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Titel: Feindbild-Pflege ohne Rücksicht auf Verluste

Datum: 4. März 2022 um 8:03 Uhr
Rubrik: einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Militäreinsätze/Kriege
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Die Karikatur erschien gestern als Illustration zu diesem Artikel auf dem Blog der Republik – einem Medium, dessen wahrer Charakter mit diesem Meisterwerk der Propaganda sichtbar wird. Autor des Artikels ist Friedhelm Ost. Er ist nicht irgendwer. Er war Regierungssprecher Helmut Kohls und 12 Jahre lang CDU-Bundestagsabgeordneter. Damit NDS-Leserinnen und -Leser sich besser vorstellen können, welche Wirkung eine solche Agitation vermutlich beim angesprochenen Präsidenten Russlands auslöst, dokumentieren wir im Folgenden in der Übersetzung von Susanne Hofmann, was Putin selbst über die Erfahrungen seiner Eltern mit der Belagerung Sankt Petersburgs durch Nazi-Deutschland geschrieben hat. Albrecht Müller.

Dass die deutsche Seite in besonderer Weise und zurzeit unentwegt wie mit Karikatur und Artikel von Friedhelm Ost und beispielsweise mit den Reden von Außenministerin Baerbock und von Bundeskanzler Scholz am weiteren Aufbau von Misstrauen und an der neuen Konfrontation arbeitet, ist so bemerkenswert wie gefährlich. Diese Agitation steht in einem deutlichen Gegensatz zu Putins und seiner Mutter Äußerungen über die deutschen Soldaten, die Sankt Petersburg und Putins Eltern belagert haben. Ein Zitat aus dem folgenden Text:

‚Meine Mutter war überhaupt ein sehr weichherziger und sanfter Mensch. Ich erinnere mich, wie sie sagte: „Welchen Hass kann man denn gegenüber diesen Soldaten empfinden? Sie waren einfache Leute und auch sie starben im Krieg.“‘

Wenn wir Deutschen so weitermachen mit unserer besonders fein- und feindsinnigen Agitation gegen Russland und vor allem mit der auf allen Kanälen betriebenen Personalisierung des Konfliktes, dann brauchen wir uns nicht darüber zu wundern, dass auch auf der anderen Seite Äußerungen wie jene von Putins Mutter als menschliche Regungen vergangener Zeiten betrachtet und entsorgt werden und aus der deutsch-russischen Freundschaft eine besonders gepflegte Feindschaft wird. Zurzeit wird mühsam aufgebautes Kapital des Sichvertragens verschleudert. Unerträglich.

Übersetzung eines Textes von Wladimir Putin, der 2015 zunächst in der russischen Zeitschrift „Russkij pioner“ erschienen war. Übersetzt und eingeleitet von Susanne Hofmann:

Wir leben in Zeiten des Krieges. Da gilt es als normal, dass „der Feind“ verächtlich gemacht, entmenschlicht, für geisteskrank erklärt wird. Erst recht, wenn es um jemanden wie den russischen Präsidenten Wladimir Putin geht, den die westlichen Leitmedien schon seit Jahren jedes nur denkbaren Verbrechens bezichtigen.

Der Krieg ist aber eine Sackgasse. Um aus ihr wieder herauszukommen, müssen beide Seiten tun, was umso schwerer fällt, je mehr Opfer er fordert: sich in den anderen hineinversetzen. Nur so kann es gelingen zu verstehen, warum er wie agiert.

Die NachDenkSeiten haben sich entschieden, einen Text von Wladimir Putin selbst zu übersetzen und abzudrucken. Er erschien 2015 zunächst in der russischen Zeitschrift „Russkij pioner“. Darin erinnert er sich an die Geschichte seiner Eltern, die die brutale Blockade von Leningrad im Zweiten Weltkrieg nur durch ein Wunder überlebt haben. Putins älterer Bruder hatte weniger Glück. Er starb als Kleinkind.

Das Leben ist so einfach und doch so grausam”

von Wladimir Putin

Mein Vater sprach, offen gesagt, gar nicht gerne über den Krieg. Eher war es so, dass ich einfach in der Nähe war, wenn die Erwachsenen miteinander diskutierten oder Erinnerungen austauschten. Alles, was ich über den Krieg weiß, darüber, was meiner Familie widerfuhr, setzte sich aus diesen mitgehörten Gesprächen der Erwachsenen zusammen. Gelegentlich sprachen sie aber auch direkt mit mir.

