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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Davos; der Schildbürgerstreich mit dem „Bildungspaket“; Ägypten: Doppelmoral der Europäer; kräftige Lohnerhöhungen notwendig; es gibt kein Beschäftigungswunder; Arbeit – sicher und fair!; lokale Demokratie, Bürgergesellschaft und Gewerkschaften; skandinavische Arbeits- und Sozialpolitik; Ein-Euro-Jobs werden gekürzt; zur gegenwärtigen ökonomischen und politischen Lage; bis zur echten Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern ist es noch ein weiter Weg; Beschäftigtendatenschutz; Wege zur 100 % erneuerbaren Stromversorgung; Ethikrat zur Bewertung von Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen; Krankenkassen-Fusionen treiben die Kosten; S 21-Gegner wieder da; wie Gier die Finanzkrise auslöste; EnBW-Deal: Mappus soll vor dem Landtag gelogen haben; Fortschritt hat Nebenwirkungen; wie viel kostet ein Abgeordneter?; die NATO und Russland; Fatal Transactions kritisiert europäische Strategie zur Sicherung des Zugangs zu Rohstoffe; soziales Banditentum in Afrika; der Index der Lega Nord; TU Berlin zu den Äußerungen von Dr. Thilo Sarrazin; Bafög-Rückzahlung wird teurer; interessante Dokumente zu Hochschule und Gesellschaft; chinesische Schüler: Auswendiglernen sehr gut, Phantasie ungenügend; Rezension: Joseph Vogl „Gespenst des Kapitals“. (WL)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
- Davos
- Stefan Sell: Bürokratie oder: Der Schildbürgerstreich mit dem „Bildungspaket“
- Ägypten: Doppelmoral der Europäer
- Gerhard Bosch: Kräftige Lohnerhöhungen notwendig
- Es gibt kein Beschäftigungswunder
- DGB: Arbeit – sicher und fair!
- Frank Bsirske: Lokale Demokratie, Bürgergesellschaft und Gewerkschaften
- Skandinavische Arbeits- und Sozialpolitik
- Ein-Euro-Jobs werden gekürzt
- Bemerkungen zur gegenwärtigen ökonomischen und politischen Lage
- Bis zur echten Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern ist es noch ein weiter Weg
- Beschäftigtendatenschutz
- Wege zur 100 % erneuerbaren Stromversorgung
- Ethikrat legt Stellungnahme zur Bewertung von Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen vor
- Bundesrechnungshof: Krankenkassen-Fusionen treiben die Kosten
- »S21«-Gegner wieder da
- Wie Gier die Finanzkrise auslöste
- EnBW-Deal: Mappus soll vor dem Landtag gelogen haben
- Fritz Stern: Fortschritt hat Nebenwirkungen
- Vortragshonorare: Wie viel kostet ein Abgeordneter?
- Die NATO und Russland – Durchbruch an Sankt Nimmerlein?
- Fatal Transactions kritisiert europäische Strategie zur Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen
- Soziales Banditentum in Afrika: Robin Hood in Afrika
- Italien – Der Index der Lega Nord
- Stellungnahme der TU Berlin zu den Äußerungen von Dr. Thilo Sarrazin
- Bafög-Rückzahlung wird teurer
- Interessante Dokumente zu Hochschule und Gesellschaft
- Chinesische Schüler: Auswendiglernen sehr gut, Phantasie ungenügend
- Rezension: Joseph Vogl „Gespenst des Kapitals“
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Davos
- Robert von Heusinger: Die Gespräche beim Weltwirtschaftsforum in Davos laufen am am Kern des Problems vorbei
Um das zu verstehen, muss man das kleine Einmaleins des Kapitalismus kennen. Es besagt dreierlei: Erstens, das Nettogeldvermögen ist immer null. Es gibt immer genauso viel Vermögen wie es Schulden gibt. Weil das so ist, kann zweitens der eine nur dann sparen, wenn sich ein anderer im selben Umfang bereit ist zu verschulden. Und drittens gibt es nur dann Wirtschaftswachstum, wenn die Verschuldung insgesamt zunimmt. Würde sie sich verringern, käme es unausweichlich zur Rezession.
Welche Verschuldung muss steigen? Das wäre eine bessere Frage gewesen. In normalen Zeiten nimmt die Verschuldung der Unternehmen, die wachsen und gedeihen, ständig zu. Damit erlauben sie es den privaten Haushalten zu sparen. Der Staat kann an der Seitenlinie verharren oder sogar Schulden abbauen. Gefährlich wird es, wenn die Unternehmen statt sich zu verschulden, sparen wollen, sparen müssen. Dann droht Rezession, es sei denn, der Staat tritt mit seiner Neuverschuldung an ihre Stelle. Genau das ist in der Krise passiert…
Sind unsere Renditevorstellungen übertrieben? Das wäre das richtige Thema für Davos gewesen.
Quelle: FR
- Two Worlds, Ready or Not
The public policy issue of the day, from the point of view of such CEOs, is simple. There needs to be sufficient fiscal austerity to strengthen public balance sheets — so that states can more effectively stand behind their banks in the future, and to keep currencies from moving too much…
The gap between the CEOs’ world and the real world should be bridged by the official sector. But where are the politicians and government officials who can explain what we need and why? Who can confront the CEOs in the highest profile public forums, and push them on the social responsibility broadly defined?…
The biggest disappointment at Davos was not the attitude of the corporate sector; these people are just doing their jobs (as they see it). To the extent the U.S. or eurozone official sector showed up at all, it continued to demonstrate the deepest levels of intellectual capture. The reasoning seems to be: As long as we do what the big banks and big firms want, everything will turn out all right. There was zero high-profile public debate at Davos this week on anything related to this way of seeing the world.
Corporate Davos was borderline exuberant. Even if a deeper crisis looms, does the global business elite really care?
Quelle: Huffington Post
Stefan Sell: Bürokratie oder: Der Schildbürgerstreich mit dem „Bildungspaket“
Was sich derzeit abzeichnet mit dem „Bildungspaket“ ist angesichts der anstehenden Belastung mit Verwaltungskosten schon mehr als ein starkes Stück. Es erinnert doch sehr an die Schildbürgerstreiche…
Irgendwie hat man hinsichtlich Bildung und Teilhabe auch das Gefühl, dass versucht wird, diese mit Eimern wie das Licht bei den Schildbürgern in das dunkle Gebäude Hartz IV zu tragen – natürlich ohne Erfolg.
Bereits das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 09.02.2010 den richtigen Weg aus Sicht der Kinder aufgezeigt – und eine individualisierende Berücksichtigung im Sozialgeldgerüst des SGB II nur als „second best“-Lösung verstanden, die – wenn es denn nicht anders geht – höchstens als Übergang bis zum Erreichen des eigentlich sinnvollen Lösung fungieren sollte. Danach brauchen wir eine flächendeckende institutionelle Bereitstellung der notwendigen Leistungen an bzw. in den Orten, in denen die Kinder zumindest ab dem Erreichen der Schulpflicht definitiv sind und sein müssen, also den Schulen (und angesichts der faktischen Besuchsquoten, die wir bei den Kindern im Kindergartenalter mittlerweile fast überall haben, sollten wir die Kindertageseinrichtungen hier ebenfalls an erster Stelle nennen. Hier muss die möglichst optimale Versorgung und Förderung der Kinder organisiert und sichergestellt werden. Man gebe den Schulleitern ein ordentliches Budget für die Arbeit mit den Kindern, z.B. für die Organisation eines entsprechenden Nachhilfeunterrichts. Ich bin ganz sicher, 95% der Schulleiter würden das hervorragend hin bekommen. Und angesichts der Kosten, die nun mal mit der traditionellen Form des Musikschulunterrichts verbunden sind, muss man hierfür entweder die Mittel erheblich aufstocken und/oder aber man muss versuchen, möglichst viele dieser Leistungen an und in die Schulen zu bringen und die Angebote hier zu organisieren – übrigens ist das doch die einzige logische Möglichkeit, die andiskutierte Problematik der Nicht-Aktivität der Eltern zu umgehen im Interesse der Kinder. Alles andere läuft immer wieder darauf hinaus, die Kinder sich selbst bzw. ihren Familien zu überlassen, deren abweichendes Verhalten dann wortreich beklagt wird.
