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- Politische Erklärung zur heutigen Abstimmung im Bundestag
Von Sahra Wagenknecht, Sevim Dagdelen, Sören Pellmann, Andrej Hunko, Zaklin Nastic, Klaus Ernst, Christian Leye
Der militärische Großangriff Russlands auf die Ukraine ist ein völkerrechtswidriger Krieg, den wir unmissverständlich verurteilen. Der Einmarsch in ein anderes Land ist durch nichts zu rechtfertigen, weder durch den Verweis auf eigene Sicherheitsinteressen noch durch ebenfalls völkerrechtswidrige Handlungen der NATO. Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand und einen Rückzug der russischen Truppen.
Der Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zur Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur aktuellen Lage ist absolut ungeeignet, zu einem Ende des Blutvergiessens beizutragen. Die Bundesregierung erhält damit Generalermächtigung für Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine, die Entsendung deutscher Truppen an die russische Grenze und Sanktionen, die vor allem die Bevölkerung in Russland aber auch in die Bevölkerungen in Europa treffen werden.
Der Antrag der Bundesregierung bedeutet den Beginn einer erneuten massiven Aufrüstung und er begründet die Strategie der Abschreckung mit Atomwaffen der NATO in Europa. Der Antrag geht davon aus, dass Sanktionen, die die Bevölkerung treffen, friedensbefördernde Schritte sind. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, das Gegenteil ist der Fall.
Quelle: 27. Februar 2022, Politische Erklärung zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP mit der Drucksache 20/846 zur Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur aktuellen Lage
dazu auch: Eine kriegspolitische Antwort
Die politische Auseinandersetzung wird sich auf Jahre hinaus nicht um Abrüstungs-, sondern um Hochrüstungsziele drehen. Jetzt rächen sich bitter die Versäumnisse in der Politik des Westens: dass eben nicht konsequent genug versucht wurde, die Kooperation mit Russland zu suchen. Dass nach Jelzins schwachem, unterwürfigem Russland der Wandel zu Putins selbstbewusstem Russland nicht ernst genommen wurde. Dass eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur nicht einmal halbherzig angestrebt wurde.
Deutschland steht vor einem Umbruch, und die bange Frage lautet, wie stark das Bewusstsein der deutschen Verantwortung noch ist, die aus unserer Tätergeschichte erwächst. CDU-Chef Friedrich Merz, der spontan eine ganz große Rüstungskoalition anbot – und der gebraucht wird, wenn Scholz tatsächlich einen 100-Milliarden-Rüstungsfonds ins Grundgesetz schreiben will -, stellt schon forsch die Bedingung, faktisch mitzuregieren. Aufrüstung als Verfassungsziel – auch das Grundgesetz wird dann ein anderes sein.
Es ist wie bei Hartz IV: Die Gesellschaft ist in ihren Grundfesten erschüttert – damals sozialpolitisch, heute sicherheitspolitisch, und ein SPD-Kanzler steht zusammen mit den Grünen bereit, um alle lang gehegten Träume der Konservativen zu erfüllen. Merz verwahrte sich schon dagegen, das Thema Bundeswehr zum Gegenstand parteipolitischen Streits zu machen. Keine Parteien mehr zu kennen, sondern nur noch Deutsche – woher kommt einem das gleich bekannt vor?
Quelle: nd
- Legendenbildung vor Geldregen: Arme, klamme Bundeswehr?
Zeitenwende im Rüstungshaushalt: Das Militär war nie so unterfinanziert, wie es sich in den letzten Jahren darstellte
Von einer “Zeitenwende” sprach Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung zum Ukraine-Krieg am 27. Februar 2022. Und in der Tat übersteigt das, was er darin angekündigt hat, alles, was bis kürzlich auch nur ansatzweise für möglich gehalten worden wäre. Der russische Angriff auf die Ukraine ebnet so auch den Weg für eine beispiellose Militarisierung Deutschlands, die eine Reihe von Bereichen betrifft, besonders aber die Rüstungsausgaben.
Chronisch unterfinanziert?
