Heute unter anderem zu folgenden Themen: Anschlag auf US-Politikerin; die Lage ist nicht halb so gut wie die Stimmung; ist das Gesundheitssystem noch zu retten?; Vorkasse beim Arzt und in der Apotheke sind riskant; Personal für Kontrollen fehlt; was essen wir wirklich?; Hypo exklusiv: Der geheime Kaufvertrag mit der Bayerischen Landesbank; Großprojekte sollen schneller genehmigt werden; CDU-Kampagne gegen die Grünen: „Die Dagegen-Partei“; Grüne werfen Merkel Manipulation vor; Länder drohen Bahn mit Sanktionen; Stuttgart: Und ewig bockt der Berg; weniger, älter, bunter: Vergessene Faktoren; für mehr Ferne im Fernsehrat; Thilo Sarrazin und seine Leser; Ypsilanti liest SPD die Leviten; die Verhältnisse sind weniger neoliberal als neofeudal; Schulsozialarbeit bringt mehr als ein Bildungsgutschein für Nachhilfe; Blicke über den Zaun. (KR/WL)
- Anschlag auf US-Politikerin
Ein Mann hat in Arizona eine Kongressabgeordnete durch einen gezielten Kopfschuss schwer verletzt. Der 22-jährige Täter erschoss bei einem Bürgertreff der Politikerin zudem sechs Menschen, darunter ein kleines Mädchen. Die Motive des Täters, der überwältigt wurde und in Haft ist, sind unklar. Sheriff Dupnik verwies ausdrücklich auf die aufgeheizte politische Stimmung in Arizona: Ein solches Klima könne psychisch labile Menschen beeinflussen. „Wir sind zu einem Mekka des Hasses und der Vorurteile geworden“, sagte Dupnik. Die politische Rhetorik in den USA ist in den vergangenen zwei Jahren immer aggressiver geworden. “Gabby” Giffords war selbst mehrfach verbal attackiert worden. Die ehemalige Vizepräsidentschafts-Kandidatin Sarah Palin, seit langem inoffizielles Sprachrohr der radikal gesinnten “Tea Party”, veröffentlichte im März 2010 eine Karte der USA mit Zielscheiben auf 20 Wahlkreisen, deren Abgeordnete für die Gesundheitsreform von Barack Obama gestimmt hatten. Eine der Zielscheiben markierte Giffords, dazu kam die Aufforderung “Stellung zu beziehen”. Palin hatte ihre Anhänger in der Vergangenheit bereits aufgefordert, gegenüber dem politischen Gegner “nicht nachzugeben, sondern nachzuladen”. Nicht nur rhetorisch lud unterdessen Giffords Gegner im Rennen um den Abgeordnetensitz nach. Der republikanische Kandidat Jesse Kelly forderte seine Anhänger im Juni auf: “Helft uns Gabrielle Giffords aus dem Amt zu werfen. Feuert eine vollautomatische M16 mit Jesse Kelly.” Solche Aktionen im Wahlkampf kommen gut an in Arizona, einem Staat mit vielen Waffennarren, in dem zur Zeit unter anderem darüber diskutiert wird, Waffen in Schulen zu legalisieren. Bei Wahlkampfveranstaltungen der Demokratin waren im vergangenen Herbst regelmäßig politische Gegner mit Waffen erschienen. Im März wurde ihr Wahlkampfbüro in Tucson verwüstet.
Quelle: Tagesspiegel
Anmerkung Orlando Pascheit: Allenthalben liest man jetzt, dass die USA unter Schock stünden. Wer mag das glauben, wenn man z.B. die Hetzkampagne gegen die Gesundheitsreform seitens der Republikaner, unterstützt durch die betroffene Industrie, und der Tea-Party-Bewegung, personifiziert in Personen wie Beck oder Palin, verfolgt hat. Gabrielle Giffords selbst hatte nach einem Angriff auf ihr Büro die Zielscheibenaktion von Palin wie folgt kommentiert: “Wenn man so etwas tut, dann muss man auch wissen, dass es Konsequenzen haben kann”. Jetzt rätseln alle über die Motive des Täters, richtig ist, dass viele normale Amerikaner inklusive kühl kalkulierender Politiker und Geschäftsleute zu dieser Atmosphäre des Hasses beigetragen haben, in der dann einige verwirrte Geister durchdrehen. Unbegreiflich, warum es z.B. einem Fernsehsender Fox erlaubt ist, kaum fassbare Lügenkampagnen gegen den politische Gegner zu starten. – Aber Vorsicht, zwar mögen wir in Deutschland noch nicht an die US-amerikanische Dimension der Hetze heranreichen. Was aber Politiker und eine bestimmte Zeitung gegen Hartz-IV- Bezieher oder Migranten regelmäßig ablassen, dient auch nicht gerade der Befriedung des Gemeinwesens. Auch die pauschale Diffamierung von bestimmten Personen hat bei uns Tradition – siehe seinerzeit die Kampagne gegen Andrea Ypsilanti.
- Die Lage ist nicht halb so gut wie die Stimmung
In Deutschland steigen die Industriebestellungen um gut fünf Prozent zum Vormonat – und stagnieren dennoch nahezu. Das klingt paradox, ist aber nichts im Vergleich zu den Stimmungsumfragen, die sich von der Realität abgekoppelt zu haben scheinen. (…) Rechnen wir ab jetzt immer mit dem gleitenden Drei-Monats-Durchschnitt, um die schon wegen der unterschiedlichen Häufigkeit von Großaufträgen schwankungsanfälligen Daten zu glätten. Und sofort fällt auf, dass die Auslandsbestellungen im November kaum mehr höher waren als im August – trotz des riesigen Sprungs der Nicht-EWU-Aufträge im November, der nach einer Korrektur schreit. (…) Vor allem die Konsumgüterbestellungen sind bis heute so schwach geblieben, dass man sich fragt, für wen die umfragegemäß jubilierenden Firmen überhaupt herumwurschteln. Der rekordhohe jüngste EU-Konjunkturklimaindex für den Einzelhandel etwa mutet angesichts der erbärmlichen tatsächlichen November-Umsätze auf dem alten Kontinent wie ein schlechter Witz an.