Quelle: Remagener Beiträge zur aktuellen Sozialpolitik 11-2011 [PDF – 394 KB]
Siehe dazu auch:
Bürokratie, ja bitte! Das Bildungspaket der Hartz-Reform
Quelle: Berlin direkt, ZDF, 30.01.2011
Ägypten: Doppelmoral der Europäer
- Bedeutendster Empfänger deutscher Waffen
Bundesaußenminister Guido Westerwelle erklärte, „der Weg zur Stabilität führt über die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte“. Erklärungen wie diese „wirken heuchlerisch angesichts der Tatsache, dass Deutschland zu den Hauptwaffenlieferanten der diktatorischen Machthaber in Ägypten zählt“, sagte Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.). Der Freiburger Rüstungsexperte wirft der Bundesregierung vor, dass sie 2009 gegenüber dem Vorjahr „mehr als eine Verdoppelung der Lieferungen von Waffen und Rüstungsgütern an Ägypten genehmigt“ habe. So sei der Genehmigungswert von 33,6 Millionen Euro (2008) auf 77,5 Millionen Euro (2009) „dramatisch gesteigert worden“.
„Die Einzelgenehmigungen für ‚Kleinwaffen’ sind aufgrund der hohen Opferzahlen besonders folgenschwer“, so Jürgen Grässlin. Die für ihre rücksichtslose Vorgehensweise bekannte ägyptische Polizei verfüge über Maschinenpistolen des Typs MP5, entwickelt von Heckler & Koch in Oberndorf. Allein im Jahr 2009 habe Ägypten weitere 884 Maschinenpistolen und Bestandteile im Wert von 866.037 Euro erhalten.
„Die Machthaber in Kairo erhielten Teile für Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, militärische Landfahrzeuge und Kommunikationsausrüstung“, erklärte Paul Russmann, Sprecher der Kampagne gegen Rüstungsexport bei Ohne Rüstung Leben (ORL). Insgesamt sei „Ägypten mittlerweile sogar das bedeutendste Empfängerland in der Liste der aus Deutschland belieferten Entwicklungsländer“.
Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) stufte Ägypten in ihrem Rüstungsexportbericht 2009 als „problematisches“ Empfängerland ein. Die dortige Menschenrechtssituation sei laut Bericht der beiden großen christlichen Kirchen „sehr schlecht“, die Gefahr der Unverträglichkeit von Rüstung und Entwicklung sei „groß“. „Angesichts der katastrophalen Menschenrechtslage hätte Ägypten unter Diktator Mubarak niemals Waffen aus Deutschland und anderen Ländern erhalten dürfen“, erklärte ORL-Sprecher Paul Russmann.
Quelle: Neue Rheinische Zeitung
Dazu auch:
- Nutznießer der Repression
Die Rebellion der ägyptischen Bevölkerung gegen das Regime unter Präsident Mubarak hält an. Gemeinsam mit den westlichen Finanziers der jahrzehntelangen Diktatur sucht Berlin seine Zuarbeit für die autoritären Eliten von Ägypten über Libyen bis nach Mauretanien vergessen zu machen und mahnt demokratische Rechte an. Zahlreiche der technischen Repressionsmittel, wie sie bereits in Tunesien eingesetzt worden waren, stammen aus der Bundesrepublik. Der deutsche Rüstungsexport nach Ägypten und in andere nordafrikanische Staaten hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen und erreichte 2009 einen Gesamtbetrag von 175 Millionen Euro, darunter eine Lieferung von Maschinenpistolen an Ägypten. Der ägyptische Geheimdienst, dessen zügellose Brutalität berüchtigt ist, erfreut sich enger Zusammenarbeit mit deutschen Partnerdiensten. In mindestens einem Fall wurde ein Gefangener der CIA von einem deutschen Flughafen nach Kairo geflogen, um Geständnisse zu erpressen, die unter rechtsstaatlichen Verhältnissen nicht zu erreichen waren. Die deutsche Finanzierung der Repression gilt auch den anschwellenden Armutsbewegungen, deren Zugang zu den EU-Staaten verstellt werden soll, während sich deutsche Unternehmen in Ägypten, Tunesien oder Marokko billiger Arbeitskräfte bedienen.
Seit dem Sturz des Regimes Zine el-Abidine Ben Ali in Tunesien müht sich Berlin, seine systematische Unterstützung für die autoritären nordafrikanischen Staaten vergessen zu machen. Auch in Ägypten müssten die “Bürgerrechte” geachtet werden, lässt der deutsche Außenminister verlauten. Man sei “sehr besorgt” und verlange dringend einen “Gewaltverzicht”. Identisch haben sich mittlerweile mehrere hochrangige Politiker sowie Mitarbeiter des Auswärtigen Amts geäußert und öffentlich den Eindruck zu erwecken versucht, sie hätten mit den bedrängten Regimes nichts zu schaffen. Tatsächlich ist – ganz wie im Falle Tunesiens – genau das Gegenteil der Fall: Berlin arbeitet seit Jahren auf die eine oder andere Weise mit den nordafrikanischen Diktaturen eng zusammen.
Quelle: German Foreign Policy
- Die Flucht aus Ägypten
Immer mehr Bürger der ägyptischen Oberschicht fliehen aus dem Land. Am Sonntag seien bis zum Beginn der Ausgangssperre erneut 45 Privatflugzeuge vom Flughafen Kairo gestartet, mit denen Unternehmer, Diplomaten und Künstler sowie ihre Familien ausflogen, verlautete aus der Flughafenverwaltung. Am Vortag waren 19 private Flüge gestartet. In einem Sonderterminal für nichtkommerzielle Flüge warteten am Sonntag weitere Gäste. In dem Terminal werden Passagiere abgefertigt, die mit Privatflugzeugen oder kleinen, privat gemieteten Chartermaschine starten.
Quelle: FR
Anmerkung WL: Die Oberschicht bringt ihr Scherflein und sich selbst ins Trockene. Sie werden wohl allen Grund dazu haben.
- Europas grenzenlose Doppelmoral
Nicht nur in Tunesien hat sich die EU lange zum Komplizen von Diktatoren gemacht. Das passt schlecht zu ihrem Selbstbild als Oberlehrer der Demokratie.
Wenn Europa in Menschenrechtsfragen überhaupt etwas erreichen will, müssen diese offenkundigen Widersprüche ein Ende finden. Es kann legitim sein, dass die EU ihr Handeln von Interessen wie einer verlässlichen Energieversorgung, sicheren Grenzen und Flüchtlingsabwehr leiten lässt. Nur müssen wir Europäer uns entscheiden: Entweder wir setzen diese Interessen absolut – dann sollten wir aufhören, uns in leeren Deklarationen als Oberlehrer der Demokratie und Menschenrechte aufzuspielen.