Dem angesichts der aktuellen Eskalation häufig und bewusst erweckten Eindruck, die Bundeswehr sei in den letzten Jahren und Jahrzehnten systematisch kaputtgespart worden, muss entschieden widersprochen werden. Seit der Eskalation um das Assoziationsabkommen der EU mit der Ukraine stieg das Budget der Bundeswehr von 32,5 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf 46,9 Milliarden im Jahr 2021 steil an – und das sind nur die offiziellen Zahlen, hinter denen sich noch einmal etliche Milliarden versteckte Militärausgaben verbergen (siehe IMI-Standpunkt 2019/058).
Wenn die Truppe nun etwa in Person von Heeresinspekteur Alfons Mais argumentiert, sie stehe “blank” da, so ist das nicht auf eine mangelnde Finanzierung, sondern auf chronisch verschwenderische Strukturen zurückzuführen.
Quelle: Telepolis
dazu: Scholz entfacht Kursfeuerwerk bei Rüstungsaktien
Solche Kurssprünge gibt es selten bei den Aktien großer Industriekonzerne: Infolge der Ankündigung von Bundeskanzler Scholz, 100 Milliarden Euro zusätzlich für die Rüstung auszugeben, verdoppelt sich der Kurs mancher Waffenlieferanten zeitweise. Nicht nur aus Deutschland winken Milliardenaufträge.
An den Börsen weltweit gehen die Kurse angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine, aber auch infolge der scharfen Sanktionen des Westens nach unten. Eine Branche sticht allerdings mit geradezu fabelhaften Kurssprüngen heraus: die Rüstungsindustrie. Im Frühhandel stieg der Kurs des deutschen Rüstungselektronik-Konzerns Hensoldt um sagenhafte 100 Prozent. Panzerbauer Rheinmetall verzeichnete ein Plus von 50 Prozent. Später kamen die Kurse deutlich zurück. Hensoldt lag am frühen Nachmittag aber immer noch 60 Prozent, Rheinmetall 24 Prozent im Plus. Auch die Thyssenkrupp-Aktien legten knapp 9 Prozent zu.
Quelle: n-tv
dazu auch: Festtage für die Rüstungsindustrie
Der Krieg in der Ukraine und das 100 Milliarden Euro schwere Aufrüstungsprogramm der rot-grün-gelben Bundesregierung verschaffen deutschen Waffenschmieden einen beispiellosen Höhenflug. Aktienkurse einer ganzen Reihe deutscher Rüstungskonzerne schnellten zu Wochenbeginn um weit mehr als 50 Prozent in die Höhe; nach einem „Dringlichkeitsgespräch“ am Montag im Verteidigungsministerium werden bald erste Aufträge erwartet. Rheinmetall, Deutschlands größter Rüstungskonzern, hat ein Angebot für Lieferungen im Wert von 42 Milliarden Euro binnen zwei Jahren vorgelegt. Der Umsatz der Rheinmetall-Rüstungssparte hatte 2020 noch bei 3,7 Milliarden Euro gelegen; nun wird eine Umstellung auf Schichtbetrieb in Aussicht gestellt. Beobachter sagen voraus, das Aufrüstungsprogramm werde die gesamte deutsche Unternehmenslandschaft „dramatisch umgestalten“ und die Bedeutung der Rüstungsbranche massiv stärken. Finanzminister Christian Lindner erklärt, Deutschland solle eine der „schlagkräftigsten Armeen in Europa“ erhalten. Ergänzt wird der Militarisierungsplan durch Forderungen, die Wehr- oder eine allgemeine Dienstpflicht einzuführen.
Quelle: German Foreign Policy
und: Gigantisches Rüstungspaket von Olaf Scholz ist gefährlicher Irrweg
Am Sonntag sagte Bundeskanzler Olaf Scholz im Deutschen Bundestag, dass die Bundeswehr mit einem Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro ausgestattet und der Wehretat künftig mehr als zwei Prozent des Bruttosozialprodukts betragen werde. Diese Marke war bislang nie erreicht worden. Was taten die Abgeordneten? Sie erhoben sich von ihren Stühlen und klatschten lange Beifall. Ja, die Worte des Kanzlers gingen im Applaus unter. Es war gespenstisch. Die deutschen Parlamentarier feierten die größte Aufrüstung, die es in der deutschen Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg je gegeben hat. Schweigen und stiller Ernst wären angemessen gewesen. Stattdessen war es, als habe der Bundestag an diesem Tag im Februar sein Augusterlebnis. Die Abgeordneten bewilligten im Reichstagsgebäude die 100 Milliarden so, wie ihre Vorgänger im Sommer 1914 die Kriegskredite bewilligt hatten: begeistert und mit gutem Gewissen.
