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Titel: In Deutschland ein beschönigender Satiregipfel, in Frankreich Hessels „Empört euch“
Datum: 21. Januar 2011 um 16:00 Uhr
Rubrik: Medien und Medienanalyse, Strategien der Meinungsmache, Wertedebatte
Verantwortlich: Albrecht Müller
In letzter Zeit wird Frankreich des Öfteren mit Deutschland verglichen – dort die aufmüpfige Stimmung und das Engagement der Bürger, hier bei uns verschlafene Trägheit. Diesem Schema neige ich normalerweise nicht zu, weil ich in der Nähe des Elsass wohne und durch eigene Anschauung und von Freunden die politische Trägheit dieses Teils Frankreichs kenne. Aber gestern sah ich den „Satiregipfel“ mit dem neuen Moderator Nuhr und seinen Gästen; zur geistig-moralischen Erholung las ich dann Auszüge aus Stéphane Hessels Schrift „Empört euch!“ bei FAZ.Net. Welch ein gewaltiger Unterschied! Albrecht Müller.
Hierzulande verkommt eine früher einmal „Scheibenwischer“ genannte und von Dieter Hildebrandt geprägte Kabarettsendung zu einem dümmlichen Produkt von Spindoktoren der herrschenden Kreise in Politik und Wirtschaft. Dort in Frankreich gewinnt die Schrift eines politisch und für Humanität und Gerechtigkeit engagierten Aufklärers eine große Aufmerksamkeit. Es lohnt sich, beides nacheinander anzuschauen und zu lesen, wenn Sie am Wochenende ein bisschen Zeit haben. (Bisher ist allerdings der Satiregipfel als Video noch nicht abrufbar; vermutlich aber bald. Hier die Vorschau.)
Einige Anmerkungen zum Satiregipfel mit Nuhr:
Es war die erste Sendung mit Dieter Nuhr als Moderator und Nachfolger von Richling. Sie war angefüllt mit unglaublich flachem Zeug.
Die Sendung ist offensichtlich eingebunden in den beginnenden Landtags- und Bundestagswahlkampf. Dieter Nuhr und Gäste hielten sich in weiten Teilen der Sendung an das, was an Botschaften im Dienste der Schwarz-gelben Regierung und der dahinter steckenden Finanz- und Wirtschaftsinteressen vermittelt werden soll:
Fazit eines NachDenkSeiten-Lesers: Der Satire-Gipfel ist zu einem reaktionären Propagandainstrument verkommen. –
Ich kann dem nicht widersprechen. Wirklich bemerkenswert ist die Gleichschaltung mit den erkennbaren Wahlkampfthemen und Parolen von Schwarz-gelb. Dass die ARD das mit sich machen lässt, liegt auf der Linie der Anpassung an die Methoden der kommerziellen Sender, und es zeigt, wie sehr auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender inzwischen mehrheitlich von konservativem und rechtem Gedankengut durchdrungen sind. Erstaunlich ist in diesem Kontext, dass die verantwortlichen Sender – der WDR und RBB – in sozialdemokratisch regierten Ländern liegen. Daran kann man sehen, dass die Sender inzwischen wirklich staatsfern sind, soweit ein eher fortschrittlicher Einfluss betroffen sein könnte. Man kann weiter sehen, dass von Rotfunk wirklich keine Rede sein kann.
Einige Anmerkungen zu Stéphane Hessels Schrift „Empört euch!“
Zunächst nur einige der wichtigen Aussagen. Sie sind zentral anders als die Parolen im Satiregipfel:
AM: Das klingt etwas seltsam, wird aber verständlicher, wenn man die Sorge Hessels, junge Menschen könnten die Fähigkeit zur Empörung und zum Engagement verlieren, ein bisschen übersetzt und auf hiesige Verhältnisse im Ablauf der letzten 60 Jahre überträgt. Es bedurfte auch bei uns immer wieder verschiedener Ereignisse, um daran politisches Engagement und politische Sozialisation und Interesse anknüpfen zu können. Das war der Zustand unserer Hochschulen in den sechziger Jahren, das war die verkrustete Politik Adenauers, das war die Ost-West-Konfrontation und der Vietnamkrieg und die Umweltzerstörung und die gedankenlose Nutzung der Kernenergie. Hessels: „Den jungen Leuten sage ich: schaut euch um, dann werdet ihr die Themen finden, die eure Empörung rechtfertigen … Ihr werdet auf Situationen stoßen, die euch drängen, euch gemeinsam mit anderen zu engagieren. Wenn Ihr sucht, werdet ihr finden.
Amnesie kann man mit Wahrnehmungsstörung übersetzen. Das trifft so übersetzt genau auf den Macher des Satiregipfels Dieter Nuhr und seine Partner zu. Sie nehmen die Wirklichkeit unserer Gesellschaft nicht mehr wahr und machen stattdessen in guter Stimmung – entweder entsprechend den Wünschen ihrer Auftraggeber oder entsprechend der eigenen Disposition. Gut, dass es in Frankreich einen alten Mann gibt, der geistig um mehrere Dimensionen jünger ist als diese Sorte von deutschen „Satirikern“.
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