Quelle: FR
Gerhard Bosch: Kräftige Lohnerhöhungen notwendig
Mit den niedrigen Lohnerhöhungen der vergangenen Jahre sei nicht nur die Binnennachfrage in Deutschland ruiniert worden, “sondern wir haben die anderen Länder auch sehr unter Wettbewerbsdruck gesetzt und haben riesige Exportüberschüsse entwickelt. Und die anderen Länder sagen, das geht nicht so weiter, in Deutschland muss man mal etwas für die Löhne tun”, sagte der Professor für Arbeits- und Wirtschaftssoziologie an der Universität Duisburg-Essen (…)
6,7 Millionen Menschen in Deutschland, so Bosch, verdienten weniger als acht Euro in der Stunde, sehr viele von ihnen auch nur fünf Euro. “Wir haben mal ausgerechnet, wenn wir einen Mindestlohn einführen würden von 7,50 Euro, dann würden die Sozialkassen von heute auf morgen Beiträge zusätzlich bekommen in Höhe von 4,2 Milliarden Euro. Das würde so manche Finanzkrise der Krankenversicherung und der Rentenversicherung beseitigen”, sagte Bosch.
Quelle: Deutschlandradio Kultur (dort auch ein Podcast zur Sendung
Anmerkung WL: Ich teile die Meinung von Gerhard Bosch, dass kräftige Lohnerhöhungen notwendig sind, nicht ganz verstehe ich seine Aussage, dass die Wirtschaft „brumme“. Aber selbst wenn man die konjunkturelle Situation als labil betrachtet, wäre gerade in Deutschland die Erhöhung der Binnennachfrage, angesichts vorhersehbarer Einbußen beim Export, das Gebot der Stunde.
Dazu:
Tarifrunde 2011: Entgeltforderungen zwischen 5 und 7 Prozent
Die Tarifrunde 2011 kommt in Schwung. In den nächsten Tagen und Wochen beginnen die Lohn- und Gehaltsverhandlungen unter anderem im öffentlichen Dienst (Länder) und in der chemischen Industrie. Aktuell wird bereits bei der Deutschen Telekom, bei Volkswagen und im Steinkohlenbergbau verhandelt. Im März und April folgen das Bauhauptgewerbe, die Druckindustrie, das Versicherungsgewerbe sowie der Einzelhandel und der Groß- und Außenhandel. Die gewerkschaftlichen Tarifforderungen konzentrieren sich vorrangig auf Lohn- und Gehaltssteigerungen. Die tariflichen Entgelte sollen in den einzelnen Wirtschaftszweigen und Tarifbereichen um 5 bis 7 Prozent steigen (siehe auch die tabellarische Übersicht in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Das zeigt eine aktuelle Übersicht des WSI-Tarifarchivs in der Hans-Böckler-Stiftung. Zusätzliche Forderungen betreffen die Begrenzung der Leiharbeit (z.B. chemische Industrie), die Vereinbarung von Mindestlöhnen (Einzelhandel, Bauhauptgewerbe) und die Übernahme der Ausgebildeten (z.B. öffentlicher Dienst Länder, Versicherungsgewerbe.
Quelle: WSI Tarifarchiv [PDF – 35.9 KB]
Es gibt kein Beschäftigungswunder
Arbeitsmarkt: Ökonomen halten den Optimismus des Bundeswirtschaftsministers für übertrieben. Weder ist das Beschäftigungsvolumen gestiegen noch werden die Arbeitnehmer deutlich mehr Geld für den privaten Verbrauch übrig haben.
Das Beschäftigungswunder ist in Wahrheit keines, sagt der Ökonom Kooths. Entscheidend sei nicht die Zahl der Arbeitsplätze, sondern das Arbeitsvolumen, also die Zahl der pro Jahr geleisteten Arbeitsstunden. Und die liegt in Deutschland aktuell auf dem Niveau des Jahres 2000 und der Mitte der 90er-Jahre. Seinerzeit waren es rund 57,6 Mrd. Stunden. Kooths: „Damals hat niemand das deutsche Jobwunder ausgerufen.“ Die Ursache für die steigende Erwerbstätigkeit seien mehr Teilzeitarbeit und Mini-Jobs.
Die Bruttolöhne je Arbeitnehmer sollen, so der Jahreswirtschaftsbericht, in diesem Jahr um 2,1 % steigen, die Inflation soll bei 1,8 % liegen. Real würden dann die Löhne um 0,3 Prozentpunkte zulegen. Dennoch geht Brüderle davon aus, dass der Konsum um 1,6 % wachsen wird.
Anders als Brüderle geht Frank-Jürgen Weise, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, nicht davon aus, dass die Löhne steigen werden. In einem Interview mit Spiegel Online prognostiziert er jetzt, dass die Löhne „tendenziell“ geringer ausfallen würden. Weise: „Langfristig wird es sogar mehr Menschen geben, die einen Zusatzjob oder staatliche Zuschüsse brauchen.“
Diese Lohnzuschüsse aus Steuermitteln belaufen sich seit 2005 auf rund 50 Mrd. €, sagt der Verteilungsforscher Claus Schäfer vom gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut. Damit wurden die Einkommen von Niedriglöhnern auf das Niveau von Hartz IV aufgestockt.
Die Entwicklung bei den Löhnen und auf dem Arbeitsmarkt – Teilzeit und Minijobs – spiegelt sich in der Lohnquote, die den Anteil der Löhne am Volkseinkommen misst. Seit 1991 ist sie netto, nach Abzug von Steuern und Abgaben, von 48 % auf gut 39 % gesunken. Im gleichen Zeitraum ist die Netto-Gewinnquote von knapp 30 % auf 34 % gestiegen, wie Schäfer ermittelt hat.
Quelle: VDI Nachrichten
DGB: Arbeit – sicher und fair!
Der Deutsche Gewerkschaftsbund ruft unter dem Motto „Arbeit – sicher und fair“ zur Teilnahme an den bundesweiten gewerkschaftlichen Aktionen in den Betrieben und Verwaltungen am 24. Februar 2011 auf.
In dem Aufruf erneuert der DGB seine Kritik, dass die wirtschaftliche Erholung kaum sichere Arbeitsplätze schafft und stattdessen Leiharbeit, befristete Beschäftigung und unsichere Arbeit zunehmen.
Dazu erklärt Michael Sommer, DGB-Vorsitzender, am Dienstag in Berlin
„Fast eine Million Menschen sind inzwischen in der Leiharbeit beschäftigt. Ohne Eingreifen des Gesetzgebers wird die Leiharbeit ab dem 1. Mai 2011 noch stärker zu Lohndumping missbraucht, denn sie ist dann ohne Einschränkungen möglich. Wir wollen für alle Menschen Gute Arbeit – sicher und fair!
Die Gewerkschaften erwarten von der schwarz-gelben Bundesregierung, dass sie endlich im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer handelt.