Selbst in der vergleichsweise erfolgreichen deutschen Industrie ist die Lage nicht halb so gut wie die Stimmung. Letztere reflektiert eher die Gewinnmargen der Firmen, welche sich dem ungeheuerlich hohen Vorkrisenniveau nähern.
Quelle: FTD
- Erste Hilfe gesucht: Ist das Gesundheitssystem noch zu retten?
Es scheint jedes Jahr schlechter zu werden: Die Krankenkassenbeiträge steigen und steigen, und die Strukturen ändern sich überhaupt nicht. Die Medikamente in Deutschland sind viel zu teuer, aber die Politik scheint der Pharmalobby gegenüber machtlos zu sein, die Ärzte mühen sich mit bürokratischem Kleinkram ab, und die Patienten fühlen sich schlecht behandelt. Was kann und muss man tun? Wie kann man die Misere überwinden, mit mehr Staat, mehr Regelungen? Antworten gibt der Medizinhistoriker von der Universität Heidelberg, Prof. Wolfgang U. Eckart.
Quelle 1: SWR2 Audio [Mp3 – 28:23min)
Quelle 2: SWR2 Manuskript [ PDF – 123,7 KB]
Anmerkung KR: Lesenswert. Hier ein Zitat: „Die Privatisierungswelle in der Krankenhausversorgung, die dramatisch auch auf die Universitätsklinika übergreift, hat erheblich zur Kostenexplosion im Gesundheitswesen beigetragen.“
- Achtung Kostenfalle: Vorkasse beim Arzt und in der Apotheke sind riskant
Ab 1. Januar gelten beim Arzt, und in der Apotheke andere Regeln: Statt Sachleistung kann jetzt beim Arzt direkt auf Rechnung bezahlt und in der Apotheke kann ein wirkstoffgleiches Medikament gegen Zahlung der Mehrkosten gewählt werden. Doch Vorsicht: Die vermeintliche Wahlfreiheit, kann schnell zur riskanten Kostenfalle werden. Über 600.- EUR kann dann der Besuch beim Radiologen kosten. Immerhin noch rund 250.- EUR sind es dann im Schnitt beim Internisten. Und wie im Spielcasino geht’s in der Apotheke zu. Auf bis zu 90 Prozent des Arzneimittelpreises bleiben die Patient/innen sitzen. Was die Krankenkasse wirklich beim gewählten Medikament erstattet, weiß nicht einmal der Apotheker.
Quelle: ver.di
Anmerkung eines NDS-lesenden Hausarztes: Das Sachleistungsprinzip ist undurchsichtig, vormundschaftlich und letztlich teuer (beschaffen Sie z.B. eine Toilettensitzerhöhung selbst, kostet das 45 EUR, die Kasse bezahlt dafür um die 90 EUR). Es ist auch nicht einzusehen, warum diese Form staatlicher Fürsorge für Alle gelten soll, wenn nur 20 % HARTZ IV bekommen und dieses Ausgleiches bedürfen.
Das Sachleistungsprinzip stammt aus Zeiten, zu denen ein Arztbesuch tatsächlich ein Privileg war und man der breiten Masse diesen auch ermöglichen wollte. Damals gab es sozialen Ausgleich wie z.B. HARTZ IV nicht, andererseits gab es auch noch keine medizinischen. Großgeräte und andere kostenträchtige Untersuchungsverfahren…
Frage WL: Wenn dem so wäre, dass die Selbstbeschaffung und Vorfinanzierung von medizinisch indizierten Hilfsmittel über die Kasse teurer wäre, warum üben die Kassen dann mir ihrer viel größeren Nachfragemacht, als sie ein einzelner Patient hat, nicht entsprechenden Druck aus.
- Personal für Kontrollen fehlt
Verbraucherschützer und Lebensmittelindustrie fordern als Konsequenz aus dem Skandal um dioxinverseuchtes Tierfutter deutlich strengere und häufigere Kontrollen. “Die amtliche Überwachung von Futtermitteln scheint nicht ausreichend zu sein”, sagt Matthias Horst, der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), gegenüber “Welt kompakt”. Offensichtlich hätten die Bundesländer in den vergangenen Jahren an dieser Stelle zu viel gespart. Unterstützt wird Horst von der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). “Für effiziente Kontrollen fehlt bei den Ländern ausreichend Personal”, sagt vzbv-Vorstand Gerd Billen. Dem sogenannten Verbraucherschutzindex seines Verbandes zufolge gibt es knapp 6750 Lebensmittelkontrolleure in Deutschland. Damit entfallen im Durchschnitt 6,27 Prüfer auf 1000 Betriebe. “Diese Zahl reicht bei weitem nicht aus”, heißt es beim vzbv. Besonders groß ist der Nachholbedarf laut Untersuchung in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, in Berlin und Brandenburg sowie in Schleswig-Holstein, Thüringen und Hamburg. Dort gibt es zum Teil nur einen oder zwei Kontrolleure für 1000 Betriebe.
Quelle: Welt
- Food, Inc. – Was essen wir wirklich?
47.000 Produkte führt ein durchschnittlicher amerikanischer Supermarkt. Das Angebot scheint grenzenlos. Doch betrachtet man die augenscheinliche Vielfalt genauer, zeichnen dafür nur eine Handvoll Firmen verantwortlich. Das stellen Produzent und Regisseur Robert Kenner und die Journalisten Eric Schlosser und Michael Pollan bei ihren Recherchen über den amerikanischen Lebensmittelmarkt fest.
Wenige große Konzerne beherrschen den Markt. Beispiel Fleisch: Gab es 1970 noch Tausende von Schlachthöfen in den USA, gibt es heute gerade noch 13. Hühner werden heute in der Hälfte der Zeit wie vor 50 Jahren doppelt so schwer. Dabei nehmen sie so schnell zu, dass die Knochen die Fleischmassen nicht tragen können und die Tiere alle paar Schritte umkippen. Hühnerhalter werden durch hohe Kredite abhängig von den großen Fleischkonzernen. Wer die Tiere nicht nach deren Vorgaben hält, nämlich in riesigen Hallen ohne Tageslicht oder wer Filmteams auf seine Anlage lässt, dem wird der Vertrag gekündigt. Die gleichen Zustände herrschen auf dem Saatgutmarkt. 90 Prozent aller Sojabohnen in den USA enthalten Gene, auf die Monsanto ein Patent hat. Ehemalige Monsanto-Mitarbeiter, die in die Politik gewechselt sind, waren federführend an der Entscheidung beteiligt, gentechnisch veränderte Produkte nicht zu kennzeichnen. Mit dem Ergebnis, dass heute 70 Prozent aller verarbeiteten Produkte in einem amerikanischen Supermarkt gentechnisch veränderte Zutaten enthalten.