Quelle: Jakob Augstein in der Freitag
- Gegen den Krieg sein ist klar. Aber wofür sein?
Sich für den Frieden einsetzen heißt, sich für den Dialog einsetzen. Trotz und insbesondere dann, wenn ein Krieg wütet. Darauf machte selbst der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Ischinger, gerade wieder aufmerksam. Es ist immer besser, wenn Menschen miteinander reden als wenn sie aufeinander schießen. Forderungen nach größtmöglicher Bestrafung oder Vergeltung sind deswegen für diejenigen, die jetzt für den Frieden demonstrieren, fehl am Platz. Dies gilt auch dann, wenn man den russischen Präsidenten Putin aus absolut nachvollziehbaren Gründen nicht leiden kann. Es ist verständlich, dass viele denken “wir müssen doch irgendwas tun, um Putin zu stoppen”. Aber es kommt eben genau darauf an, was getan wird und was es bewirken wird. […]
Als ich am Sonntag hier in Berlin zu der großen Friedensdemonstration ging, dann demonstriere ich voller Überzeugung gegen den Krieg Russlands in die Ukraine. Ich demonstrierte – auch wenn die Ukraine das Opfer der russischen Aggression ist – nicht bedingungslos für die ukrainischen Politiker und ihre Positionen. Nur weil jemand angegriffen wird, ist nicht alles, was er/sie sagt, tut oder getan hat automatisch richtig. Dies zu unterscheiden ist wichtig. Als 2003 in Deutschland hunderttausende Menschen gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Amerikaner und Briten auf den Irak demonstrierten, taten sie das nicht, weil sie uneingeschränkt für Saddam Hussein waren. Sie sprachen sich einfach gegen den Krieg aus. Ein Krieg, der übrigens etwa 655.000 Menschen das Leben kostete.
Quelle: der Freitag
dazu: Schon wieder 1914
Ob die europäische Welt am Rande des nächsten Untergangs steht oder ob dieser schon eingetreten ist, scheint noch streitig zu sein. Eigentlich hatten wir dafür ja gerade keine Zeit. Aber so schnell kann’s gehen! […]
Nun hört der Defaitist in mir den Chor der Willigen rufen: Keine Relativierung bitte! Gegenfrage: Warum nicht? Nehmen Sie, liebe Leser, eine beliebige Auswahl der deutschen Kampfesreden aus den vergangenen vier Tagen, und setzen Sie für jedes »Putin« einmal »China« oder »Saudi-Arabien« oder »USA« ein, für jedesmal »Ukraine« wahlweise »Uiguren«, »Jemen« oder »Irak«. Ein Mensch, der einen Angriffskrieg beginnt, darf nicht mehr Mitglied der Völkergemeinschaft sein? Die Wertegemeinschaft der Welt kann es nicht ertragen, dass »Unschuldige« unter Unterdrückung, Gewalt und Eroberung leiden? Da lachen ja die Hühner, sagt die Weltgemeinschaft seit 80 Jahren. Im neuen Deutschland 2022 werden die ersten Vaterlandsverräter und pflichtvergessenen Defaitisten ausgespäht.