Wir fordern:
- Gleicher Lohn für gleiche Arbeit in der Leiharbeit ab dem ersten Tag der Beschäftigung
- Einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, auf jeden Fall den Mindestlohn in der Leiharbeit nach Entsendegesetz
- Ein Verbot zum Einsatz von Leiharbeitnehmern in Betrieben, die bestreikt werden
- Kein Dauereinsatz von Leiharbeitnehmern in Betrieben und Verwaltungen
- Mehr Mitbestimmungsrechte der Personal- und Betriebsräte beim Einsatz von Leiharbeit
- Schluss mit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen
- Wirksame Bekämpfung der “Scheinselbstständigkeit.“
Quelle: DGB
Frank Bsirske: Lokale Demokratie, Bürgergesellschaft und Gewerkschaften
Die Erosion der kommunalen Finanzen hat sich in den letzten 10 Jahren verschärft. Durch die Steuerreformen von Rot- Grün- Schwarz und vor allem Gelb wurden den kommunalen Haushalten seit 1998 rund 30. Mrd. Euro entzogen. Zudem verloren auch die Länder, von deren Zuweisungen zu Zuschüssen die Kommunen in erheblichem Maße abhängig sind, Milliarden – allein durch den Verzicht auf die Vermögenssteuer, die Erbschaftssteuerreform und die Senkung der Unternehmenssteuern (…)
Mit der Abschaffung der Gewerbesteuer soll nun endgültig der letzten sicheren Einnahmebasis der Kommunen der Garaus gemacht werden. Über 34 Mrd. Euro betrug diese Steuer im Jahr 2008 und auch wenn im Krisenjahr 2009 diese Steuer rund 10 Mrd. weniger einbrachte, so erholt sie sich schnell und wird auch in Zukunft die erträgliche Einnahmequelle bleiben. Die Abschaffung der Gewerbesteuer wäre eine gigantische Steuersenkung für die Unternehmen.
Die Gewerbesteuer und der bisherige Anteil der Kommunen an der Einkommensteuer sollen durch einen eigenen kommunalen Hebesatz auf die Einkommens- und die Körperschaftssteuer ersetzt werden. Der Städtetag rechnet damit, dass damit auf der einen Seite im Jahre 2011 rund 28 Mrd. Gewerbesteuereinnahmen sowie 22 Mrd. aus dem kommunalen Anteil der Einkommensteuer weggefallen wären und nur 34 Mrd. Euro durch den kommunalen Hebesatz auf die Einkommens- und auf die Körperschaftssteuer eingenommen worden wären. Bliebe ein Saldo von 16 Mrd. Euro, den die Kommunen nicht verkraften könnten…
Als Teil der Kampagne „Gerecht geht anders“ hat ver.di ihre Rolle als Interessensvertretung der in den Kommunen bzw. der kommunalen Wirtschaft Beschäftigten erweitert um den Anspruch, Interessen aller Einwohner an einer guten und auch bezahlbaren Daseinsvorsorge und Daseinsfürsorge zu vertreten und damit die lokale Demokratie zu stärken.
Quelle: DGB Gegenblende
Skandinavische Arbeits- und Sozialpolitik
Sehr oft wird in Diskussionen über den vorsorgenden Sozialstaat in Deutschland auf die vorbildlichen skandinavischen Sozialstaaten verwiesen. In diesem Beitrag wird systematisch aufgezeigt, wie im Norden vorsorgende Sozialpolitik umgesetzt wird.
Die nordischen Sozialstaaten bieten umfassenden Schutz gegen soziale Risikolagen und investieren aktiv in lebenslanges Lernen. Die Integration in den Arbeitsmarkt möglichst aller Menschen zu humanen Bedingungen ist ein Aspekt vorsorgender Sozialstaatlichkeit, ein anderer die umfassend organisierten und qualitativ hochwertigen Dienstleistungen des Sozialstaates.
Die vorsorgende Sozialpolitik des Nordens ruht auf besonderen Institutionen und Traditionen. Sie ist in ein steuer- und fiskalpolitisches Regime eingebettet, in dem weitreichende Umverteilungen mit Prinzipen solider öffentlicher Haushaltsführung kombiniert werden.
Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung Internationale Politikanalyse [PDF – 853KB]
Ein-Euro-Jobs werden gekürzt
Den fünf Stuttgarter Sozialunternehmen und dem Jobcenter steht ein schwieriges Jahr bevor. Zwar hat der Gemeinderat entschieden, das Jobcenter künftig alleine, ohne die Arbeitsagentur zu führen. Nur: bis die Stadt den Zuschlag erhält und 2012 starten kann, hat die Arbeitsagentur im Jobcenter das Sagen. Und es zeigt sich: die Bundesagentur will bis dahin die Hilfen für Langzeitarbeitslose in der Landeshauptstadt neu ordnen, die bisherige Kooperation von Stadt und Sozialunternehmen ist dem Bund ein Dorn im Auge.
In diesem Jahr stehen zwei gravierende Veränderungen an: Das hiesige Jobcenter hat – wie andere auch – deutlich weniger Geld für Eingliederungsprojekte zur Verfügung, 25,3 statt 32,2 Millionen Euro. Das wirkt sich besonders auf die zum allergrößten Teil bei den Sozialunternehmen angesiedelten Ein-Euro-Jobs aus, die um ein Drittel gekürzt werden. Und von Mai an gilt ein neues Zulassungsverfahren für Arbeitshilfeprojekte, die Sozialunternehmen müssen diese nun neu beantragen, die bisherigen Leistungsvereinbarungen wurden gekündigt.
Quelle: Stuttgarter Zeitung
Anmerkung WL: Man kann und man muss die Ein-Euro-Jobs grundsätzlich als arbeitsmarktpolitisches Instrument in Frage stellen und es ist zu kritisieren, dass sich solche viele sog. Sozialunternehmen mit bis zu 500 Euro monatlich ein Geschäft machen. Dennoch ist es schlimm, dass mit solchen Sparmaßnahmen wieder einmal bei den Langzeitarbeitslosen gespart wird und zwar ohne eine Alternative für Eingliederungsmaßnahmen anzubieten.
Bemerkungen zur gegenwärtigen ökonomischen und politischen Lage auf dem Treffen der Bündnisplattform 10-Euro-Mindestlohn/500-Euro-Eckregelsatz
2010 stieg das BIP um 3,6 %, dem höchsten Wert seit der Wiedervereinigung. Brüderle redet von einem „Aufschwung wie im Bilderbuch“. Das Bilderbuch dieses sogenannten Marktradikalen kennt anscheindend nur einen restlos mit Staatsschulden finanzierten Ausweg aus einer Krise. Mehr dazu weiter unten. Die Börsenzeitung erklärt, damit habe „sich Deutschland 2010 aus der tiefsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg herauskatapultiert“ (13.01.2011). Tatsächlich ist jedoch nicht einmal der Einbruch des BIP von 4,7% im Jahr 2009 aufgeholt. Die Krise wäre erst
dann überwunden, wenn der Einbruch aufgeholt, wenn also der Vorkrisenstand erreicht wäre.
2008 erreichte die Industrieproduktion mit 115,0 den Höhepunkt des letzten Konjunkturzyklus, das Jahr 2005 als 100 gesetzt. In den ersten 11 Monaten des Jahres 2010 (die Zahlen von Dezember liegen noch nicht vor) stand die Industrieproduktion auf 104,7. Sie lag damit zwar um 11,4 % über dem Vorjahreszeitraum 2009 (94,1), aber um 9,1% unter dem Wert der ersten elf
Monate des Jahres 2008. (Monatsberichte Bundesbank) Von einem Aufschwung kann erst dann die Rede sein, wenn die Industrieproduktion die Folgen der Vernichtung der Überproduktion
überwunden hat, wenn sie also den Stand vor Beginn der Krise überstiegen hat. Den Tiefpunkt einer Krise überwunden zu haben, ist noch kein Aufschwung, sondern nur eine Belebung auf dem Boden der Krise, Die Belebung wird sich voraussichtlich noch eine Zeit lang fortsetzen. Sie kann in einen Aufschwung übergehen. Die Krise ist zur Zeit jedenfalls keineswegs vorbei.
Quelle: klartext-info [PDF – 107 KB]
Anmerkung WL: Auch wenn man die eine oder andere Schlussfolgerung nicht teilt, der Beitrag bietet viele Fakten, die in der Aufschwungeuphorie untergehen.