Mein Vater war Matrose. Er wurde 1939 eingezogen und diente bei einem U-Boot-Geschwader in Sewastopol. Nach seiner Rückkehr arbeitete er in einer Fabrik in Peterhof, wo er mit meiner Mutter lebte. Ich glaube, sie bauten dort sogar ein kleines Häuschen.

Als der Krieg ausbrach, arbeitete er in einem Rüstungsbetrieb. Dadurch war er vom Armeedienst freigestellt. Trotzdem bewarb er sich um Eintritt in die Partei und schließlich erneut für den Einsatz an der Front. Er wurde einem Sabotage-Kommando des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten, NKVD, zugeteilt. Es war eine kleine Einheit von 28 Soldaten, die ins nahegelegene Hinterland geschickt wurden, um Sabotageakte durchzuführen — Brücken und Bahngleise zu sprengen und dergleichen. Beinahe sofort gerieten sie in einen Hinterhalt — jemand hatte sie verraten. Sie kamen in ein Dorf, verließen es wieder — und als sie einige Zeit später dorthin zurückkehrten, warteten die Nazis dort bereits auf sie. Sie wurden durch den Wald gejagt.

Mein Vater überlebte, indem er sich in einem Sumpf versteckte, wo er Stunden unter Wasser ausharrte und dabei durch ein Schilfrohr atmete. Das ist mir aus seiner Geschichte im Gedächtnis geblieben. Er sagte, er hätte, während er durch das Schilfrohr atmend im Sumpf saß, hören können, wie die deutschen Soldaten vorbeigingen, nur wenige Schritte von ihm entfernt, und wie die Hunde kläfften…

Noch dazu war es wahrscheinlich bereits früher Herbst, das heißt, es war bereits kalt. Ich erinnere mich auch gut daran, wie er mir erzählte, dass der Anführer seiner Truppe ein Deutscher war. Er war zwar sowjetischer Bürger, aber dennoch ein Deutscher.

Interessanterweise wurde mir vor ein paar Jahren aus den Archiven des Verteidigungsministeriums eine Akte über eben diese Gruppe ausgehändigt. Ich habe sie noch immer zuhause in Novo-Ogaryovo. Sie enthält eine Liste der Gruppenmitglieder — Nachnamen, Vornamen, Vatersnamen und kurze Schilderungen. Es waren tatsächlich 28 Männer, und ihr Anführer war ein Deutscher, genau wie mein Vater gesagt hatte. Von diesen 28 kamen nur vier über die Frontlinie zurück auf unsere Seite. Die anderen 24 wurden getötet.

Die Übriggebliebenen wurden wieder an die Front geschickt, zum Brückenkopf Newsky Pyatachok, dem womöglich am heftigsten umkämpften Ort während der gesamten Leningrader Blockade. Unsere Truppen hielten einen schmalen Brückenkopf, vier Kilometer breit und etwa zwei Kilometer tief. Er sollte als Sprungbrett für ein späteres Durchbrechen der Blockade dienen, wozu es jedoch nie kam. Sie durchbrachen die Blockade an einer anderen Stelle. Dennoch wurde dieses Gebiet Newsky Pyatachok lange Zeit gehalten und es fanden dort besonders heftige Gefechte statt.

Rundum befinden sich Feldherrenhügel und der Brückenkopf wurde fortwährend beschossen. Natürlich wussten auch die Deutschen, dass dies der wahrscheinlichste Ort für einen Blockade-Durchbruch war, und sie versuchten, Newsky Pyatachok schlicht vom Angesicht der Erde zu tilgen. Es gibt Erhebungen darüber, wie viel Metall sich in jedem Quadratmeter dieses Landes befindet. Bis heute besteht es aus solidem Metall.

Mein Vater erzählte mir, wie er dort verwundet wurde. Es war eine schwere Verletzung und er verbrachte den Rest seines Lebens mit Granatsplittern in einem Bein, da nicht alle entfernt werden konnten. Er hatte ständig Schmerzen im Bein und er konnte seinen Fuß nie richtig strecken. Man hatte entschieden, die kleinen Splitter nicht anzutasten, um den Knochen nicht zu zertrümmern. Und Gott sei Dank erhielten sie sein Bein, statt es zu amputieren — er hatte einen guten Arzt. Er wurde als Kriegsversehrter der Kategorie II eingestuft. Als solcher bekam er schließlich eine Wohnung.