Quelle: Gastbeitrag von Thomas Fischer in DER SPIEGEL
Anmerkung unseres Lesers M.B.: Ein typischer Fischer-Blickwickel auf die Scheinheiligkeit des “Werte-Westens”.
dazu auch: #DestabilizeTheWorld
„Es ist keine Ukraine-Krise, es ist eine Russland-Krise“, sagte Annalena Baerbock wenige Tage vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Genau diese Haltung des Westens hat zur Eskalation beigetragen. […]
Es liegt eine zynische Wahrheit in dem, was der syrische Diktator Baschar al-Assad am Tag der Invasion sagte: „Was heute geschieht, ist eine Korrektur der Geschichte und eine Wiederherstellung des Gleichgewichts, das in der Welt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verloren gegangen war.“
In der Tat erleben wir die bedrohlichen Geburtswehen einer neuen Weltordnung, die an Häufigkeit und Intensität zunehmen. Die Machtverhältnisse verschieben sich. Nicht nur Putin führt dem Westen seine Schwäche vor Augen. Es ist, wie Bundeskanzler Olaf Scholz sagt, eine „Zeitenwende“.
Was Scholz nicht sagt: Der Krieg reiht sich nahtlos ein in ein strukturelles Versagen westlicher Außenpolitik seit 1990, das die Welt im Gefolge der Siegestrunkenheit vom „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) und dem Glauben an das unaufhaltsame Vordringen des Modells der liberalen Demokratie sukzessive destabilisiert hat. Angefangen in Jugoslawien zieht der Interventionismus unter dem Deckmantel von Demokratie und Menschenrechten sowie unter regelmäßigen Bruch des Völkerrechts eine Brandspur von failed states hinter sich her: Irak, Libyen, Syrien, Afghanistan – die Zeitenwende von der Scholz spricht, hat auch der Westen herbeigebombt.
Quelle: Makroskop
und: Russland, die Ukraine und wie weiter?
Aktuell sind wir Zeugen einer Entwicklung, die man kaum vorhersehen konnte. Nach der völkerrechtwidrigen Intervention der NATO im Kosovo 1999 sind wir erneut Zeuge eines flagranten Bruchs des Völkerrechts auf europäischem Territorium. Diesmal ist es Russland, das die Regeln der UN-Charta verletzt. Diesmal geht es um die Ukraine.
So richtig und verständlich alle Empörung, Betroffenheit, aber auch mitschwingende Ängste, was wohl die Zukunft bringen mag, darüber sind, so falsch und verheerend ist es, dem heißen Herzen zu folgen und Politikentscheidungen zu treffen, die so weitreichend sind, dass niemand mehr ihre Folgen kalkulieren kann. Wie im Twittermodus hat der deutsche Bundeskanzler die deutsche Außenpolitik gegenüber Russland auf den Kopf gestellt. Nicht alle haben geklatscht.
Dabei schreien die aktuellen Ereignisse regelrecht danach, einzuhalten, nachzudenken und sich ganz genau mit der grundsätzlichen Frage zu beschäftigen, in welcher Welt wir morgen leben wollen. Wollen wir uns nur noch waffenstarrend gegenüberstehen, immer misstrauisch, immer der Gefahr ausgesetzt, dass einer Seite die Nerven durchgehen oder irgendwas schiefgeht?
Was passiert ist das Gegenteil von dem, was notwendig wäre: Gerade wird Reflexen nachgegeben, die dem Erschrecken über einen Krieg entspringen, den man selbstverständlich nur verurteilen kann.
Aber Außenpolitik bedeutet nicht, moralischer Entrüstung zu folgen und auch nicht, von Wut und Rachegelüsten getrieben zu werden. Verantwortungsvolle Außen- und Sicherheitspolitik verlangt eine nüchterne Interessenabwägung, die kühle Kalkulation der Chancen und Risiken jedes Schritts. Sie verlangt nach Strategie, nach Denken über den Tag hinaus.
Quelle: Petra Erler
- Putins wunder Punkt
Die Sanktionen gegen die russische Zentralbank treffen Putin hart. Warum das so ist und was wir daraus über Geld und Macht lernen können. […]
Vielfach wurde in den letzten Tagen argumentiert, Deutschland solle ein Handelsembargo gegen Russland erlassen und kein Gas, kein Öl und keine Kohle mehr importieren, weil damit letztlich “der Krieg finanziert” würde. Richtig ist, dass Russland dann keine neuen Euros mehr bekäme, aber natürlich seine bestehenden Euroreserven nutzen könnte, um Importe zu bezahlen. Wir hätten also sofort den Schaden – die Energiekrise und noch mehr Preisdruck -, Russland erst in der langen Frist Probleme. Warum dann nicht gleich Exporte nach Russland verbieten? Das würde viel schneller und zielgenauer wirken. Russland ist auf Technologieimporte aus dem Westen angewiesen. Doch es gibt noch eine bessere Idee: Die Währungsreserven der russischen Zentralbank einfrieren!