‘Es geht nicht nur darum, was wir essen oder um unsere Gesundheit, sondern darum, was wir wissen dürfen.’ Dieses Zitat stellen die Filmemacher an den Anfang des Filmes. Und ziehen am Ende den Schluss: ‘Einer der wichtigsten Kämpfe der Verbraucher ist der Kampf um das Wissen, was in unserem Essen ist und wie es hergestellt wurde.’ Mit aller Macht verhindern große Konzerne in Amerika, dass Verbraucher erfahren, wie ihr Essen hergestellt wird. Kritiker werden mit Prozessen überzogen und so mundtot gemacht. Auch wenn manche der geschilderten Zustände zunächst ‘typisch amerikanisch’ scheinen, gibt es doch viele der gezeigten Entwicklungen auch in Europa. Auch hier erfahren Verbraucher oft nicht, was hinter dem schönen Schein der bunten Etiketten steckt.
Quelle: einsfestival
- Hypo exklusiv: Der geheime Kaufvertrag mit der Bayerischen Landesbank
Vor einem Jahr musste die Hypo Alpe-Adria notverstaatlicht werden. profil veröffentlicht den geheimen Kaufvertrag mit der Bayerischen Landesbank: Wie die Bayern die eigene Tochter gezielt an den Rand der Pleite drängten – und sich von der Republik Österreich auch noch Investments in Milliardenhöhe absichern ließen.
Quelle: profil
- Großprojekte sollen schneller genehmigt werden
Trotz der Erfahrung mit dem Bahnprojekt „Stuttgart 21“ will die Bundesregierung Beteiligungsrechte der Bürger bei Großprojekten einschränken. Dies geht aus einem Entwurf des Innenministeriums hervor. So soll eine öffentliche Erörterung in der Planungsphase nicht mehr zwingend sein.
Das ergibt sich aus einem Entwurf von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) für ein “Gesetz zur Vereinheitlichung und Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren”, der der F.A.Z. vorliegt. Der wohl heikelste Punkt ist die darin vorgesehene Regelung, dass die jeweils zuständigen Verwaltungsbehörden künftig von einem öffentlichen Erörterungstermin absehen können. Beim Großprojekt der Deutschen Bahn, Stuttgart 21, führte der Vorwurf der mangelnden Bürgerbeteiligung zu einer Verschärfung der Proteste.
“Die Behörden werden diese Möglichkeit verantwortungsvoll nutzen und den Verzicht nicht zum Regelfall machen”, heißt es in der Begründung zwar. Doch bei Großvorhaben “mit einer großen Zahl von Einwendern” sei eine solche Veranstaltung oft kaum noch handhabbar. In vielen Fällen habe sie auch kaum befriedende Wirkung.
Quelle: FAZ
Anmerkung WL: Da wird auf der einen Seite das Schlichtungsverfahren bei Stuttgart 21 als vorbildlich gerühmt und der Schlichter Heiner Geißler gar zum Politiker des Jahres hochgejubelt – und was macht die Politik? Sie schränkt die Beteiligung der Öffentlichkeit bei solchen Großprojekten per Gesetz ein.
Dazu passt:
- Die Pressestelle der CDU Deutschlands teilt mit:
Am Vortag der Klausur des Bundesvorstandes von Bündnis 90/Die Grünen hat die CDU Deutschlands die Internetseite http://www.die-dagegen-partei.de gestartet. Eine virtuelle Landkarte zeigt auf einen Blick, dass die Grünen in ganz Deutschland eine Vielzahl wichtiger Infrastruktur-Vorhaben blockieren oder behindern: vom Pumpspeicherwerk im Schwarzwald über die Hochspannungsüberlandleitung in Brandenburg bis zum Bau der Schnellbahnstrecke zwischen Hannover, Hamburg und Bremen.
“Neue Bahnhöfe, neue Straßen, neue Schienen, neue saubere Kraftwerke – die Grünen sind gegen alles”, kritisierte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe gegenüber CDU.TV, dem Internet-Fernsehen der CDU Deutschlands.
Darunter seien auch viele Projekte, die die Grünen im Bund selbst mitbeschlossen hätten. Sie stellten sich gegen Vorhaben, “die unser Land wirtschaftlich weiter voranbringen, die noch mehr Arbeitsplätze schaffen und unsere Umwelt schützen. Das ist verantwortungslos von der ‘Dagegen-Partei’!”, so Gröhe.
Die Internetseite finden Sie unter http://www.die-dagegen-partei.de.
Das Video von Generalsekretär Gröhe unter http://www.cdu.tv.
Anmerkung WL: Jede Partei, die die Politik der schwarz-gelben Koalition ablehnt, ist also „Dagegen-Partei“. Wieder einmal ein schlagendes Beispiel über das Demokratieverständnis von Union und FDP.
- Grüne werfen Merkel Manipulation vor
Die damalige Umweltministerin soll in den 90er Jahren das atomare Entsorgungskonzept für den niedersächsischen Salzstock in Gorleben so verändert haben, dass damit unnötige Gefahren in Kauf genommen wurden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird in einem Zwischenbericht zum Gorleben-Untersuchungsausschuss des Bundestages heftig von den Grünen attackiert. Diese werfen ihr vor, als Umweltministerin der Kohl-Regierung in den 90er Jahren das atomare Entsorgungskonzept für den niedersächsischen Salzstock so verändert zu haben, dass damit unnötige Gefahren in Kauf genommen wurden. Von der „kostenoptimierten Erkundung“ des Endlager-Standorts hätten Bundesregierung und Stromkonzerne sich damals Einsparungen über 300 Millionen D-Mark (gut 150 Millionen Euro) versprochen.
