent und ist heute bei 130 US$ pro Barrel bereits nah an seinem Allzeithoch. Die Auswirkungen können wir derzeit an der Tankstelle und mehr noch beim Heizöl beobachten. Wer sich heute seinen 3.000-Liter-Tank befüllen lassen will, muss dafür mehr als sagenhafte 6.000 Euro bezahlen – mehr als doppelt so viel wie vor einem Jahr. Am größten sind die Preissprünge jedoch auf dem Spotmarkt für Erdgas. Dort werden heute 211 Euro für eine MWh verlangt. Am niederländischen Knotenpunkt TTF stieg der Preis vorgestern sogar in der Spitze auf 345 Euro. Zum Vergleich: Der langjährige Schnitt liegt hier bei rund 20 Euro, in den letzten Jahren war er „coronabedingt“ sogar auf rund 15 Euro gefallen. Noch wirken sich diese Preissteigerungen jedoch nur zu einem kleinen Teil auf die Verbraucher aus, da die allermeisten Gasversorger das Erdgas über langfristige Lieferverträge mit deutlich niedrigeren Preisen aus Russland beziehen.
Die Lage ist ernst und dies ist nicht „nur“ eine soziale Frage. Dass zuallererst die Haushalte betroffen sind, die schon heute nicht mehr die Kosten für Kraftstoffe und Energie aufbringen können, versteht sich von selbst und hier ist ein sozialer Ausgleich mehr als überfällig. Nur weil ein Normalverdiener-Haushalt die Rechnungen noch bezahlen kann, heißt dies jedoch nicht, dass dies volkswirtschaftlich kein Problem sei. Jeder Euro, den man nun für Sprit, Heizöl oder Erdgas mehr ausgibt, den muss man an anderer Stelle einsparen. Man kann den Euro nun einmal als Normalsterblicher nur einmal ausgeben. Und wenn man mehr Geld für Mobilität und Energie ausgibt, bleibt weniger für andere Ausgaben über. Viele Produkte werden zudem teurer, da der Energiekostenanteil für die Produktion steigt. Darunter leidet die gesamte Volkswirtschaft und dies ist nichts weniger als der Einstieg in eine Rezession.
Dies abzuwenden, liegt jedoch in der Hand der Politik. Der Benzinpreis setzt sich zu mehr als der Hälfte aus Steuern und Abgaben zusammen. Beim Erdgas sind es rund 35 Prozent. Will die Politik nicht nur „den sozialen Frieden sichern“ (O-Ton Habeck), sondern auch die Volkswirtschaft vor der kommenden Rezession schützen, wäre es an der Zeit, die Steuerlast auf Energie vorübergehend zu senken. Was spräche beispielsweise für ein Aussetzen der Umsatzsteuer auf Erdgas, Heizöl und Kraftstoffe, solange die Endkundenpreise den langjährigen Schnitt um ein bestimmtes Maß überschreiten? Wenn es hart auf hart kommt, stünde auch ein Aussetzen der Energiesteuer durchaus zur Disposition.
Doch all dies sind „nur“ Sofortmaßnahmen, die den Status Quo betreffen. Denn trotz der zurzeit hohen Energiepreise ist das Problem ja noch beherrschbar. Sollte man jedoch auf die dumme Idee kommen, nun ein Importstopp für russische Energielieferungen zu beschließen, würde die Situation schnell komplett außer Kontrolle geraten.
Was würde ein Importstopp bedeuten?
Würden die Lieferungen aus Russland zum Erliegen kommen, wären die Erdgas-Lieferkontrakte null und nichtig. Deutschland bezieht 55 Prozent seines Gases aus Russland. Diese Mengen müssten die Gasversorger dann auf den Spotmärkten kaufen und – wenn sie nicht in den Konkurs gehen wollen – die Preise auch auf die Kunden umlegen. Der Endkundenpreis setzt sich zu 41% aus Beschaffung und Vertrieb zusammen. Eine Verzwanzigfachung des Einkaufspreises für den bisher aus Russland gelieferten Anteil des Gasmixes würde sich demnach grob geschätzt in einer Verachtfachung des Endkundenpreises niederschlagen. Für ein Einfamilienhaus beträgt heute der monatliche Abschlag rund 300 Euro pro Monat – eine Verachtfachung würde den monatlichen Abschlag also für ein Einfamilienhaus auf 1.250 Euro pro Monat treiben. Kaum vorstellbar. Sehr viele Haushalte wären gar nicht der Lage, dies zu bezahlen.
Eine weitere offene Frage ist, woher dieses Gas überhaupt kommen soll. Eine Substitution durch Flüssiggas ist logistisch gar nicht möglich, da es dafür gar nicht genügend Tanker und Terminals und – wichtiger noch – auch gar nicht genügend Angebot gibt. Schon heute konkurriert Europa auf dem Weltmarkt mit Asien, da das Angebot die Nachfrage nicht deckt und letztlich über den Preis gesteuert wird. Wollte man auch nur einen größeren Teil der bisherigen russischen Lieferungen durch zusätzliche Flüssiggasimporte aus den USA oder Katar decken wollen, würde dies gemäß ökonomischer Logik die Preise abermals ganz massiv explodieren lassen – und zwar nicht nur hierzulande, sondern weltweit.