Bis zur echten Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern ist es noch ein weiter Weg
Sachverständigenkommission übergibt Gutachten zum Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung an das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
„Gleichstellung muss Ziel und Bestandteil moderner Innovationspolitik sein, denn sie bedeutet nicht nur Kosten, sondern birgt auch erhebliches wirtschaftliches Potenzial. Die Nutzung aller Talente und die Erwerbstätigkeit von Frauen macht unsere Gesellschaft leistungsfähiger und stabilisiert so das Sozial- und Steuersystem. Politik und Wirtschaft müssen die Rahmenbedingungen dafür setzen, dass Frauen und Männer ihre Potenziale gemäß ihrer unterschiedlichen Präferenzen und Möglichkeiten in einzelnen Lebensphasen auf dem Arbeitsmarkt einbringen können.“
Die Kommission fordert unter anderem, Minijobs abzuschaffen, die Situation von privat pflegenden Frauen und Männern zu verbessern und eine Geschlechterquote für Aufsichtsräte einzuführen.
Das Gutachten macht deutlich, welche Risiken durch Fehlanreize im Berufsleben insbesondere für Frauen bestehen. So führt die Subventionierung geringfügiger, nicht sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse für verheiratete Frauen im Falle einer Scheidung nicht selten zu eklatanten Mängeln bei den späteren beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten und in der sozialen Sicherung im Alter.
„Die gegenwärtige Minijobstrategie muss aus Perspektive der Geschlechtergleichstellung als desaströs bezeichnet werden“, so Prof. Dr. Ute Klammer.
Quelle 1: idw
Quelle 2: Kurzfassung des Gutachtens [PDF – 660 KB]
Beschäftigtendatenschutz
Die … Datenskandalfälle wären durch die Neuregelungen im RegE, Rechtstreue der Handelnden vorausgesetzt, nur partiell verhindert worden:
- Zur reinen Prävention sind zwar verdeckte Datenscreenings nur noch anonymisiert und pseudonymisiert möglich. Die Daten können aber im Verdachtsfall vom Arbeitgeber entschlüsselt werden. Der Bahn-Fall wäre also zulässig gewesen, wenn die Rasterfahndung im Betrieb zunächst anonymisiert durchgeführt worden wäre.
- Die Führung geheimer Krankenakten ist schon nach gegenwärtiger Rechtslage unzulässig (Lidl-Fall).
Aber selbst wenn alle Skandalfälle mit dem Entwurf entschärft werden könnten, bliebe er ein verfehlter Versuch, „Arbeitnehmer umfassend zu schützen“, auch wenn der Entwurf den Anspruch erhebt, nicht nur diese wenigen, wenn auch spektakulären, konkreten Fälle einer Lösung zuzuführen, sondern den Beschäftigtendatenschutz insgesamt zu regeln. Das gelingt nicht Insgesamt müssen Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz erkennen lassen, dass das verfassungsmäßig gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Beschäftigten der Leitgedanke der Gesetzgebung ist. Berechtigte Informationsinteressen des Arbeitgebers müssen daneben an klare, abgrenzbare und vorhersehbare Kriterien gebunden werden. Die pauschale Rechtfertigung von Informationsansprüchen mit dem undefinierten und daher nahezu beliebig ausdehnbaren Begriff der compliance verstößt gegen Art. 2 I 1 GG.
Quelle 1: Gutachten zum Regierungsentwurf zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes von Marita Körner [PDF – 71.9 KB]
Quelle 2: Zur Diskussion um den Beschäftigtendatenschutz in Labournet
Wege zur 100 % erneuerbaren Stromversorgung
“Nur eine 100 % erneuerbare Stromversorgung ist wirklich nachhaltig“, sagte Prof. Dr. Martin Faulstich, Vorsitzender des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU), anlässlich der Übergabe des Sondergutachtens an Bundesumweltminister Röttgen. „Diese ist langfristig realistisch und bezahlbar, wenn die Bundesregierung heute verlässliche Anreize für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, der notwendigen Speicher und der Netze setzt.“
Bereits im Mai 2010 hat der SRU auf der Basis von Szenarien unterschiedliche Möglichkeiten einer vollständig erneuerbaren Stromversorgung aufgezeigt. Der Übergang dorthin ist ohne eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke oder neue Kohlekraftwerke möglich. Das Sondergutachten macht nun Vorschläge zur Weiterentwicklung der politischen, ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen.
Quelle 1: idw
Quelle 2: Kurfassung des Sondergutachtens des Sachverständigenrats für Umweltfragen
Ethikrat legt Stellungnahme zur Bewertung von Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen vor
Der Ethikrat hält es für dringend erforderlich, Priorisierung, Rationalisierung und Rationierung im Gesundheitswesen offen zu thematisieren. Jede Form einer „verdeckten Rationierung“ medizinischer Leistungen ist abzulehnen. Notwendige Rationierungsentscheidungen dürfen nicht an den einzelnen Arzt oder die einzelne Pflegekraft delegiert werden. Dabei bedeutet das Sicheinlassen auf das Problem der Verteilung knapper Ressourcen im Gesundheitswesen keine Festlegung auf eine „Ökonomisierung“ von Entscheidungen. Eine sachliche Debatte erfordert vielmehr die Einbeziehung medizinischer, ökonomischer, ethischer und juristischer Expertise in ein transparentes Verfahren. Letztlich sind Entscheidungen über den Umfang solidarisch finanzierter Leistungen ethische Entscheidungen, die im gesellschaftlichen Diskurs und auf politischem Wege getroffen werden müssen.
Ausgangspunkt jeglicher Entscheidungen sind das Prinzip der Menschenwürde und die Grundrechte, die einen durch Rechte gesicherten Zugang jedes Bürgers zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung erfordern. Diese Rechte dürfen nicht hinter etwaige Erwägungen zur Steigerung des kollektiven Nutzens zurückgestellt werden. Auch darf der errechnete oder vermutete sozio-ökonomische „Wert“ von Individuen oder Gruppen nicht Grundlage von Verteilungsentscheidungen sein.
Davon ausgehend formuliert der Deutsche Ethikrat 12 Empfehlungen, die von den Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen bei der Gestaltung von gesetzlichen Regelungen beachtet werden sollten, um eine bestmögliche und gleichzeitig gerechte Verwendung der Mittel für das Gesundheitswesen zu erreichen.
Quelle 1: idw
Quelle 2: Stellungnahme des Ethikrates [PDF – 585 KB]
Bundesrechnungshof: Krankenkassen-Fusionen treiben die Kosten
Bisher ist die Bundesregierung davon ausgegangen, dass ein Zusammenschluss von Krankenkassen die Kosten senkt. Ein Gutachten des Bundesrechnungshofs spricht jedoch dagegen, wie FOCUS berichtet.
Der Zusammenschluss von gesetzlichen Krankenkassen bringt meist wirtschaftliche Nachteile. Das berichtet FOCUS unter Berufung auf ein Gutachten des Bundesrechnungshofs (BRH) für Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Die Rechnungsprüfer erschüttern damit einen Grundsatz aus Zeiten der großen Koalition, wonach 30 bis 50 Kassen in Deutschland völlig ausreichen sollten. Eine Fusionswelle folgte. Die Zahl der gesetzlichen Krankenkassen verringerte sich von 1367 im Jahre 1992 auf aktuell 148.
In dem Rechnungshofbericht heißt es, Fusionen bänden „erhebliche zeitliche und personelle Ressourcen“, führten „zu keinen deutlichen Synergieeffekten“ und seien „mit erheblichen, zum Teil dauerhaften zusätzlichen Aufwendungen verbunden“. Dem stünden „nur geringe Einsparungen gegenüber“.