Es war unsere erste eigene Wohnung — eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung. Bevor wir die Wohnung bekamen, lebten wir in einer Gemeinschaftswohnung in der Stadtmitte. Und nun mussten wir, wenn nicht ganz an den Stadtrand, so doch in ein neugebautes Viertel ziehen. Das war nicht unmittelbar nach dem Krieg, sondern als ich bereits für den KGB arbeitete. Damals bekam ich keine eigene Wohnung, doch mein Vater erhielt endlich seine, und das war Grund zu großer Freude. Darüber, wie er verwundet wurde, berichtete er Folgendes:

Zusammen mit einem Kameraden führte er einen kleinen Vorstoß aus, um den Deutschen in den Rücken zu fallen — sie krochen am Boden entlang. Und dann wird die Geschichte komisch und traurig zugleich. Sie erreichten einen deutschen Bunker, aus dem ein riesiger Kerl trat und sie direkt ansah. Sie konnten nicht aufstehen, da sie im Visier der Maschinengewehre waren. „Der Mann betrachtete uns sehr aufmerksam“, erzählte mein Vater. „Er holte eine Granate hervor, dann eine zweite und warf beide Granaten auf uns. Nun, und dann…“ Das Leben ist so einfach und doch so grausam.

Was war sein größtes Problem, als er das Bewusstsein wiedererlangte? Die Tatsache, dass es bereits Winter war. Die Newa war zugefroren und er musste irgendwie auf die andere Seite gelangen, um Hilfe und medizinische Versorgung zu bekommen. Er war aber außerstande zu laufen.

Er schaffte es zwar, zu seinen Leuten diesseits des Flusses zu kommen. Doch es gab nicht viele, die bereit waren, ihn auf die andere Seite zu schaffen, denn dieser Abschnitt der Newa war dem Beschuss der Artillerie und von Maschinengewehren ausgesetzt. Die Chance, das andere Ufer zu erreichen, war sehr gering. Doch aus reinem Zufall tauchte einer seiner Nachbarn aus Peterhof auf. Und dieser Nachbar zögerte nicht, ihn über den Fluss zu schleppen — er schleppte ihn sogar den ganzen Weg bis zum Krankenhaus. Sie schafften es beide lebend. Der Nachbar wartete im Krankenhaus und sorgte dafür, dass er operiert wurde, dann sagte er: „Du wirst überleben, aber ich mache mich auf den Weg, um zu sterben.“ Und so ging er davon.

Ich fragte meinen Vater später, ob dieser Mann wirklich gestorben war. Er meinte, er habe nie wieder von ihm gehört und glaube, dass er tatsächlich getötet worden war. Er konnte dieses Erlebnis nie vergessen und es quälte ihn sehr. Ich erinnere mich, dass er irgendwann in den frühen 1960ern — ich erinnere mich nicht mehr daran, in welchem Jahr das genau war, da ich damals noch sehr jung war — plötzlich nach Hause kam, sich hinsetzte und zu weinen begann. Er war seinem Retter in einem Laden in Leningrad wiederbegegnet. Wie bei ihrer früheren Begegnung war es reiner Zufall — die Wahrscheinlichkeit dafür, dass beide Männer zur selben Zeit denselben Laden betreten würden, lag bei eins zu einer Million. Sie trafen sich später erneut bei uns Zuhause.

Meine Mutter erzählte mir, wie sie meinen Vater in dem Krankenhaus besuchte, in dem er nach seiner Verwundung lag. Sie hatten damals, während der Blockade und Hungersnot, einen kleinen Sohn, er war erst drei Jahre alt. Mein Vater steckte ihr heimlich seine Krankenhausration zu, damit sie zuhause ihr Kind damit versorgen konnte. Als er begann, vor Hunger in Ohnmacht zu fallen, bemerkten die Ärzte und Krankenschwestern, was vor sich ging, und verhinderten fortan, dass meine Mutter ihn besuchte.

Dann wurde ihr das Kind weggenommen. Wie sie sich später erinnerte, geschah das ohne Ankündigung. Es war der Versuch, kleine Kinder vor dem Verhungern zu retten. Die Kinder wurden in Heime gebracht, um später evakuiert zu werden. Die Eltern wurden nicht einmal gefragt.