Quelle: FR
- Länder drohen Bahn mit Sanktionen
Mit dem Winterchaos im Regional- und Fernverkehr der Deutschen Bahn sowie bei der Berliner S-Bahn beschäftigt sich jetzt auch die Verkehrsministerkonferenz (VMK) der Länder. Die „erheblichen Qualitätsmängel“ im Bahnverkehr aufgrund des Winters sollen am kommenden Montag (10. Januar) auf einer Sondersitzung der VMK besprochen werden, kündigte der Vorsitzende, Brandenburgs Verkehrsminister Jörg Vogelsänger (SPD), am Mittwoch in Potsdam an. Zudem werde es bei der außerordentlichen Tagung um die künftige Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur gehen. Vogelsänger sprach angesichts der Einschränkungen im Bahnverkehr von unhaltbaren Zuständen. Winter gebe es in jedem Jahr. Dass so viele Züge ausfielen, sei „völlig unbefriedigend“. Er begrüße deshalb, dass sich auch der Verkehrsausschuss des Bundestages mit den „gravierenden Problemen“ befassen werde. Zur Sondersitzung der VMK sei auch Bahnchef Rüdiger Grube geladen.
Quelle: FR
Anmerkung Martin Betzwieser: Sensationell. Es wird tatsächlich damit gedroht, nicht erbrachte Leistungen nicht zu bezahlen. Wir sind so stolz auf Sie.
- Stuttgart: Und ewig bockt der Berg
Engelbergtunnel: Dem Bund dürfte es noch weniger gefallen. Noch bis 2014 zahlt er den Tunnel ab, der einst privat vorfinanziert worden ist. 300 Millionen Euro waren veranschlagt für den Betongiganten, für zwei getrennte Röhren mit jeweils drei Fahrstreifen auf einer Länge von 2530 Metern. “Hinter der Hacke ist es dunkel”, sagt der Bergmann. Es wurden am Ende 100 Millionen mehr.
Schuld war seinerzeit die Geologie, genauer gesagt ein Stück von 400 Metern. Der Tunnel führt durch eine Gesteinsschicht, die eigentlich kein Problem darstellt, es sei denn, sie kommt mit Wasser in Berührung. Die Rede ist von Anhydrit, einem Mineral, das sich wie Gips verhält, wenn es feucht wird. Nasser Anhydrit bläht sich auf und entwickelt sprengende Kräfte…Die gemessenen Hebungen lagen bei zwanzig Zentimetern innerhalb von 48 Stunden.
Dies war der Beginn einer unterirdischen Geschichte, welche Millionen kostete – und noch kosten wird. Bei anderen Tunnelprojekten in quellendem Gebirge ist es gutgegangen, beim Heslacher Tunnel in Stuttgart, auch beim Hasenbergtunnel. In Leonberg lief es weniger gut, was manchen Kritiker des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21 in der Ansicht bestärkt, dass die Risiken nicht zu beherrschen seien. Schließlich führen die geplanten Röhren unter der Stadt ebenfalls durch Anhydritstrecken (…)
Zahlen muss sie der Bund, der nicht nur den neuen Tunnel noch drei Jahre abstottern, sondern auch die Gewährleistung für das kränkelnde Bauwerk übernehmen muss.
Quelle: Stuttgarter Zeitung
Anmerkung WL: Diese gut geschriebene Geschichte ist deswegen interessant, weil sie zeigt, wie bei privat vorfinanzierten Projekten letztlich der Steuerzahler auf den Mehr- und Gewährleistungskosen sitzen bleibt. und weil sie die Kostenrisiken aufzeigt, die auch beim Tunnelbau für den geplanten Tiefbahnhof bestehen.
- Weniger, älter, bunter: Vergessene Faktoren
“Schlimmer als der Dreißigjährige Krieg” wirkten niedrige Geburtenraten und hohe Kinderlosigkeit auf die Bevölkerung, polterte der Bevölkerungsforscher Herwig Birg im Jahr 2005. Die Medien hörten es und scheuen sich bis heute nicht, seinen kruden Prognosen zu folgen: Demnach stürben die Deutschen an Nachwuchsmangel irgendwann aus.
Was für ein Unsinn. Im Diskurs über das Gebärgebaren zeigt sich der Standardfehler demografischer Diskussionen am deutlichsten: Die falsche Annahme, dass alles so bleibt, wie es ist – in diesem Fall die Geburtenrate. Es ist zwar richtig, dass diese Zahl in Westdeutschland seit inzwischen fast 40 Jahren bei 1,4 Kindern pro Frau liegt – und damit unter dem “Bestandserhaltungsniveau” von 2,1 Kindern pro Frau, für das jede Nachkommen-Generation die ihrer Eltern vollständig ersetzt. Sehr unwahrscheinlich ist aber, dass dies so bleiben wird.
Denn während die Ziffer um 1,4 verharrt, verändert sich das Geburtenverhalten, das dahinter steckt, geradezu revolutionär: Frauen bekommen immer später Kinder und immer häufiger außerhalb der Ehe; Mütter fordern immer stärker Ihr Recht ein, zu arbeiten, und erfinden zusammen mit ihren Partnern die Beziehungswelt neu.
Ein Werte- und Verhaltenswandel ist im Gang, der längst die Familienpolitik auf den Plan gerufen hat, die nie so viel getan hat, um Nachwuchs möglich zu machen.
Das wird Wirkung zeigen – zumal sich junge Paare immer noch zwei – und nicht 1,4 – Kinder wünschen. Und tatsächlich: Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit beginnen die in den meisten Industriestaaten niedrigen Geburtenraten inzwischen wieder zu klettern.
Quelle 1: DLF
Quelle 2: DLF Podcast
Quelle 3: DLF Interview mit Gerd Bosbach [Mp3 – 06:10 min]
Dazu passt ein Buchtipp:
GERD BOSBACH, JENS JÜRGEN KORFF
Lügen mit Zahlen – Wie wir mit Statistiken manipuliert werden
Klappentext:
Wie kommen die glatten Trends in den Wahlprognosen zustande? Gibt es wirklich eine Kostenexplosion im Gesundheitswesen und was ist von den blumigen Versprechen der privaten Altersvorsorge zu halten? – Statistiken und Grafiken erwecken den Eindruck von Objektivität und Exaktheit, dabei lässt sich mit ihnen alles und das Gegenteil davon beweisen. Die Autoren decken auf, wie wir täglich belogen und manipuliert werden, wie repräsentativ Umfragen tatsächlich sind, was eine gefühlte Inflation ist und wie Medikamenten-Studien geschönt werden. Spannend, unterhaltsam und voller Aha-Erlebnisse!
