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Titel: Kriegs-Propaganda und RT-Verbot — Allein mit den deutschen Meinungsmachern

Datum: 3. März 2022 um 13:06 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Europäische Union, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien, Medienkritik, Militäreinsätze/Kriege
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Das RT-Verbot in der EU ist mit zahlreichen Aspekten der Heuchelei verbunden – dazu kommt, dass dadurch das Informationsangebot für die Bürger eingeschränkt wird: Sie sind als Folge des Verbots des russischen Staatssenders vermehrt auf die Produkte heimischer Meinungsmacher zurückgeworfen. Und viele deutsche Redakteure kennen momentan kein Halten mehr bei der („Anti“-)Kriegspropaganda: Keine Forderung ist zu gefährlich und keine Behauptung ist zu unseriös, als dass sie nicht „gegen Russland“, für US-Interessen und für Aufrüstung erlaubt wären. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Verbreitung der russischen Staatsmedien RT und Sputnik in der EU ist ab sofort verboten. Die Maßnahme trat laut Medien am Mittwoch in Kraft: „Wir alle stehen für die Redefreiheit, aber sie darf nicht zur Verbreitung von Kriegspropaganda missbraucht werden. Der Kreml hat Informationen zur Waffe gemacht“, sagte EU-Kommissionsvize Vera Jourova am Dienstagabend. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sagte am Mittwoch, man werde nicht zulassen, dass „Kreml-Treue ihre giftigen Lügen zur Rechtfertigung von Putins Krieg verbreiten oder die Saat der Spaltung in unserer Union säen“.

Der Schritt ist laut RND umfassend: Betroffen von dem Verbot sind demnach die RT-Ableger RT English, RT UK, RT DE, RT Frankreich und RT Spanien sowie Sputnik. Kabel- und Satellitenbetreiber dürfen deren Programm nun nicht mehr in der EU ausstrahlen. Internetanbieter müssen außerdem den Zugriff auf die Webseiten der Medien blockieren und auch Social-Media-Plattformen müssen RT und Sputnik in der EU sperren, so Medienberichte. Man kann das nur als massive Zensur einordnen. Das Verbot betrifft das TV-Programm, der Rest des deutschen Online-Auftritts von RT ist davon bisher nicht betroffen.* Aktualisierung (04.03.2022): Inzwischen ist auch diese Webseite und der deutsche Telegramkanal von RT für viele Bürger nicht mehr erreichbar.

Allen Medien sollte mit Skepsis begegnet werden

Es ist zwar selbstverständlich, es soll hier aber noch einmal betont werden: Ausnahmslos allen Medien sollte mit viel Skepsis begegnet werden, natürlich auch RT. Gerade in Kriegszeiten werden die Bürger von allen Seiten (auch von russischer) mit Propaganda bombardiert. Um ein einigermaßen sinnvolles Bild zu erhalten, sollte man die Propaganda aller Seiten studieren. Diese Vergleiche zwischen den auf allen Seiten ideologisch gefärbten Kriegsberichten werden nun erschwert durch den Schritt der EU. Niemand sollte sich momentan auf nur eine Quelle verlassen, bei vielen Themen kann RT eine wichtige Ergänzung zu anderen Medien sein. Der staatliche Charakter von RT wird vom Sender im Übrigen gar nicht versteckt – darum kann man viele RT-Infos vielleicht sogar besser einordnen als die von „unabhängigen“ Privatmedien wie dem Spiegel. Die Arroganz westlicher Journalisten gegenüber den RT-Kollegen ist angesichts ihres Versagens bei den westlichen Angriffskriegen und während Corona einfach nur lächerlich. Nicht zuletzt spricht die EU mit dem RT-Verbot ihren Bürgern ab, Informationen aus verschiedenen Quellen selber beurteilen zu können.

Das Verbot eines TV-Senders ist immer auch ein Zeichen der Unsicherheit bezüglich der eigenen Position. Außerdem widerspricht der Schritt nicht nur den Phrasen von EU-Politikern von der Pressefreiheit, er widerspricht auch der Grundrechtecharta der Europäischen Union (GrCh) – dort heißt es in Artikel 11 unter der Überschrift „Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit“ :

(1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.

(2) Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.

Weitere Artikel der NachDenkSeiten zu RT finden Sie etwa hier oder hier oder hier oder hier. Informationen zu dem Vorgang bei RT selber gibt es in diesem Artikel, der Beschluss der EU findet sich hier. Die RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan verfiel angesichts des Vorgangs in Sarkasmus:

„Danke natürlich für das hohe Lob unseres geopolitischen Potenzials, nur zeigt eine solche Entscheidung der EU, wer was wert ist, und vor allem, was die gepriesene europäische Demokratie wert ist. Wenn sie gegen den Krieg wären, würden sie gar nicht erst Waffen in die Ukraine pumpen, anstatt RT und Sputnik zu verbieten.”