Die Prüfer analysierten 32 Kassen-Fusionen. Häufig stiegen dabei den Prüfern zufolge die Netto-Verwaltungskosten durch zunehmende Reisekosten der Mitarbeiter, Abfindungen oder erhöhte Vergütungen für Kassenvorstände, teure Beraterhonorare sowie durch Fortbildungen. Fusionen seien „Kostentreiber“ und führten „nicht immer zu leistungsfähigeren Einheiten“.
Quelle: Focus Money Online
»S21«-Gegner wieder da
Mehr als 40000 Gegner des Bahnprojekts »Stuttgart 21« zählten die Veranstalter der erste Protestdemonstration nach der Winterpause am Samstag in Baden-Württembergs Landeshauptstadt. Neben dem bekannten Schlachtruf »Oben bleiben!« der Protestierer gegen den unterirdischen Bahnhof mehrten sich vor allem Warnungen an die Parteien hinsichtlich der anstehenden Landtagswahl Ende März. Mit Sprüchen wie »Wahltag ist Zahltag« drohten die Demonstranten auf Transparenten und Schildern mit der Abwahl der »S-21-Parteien«.
Die Veranstalter vom Aktionsbündnis waren erfreut über die Teilnehmerzahl, die die Polizei wie gewohnt runterrechnete – auf 13 000. »Wir sind extrem zufrieden – bei dieser Affenkälte. Es geht weiter«, betonte Organisator Rainer Benz. Nach dem »Schlichterspruch« von Heiner Geißler Ende November 2010 war das nicht unbedingt zu erwarten. Der ehemalige CDU-Generalsekretär, heute ATTAC-Mitglied, hatte vom Bahn-Konzern wenige Korrekturen und einen Stresstest gefordert, dem milliardenschweren Bauprojekt aber insgesamt zugestimmt. Die Widerstandsbewegung sei danach »frustriert und desillusioniert« gewesen, sagte etwa Regisseur und »S21«-Gegner Klaus Hemmerle am Samstag auf der Kundgebung. Doch der Winter des Missvergnügens neige sich dem Ende zu. »Wir sind immer noch hier, wir sind immer noch laut, und der Bahnhof ist noch lange nicht gebaut«, rief er unter lautem Beifall (…)
Nach der Großkundgebung in der Innenstadt machten sich zudem einige Demonstranten mit Plakaten auf den Weg zum Mercedes-Benz-Museum. Dort gastierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Festakt zum Jubiläum »125 Jahre Automobil«. Die »S21«-Gegner wollten die Gelegenheit nutzen und der Kanzlerin ihren Unmut nahezubringen. Merkel hatte erst am Vormittag bei einem Delegiertentreffen der Süd-West-CDU in Donaueschingen Stimmung für das milliardenschwere Bahnprojekt gemacht und den Grünen »Zukunftsverweigerung« vorgeworfen. »Wer nichts Neues wagt, der wird nicht gewinnen«. Die Grünen seien schon immer gegen Innovationen gewesen. »Wir wären nicht zum Videotext gekommen, geschweige denn zum Internet.« Mit ihrem Widerstand gegen das »Stuttgart 21« schadeten die Grünen Baden-Württemberg und ganz Deutschland, so die Kanzlerin.
Die »S21«-Gegner kündigten bis zur Landtagswahl zwei weitere Großdemonstrationen für den 19. Februar und 19. März an.
Quelle: junge Welt
Wie Gier die Finanzkrise auslöste
Es war eine vermeidbare Katastrophe. Das ergab die offizielle Untersuchung des US-Kongresses. Die Kommission sichtete Millionen von Dokumenten und verhörte mehr als 700 Zeugen. Ihr Bericht ist ein Zeugnis des Wahns.
Quelle 1: FTD
Quelle 2: FCIC
Anmerkung Orlando Pascheit: Die NachDenkSeiten haben bereits auf den Kommissionsbericht des US-Kongresses hingewiesen. Obiger Artikel bietet zurzeit die ausführlichste Übersicht, allerdings ist der Titel zu hinterfragen. Die Gier gehört zu den natürlichen Eigenschaften des Menschen, sie ist die Triebfeder des Kapitalismus. Genau davon spricht Adam Smith wenn er meint: “Nicht von dem Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen- sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil “. Unterscheiden sollte man von der Habgier, die nicht nur im Christentum als Todsünde gilt, sondern auch juristisch als “rücksichtsloses Streben nach Gewinn um jeden Preis” von Belang ist. In seiner Strafrechtsrelevanz macht Habgier als Tatbestandsmerkmal Tötung zu Mord. Gier als triebhafte Eigensucht war allerdings bisher in Regeln und Institutionen eingebunden und konnte sich erst durch eine immer weitergehende Deregulierung speziell der Finanzmärkte als hemmungslose Habgier entfalten. Davon erzählt der Bericht, allerdings dürften von ihm kaum politische Impulse ausgehen. Zum einen ist die Finanzmarktreform bereits im Sommer verabschiedet worden, zum anderen wird der Kommissionsbericht nur von den sechs Mitgliedern der Demokratischen Partei getragen. Die vier in dem Gremium vertretenen Republikaner lehnten den Bericht ab, das Dokument sei “weit links von etwas, das ich unterschreiben könnte”, sagte Douglas Holtz-Eakin, ein Republikanisches Mitglied der Kommission. Die republikanische Partei kann aber heute jeden Vorstoß, den die Regierung auf Basis des Berichts vornehmen wollte, im Repräsentantenhaus blockieren.
EnBW-Deal: Mappus soll vor dem Landtag gelogen haben
Stefan Mappus steht wegen des Rückkaufs von EnBW-Anteilen unter Druck: Der baden-württembergische Ministerpräsident hat nach SPIEGEL-Informationen vor dem Parlament nicht die Wahrheit über den umstrittenen Deal gesagt. Die Opposition strengte bereits eine Verfassungsklage an.
Quelle: Spiegel Online
Fritz Stern: Fortschritt hat Nebenwirkungen
“Amerika muss sich die Vorbildrolle erst wieder erarbeiten”: Der Historiker Fritz Stern über Chinas Aufstieg, die Schwächen der USA und sein Vertrauen in Europa:
“In den jüngsten Tagen ist die Zustimmung zu Obama nach seiner Rede zu den Schüssen in Tucson freilich erstaunlich gewachsen. Und seine Rede zur Lage der Nation war ungeheuer geschickt und listig. Seine Wahl war ein wichtiger Wendepunkt. Aber auch hier scheue ich das Wort Fortschritt. Die Wahl eines schwarzen Präsidenten, dazu eines so sympathischen Menschen, war ein großartiger Moment. Nur wenige haben damals gesehen, dass dies für viele Amerikaner noch immer ein Schlag ins Gesicht war und der Rassismus dadurch anstieg. Da ich aus einer Familie von Medizinern komme: Wir haben Riesenfortschritte in der Behandlung von Kranken dank neuer Medikamente erlebt. Viele haben aber Nebenwirkungen, manchmal sogar gefährliche. Fortschritt hat Nebenwirkungen. (…) Wenn ich nachts Albträume habe, denke ich an die dreißiger Jahre. Die demokratischen Kräfte waren damals schwach und das Führungspersonal bedauernswert. Beim Blick auf Silvio Berlusconi, Nicolas Sarkozy, Wladimir Putin denkt man auch nicht gerade an Leistung und Befähigung. Guido Westerwelle macht es den Deutschen nicht leicht und schwächt Angela Merkel. Wo sind ihre Stützen, im Land und außerhalb? Sie war in der vorigen Koalition glücklicher. Ich sehe heute keine hochrangigen Köpfe wie in der deutschen Nachkriegszeit. Eines ist freilich nicht so schlimm wie in den USA. Hier interessieren sich die Studienabgänger kaum noch für die „Res Publica“. Sie wollen in der Finanzwelt reich werden. Im 19. Jahrhundert haben große Dichter vor der unverantwortlichen Macht des Geldes gewarnt. Alexis de Toqueville hat Amerika 1832 in seinen Briefen von dort mit Sympathie beschrieben, aber schon damals die Gefahr des Materialismus erkannt. Die schlimmsten Befürchtungen von damals sind heute weit übertroffen.”