Quelle: Maurice Höfgen
dazu: Ein kluger Konter?
Die Sanktionen gegen die russische Zentralbank haben den Rubel schwer getroffen. Wie hat Russland reagiert und warum verliert der Rubel nicht weiter an Wert? […]
Die Auswirkungen auf den Rubelkurs waren dramatisch. Aus Sorge nicht mehr an Geld zu kommen, kam es in Russland zu langen Schlangen an den Geldautomaten. Die Aktienkurse russischer Unternehmen schossen vorbörslich in den Keller. Die russische Währung, der Rubel, verlor in der Spitze mehr als 50 Prozent gegenüber dem US-Dollar. Man kann sagen: Die Sanktionen wirken! Auffällig ist allerdings, dass der Rubel nicht weiter an Wert verliert. Das liegt an den Gegenmaßnahmen der russischen Zentralbank.
Die russische Zentralbank reagierte prompt auf die neuen Sanktionen. Und zwar großschrittig. Die Moskauer Börse wurde gestern und heute ausgesetzt, den Leitzins hat die Zentralbank um 10,5 Prozentpunkte auf 20 Prozent angehoben. Zuvor hatte sie Wertpapierhändlern verboten, russische Wertpapiere im Besitz von Ausländern zu verkaufen. Obendrauf wies die Zentralbank die heimischen Unternehmen an, 80 Prozent ihrer Deviseneinnahmen gegen Rubel zu verkaufen. Alle Maßnahmen zielen darauf ab, den Rubel zu stabilisieren, indem dieser attraktiver (höhere Zinsen) und die Nachfrage nach ihm künstlich befeuert wird (Verkauf von Devisen). Gerade Letzteres scheint vielversprechend – aus russischer Sicht.
Weil die EU und die USA weiter Energie aus Russland kaufen (müssen), werden Euros und US-Dollars an die Banken russischer Exporteure überwiesen. Weil Russland mehr Waren an das Ausland verkauft, als es aus dem Ausland einkauft, also einen Exportüberschuss erzielt, kann Russland neue Fremdwährungsguthaben aufbauen. Die Banken der russischen Exporteure bekommen mehr neue Euro- und Dollarguthaben bei der EZB und der FED als sie für den Import von Waren nach Russland abgeben müssen. Obwohl also die bestehenden Euro- und Dollarreserven der russischen Zentralbank eingefroren sind, besorgen die russischen Exporteure so neue Euro und Dollarreserven – und setzten diese jetzt strategisch ein. Denn seit neustem müssen sie 80 Prozent der Deviseneinnahmen wieder am Devisenmarkt gegen Rubel verkaufen. Mit einfacher Angebot-Nachfrage-Logik erkennt man schnell die Wirkung. Mehr Nachfrage nach Rubel und mehr Angebot an Fremdwährung stabilisieren den Rubelkurs und schwächen die Sanktionen.
Quelle: Maurice Höfgen
- Wie gehen wir mit Preissteigerungen in einer Marktwirtschaft sinnvoll um? Der Streit um die Verteuerung von Energie
Die aktuellen Preissteigerungen im Bereich Energie betreffen alle Bürger – wenn auch in unterschiedlichem Maße. Der Unmut darüber ist allseits groß, und entsprechend groß ist die politische Bedeutung des Themas. Deutlich zu erkennen ist der breite politische Konsens, dass die Bürger vor dieser Energiepreiswelle geschützt werden sollen. Bei der Frage des Wie und Wieviel hört die Einigkeit dann schon auf. […]
Eine staatliche Objektförderung, z.B. eine direkte Übernahme gestiegener Heizkosten, wäre jedoch falsch. Denn die Objektförderung fördert keine Verhaltensänderung. Wenn Lebensmittel oder Energie de facto knapper werden und eben das der Grund für die Preissteigerungen in diesen Bereichen ist, dann muss erstens mit diesen Gütern sparsamer umgegangen werden und zweitens ein hoher Anreiz für Innovationen auf diesem Gebiet vorhanden sein. Und beides erreicht man nicht, wenn man die bisherigen Preisrelationen zu konservieren oder wiederherzustellen versucht, also Objektförderung betreibt.