Medien-Exzesse: Putin als „durchgeknallter Geiselgangster“

Zu den mit dem RT-Verbot verbundenen Aspekten der Heuchelei und den offenen juristischen Fragen kommt der Punkt der nun eingeschränkten Information für die Bürger hinzu: Sie sind als Folge der EU-Zensur zunehmend auf die Produkte heimischer Meinungsmacher zurückgeworfen. Und viele deutsche Redakteure kennen aktuell kein Halten mehr – keine Forderung ist zu gefährlich und keine Behauptung ist zu unseriös, als dass sie nicht „gegen Putin“, für die Aufrüstung, für US-Interessen oder für kriegsverlängernde Waffenlieferungen erlaubt wären. Eine spontane und unvollständige Auswahl: In der FAZ heißt es , „Putins Diktatur ist die größte Bedrohung der Menschheit“. Der „Tagesspiegel“ möchte Russland aus dem Sicherheitsrat werfen. Und das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ stimmt in die momentan verbreitete Form der Ferndiagnose ein und spekuliert zum Geisteszustand des russischen Präsidenten Wladimir Putin:

„Mad Man in Moskau: Stürzt Putin die Welt in den Atomkrieg? Der Geisteszustand Wladimir Putins, jahrelang ein Tabuthema, dominiert inzwischen die Debatten in den Lagezentren des Westens. Greift er auch noch zu Atomwaffen? Was bedeuten seine seltsamen Äußerungen? Nato-Experten blicken inzwischen auf den russischen Präsidenten wie FBI-Profiler auf einen durchgeknallten Geiselgangster.“

In vielen Talkshows herrscht ein ähnliches Niveau. So wünschte sich bei „Hart aber Fair“ laut Medien ein ehemaliger NATO-General offen ein Attentat auf den russischen Präsidenten: „Ich sehe leider keinen Grafen Stauffenberg“. Auch wurde hier mal wieder eine Bühne für den ukrainischen Botschafter und offenen Faschisten-Verehrer Andrij Melnyk bereitet. Und der hat laut Medien in „deutlichen Worten“ erklärt, welche Zukunftsoptionen er für Putin in Aussicht stellen würde: „Selbstmord, Putsch oder Den Haag.“

Ich konnte in großen deutschen Medien in den letzten Tagen kein echtes Gegenbeispiel zu der hier zitierten harten und unseriösen Meinungsmache finden – vielleicht haben Leser Hinweise auf positive Ausnahmen, in denen eher ausgleichend argumentiert und auch die Vorgeschichte des russischen Kriegsaktes beschrieben wird?

Deutsche Medien im schrillen „Antikriegs“-Modus

Viele deutsche Medien verhalten sich im aktuellen „Antikriegsmodus“ fast noch schriller als bei den von ihnen verteidigten US-Angriffskriegen der letzten Jahre. Der zu verurteilende Ukrainekrieg wird aktuell als etwas nie Dagewesenes dargestellt, was eine extreme Verharmlosung jener Kriege bedeutet, die viele deutsche Redakteure sehr freundlich begleitet haben, einschließlich der Millionen von Toten und Flüchtlingen. Mit dieser Feststellung werden die aktuellen Leiden der ukrainischen Zivilisten nicht kleingeredet – aber die unterschiedliche Gewichtung von Kriegsleid in vielen deutschen Medien lässt den aktuellen „Pazifismus“ ziemlich heuchlerisch erscheinen.

Aktuell wird vor allem das Mittel des Verkürzens und des Weglassens genutzt: Die Geschichte setzt demnach erst mit dem russischen Einmarsch ein. Der Maidan-Umsturz, die Nazi-Bataillone, die drohende NATO-Ausdehnung, Russlands Rote Linien und die jahrelangen Angriffe Kiews auf den Donbass sind demnach irrelevant zur Beurteilung der Lage.

Auch mutmaßliche Falschberichte waren zu beobachten. So hat etwa in den ersten Kriegstagen „Bild-TV“ altes Bildmaterial als aktuelle Kriegsbilder präsentiert:

„Bild“ hat die Praxis eingeräumt und spricht von „Fehlern“, die korrigiert worden seien. Hier geht „Correctiv“ auf den Fall ein. Thomas Röper vertritt angesichts der Zensur gegen RT aktuell sogar die These, dass Medien in Russland nun freier berichten könnten als im Westen.

Propaganda und Verrohung

Die massive antirussische Propaganda in vielen deutschen Medien entfaltet ihre Wirkung nicht nur gegen die russische Regierung und für eine hysterische Militarisierung: Die schlimmen Folgen der aktuellen „Berichterstattung“ – in Form einer gesellschaftlichen Verrohung gegenüber einer ethnischen Gruppe – richten sich auch gegen russische Künstler, Sportler und Wissenschaftler, wie die NachDenkSeiten gerade beschrieben haben.

*Aktualisierung 03.03.2022, 16h: Dieser Satz wurde hinzugefügt

Titelbild: Sergei Elagin / Shutterstock


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