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Titel: Der Fall Alex Saab oder die juristische und militärische Erpressung der Kapverden durch die USA
Datum: 12. Februar 2022 um 11:45 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Länderberichte
Verantwortlich: Redaktion
Zwischen Mitte 2020 und Ende 2021 ereignete sich auf den Kapverdischen Inseln, 700 Kilometer von der Küste Senegals entfernt, ein von US-Justiz, US-Exekutive und Pentagon filmreif inszenierter diplomatischer Zwischenfall. Von portugiesisch- und spanischsprachigen Medien abgesehen, fand die Handlung kaum Niederschlag in europäischen Medien. Das Desinteresse war umso erstaunlicher, ist doch die „Causa Alex Saab“ mehr als bloße „Störmeldung“, sie steht nämlich für einen unerhörten Skandal um die Verletzung des Menschen- und Völkerrechts sowie für einen Anschlag auf die Souveränität eines Staates. Von Frederico Füllgraf.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Auf dem internationalen Flughafen der Insel Sal wurde am 12. Juni 2020 der kolumbianische Unternehmer Alex Saab während einer Zwischenlandung seines Privatjets von den kapverdischen Behörden festgenommen. Saab befand sich auf dem Rückflug aus dem Iran, wo er als Sonderbevollmächtigter der Regierung Venezuelas mit Verhandlungen über die Lieferung von Medikamenten, Lebensmitteln und Ausrüstungsgütern beauftragt war. Die Zwischenlandung auf den Kapverden stellte sich jedoch als treibstoffbedingte Notlandung heraus, nachdem zwei andere afrikanische Flughäfen unter Druck der USA Saab die Zwischenlandung verweigert hatten.
„Gewaltausübung wie im Irak und in Afghanistan“
Ausschlaggebend für die Festnahme war eine angebliche Rotschaltung von Interpol nach einem internationalen Fahndungsersuchen der US-Regierung. Saab half auch nicht seine Ausstattung mit venezolanischem Diplomatenpass und der damit verbundenen Immunität. Von den USA unter anderem beschuldigt, internationale Geldwäsche in Höhe von umgerechnet 295 Millionen Euro betrieben zu haben und als Strohmann des venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro aufzutreten, forderte die damalige Regierung Donald Trump von den Kapverden, Saab zu verhaften und an die USA auszuliefern. Als eine der ersten Reaktionen auf die Festnahme protestierte der eilends beauftragte kapverdische Verteidiger José Manuel Pinto Monteiro, die Berufung auf den angeblichen Interpol-Alarm sei sonderbar, denn dieser traf erst mehr als 24 Stunden nach der Festnahme Saabs ein und signalisiere „fremde Eingriffe“.
Die Regierung des afrikanischen Landes zögerte jedoch mit der sofortigen Überstellung und lieferte Saab zunächst in die abgelegene Haftanstalt Cadeia do Sal ein. Wegen Überschreitung der gesetzlichen Frist für die Vorbeugehaft wurde der kolumbianische Geschäftsmann Ende Januar 2021 bei strengen Sicherheitsvorkehrungen unter Hausarrest gestellt, von wo er jedoch unter Druck der US-Regierung erneut in die Haftanstalt eingeliefert wurde und somit insgesamt eineinhalb Jahre Freiheitsentzug erlitt.
Während die kapverdische Gerichtsbarkeit gegenüber dem US-Auslieferungsantrag Zeit zu gewinnen versuchte, wurde Saab in einer von Insekten verseuchten, den internationalen Gesundheits-Minimalstandards ungenügenden, engen Zelle festgehalten und ihm die Untersuchung durch einen Vertrauensarzt sowie der Besuch seiner Ehefrau Camilla Fabri und seiner Kinder verweigert. Neben der Einschüchterung der kapverdischen Behörden entsandten die USA zudem Regierungsbeamte in die Haftanstalt, die Saab mit Verhören und Gewaltanwendung – „wie im Irak und in Afghanistan“ – zur Aussage gegen Präsident Nicolás Maduro nötigten.