Zahlen lügen nicht – oder etwa doch? Laut Statistik hat ausgerechnet die Vatikanstadt die höchste Kriminalitätsrate der Welt. Statistisch gesehen steigt Ihr durchschnittliches Einkommen, sobald ein Millionär in Ihre Nachbarschaft zieht. Und der Anstieg der Krankenkassenbeiträge von 14 auf 15 Prozent beträgt tatsächlich nicht ein Prozent, sondern sieben! Statistiken begleiten uns den ganzen Tag, denn ständig wird etwas in Zahlenreihen erfasst, ausgewertet und verglichen. Das Problem: Mit kleinen Tricks lässt sich fast jede Statistik so frisieren, dass sie nahezu jede Aussage bestätigt – oder widerlegt. Gerd Bosbach und Jens Jürgen Korff tauchen mit uns ein in die Welt der Zahlen und Statistiken und erklären, wie leicht man mit ihnen lügen und belogen werden kann – und wie wir die verzerrte Wirklichkeit durchschauen und unser Bewusstsein für Zahlen und deren Interpretation schärfen. Ein verständliches und witziges Buch für alle, die Zeitung lesen, die Nachrichten und Wetterprognosen verfolgen und wählen gehen.
Für alle, die sich nichts mehr vormachen lassen wollen: Statistiken richtig lesen
Im Wahlmarathon 2011 werden wir mit Prozenten, Prognosen und Statistiken überschüttet
Prof. Dr. Gerd Bosbach lehrt Statistik an der FH Koblenz und war mehrere Jahre im Statistischen Bundesamt tätig
»Es gibt drei Arten von Lügen: Lügen, infame Lügen und Statistiken.« Benjamin Disraeli
- Für mehr Ferne im Fernsehrat
Ver.di unterstützt die Verfassungsklage der rheinland-pfälzischen Regierung. Doch das geht der Gewerkschaft nicht weit genug. Sie will die Gremien ganz neu ordnen.
“Die Vorstellung, Vertreter von Interessenverbänden könnten allein die Pluralität der Gesellschaft abbilden, entspricht ständestaatlichem Denken und ist einer demokratischen Gesellschaft nicht mehr angemessen”, heißt es in einem jetzt veröffentlichten Appell an die Verfassungsrichter.
Darüber hinaus fordert Ver.di eine Debatte über die Vertreter im Fernseh- und Verwaltungsrat, deren Verbände oder Organisationen mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Knirsch liegen. Solche “Interessenkollisionen” würden aber bislang “kaum öffentlich diskutiert”, schreibt Uli Röhm, Sprecher von Ver.di im ZDF: “Was haben beispielsweise zwei Vertreter des Bundesverbands Deutscher Zeitschriftenverleger (BDZV) im ZDF-Fernsehrat zu suchen, die in Fragen neuer Medien in Konkurrenz mit dem ZDF stehen” – und deren Branche ständig drohe, auch juristisch gegen die Onlineaktivitäten der öffentlich-rechtlichen Sender vorzugehen, fragt Röhm.
Neben den Verleger-Vertretern sieht Ver.di auch die Vertreter der Filmindustrie und der Sportverbände im ZDF-Fernsehrat in einem Interessenkonflikt: “Sportverbände treten selbst als Veranstalter auf und verdienen sehr viel Geld durch den Verkauf von Sportrechten an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk”, heißt es in dem Schreiben.
Quelle: taz
- Thilo Sarrazin und seine Leser – Wer hat Angst vorm fremden Mann?
Fest steht, dass Thilo Sarrazins “Deutschland schafft sich ab” derzeit in der 16. Auflage gedruckt wird, dass bisher laut Verlag 1,2 Millionen Exemplare an den Buchhandel ausgeliefert wurden – und dass keine nationale Debatte im vergangenen Jahr höhere emotionale Wellen geschlagen hat. Wer aber waren die Menschen, die dieses Buch gekauft und – wenigstens zum Teil – gelesen haben? Um das zu erfahren, reicht es nicht, das Publikum diverser Sarrazin-Auftritte in Augenschein zu nehmen. Die Mischung aus bürgerlichem Habitus und geistiger Aggressivität, die bei diesen Anlässen zu beobachten war, kann bei einem solchen Breitenphänomen nicht als repräsentativ betrachtet werden. Bleibt die Methodik, auf die sich ja auch Sarrazin selbst vor allem stützt, die Interpretation gesellschaftlicher Entwicklungen und Zusammenhänge anhand repräsentativ erhobener Daten (dass er anscheinend viele dieser Daten falsch oder tendenziös ausgewertet oder interpretiert hat, wie die Soziologin Naika Foroutan in einer aktuellen Untersuchung seiner Zahlen behauptet, kann hier nicht vertieft werden, es sei aber verwiesen auf ihre Studie: www.heymat.hu-berlin.de/dossier-sarrazin-2010).