Ihr Sohn wurde dort krank — meine Mutter meinte, es sei Diphterie gewesen — und überlebte nicht. Man sagte meinen Eltern nicht einmal, wo er begraben wurde, und sie fanden es nie heraus. Erst letztes Jahr haben ein paar Leute, die ich nicht kenne, auf eigene Faust die Archive durchsucht und dabei Unterlagen über meinen Bruder entdeckt. Und es war wirklich mein Bruder, denn ich wusste, dass meine Eltern nach der Flucht aus Peterhof vor den heranrückenden deutschen Truppen bei einem ihrer Freunde gelebt hatten — ich wusste sogar deren Adresse.

Sie lebten am sogenannten „Wodny-Kanal“. Korrekterweise würde es „Obwodny-Kanal“ heißen, doch in Leningrad nennt man ihn „Wodny-Kanal“. Ich weiß sicher, dass sie dort lebten. Es stimmten nicht nur die Adresse des Hauses, aus dem mein Bruder abgeholt wurde, sondern auch der Vorname, Nachname, Vatersname und das Geburtsdatum. Natürlich war es mein Bruder. Er wurde auf dem Piskarjowskoe-Friedhof begraben — sogar die genaue Grabstelle war angegeben.

Meinen Eltern erfuhren davon nichts. Offenbar waren damals andere Dinge wichtiger.

Es stimmte also alles, was meine Eltern mir über den Krieg erzählt hatten. Kein einziges Wort war erfunden. Kein einziges Datum war verrückt worden. Alles, was man mir über meinen Bruder, den Nachbarn und den deutschen Gruppenkommandanten erzählt hatte, passte zusammen — alles wurde später auf unglaubliche Weise bestätigt. Nachdem ihnen mein Bruder weggenommen worden und meine Mutter ganz allein zurückgeblieben war, war mein Vater endlich wieder in der Lage, mit Krücken zu laufen, und er kehrte heim. Als er auf sein Wohnhaus zulief, sah er, dass Krankenträger Leichen aus dem Gebäude trugen. Eine davon erkannte er als meine Mutter. Er ging auf sie zu und er hatte den Eindruck, dass sie noch atmete.

Er sagte den Sanitätern: „Sie lebt doch noch!“ — „Sie wird aber unterwegs sterben“, erwiderten sie. „Den Transport wird sie nicht überleben.“ Da ging mein Vater mit seinen Krücken auf die Sanitäter los und zwang sie, meine Mutter zurück in die Wohnung zu tragen. Sie sagten zu ihm: „In Ordnung, wir tun, was du willst, aber denk daran, dass wir in den nächsten zwei bis vier Wochen nicht mehr vorbeikommen werden. Du musst dann allein mit allem fertig werden.“ Mein Vater päppelte meine Mutter wieder auf und sie überlebte. Sie lebte bis zum Jahr 1999. Er starb Ende 1998.

Nachdem die Blockade aufgehoben worden war, zogen sie in die Provinz Twer, die Heimat ihrer Eltern. Dort lebten sie bis zum Kriegsende. Mein Vater hatte eine ziemlich große Familie. Er hatte sechs Brüder, von denen fünf im Krieg getötet wurden. Das war eine Katastrophe für die Familie. Auch die Verwandten meiner Mutter starben. Ich war ein spätgeborenes Kind — meine Mutter war 41 Jahre alt, als sie mich zur Welt brachte.

Was wir erlebt haben, war kein Einzelfall. Es gab schließlich keine Familie, in der nicht jemand gestorben war oder die nicht Gram, Unglück und Tragödien erduldet hatte. Dennoch empfanden meine Eltern keinen Hass gegenüber dem Feind, was einfach unglaublich ist. Um ehrlich zu sein, kann ich es noch immer nicht ganz verstehen. Meine Mutter war überhaupt ein sehr weichherziger und sanfter Mensch. Ich erinnere mich, wie sie sagte: „Welchen Hass kann man denn gegenüber diesen Soldaten empfinden? Sie waren einfache Leute und auch sie starben im Krieg.“

Es ist schon erstaunlich. Wir sind mit sowjetischen Büchern und Filmen aufgewachsen und wir empfanden sehr wohl Hass. Doch solche Regungen waren ihr aus irgendeinem Grund fremd. Ich kann mich noch sehr gut an ihre Worte erinnern: „Was kann man denn gegen sie haben? Sie waren ebenso harte Arbeiter, genau wie wir. Sie wurden schlicht dazu gezwungen, an die Front zu gehen.“

Dies sind die Worte, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnere.


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