Genau darauf laufen aber viele der Vorschläge hinaus, die nun im Raum stehen: Senkung der Stromsteuer, Senkung der Mehrwertsteuer auf z.B. Erdgas, Erhöhung der Pendlerpauschale etc. – alles Maßnahmen, die der Preisreduktion im Energiebereich dienen sollen. Das klingt naheliegend, ist aber unsozial. Denn während Geringverdiener und Einkommensschwächere tatsächlich in Finanzierungsprobleme geraten, können sich z.B. gut betuchte SUV-Fahrer, viele Quadratmeter Wohnfläche in Anspruch Nehmende, Wintersport-Touristen oder Vielflieger einen tieferen Griff ins Portemonnaie sehr wohl leisten oder eben ihre Konsumstruktur anpassen, ohne dass das zu unzumutbaren Härten führen würde. Warum sollten diese Gruppen vor Preissteigerungen im Energiebereich geschützt werden?
Insbesondere die Forderung nach einer Anhebung der Pendlerpauschale ist eine wenig verbrämte Anbiederung an die Besserverdienenden. Denn selbstverständlich gibt es Niedrigverdienende, die lange Fahrtwege zu ihren Arbeitsplätzen zurücklegen müssen, aber so schlecht bezahlt werden, dass die Reduktion ihrer Einkommensteuerzahlung aufgrund der Pendlerpauschale weit geringer ausfällt als bei Spitzenverdienern oder sogar gar nicht positiv zu Buche schlägt. Was könnte also unsozialer sein? Dass die beiden o.g. Ministerpräsidenten obendrein noch fordern, die Pendlerpauschale an die Entwicklung der Treibstoffpreise anzubinden, also zu dynamisieren, zeigt, wie sehr es hier um Klientelpolitik geht. Denn das ist nicht nur in Hinblick auf den Klimaschutz ein Kuckucksei. Es ist auch ein Affront für diejenigen, die sich seit Jahren für eine Dynamisierung der Hartz IV-Sätze gemäß den Preissteigerungsraten für lebensnotwendige Güter einsetzen und/oder einen solchen Automatismus für den Mindestlohn fordern. Solche Vorschläge aber haben in konservativen Politikerkreisen noch nie Unterstützung erfahren, sondern werden regelmäßig mit dem Hinweis abgelehnt, so etwas wirke inflationstreibend.
Quelle: Friederike Spiecker
- Wirtschaftssanktionen: Der Preis der Freiheit?
Mit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich die Strategie der Abschreckung durch die Androhung von Wirtschaftssanktionen als Fehlkalkulation erwiesen. Das sollte für die deutsche Politik Anlass sein, ihre Kosten-Nutzen-Rechnung zu überdenken. […]
Festzuhalten bleibt an dieser Stelle jedenfalls, dass eine Abkehr vom Exportismus weder in Deutschland noch der EU jetzt und auch nicht in absehbarer Zeit auf der politischen Tagesordnung steht. Das erklärt vielleicht auch, warum Ursula von der Leyen zwar auf den „barbarischen“ Angriff Russlands auf die Ukraine „massive“ Sanktionen angekündigt hatte, ein Blick in das „härteste Sanktionspaket, das die EU je erwogen hat“, aber, trotz des bitteren Ernsts der Lage, einen lauthals zum Lachen bringt.
Es soll Exportbeschränkungen bei touristischen Dienstleitungen gegenüber den „Volksrepubliken Donezk und Lugansk“ und für den Handel mit bestimmten Wirtschaftszweigen geben, über die man aber nicht genaues sagen will. Die Mehrzahl der Wirtschaftssanktionen betreffen den Finanzsektor, die die Abwicklung von grenzüberschreitenden Realgüter-Transaktionen erschweren könnten, aber insgesamt einen begrenzten Einfluss auf die russische Realgüterwirtschaft haben dürften. In einem Satz: Bei dem „härtesten Sanktionspaket“ handelt es sich überwiegend um Symbolpolitik.