Nach Einsprüchen der von der venezolanischen Regierung beauftragten einheimischen und internationalen Anwälte – angeführt von dem ehemaligen spanischen Richter und Völkerrechts-Experten Baltasar Garzón – hatten Staatsanwaltschaft und das Berufungsgericht von Barlavento zwischen Ende 2020 und Anfang 2021 die Freilassung von Alex Saab angeordnet. Allerdings erwiesen sich die Bemühungen als vergeblich, als nach erneutem monatelangem Tauziehen zwischen Verteidigung und Justiz das kapverdische Verfassungsgericht Anfang September 2021 mit einer 194-seitigen Urteilsbegründung „alle Rechtsmittel für erschöpft“ erklärte und die Auslieferung Saabs an die USA anordnete. Fünf Wochen später, Mitte Oktober 2021, wurde Saab aus der Haftanstalt Sal geholt und in die USA ausgeflogen.
Mit der Verhaftung und Auslieferung Saabs sahen sich die Kapverden plötzlich in den unfreiwilligen Mittelpunkt einer Konfrontation zwischen der US-Regierung und der Administration Nicolás Maduro in Venezuela gerückt. Anwalt Baltasar Garzón und kritische US-JournalistInnen wie Rania Khalek bezeichneten die Auslieferung Saabs als kaltblütige Entführung.
Garzón machte präzise Angaben zum völkerrechtswidrigen Vorgehen der USA. Die Vereinigten Staaten haben ein Verfahren gegen einen Sondergesandten eingeleitet, der als diplomatischer Vertreter eines souveränen Drittlandes handelte, und seine Inhaftierung angeordnet, die rechtswidrig ist, so der Jurist. Das Völkerrecht sei ausschlaggebend bei der Festlegung der Vorrechte diplomatischer Vertreter, der Unverletzlichkeit (die sie vor Inhaftierung schützt) und Immunitäten, Gerichtsbarkeit und Vollstreckung (die sie vor Klagen schützt). Der Zweck dieser Vorrechte verweise klar darauf, dass ein Land im Rahmen eines diplomatischen Konflikts kein Verfahren gegen Vertreter eines anderen Staates im Ausland einleiten darf. Genau das sei aber passiert.
Nach Saabs Verhaftung hätten die USA ein von Unwahrheiten strotzendes Auslieferungsersuchen eingereicht, so Garzón, um die extraterritoriale Gerichtsbarkeit zu erzwingen, die sie, wenn sie vollzogen würde, als weltweiten Justizgendarm etablieren würde; obendrein für Tatbestände, die bereits von anderen Gerichtsbarkeiten – einschließlich der eines befreundeten Landes wie Ecuador, dem die US-Regierung nicht misstraut – untersucht und ad acta gelegt worden waren. Darüber hinaus, so der ehemalige spanische Richter, wurde das Auslieferungsverfahren ohne ein bilaterales Auslieferungsabkommen mit den Kapverden manipuliert. Es berief sich für die Auslieferung auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, obwohl die USA ausdrücklich zugestimmt haben, dass das Übereinkommen keine Rechtsgrundlage für die Auslieferung bietet. Ebenso versuchten die USA damit, die Auslieferung mit Gewohnheitsrecht zu rechtfertigen, indem sie argumentierten, die Auslieferung wäre auf internationale Gegenseitigkeit ausgerichtet, obwohl die USA in ihrem eigenen Auslieferungsersuchen erklären, dass sie eine solche Gegenseitigkeit gegenüber den Kapverden nicht garantieren können.
Die Affäre San Jacinto und der Militärvertrag mit den Kapverden
Ein Jahr zuvor, im November 2020, tauchte plötzlich der US-Navy-Kreuzer San Jacinto an der kapverdischen Küste auf. Als einziges Medium der USA bekam die New York Times Wind von dem ungewöhnlichen Manöver und forderte die damalige Regierung Donald Trump zu einer Erklärung heraus : „Was war die geheime Mission des Schiffes San Jacinto in Cabo Verde?“.
Recherchen der New Yorker Tageszeitung ergaben, dass die geheime Auffahrt des Kriegsschiffs vor der Küste der Kapverden mit Präsident Trumps Entlassung von Verteidigungsminister Mark T. Esper zusammenfiel. Monatelang war Esper Anordnungen des Außen- und des Justizministeriums ausgewichen, ein Schiff der US-Marine nach den Kapverden abzukommandieren. Sein Auftrag: „Eine Verschwörung Venezuelas und des Iran zur gewaltsamen Befreiung Saabs zu verhindern“. Doch Esper belächelte die Bedenken als groben Unfug und erklärte, die Entsendung eines Kriegsschiffs vor die Kapverden bedeute einen Missbrauch der US-Militärmacht. Stattdessen wurde im August ein Boot der Küstenwache entsandt, um die fragliche Mission durchzuführen.