Wie hoch die Preiseffekte bei einem Importstopp für Öl wären, ist kaum seriös vorherzusagen. 35 Prozent der Ölimporte Deutschlands kommen zurzeit aus Russland – alleine über das Druschba-Pipelinesystem kommen derzeit bis zu 2,5 Millionen Barrel Öl pro Tag, das entspricht der Hälfte der russischen Ölexporte und rund zweieinhalb Prozent des globalen Ölmarktes. Zum Vergleich: Um dies zu kompensieren, müssten jeden Tag zwei Supertanker voll mit Erdöl in deutschen Häfen komplett gelöscht werden. Überflüssig zu erwähnen, dass es dafür gar keine Kapazitäten gibt. Wir hätten es also nicht „nur“ mit einem Preisschock, sondern mit einer physischen Ölknappheit zu tun. Den Tankstellen ginge bildlich der Kraftstoff aus.
Da auch der Weltmarkt für Erdöl schon heute dadurch gekennzeichnet ist, dass das Angebot die Nachfrage kaum befriedigen kann, hätte ein Wegfall der 4,6 Millionen Barrel, die Russland jeden Tag exportiert, global verheerende Effekte. Diese Menge lässt sich nicht durch andere Förderländer mittelfristig substituieren. Einzig allein der Iran fördert zurzeit sanktionsbedingt deutlich weniger Öl, als er fördern könnte. Jedoch würde selbst ein Iran, der voll am Anschlag produziert, nicht einmal die Hälfte der wegfallenden russischen Exporte ausgleichen können.
Man muss kein Schwarzmaler sein, um sich die Folgen eines solchen Importstopps vorzustellen. Der Preiseffekt wäre – wie dargelegt – keinesfalls national begrenzt, sondern global zu spüren und könnte eine Weltwirtschaftskrise auslösen.
Die nationale Brille
Diese Frage wird jedoch stattdessen lieber mit der nationalen Brille betrachtet. Geradeso, als hinge in einer globalisierten Welt nicht alles mit allem zusammen, und geradeso, als hätte eine derart massive Verschiebung der Energiemärkte keine Auswirkungen, die über die deutschen Grenzen hinausgingen. Man hat den Eindruck, als verstünden deutsche Regierungsvertreter überhaupt nicht, wovon sie reden. Wenn ein Wirtschaftsminister Habeck beispielsweise „noch“ von Importstopps absehen will, weil er den „sozialen Frieden in Deutschland gefährdet“ sieht, so ist dies zwar für einen Grünen-Politiker schon eine bemerkenswerte Einsicht, aber dennoch gleichzeitig auch geradezu hanebüchen kurzsichtig, bedenkt er doch ganz offensichtlich die internationalen Effekte noch nicht einmal im Ansatz.
Kaum besser steht es da um die „Gelehrten“ der Leopoldina, die die Bundesregierung als „Nationale Akademie der Wissenschaften“ beraten. Die Leopoldina-Forscher halten einen Importstopp für Erdgas aus Russland für „zu bewältigen“. Bei der Begründung zieht es einem dabei die Schuhe aus. „Theoretisch“ könne Deutschland einen Teil der Importe demnach mit Flüssiggas ausgleichen, obgleich man einräumt, dass es „derzeit“ gar nicht genügend Terminals dafür gebe. Auswirkungen auf den Weltmarktpreis ignoriert man vollkommen. Und für die Frage, wie man mit weniger Gas auskommen kann, haben die Forscher auch eine überraschende Antwort: Die Industrie würde durch die teuren Gaspreise animiert, ihre Produktion effizienter zu machen, sprich zu reduzieren. Mit anderen Worten: Ja, wir können auf das russische Gas verzichten, wenn wir ganz einfach die energieintensiven Betriebe dichtmachen. Und da wundern sich wirklich einige Akademiker, dass man mit einem gewissen Staunen auf die Gedankengebilde aus ihren Elfenbeintürmen reagiert.
Die Politik hat es in der Hand
Die „Logik“ von Sanktionen besteht ja darin, den zu Sanktionierenden stärker zu beschädigen als sich selbst. Ein Importstopp für russische Energielieferungen wäre jedoch ein Selbstmord auf Raten – und dies nicht nur für uns selbst, sondern für die gesamte Weltwirtschaft. Preiseffekte sind in globalen Märkten nicht lokal begrenzbar. Ereignisse wie der Ölpreisschock von 1973, die Revolution im Iran von 1979 oder der Golfkrieg von 1990 lösten eine weltweite Rezession aus. Es wäre mehr als naiv anzunehmen, dass dies 2022 anders sein könnte, wenn man den weltgrößten Energieexporteur einfach vom Weltmarkt abschneiden würde. Es geht nicht um die Ukraine, sondern um eine Weltwirtschaftskrise. Ob sich unsere Politik ihrer Verantwortung bewusst ist?
Titelbild: Who is Danny/shutterstock.com
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