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Titel: Die Neue Realität der Mitte

Datum: 28. Januar 2022 um 8:44 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Gesundheitspolitik, Strategien der Meinungsmache, Wertedebatte
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Wir teilen Menschen in Geimpfte und Ungeimpfte ein und weisen den Ungeimpften die Schuld daran zu, dass wir sie diskriminieren. Die „neue Normalität“ ist zur „neuen Realität“ geworden und Widerspruch und Protest werden ausgegrenzt. Unser Leser Mark Marek hat sich Gedanken zu dieser Entwicklung gemacht.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wie die Corona-Pandemie für einen großen Teil unserer Gesellschaft eine alternative Wirklichkeit verfestigt hat.

Die vermeintliche Schuld der „Ungeimpften“

Die „Ungeimpften“ sind schuld. Nicht geimpfte Menschen sind schuld an unserer Situation. Sie sind schuld daran, dass die Mehrheit unter Einschränkungen leiden muss. Sie sind schuld daran, dass wir nicht aus der Pandemie herauskommen. Sie sind schuld daran, dass die Impfstoffe nicht so gut wirken wie erhofft. Laut unserem Gesundheitsminister (34:30) sind sie ebenfalls schuld daran, dass das RKI den Genesenenstatus von 6 auf 3 Monate verkürzen „musste“. Und wenn man es sich ganz genau überlegt, sind sie höchstwahrscheinlich auch schuld daran, dass das Virus überhaupt entstanden ist.

Dieses, die vermeintliche Schuld der nicht geimpften Menschen an einfach allem, ist eines der Hauptnarrative der Neuen Realität der Mitte.

Laut RKI (S. 28, Tab. 5) trat bisher der Großteil aller mit Impfstatus dokumentierten symptomatischen Omikron-COVID-19-Fälle bei geimpften Menschen auf. Das bedeutet, dass die aktuelle Virusvariante anscheinend nicht unterscheidet zwischen geimpften und nicht geimpften Menschen. Dies würde eigentlich die aktuellen Erzählungen der Politik ad absurdum führen. Wäre da nicht das Phänomen, dass die Neue Realität der Mitte alle Zahlen, die nicht ins jeweils virulente Narrativ passen, entweder nicht erwähnt oder als „irrelevante Momentaufnahme“ (13:40) außer Kraft setzt. Auch der Epidemiologe Timo Ulrichs benutzt diesen Kniff, um unliebsame Zahlen zu entkräften. Angesprochen auf die auffällige Korrelation extrem hoher Inzidenz bei hoher Impfquote und umgekehrt am Beispiel Bremen und Sachsen antwortet er: „es ist eine Momentaufnahme…aber das kann sich sehr schnell ändern“ (18:10)

Grundrechtseingriffe und Diskriminierung auf Basis falscher Zahlen

Nach zwei Jahren massiver Grundrechtseingriffe ist Gewöhnung eingetreten. Grundrechtseinschränkungen werden nicht nur nicht mehr hinterfragt, sie werden teilweise nicht zum Schutz der Bevölkerung, sondern zur Druckausübung, um ein gewünschtes Verhalten zu erzwingen, eingesetzt. Inzwischen ist es bereits möglich, dass Einrichtungen wie das Robert Koch-Institut über Nacht, durch Änderung einer Zahl auf ihrer Internetpräsenz, die Grundrechte von Millionen Menschen einschränkt. Stillschweigend, willkürlich, ohne wissenschaftliche Evidenz und ohne direkte Beteiligung des Parlaments.

Auch Diskriminierung, Ausgrenzung und politische Agitation gegen eine ganze Bevölkerungsgruppe ist salonfähig geworden. Niemand stört sich daran. Menschen werden eingeteilt in „Geimpfte“ und „Ungeimpfte“, dabei sollte eigentlich schon sprachlich auffallen, dass hier etwas nicht stimmt. Durch gezielte Manipulation wurde und wird ein Feindbild in der Gesellschaft verfestigt. Um dieses Ziel zu erreichen, schrecken einige Politiker nicht einmal vor der Verwendung falscher Zahlen zurück.

Freiwillige Impfung durch Impfpflicht

Während es sich bereits einige Monate nach Beginn der Impfungen abzeichnete, dass die verwendeten Impfstoffe nicht der große, erhoffte „Game Changer“ sein werden, wurde die Impfkampagne umso verbissener weitergeführt. Da die Impfstoffe weder geeignet sind, die Weitergabe des Virus zu verhindern, noch eine Herdenimmunität zu ermöglichen, liegt es auf der Hand, dass sich eine Impfpflicht schon alleine aus diesen beiden Gründen verbietet und verfassungswidrig ist. Diese Tatsache blendet die Neue Realität der Mitte jedoch komplett aus. Es wurde bereits die einrichtungsbezogene Impfpflicht (Nachweispflicht) eingeführt und es wird unbeirrt über eine allgemeine Impfpflicht weiterdiskutiert. Karl Lauterbach agitiert ununterbrochen weiter gegen nicht geimpfte Menschen und versucht mit allen Mitteln, eine allgemeine Impfpflicht zu forcieren. Dabei verliert er sich in immer konfuseren Aussagen: „Ich glaube also, dass Ärzte jeden impfen sollten, denjenigen, der geimpft werden will, weil er der Impflicht nachkommt oder denjenigen, der sich impfen lässt ganz freiwillig. Es wird ja niemand gegen seinen Willen geimpft. Selbst die Impfpflicht führt ja dazu, dass man sich zum Schluss freiwillig impfen lässt.“

Dieser Vortrag ist nicht nur wirr, er zeugt von nicht vorhandener Empathie und ist darüber hinaus außerordentlich respektlos dem freien Willen aller Menschen gegenüber, seien sie nun “gehorsam” oder “ungehorsam” seiner Doktrin gegenüber. Die Neue Realität der Mitte setzt die Entscheidung für eine Impfung als einzig zulässige Wahl. Sie reduziert den Begriff der Solidarität auf den Akt des Impfens und spricht damit allen, die nicht dazu bereit sind, jegliches Gemeinschaftsgefühl ab.