Die erste zentrale Erkenntnis, die in dieser Klarheit doch überrascht, liefert der Blick auf das Geschlecht der Käufer: Die Angst vor dem Niedergang Deutschlands ist offenbar ein überwältigend männliches Phänomen. Bekanntermaßen sind Frauen als Buchkäufer und Leser im Normalfall wesentlich aktiver als Männer, viele Bestseller verdanken sich dem Zuspruch eines explizit weiblichen Publikums. Bei Sarrazin kehrt sich das Verhältnis um: 62 Prozent der Käufer sind männlich. Wenn man jene Frauen hinzurechnet, die das Buch nur für ihren Mann gekauft haben, steigt die Zahl der männlichen “Empfänger” des Buches sogar auf 69 Prozent. Die Altersstruktur der Käufer weicht an drei Stellen deutlich von der Gesamtbevölkerung ab: Das Alter bis 19 Jahre ist schwächer vertreten, die über Sechzigjährigen dagegen überproportional stark. Das überrascht nicht. Interessant ist aber, dass das Buch auch bei der Altersgruppe 20 bis 29 Jahre auf überdurchschnittliches Interesse stieß. Wo die Gesellschaft für Konsumforschung ihr Panel in sogenannte Lebenswelten unterteilt, die generell dazu dienen, das Kaufverhalten bestimmter Gruppen und Schichten besser vorhersagbar zu machen, trifft man immer wieder auf dasselbe Bild: Im jungen und mittleren Alter fühlten sich die Besserverdiener und Aufsteiger von Sarrazins Thesen überdurchschnittlich angesprochen, bei den Älteren ist es die Mittelschicht. Was die generellen Lebenseinstellungen der Käufer betrifft, gruppiert sich ein interessanter Block recht kuschelig um eine geregelte Häuslichkeit: “Harmonisches Privatleben” und “Sauberkeit der Wohnung” stehen hoch im Kurs, und auch der Klassiker-Satz “Am wohlsten fühle ich mich zu Hause” findet Zuspruch. Fast genauso hoch rangiert ein anderer konservativer Allgemeinplatz (Grafik 1): “In meiner Lebensführung mag ich keine Veränderungen, ich halte mich lieber an meine alten Gewohnheiten.”
Quelle: SZ
- Ypsilanti liest SPD die Leviten: Kein Gott, kein Kaiser noch Tribun
Es steht kritisch um die Sozialdemokratie, nicht nur um die deutsche. In ganz Europa sind sozialdemokratische und sozialistische Parteien in der Krise. Es sagt einiges über das Unbehagen in der Partei, wenn dazu auch der Seeheimer Kreis ein Positionspapier vorlegt. Es wäre falsch, seine Kritik abzutun. Immerhin versucht die Parteirechte, was der linke Flügel bisher nur fordert: eine Bestandsaufnahme und Aufarbeitung der rot-grünen Regierungsjahre, der Agenda-Reformen und der massiven Verluste nach der Großen Koalition. Offenkundig wird dabei das Scheitern der bizarren Inszenierung, in der die größte Wahlniederlage der Nachkriegsgeschichte einfach weggeklatscht werden sollte. Zur Erneuerung in der Opposition reicht eine Umgruppierung des Führungspersonals nicht aus. Deutlich wird das daran, dass von den schlechten Werten von Schwarz-Gelb in erster Linie die Grünen profitieren. Für die Seeheimer ist die Ursache klar: die Korrekturen an der Agenda 2010, das Abwenden von der Mitte, der Kontakt zur Linken. Sie fordern ein klares „Hü“ (Duin) statt eines sozialdemokratisch-donnernden „Sowohl-als-auch“ (R. Stegner). Ihr Argument ist der nicht belegte, geschweige denn durchdachte Verweis, dass die SPD mehr Stimmen an CDU/FDP als an die Linke verloren habe. Die wirklichen Ursachen der Krise der Sozialdemokratie erschließen sich jedoch nur im kritischen Blick zurück.
In den vergangenen 30 Jahren hat sich die SPD gleich von zwei gesellschaftlichen Milieus getrennt, auf die sie existenziell angewiesen ist. In der Ignoranz der „Schmidt-SPD“ in Bezug auf Natur und Energieressourcen, gegenüber geschlechtergerechter Politik und der Friedensbewegung verlor sie das „intellektuelle“ Milieu an die Grünen.
Nach 1989 ignorierte sie den Reformflügel der Realsozialisten im Osten und wurde deshalb dort nie „Volkspartei“. Unter Schröder folgte der Wandel zur „Partei der Mitte“. Mit Unternehmens-, Kapitalertrags- und Spitzensteuersatzkürzungen, Agenda 2010, Hartz-Gesetzen und der Rente mit 67 verlor sie dann ihr eigenstes, an harten materiellen Fragen interessiertes Milieu. Sie kassierte reihenweise schwere Wahlniederlagen, Hunderttausende verließen die Partei – ein Aderlass. Da sie zunächst an der Regierung blieb, ignorierten Parteiführung und Regierungsmitglieder den Unmut, schließlich die Verzweiflung der Parteibasis.
Quelle: FR
- Die Verhältnisse sind weniger neoliberal als neofeudal
Gespräch mit Mark Terkessidis, deutscher Autor und Migrationsforscher. Über eine gescheiterte Integrationspolitik, Barrierefreiheit für Migranten und Paradoxien des Neoliberalismus:
“Die Verhältnisse in der Bundesrepublik sind teilweise weniger neoliberal als neofeudal. In Deutschland basiert unglaublich viel darauf, daß jeder an seinem eigenen Platz bleibt. Jobs und Privilegien werden über hergebrachte Netzwerke verteilt. Man kann bei zwei Punkten ansetzen. Das ist zum einen das Konzept von Eigenverantwortung, das einem ja permanent ins Gebetbuch geschrieben wird. Zum anderen gibt es die Forderung, daß sich Leistung lohnen muß, wie es Guido Westerwelle sagen würde. Wenn aber Eigenverantwortung in Wirklichkeit nicht mehr bedeutet, als daß ausschließlich ich selbst für meine Lage verantwortlich gemacht werde und es gleichzeitig keine Mobilität nach oben gibt, dann handelt es sich um eine einzige Lüge. Die Paradoxien des Neoliberalismus zu entfalten heißt also, Möglichkeiten einzufordern, die der Neoliberalismus selbst verheißt, aber in der deutschen Wirklichkeit nicht ermöglicht. Es geht also darum, das Freiheitsversprechen dieser Ideologie gegen das auszuspielen, was heute politisch umgesetzt wird.”
Quelle: junge Welt
- Schulsozialarbeit bringt mehr als ein Bildungsgutschein für Nachhilfe
Der DGB fordert die Schulsozialarbeit auszubauen. Damit würde mehr für förderbedürftige Kinder und Jugendliche getan als durch die von der Bundesregierung geplanten Bildungsgutscheine für Kinder aus Hartz IV-Familien.