Quelle: Tagesspiegel
Vortragshonorare: Wie viel kostet ein Abgeordneter?
Abgeordnete sind nicht billig. Wieviel genau sie pro Vortrag bei einem Unternehmen, auf einer Messe oder vor Verbandsvertretern erhalten, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Doch immerhin lässt sich ein grober Preiskatalog erstellen, wenn man sich die Nebeneinkünfte aus dem Jahr 2010 genauer anschaut (…)
Top-Verdiener sind Politiker aus der allerersten Reihe. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi kassierte 2010 für einen Vortrag, den die Redneragentur CSA Celebrity Speakers vermittelte, “Stufe 3″. “Stufe 3″ ist die problematischte aller Angaben bei Nebeneinkünften. Denn durch sie wird verschleiert, ob ein Abgeordneter 10.000 oder 100.000 Euro kassierte. Gesichert ist allein, dass das Honorar über 7.000 Euro lag.
Einsamer Spitzenreiter bei “Stufe 3″-Vorträgen ist der frühere Finanzminister Peer Steinbrück: Im vergangenen Jahr hielt er insgesamt 26 Reden dieser Kategorie (mehr…).
Die genauen Honorare der Top-Redner werden öffentlich nicht bekannt. Ein Rednervermittler, dessen Agentur selbst zahlreiche Spitzenpolitiker im Portfolio hat, nannte auf Anfrage zwar eine konkrete Summe, allerdings nur unter der Bedingung von absoluter Diskretion. Zu groß ist die Sorge vor negativen Schlagzeilen über das üppige Zubrot mancher Politiker.
Quelle: Abgeordnetenwatch
Die NATO und Russland – Durchbruch an Sankt Nimmerlein?
Der NATO-Gipfel in Lissabon vom November vergangenen Jahres hatte eine doppelte Zielstellung: Verabschiedung einer neuen Paktstrategie und Einleitung einer neuen Ära in den Beziehungen zu Russland. Dabei lag auf der Hand, dass die Aussichten auf eine nachhaltige Verbesserung des Verhältnisses zu Russland nicht unwesentlich davon abhängen würden, was das Neue Strategische Konzept (NSK) dazu an Substanz zu bieten haben würde.
Jetzt also der Durchbruch in Lissabon? Der Blick auf die Substanz fällt, um es vorwegzunehmen, mehr als ernüchternd aus. Zwar wird im NSK recht apodiktisch die Feststellung getroffen, dass „die NATO für Russland keine Bedrohung darstellt“. Ob Moskau diese Sicht allerdings teilt, muss sich erst noch zeigen? Auf die Pläne der Bush-Administration jedenfalls, Raketenabwehrsysteme in Polen und Tschechien zu dislozieren, hatte man noch ziemlich allergisch reagiert. Und erst Anfang 2010 hatte die NATO im Geheimen ihre militärischen Eventualfallplanungen zur Verteidigung Polens auf die Baltischen Republiken ausgeweitet, wie Otfried Nassauer, der Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit, aus Veröffentlichungen von Wikileaks herausgefiltert hat. Das scheint Moskau zwar bisher gelassener zu nehmen, doch ist das NATO-Verhalten auch in diesem Fall kaum geeignet, Bedrohungsperzeptionen auf der anderen Seite weiter abzubauen.
Fazit: Das Projekt einer europaweiten Raketenabwehr birgt eher das Potenzial in sich, die Gegnerschaft zwischen NATO und Russland neu und nachhaltig zu beleben, als sie endgültig zu überwinden. Da könnte durchaus der Geist von Lord Ismay, des ersten NATO-Generalsekrretärs, Pate gestanden haben, der bereits vor mehr als 60 Jahren eines der Grundziele der NATO auf den Punkt gebracht hatte: „to keep … the Russians out“.
Vor diesem Hintergrund ist es um so bedauerlicher, dass die NATO sich einmal mehr als unfähig oder unwillig erwiesen hat, einen wirklichen strategischen Paradigmenwechsel im Verhältnis zu Russland zu vollziehen.
Quelle: Das Blättchen
Fatal Transactions kritisiert europäische Strategie zur Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen
Heute plante die Europäische Kommission eine Mitteilung „Rohstoffinitiative– Strategie in die Praxis umsetzen“ zu veröffentlichen, die Herausforderungen des zukünftigen Zugangs zu Mineralien und Rohstoffen für die europäische Industrie behandeln sollte. Die Veröffentlichung des Papiers ist wegen Unstimmigkeiten zwischen EU-Mitgliedsländern überraschend verschoben worden. Die internationale Kampagne Fatal Transactions appelliert an die EU-Kommission eine Strategie zu entwickeln, die nicht zu Lasten der sozioökonomischen Entwicklung der Rohstoff exportierenden Staaten in Afrika geht.
Afrika ist reich an natürlichen Ressourcen; die Vorkommen von Bodenschätzen sind schier unermesslich. Dennoch befürchtet Fatal Transactions, dass die erste Säule der Rohstoffinitiative die Fähigkeit Afrikas, seinen natürlichen Reichtum als Motor für Wachstum und Entwicklung zu nutzen, einschränkt. Die Strategie zielt darauf ab, alle Exportquoten, die es Afrika ermöglichten eine heimische Industrie zur Verarbeitung der geförderten Rohstoffe aufzubauen, zu verbieten. Auch setzt sie afrikanische Regierungen unter Druck, ihre Ausfuhrsteuern zu senken, weshalb sie dringend benötigte Milliardenbeträge als Erlöse verlieren würden. Dies würde afrikanische Länder daran hindern, die von ihnen selbst bestimmten Entwicklungsmaßnahmen durchzuführen. Ein solcher Vorgang würde jedoch den entwicklungspolitischen Zielen der Kommission selbst widersprechen.
Quelle: idw
Soziales Banditentum in Afrika: Robin Hood in Afrika
Piraten, Schmuggler, korrupte Magnaten und andere «soziale Banditen» tragen in Afrika viel zur regionalen wirtschaftlichen Entwicklung und Unterstützung der Bedürftigen bei, während staatliche Strukturen und Entwicklungsprogramme dabei oft versagen. Drei Beispiele.
Quelle: WOZ
Italien – Der Index der Lega Nord
In der italienischen Region Venetien sollen Bücher kritischer Autoren aus Bibliotheken entfernt werden. Vielleicht ist es an der Zeit, dass sich das Ausland Sorgen macht um die Bürgerrechte in Italien. Im Hintergrund steht der Fall des Linksterroristen Cesare Battisti. Der wurde 1991 in Abwesenheit des vierfachen Mordes – die Morde soll er im Auftrag der Terrorgruppe PAC (“Bewaffnete Proletarier für den Kommunismus”) begangen haben – für schuldig befunden und endgültig zu mehrfach lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt. Er wurde dann im Jahr 2004 festgenommen und nach Italien ausgeliefert, konnte aber fliehen und sich nach Brasilien absetzen. Als eine seiner letzten Amtshandlungen lehnte vor ein paar Wochen Präsident Luiz Inàcio Lula in letzter Instanz die Auslieferung des heute 56-jährigen Battisti ab, was in Teilen der italienischen Öffentlichkeit Empörung auslöste.