Durchimpfung aller Menschen

Beinahe wahnhaft erscheint es, an der durch die Realität bereits lange zerpflückten Illusion festzuhalten, eine höhere Impfquote könne uns aus der Pandemie führen. Wie sonst könnte der nahezu verzweifelte Versuch erklärbar sein, auch noch den letzten nicht geimpften Menschen zur Impfung zu nötigen. Oder geht es hier tatsächlich um „Rache und Vergeltung“, wie Wolfgang Kubicki vermutet? Die Vergeltung für die vermeintliche Schuld der nicht geimpften Menschen an allem Leid der Pandemie.

Dies würde auch ein weiteres Symptom der Neuen Realität der Mitte erklären: Die Verdrängung nicht nur einzelner Tatsachen, sondern ganzer Wirklichkeitsstränge, z.B. die komplette Ausblendung des Leides, welches die Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht für hunderttausende Menschen und für Millionen Menschen bei der allgemeinen Impfpflicht bedeutet: Sie haben die „Wahl“, sich einer ungewollten medizinischen Behandlung zu unterziehen oder sie verlieren ihre Existenzgrundlage. Das ist erbarmungslos und man fragt sich, wieso das in der Öffentlichkeit nicht einmal eine Randnotiz wert ist. Wo ist hier die vielbeschworene Solidarität, mehr noch, wo ist hier auch nur eine Spur von Humanismus diesen Menschen gegenüber? Selbst gesetzt den Fall, sie begingen tatsächlich irgendeine Form von „Unrecht“.

Diskreditierung protestierender Menschen

Vor den Bildern der überall im Land stattfindenden Demonstrationen mit Plakaten mit den Aufschriften: „Für eine freie Impfentscheidung“, „Gegen die Spaltung der Gesellschaft“, „Für die Freiheit“, allesamt demokratische Inhalte, sitzen Gäste in Talkshows und diskreditieren diese Menschen als Demokratiegefährder und Sympathisanten der Rechten mit der Begründung, dass eine deutlich kleinere Gruppe tatsächlich rechts orientierter Menschen und Extremisten sich parallel dazu bewegen. Natürlich sind deren Aktionen wie Fackelaufmärsche und Drohungen zu verurteilen. Aber sehr wohl versucht die Mehrheit der friedlich demonstrierenden Menschen, sich davon zu distanzieren.

Würde man dieser Wirklichkeitsverschiebung der Neuen Realität der Mitte folgen, so wäre der gesamte Bundestag ein bunter Haufen von rechtsgesinnten Demokratiefeinden, da dort ja einige solcher Zeitgenossen vertreten sind und sich die Mehrheit nicht deutlich genug distanziert, ja mehr noch, sie gestalten mit ihnen gemeinsam Politik. Damit stellte sich die Frage: Wie könnten wir den Bundestag „…wieder zurück in die Mitte der Gesellschaft holen?“ Diese Frage formulierte vor kurzem der Moderator einer Talkshow, jedoch in Bezug auf die Menschen auf den Straßen, die sich für den Erhalt unserer Demokratie einsetzen. Die tatsächlich treffende Frage müsste jedoch lauten: „Wie holen wir die Mitte der Gesellschaft zurück in die Realität?“ Denn dies würde den einzig gesunden Ausweg aus dem pandemischen Zustand ermöglichen.

Abschied von der Angst

Inzwischen haben immer mehr Menschen wesentlich mehr Angst vor unserer Regierung als vor dem Virus. Angst vor willkürlichen, rein politisch motivierten Grundrechtseinschränkungen. Angst, offen ihre Meinung zu sagen, selbst innerhalb von Freundschaften und der eigenen Familie. Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes aufgrund ihrer Impfentscheidung. Angst vor einem sich immer mehr ausbreitenden Hass an den Rändern und in der Mitte der Gesellschaft. Angst vor dem immer deutlicher zutage tretenden Mangel an Empathie und Menschlichkeit, sowohl des Staates seinen Bürgern gegenüber, als auch innerhalb der Gesellschaft.

Das Virus interessiert das alles nicht. Es will nur überleben. Omikron jedoch drängt sich geradezu auf als möglicher Ausweg aus all dem. Aufgrund der, mit dieser Virusvariante verbundenen, verhältnismäßig milden Verläufe haben wir die Wahl: Entweder wir folgen den Herren Lauterbach und Wieler in ihre angstbesetzten, dystopischen Phantasiewelten voller möglicherweise vielleicht kommenden Herbst auftauchender, möglicherweise vielleicht extrem gefährlicher Mutanten, inklusive andauernder, willkürlicher Grundrechtseinschränkungen hinter jeder Ecke und Dauerimpfungen im Supermarkt und an der Tankstelle.

Oder wir folgen dem Beispiel anderer Länder, schaffen es gemeinsam, unsere Angst und die Grundrechtseinschränkungen loszulassen, und schützen währenddessen mit sinnvollen und verfassungskonformen Maßnahmen unsere vulnerablen Gruppen.

Um anschließend eine Chance zu haben, gemeinsam zu einer neuen Normalität zu gelangen, werden wir zwingend das in den vergangenen zwei Jahren Geschehene aufarbeiten müssen. Ansonsten wird es in den kommenden Dekaden keine gesamtgesellschaftliche Normalität mehr geben in unserem Land.

Titelbild: Roman Belogorodov/shutterstock.com


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