Schulsozialarbeit ist ein Angebot, das allen Kindern und Jugendlichen zugute kommt. Sozialarbeiter/innen tragen dazu bei, Benachteiligungen zu vermeiden und abzubauen. Sie unterstützen Lehrkräfte und Eltern bei Alltagsproblemen und Erziehungsfragen. Ein Angebot also, das sich positiv auf die Lern- und Lebensbedingungen aller Beteiligten auswirkt. Mit mehr Schulsozialarbeit ließe sich ein echtes Programm für Chancengleichheit auflegen.
Die geplanten Bildungsgutscheine sind viel zu kurz gedacht. Sie sind mit einem enormen bürokratischen Aufwand verbunden und erreichen längst nicht alle förderbedürftigen Kinder. Außerdem hat sich auf dem freien Nachhilfemarkt ein wahrer Dschungel entwickelt. Die Qualität der Anbieter wird kaum kontrolliert, der Markt ist nicht nur für Hartz IV-Empfänger vollkommen unübersichtlich. Statt kommerzielle Nachhilfe-Institute mit Gutscheinen zu subventionieren, sollte individuelle Förderung vielmehr dort angeboten werden, wo Kinder sind: in den Schulen.
Quelle: DGB
- Blicke über den Zaun:
- Pierre Larrouturou: In Frankreich wird nicht weniger als anderswo gearbeitet
Wesentliche Inhalte eines in der Pariser Tageszeitung Le Monde am 7.1.2011 (S.17) erschienenen Debattenbeitrags. Übertragen von Gerhard Kilper
Quelle 1: Le Monde
Quelle 2: Übersetzung [PDF – 49.2 KB]
- Ein verrückter Rowdy
Seit Crow der Gewerkschaft (National Union of Rail, Maritime and Transport Workers (RMT)) vorsteht, ist die Mitgliederzahl von 54.000 auf 80.000 angewachsen. Wer sich angeschlossen hat, ist in den Genuss von Lohnerhöhungen und sogar der Wiedereinführung einer Altersversorgung auf Basis des letzten Gehalts gekommen. Crow:
Der Evening Standard hat die Sache schon richtig erkannt, als er schrieb, ich sei ‘besessen’ von der Idee, die Lebensbedingungen meiner Mitglieder zu verbessern. Das ist völlig richtig, es bereitet mir in der Tat viel Freude, wenn ich sehe, dass eines unserer Mitglieder mehr Lohn bekommt. Das ist ein weiterer Sieg für uns, das gebe ich gerne zu.
Diese Siege erringen sie, weil sie bereit sind, häufig zu streiken.
Quelle: FREITAG
- In den USA sterben erneut Banken
Im vergangenen Jahr gingen nicht weniger als 157 US-Banken pleite. Der Trend scheint 2011 noch nicht vorbei: Die Einlagensicherung FDIC schloss am Freitag die Legacy Bank aus Arizona sowie die First Commercial Bank of Florida. Beide Kreditinstitute gehören zu den späten Opfern der Wirtschaftskrise.
Die Regionalbanken im Land leiden unter der schlechten Zahlungsmoral ihrer Kunden: Viele Menschen können ihre Kredite fürs Haus oder das Auto nicht abstottern, weil sie arbeitslos geworden sind. Erst langsam entspannt sich die Lage auf dem US-Jobmarkt. Für die Kunden gingen die Pleiten auch in den neuen Fällen glimpflich aus: Benachbarte Regionalbanken haben die insgesamt elf Filialen übernommen. Damit kommen die Sparer weiter an ihr Geld.
Quelle: FTD
- Westliche Politiker könnten mehr Mut zeigen
Der Bischof von Arabien, der Schweizer Paul Hinder, hat die Politik im Westen zu mehr Einsatz für die Religionsfreiheit in der Golfregion aufgefordert. Leider würden Menschenrechtsfragen oft wirtschaftlichen Interessen untergeordnet. Der Anschlag in Alexandria spiegele keinesfalls das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen wider:
“Zumal solche Anschläge vor allem auch im Irak und Pakistan verübt werden. Bei Ägypten sollte man nicht vergessen, dass es dort schon seit langem fundamentalistische Zellen gibt. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass die Bluttat eine neue Dimension des Terrors bedeutet. …. Mubarak hat möglicherweise nicht mehr die volle Macht, oder er versucht sie mit fragwürdigen Mitteln zu zementieren. Die Christen halten wohl auch als Sündenböcke her, um vom Versagen der staatlichen Institutionen und von deren tiefgreifender Korruption abzulenken. Wenn man sich das ausgeklügelte Spitzel- und Überwachungssystem in Ägypten vor Augen führt, ist es kaum denkbar, dass ein solcher Anschlag ohne weiteres passieren kann. …. Die Unterdrückung von Christen ist an einzelnen Orten Realität. Ich habe den Eindruck, dass man da im Westen lange Zeit weggeschaut hat. Viele konnten nicht zugeben, dass in manchen radikalen Gruppierungen des Islam der Wille zur Vertreibung oder gar zur Ausrottung der Christen durchaus vorhanden ist. Die Mehrheit der Muslime möchte allerdings mit den Christen in Frieden zusammenleben. Meine Befürchtung ist, dass jetzt eine allgemeine Dämonisierung des Islam einsetzen könnte. Das wäre sehr gefährlich. …. Von westlichen Politikern würde ich mir manchmal mutigere Worte oder Aktionen wünschen. Sie könnten dies eher tun als wir, die wir hier leben. Leider werden Menschenrechtsfragen oft den wirtschaftlichen Interessen nachgeordnet, gerade auch angesichts des Ölvorkommens in der Golfregion. … solange es keine befriedigende Lösung zwischen Israeli und Palästinensern gibt, steckt für viele Muslime weiterhin ein Stachel im Fleisch. Der Nahost-Konflikt ist mittlerweile ein Thema in fast jedem Gespräch mit Einheimischen.“
Quelle: NZZ
Anmerkung Orlando Pascheit: Der Bischof bemüht sich, den Anschlag in Alexandria nicht als neue Dimension des Terrors zu deuten und verweist auf das reale Verhältnis von Christen und Muslimen in Ägypten. Nur sind seine eigenen Aussagen widersprüchlich. Wenn er z.B. Beispiel die Möglichkeit in Betracht zieht, dass das Regime Mubarak weggeschaut habe, um mit fragwürdigen Mitteln sein Regime zu zementieren, so ist dies sehr wohl eine neue Dimension. Das heißt doch, dass die ägyptische Regierung damit auf das Kalkül setzt, dass die Bevölkerung mehrheitlich das Feindbild des Andersgläubigen akzeptiert. Die meisten Berichte sprechen denn auch von einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen Kopten und Christen. Juden leben seit der Nasser-Kampagne sowieso nicht mehr im Land, also müssen heute die Christen als verlängerter Arm des Westens herhalten. Vor zwei Monaten behauptete der Juraprofessor Selim al-Awwa, Vorsitzender der ägyptischen Gesellschaft für Kultur und Dialog, gegenüber dem Sender al-Dschasira, die Kopten versteckten in ihren Kirchen geschmuggelte Waffen. Solche Äußerungen haben eine eindeutige Botschaft. Natürlich hat der Bischof recht, wenn er auf tiefere Ursachen wie “schwache und korrupte staatliche Strukturen, große soziale Ungleichheiten, hohe Arbeitslosigkeit” hinweist, aber erzähle das den Massen perspektivloser junger Arbeitsloser. Da bietet der radikale Prediger um die Ecke einfachere Lösungen, mit dem Kampf gegen den westlichen, christlichen Satan.