Italienische und französische Intellektuelle wie Daniel Pennac, Giorgio Agamben, Tiziano Scarpa oder das Schriftsteller-Kollektiv Wu Ming hatten bereits im Jahr 2004 einen Aufruf veröffentlicht, in dem sie sich gegen die Auslieferung Battistis von Frankreich nach Italien aussprachen, zumal er nur aufgrund von Aussagen reuiger Ex-Terroristen und Mitarbeiter der Justizbehörden verurteilt worden sei. Zugleich und vor allem forderten sie eine öffentliche Auseinandersetzung über die Zeit des linken wie rechten Terrors in Italien.
In der vergangenen Woche nun kündigte der Kulturassessor des rechtsregierten Landkreises Venedig an, dass Bücher der Unterzeichner des Aufrufs von 2004 aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt werden sollten. Zugleich erhob sich Protest von Schriftstellern wie Andrea Camilleri, Carlo Lucarelli oder Michaela Murgia, die zwar nicht mit Battisti sympathisieren wollten, aber das “kulturell fehlgeleitete Klima” anklagten, in dem solche Vorschläge überhaupt wachsen konnten. Vorgestern nun griff die für das Kulturressort verantwortliche Politikerin der ebenfalls rechtsregierten Regionalregierung Venetiens in die Debatte ein, und verlangte in einem Brief an alle Schuldirektoren der Region, Bücher der Autoren des Aufrufs von 2004 aus den Schulbibliotheken zu entfernen – und die Bücher der Autoren des Protests dieser Tage gleich dazu. Bereits in den Vorwochen hatten einige von der Lega regierten Städte im Veneto Bücher etwa von Roberto Saviano auf den Index gesetzt, weil Saviano während einer Sendung des öffentlichen Fernsehens Verwicklungen auch von Vertretern der Lega Nord in Mafiageschäfte denunziert hatte.
Quelle: SZ
Stellungnahme der TU Berlin zu den Äußerungen von Dr. Thilo Sarrazin
In einer großen Boulevardzeitung wird Herr Sarrazin unter anderem mit folgenden Aussagen zitiert: „Diese Linksfaschisten verhindern die freie Meinungsäußerung an einer deutschen Universität.“ und „Es ist auch eine Analogie zum Auftreten von Studenten in SA-Uniform, die Anfang der 30er-Jahre vor der Machtergreifung der Nazis Andersdenkende niederbrüllten.“
„Über diese Zitate von Herrn Sarrazin sind wir erschüttert. Derartige politische Einordnungen können wir nicht stehen lassen und verwahren uns entschieden dagegen. Wir fordern Herrn Sarrazin auf, solche Vergleiche zu unterlassen“, so TU-Präsident Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach.
Zum Hintergrund: Ein Wissenschaftler der TU Berlin hatte Ende vergangener Woche den Gastvortrag von Herrn Sarrazin in einem Seminar der Fakultät VII Wirtschaft und Management abgesagt, da eine ordnungsgemäße Durchführung nicht absehbar war. „Als Universitätsleitung stehen wir zu der Entscheidung der Fakultät und sprechen uns mit allen Mitteln gegen die politische Diffamierungen unserer Universität und unserer Studierenden durch Herrn Sarrazin aus“, so TU-Präsident Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach.
Quelle: idw
Bafög-Rückzahlung wird teurer
Bei der Rückzahlung von Bafög spielen die Leistungen der Studenten in Zukunft keine Rolle mehr. Das bestätigte das Bundesbildungsministerium in einem Schreiben an den SPD-Bundestagsabgeordneten Klaus Hagemann, so der Berliner „Tagesspiegel”. Wer nach dem 31. Dezember 2012 sein Studium erfolgreich beendet, bekommt demnach keinen Nachlass mehr für gute Leistungen und einen vorzeitigen Abschluss. Diese Neuregelung ist im Paragraf 18 des im Oktober geänderten Bafög-Gesetzes enthalten, blieb aber bislang von der Öffentlichkeit unbemerkt. Bisher erhalten die 30 Prozent Besten eines Abschlussjahrgangs einen Nachlass von bis zu 25 Prozent auf ihre Rückzahlungen. Wer seine Ausbildung vier Monate vor Ende der Förderungshöchstdauer beendet, erhält bislang einen Nachlass von 2650 Euro. Betroffen seien davon mehr als 12 000 Absolventen pro Jahr. Damit nehme Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) „mehr Studierenden Leistungsanreize, als sie mit dem groß angekündigten ‘Deutschlandstipendium’ geben möchte”, kritisierte Hagemann.
Quelle: Bild.de
Interessante Dokumente zu Hochschule und Gesellschaft
Quelle: Hochschule und Gesellschaft [PDF – 352 KB]
Chinesische Schüler: Auswendiglernen sehr gut, Phantasie ungenügend
In einer Studie in 21 Ländern, die im November in China für Aufsehen sorgte, waren chinesische Schüler mit ihrer Phantasie das Schlusslicht. In Kreativität kamen sie nur auf den fünftletzten Platz. “Die Ergebnisse sind schockierend”, mahnte die “China Daily” zum Umdenken. Die Kinder hätten kaum die Chance, ihre Vorstellungskraft zu nutzen.
“Direkt vom ersten Schultag an werden sie in eine Kultur von Prüfungen und noch mal Prüfungen gedrängt.” Um zu bestehen, müssten sie nur Standard-Antworten auswendig lernen. “Lehrer trauen sich nicht, die Schüler zu ermutigen, mit ihren Gedanken aus dem Rahmen zu fallen”, bemängelte das Blatt. “Lehrer mögen keine Schüler, die sie in Frage stellen, und ersticken die Neugier der jungen Geister.”
Quelle: Spiegel Online
Rezension: Joseph Vogl „Gespenst des Kapitals“
Aus dem Überraschungsraum: Joseph Vogls großartiger Essay über das „Gespenst des Kapitals“.
Joseph Vogls Essay „Das Gespenst des Kapitals“ unternimmt nichts Geringeres, als diesen Glauben an die Alternativlosigkeit kapitalistischen Wirtschaftens eingehender zu untersuchen und, so viel vorweg, nachhaltig zu erschüttern. Dabei hat sich der Berliner Literaturwissenschaftler vor allem ökonomische Texte vorgenommen, die er nun mit seinen, eben literatur- und kulturwissenschaftlichen Mitteln interpretiert. Das hat vor allem den Reiz, den bei Ökonomen durchaus verbreiteten Kurzschluss zu vermeiden, eine nach Maßgabe ökonomischer Theorien modellierte Wirklichkeit mit einer weiteren Theorie zu beschrieben, die sich auch nur wieder einem ökonomischen Modell verdankt (…)
Ökonomie war einst eine stolze und große Wissenschaft. Von Adam Smith über Karl Marx bis zu John Maynard Keynes wurde hier das gesellschaftliche Ganze bedacht. Heute treten Ökonomen als Verkünder schlechter Nachrichtern auf: Gürtel enger schnallen, weniger Netto vom Brutto, höhere Abgaben… Und der wirtschaftsliberalen FDP ist es tatsächlich gelungen, die Ökonomie auf ein einziges, systematisch nicht einmal zentrales Thema herunterzukochen: Steuererleichterungen. Ein zweifelhaftes Verdienst, denn wer heute von Wirtschaft spricht, meint eigentlich nur noch: Geiz ist geil. Das darf das letzte Wort nicht sein.
Quelle: FR