Der Spott kostete Esper sein Amt. Nachdem er gefeuert wurde, genehmigte sein Nachfolger Christopher Miller – ein ehemaliger „Berater für Terrorismusbekämpfung“ im Weißen Haus – eilends den Einsatz der San Jacinto aus Norfolk, Virginia. Das Unding: Der Kreuzer überquerte den Atlantik, um den einsamen Gefangenen Alex Saab einen ganzen Monat lang im Auge zu behalten beziehungsweise Druck auf die Kapverden zu seiner sofortigen Auslieferung auszuüben.
Tausende Seemeilen von den USA und Venezuela entfernt, habe das Unternehmen Jacinto, so die N.Y. Times, dazu gedient, „Präsident Nicolás Maduro, einen ausgesprochenen Gegner der Trump-Regierung, ins Visier zu nehmen“. Die Auseinandersetzung um Saab, so die Zeitung, sei damals die jüngste Wendung im angespannten Verhältnis zwischen den USA und Venezuela gewesen. Immerhin habe Trump 2017 eine „militärische Option“ gegen die Regierung Nicolás Maduro nicht ausgeschlossen und hielt 2018 geheime Treffen mit abtrünnigen Militärbeamten aus Venezuela ab, um Pläne zum Sturz Maduros zu erörtern.
Doch zurück zu der vom Juristen Garzón kritisierten Vorenthaltung der „internationalen Gegenseitigkeit“ durch die USA in Sachen bilateraler Justiz-Kooperation. Ein paar Jahre zuvor hatte die US-amerikanische Ablehnung einer Bestrafung von US-Militärpersonal durch die kapverdische Justiz eine heiße Debatte im Landesparlament ausgelöst. Empört erklärten Abgeordnete, es sei nicht akzeptabel, dass im Falle eines Verbrechens von US-Soldaten gegen ihre Familienmitglieder nur die ferne US-Justiz für sie zuständig sei.
US-Soldaten auf den Kapverden?
In der Debatte ging es selbstverständlich um viel mehr als um Details wie die „internationalen Gegenseitigkeit“. Es ging um die Unterzeichnung eines sechs Jahre zuvor eingereichten „Angebots“ der USA für die Unterzeichnung eines umfassenden Militärvertrages. Der Trick der Imperialmacht: Nach zwei Wahlniederlagen der ehemaligen Regierungspartei PAICV – die nach 500-jähriger Kolonialherrschaft mit Guinea-Bissau in den 1970er Jahren als Befreiungsbewegung die Unabhängigkeit von Portugal erkämpft und in den 1990er Jahren einem demokratischen Mehrparteiensystem zugestimmt hatte – nutzten sie die Regierungsmacht der neoliberal ausgerichteten Bewegung für die Demokratie (MpD).
Das Heranschleichen an das Durchpeitschen des Militärvertrages stützte sich auf Scheinargumente wie „Schutz der afrikanischen Küste vor internationaler Kriminalität“ und vermied die Bezeichnung „Militärbasis“, auf die der euphemistische Vertrag schließlich hinauslief. Er wurde am 28. Juni 2018 gegen die Stimmen der PAICV verabschiedet. Ob er weiterhin in Kraft bleiben wird, ist fraglich: Mit der Wahl José Maria Neves‘ als neuen Staatspräsidenten kehrte die der Sozialistischen Internationalen angehörige PAICV im November 2021 an die Regierungsmacht zurück.
„Well timed“ durch die USA, die auf Biegen und Brechen einen Monat zuvor Kapverdens konservativer MpD-Regierung Alex Saab „abgewonnen“ hatten. Kaum im Gerichtssaal der US-Justiz angekommen, ließ diese insgesamt sieben der acht gegen Saab erhobenen Anklagepunkte fallen. Dreh- und Angelpunkt der Maduro-besessenen US-Justiz ist nun, Saab als Kronzeugen zu gewinnen, ihn in den „Deep Throat“ gegen den verhassten Chavismo zu verwandeln.
Titelbild: Khaiinauylovinns/shutterstock.com
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