Auch ist dem Bischof zuzustimmen, dass die Dämonisierung des Islam gefährlich ist. Wir dürfen nicht in die Falle tappen, unsere Muslime mit radikalen muslimischen Gruppen im nahen Osten gleichzusetzen. Natürlich fällt das schwer, wenn wir sehen, wie unterschiedlich und uns völlig fremd der Islam in manchen Regionen der Welt gelebt wird. Aber wenn wir z.B folgenden Artikel lesen, sollten wir über die 500 angeblich moderaten religiösen Gelehrten und Kleriker, die den Mord am Gouverneur des Pandschab gutheißen, nicht vergessen, dass sich dieser gegen die rückwärtsgewandten Blasphemie-Gesetze ausgesprochen hat. Soll heißen, es gibt auch Gegenkräfte, die die Uniformierung des Islam auf niedrigstem Niveau und die damit einhergehende geistige Verarmung dieser Länder nicht mitmachen wollen.
- Geistliches Lob für Mord am Gouverneur des Pandschab
Taseers Mörder, der 26-Jährige Mumtaz Hussain Qadri, hat kurz nach der Tat erklärt, er habe den Politiker getötet, weil dieser sich gegen die Blasphemie-Gesetze aus der Zeit des Diktators Zia ul-Haq ausgesprochen habe. Taseers Tod löste jedoch nicht nur Bestürzung aus. Eine Gruppe von mehr als 500 eigentlich moderaten religiösen Gelehrten und Klerikern warnte davor, den Tod Taseers zu betrauern. “Jene, die die Blasphemie des Propheten unterstützen, begehen selbst Blasphemie”, hieß es in einer Erklärung der Gruppe Jamaat-i-Ahl-i-Sunnat. Die führende Urdu-sprachige Tageszeitung Jang griff die Erklärung auf und schrieb auf ihrer Titelseite: “Es sollte keine Beerdigung für Taseer geben und keine Verurteilung seines Todes. […] Wer einen Gotteslästerer unterstützt, ist selbst ein Gotteslästerer.”
Auch auf der Internetplattform Facebook begrüßten tausende Nutzer die Ermordung des Politikers. Binnen kürzester Zeit schlossen sich beinahe 2.000 Facebook-Nutzer einer Gruppe an, die den Attentäter Qadri für seine Tat würdigten. Diese Äußerungen im Internet, zu dem nur Mittelschicht und Elite Zugang haben, verdeutlichen in drastischer Weise, dass es den Militanten gelungen ist, ihr Gedankengut und die Bereitschaft, zu Gewalt zu greifen, in die pakistanische Gesellschaft zu tragen.
Quelle: taz
- Spaltung des Landes: Wie sich das Referendum auf den Sudan auswirkt
Von diesem Sonntag an bis zum 15. Januar stimmen rund vier Millionen registrierte Wähler des Südsudans darüber ab, ob ihr Land der erste neue Staat des 21. Jahrhunderts werden soll. Die Zustimmung dazu gilt als sicher. Nordsudan verliert etwa ein Drittel seines Staatsgebiets und zwei Drittel seiner Ölfelder. Der Südsudan ist ein ernsthafter Anwärter auf den Platz des am wenigsten entwickelten Staates der Welt.
Quelle: Tagesspiegel
- Schwulst und Ranküne
In Ungarn beschneidet Premier Victor Orbán die Demokratie. Sein Land droht zum Vorbild für andere Staaten in Osteuropa zu werden. Vor zwei Jahrzehnten galt Ungarn als Musterland im postkommunistischen Osteuropa. Heute zeigt sich, dass der Übergang in Ungarn (wie anderswo in Osteuropa) in vielerlei Hinsicht gescheitert ist. Die ungarische Gesellschaft ist müde und zermürbt von den zwei Jahrzehnten eines permanenten Übergangs. Die frühere Elite hat sich nahezu nahtlos ins neue System gerettet. Es herrschen Korruption und Misswirtschaft. Die ohnehin nur schwache Mittelklasse ist in Auflösung begriffen, eine Zivilgesellschaft existiert kaum. Alle Ansätze der letzten fünfzehn Jahre, Wirtschaft und Finanzen dauerhaft zu sanieren, waren erfolglos: vor knapp zwei Jahren stand Ungarn am Rand der Staatspleite.
Enthusiastische Politologen verwiesen Anfang der 1990er Jahre gern auf Ungarn, um zu zeigen, dass der Prozess der Demokratisierung in Osteuropa “irreversibel” sei. Welch ein Irrtum. Sicher, eine lupenreine Diktatur werden Viktor Orbán und seine Partei vorerst nicht errichten. Doch sie führen ihren Nachbarn in der Region – oft fragile Demokratien mit Tendenzen zum Autoritarismus – vor, wie nuanciert man die Abkehr von rechtsstaatlichen Prinzipien und demokratischen Werten betreiben kann. Wieder einmal – und das auf ganz andere Art als früher – ist Ungarn heute ein Musterbeispiel für andere osteuropäische Länder.
Quelle: taz