Das mag für diejenigen, die in Kategorien nationaler Interessen denken, eine beruhigende Feststellung sein. Denn man könnte (fälschlicher Weise) folgern, dass die Gefahren von Wirtschaftssanktionen gegen Russland für Deutschland überschaubar bleiben werden. Damit wird verkannt, dass die Wirtschaftssanktionen Russlands für uns ein enormes Gefahrenpotential in sich bergen.
Quelle: Makroskop
- Rekordpreise für Grundnahrungsmittel: Die Not fördert Migration
Hunger und Fehlernährung nehmen zu. Menschen im globalen Süden sind am meisten betroffen.
Die weltweiten Lebensmittelpreise erreichten im Januar 2021 den höchsten Stand seit 2011. Das geht aus dem aktuellen Bericht der FAO hervor. Damals hatten explodierende Lebensmittelpreise neben Korruption und Vetternwirtschaft zu politischen Aufständen in Ländern Nordafrikas wie Ägypten und Libyen geführt.
Die Gründe der Preissteigerungen sind vielfältig: klimabedingt vermehrte Dürren, extremer Frost, Kriege, aber auch Transportausfälle und zahlreiche andere Folgen der Coronamassnahmen. (…)
Den Angaben der Welthungerhilfe zu Folge hungern weltweit 811 Millionen Menschen. Viele andere Menschen sind fehlernährt. Einer der Gründe sind seien die steigenden Preise für Grundnahrungsmittel wie Getreide, Milchprodukte oder Speiseöl, erklärt Rafaël Schneider, stellvertretender Leiter der Politik-Abteilung der Welthungerhilfe. Das führe dazu, dass Familien auf ganze Mahlzeiten verzichten und stattdessen billigeres Essen kaufen, das ungesund ist, erklärt Schneider. Zwingen Eltern ihre Kinder zusätzlich dazu, Geld zu verdienen, nimmt auch die Kinderarbeit wieder zu. Allein in Afrika sind mehr als hundert Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen – doppelt so viele wie seit 2018, schätzt Joseph Siegle, Forschungsdirektor am Africa Center for Strategic Studies der National Defense University. (…)
Wie die Daten des IWF zeigen, stiegen die Lebensmittelpreise im Dezember 2011 weltweit um durchschnittlich 6,85 Prozent. Das war der höchste Preisanstieg seit 2014. Am meisten bekommen dies Menschen in Ländern zu spüren, die von importierten Lebensmitteln abhängig sind. Diese Abhängigkeit hat sich wegen der Globalisierung stark erhöht. In Afrika, im Nahen Osten und in Lateinamerika müssen die Menschen 50 bis 60 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, erklärt der US-Ökonom Maurice Obstfeld, der als Professor für Ökonomie an der Universität Berkeley unterrichtet. Die Ärmsten unter den Armen brauchen sogar ihr ganzes Einkommen für Nahrungsmittel.
Zum Vergleich: In Industrieländern liegen die Ausgaben für Lebens- und Genussmittel zwischen 10 bis 30 Prozent.
Quelle: Infosperber
- Anpassung an Klimafolgen zu zögerlich
Häufigere Hitzewellen, mehr Starkregen und steigende Meeresspiegel: Ein neuer Bericht des UNO-Weltklimarats (IPCC) skizziert die Risiken der Klimaerwärmung und lotet nötige Anpassungsmaßnahmen aus. Die Lücke dazwischen werde immer größer, die Anpassung erfolge zu zögerlich. Besonders verwundbar seien Länder im Globalen Süden. […]
Krisen, wie die Flutkatastrophe im Ahrtal, würden zeigen, dass jede und jeder verwundbar sei, was Klimagefahren angeht, sagt IPCC-Autor Jörn Birkmann von der Universität Zürich. Die Verwundbarkeit sei aber in Regionen mit hoher Armut, fehlender Infrastruktur und staatlicher Instabilität höher. „In den letzten zehn Jahre sind in diesen besonders verwundbaren Regionen 15-Mal mehr Leute durch Stürme, Hochwasser und Dürren zu Tode gekommen.“ […]
Da mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt, kommt diesen laut IPCC eine zentrale Rolle zu, was die Anpassung betrifft. Naturbasierte Lösungen hätten ein großes Potenzial, die Folgen der Klimaerwärmung im urbanen Raum einzudämmen, meint IPCC-Autorin Diana Reckien von der niederländischen Universität Twente; Straßenbäume, miteinander vernetzte Grünräume oder renaturierte Kanäle könnten Hitzeinseleffekte und Überflutungen reduzieren.
Quelle: ORF
- Die ignorierte Invasion
Die Türkei, ein enger Verbündeter Deutschlands, verstärkt im Windschatten des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ihre militärischen Angriffe auf ihr Nachbarland Syrien. In den vergangenen Tagen wurden erneut türkischer Artilleriebeschuss und Drohnenangriffe auf die kurdischen Gebiete Nordsyriens gemeldet; dabei wurden zahlreiche Zivilisten verletzt. Wenige Wochen zuvor war es zu einem Großangriff der türkischen Luftwaffe gekommen: Ankara ließ die nordostsyrische Region Hasakah bombardieren, nachdem es dort kurdischen Kämpfern gelungen war, einen Gefängnisaufstand des Islamischen Staates (IS) niederzuschlagen. Die Türkei hält seit Jahren mehrere Regionen Nordsyriens besetzt, errichtet dort türkische Infrastruktur und bindet die Gebiete an ihr Verwaltungssystem an, während die ursprünglich ansässigen syrischen Kurden in wiederkehrenden ethnischen Säuberungen vertrieben werden. Deutschland, traditionell ein bedeutender Waffenlieferant der Türkei, und die NATO, deren zweitgrößte Streitkräfte Ankara stellt, tolerieren die türkische Invasion in Nordsyrien und begünstigen sie zeitweise sogar.
Quelle: German Foreign Policy
- Rassismus in der Berichterstattung: Von Kriegsopfern erster und zweiter Klasse
Seit mehreren Tagen dominiert die russische Invasion der Ukraine die Berichterstattung in aller Welt, und eine erstaunliche Zahl von Reportern, Analysten und anderweitigen Beobachtern des Krieges demonstriert offenkundigen Rassismus. Einer der ersten Journalisten, der damit auffiel, war Charlie D’Agata vom amerikanischen Sender CBS News. In einem Bericht aus Kiew meinte er, dass die Ukraine nicht mit dem Irak oder Afghanistan vergleichbar sei, weil es sich um ein „europäisches“ und „zivilisiertes“ Land handele.
Mittlerweile hat sich D’Agata für seine Formulierung entschuldigt, doch sie war kein Einzelfall und nur ein Vorzeichen für das, was noch kommen würde. In einem Interview mit der britischen BBC sagte der ukrainische Generalstaatsanwalt David Sakvarelidze, dass er in diesen Tagen besonders emotional sei, weil er sehe, wie „europäische Menschen mit blauen Augen und blonden Haaren“ täglich getötet werden. Dieser Satz, der in den Sozialen Medien für Entsetzen sorgte, wurde vom Interviewer in keiner Weise hinterfragt.
Stattdessen wurde der rassistische Berichterstattungsfeldzug anderswo erbarmungslos fortgesetzt. Korrespondentin Lucy Watson vom britischen ITV behauptete sichtlich aufgebracht, dass es sich bei der Ukraine „nicht um ein Dritte-Welt-Land handeln würde, sondern um Europa“. Deshalb sei der Krieg dort so viel schlimmer. Auch im britischen „Daily Telegraph“ hieß es, der Krieg in der Ukraine sei besonders schlimm, weil die Opfer „aussehen wie wir“. Andere Medien, darunter etwa französische oder sogar die englischsprachige Ausgabe des katarischen „Al Jazeera“, taten es ihnen gleich.
Meist wurde dasselbe impliziert: Die Geflüchteten aus der Ukraine seien im positiven Sinne „anders“.
Quelle: Emran Feroz auf Übermedien