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Titel: Der „Exportismus“ von Andreas Nölke – ein Buch über den Entzug von der deutschen Droge Export
Datum: 27. Dezember 2021 um 9:00 Uhr
Rubrik: Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Rezensionen, Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Redaktion
Falls Sie mal wieder etwas lesen möchten, das nichts mit Corona zu tun hat und dennoch von aktueller Relevanz ist, dann können Sie gerne zu dem Buch „Exportismus – die deutsche Droge“ des Frankfurter Politikwissenschaftlers Andreas Nölke greifen. Dieser stellt darin die interessante These auf, dass die Gelegenheit, aus dem zerstörerischen deutschen Exportmodell auszusteigen, derzeit günstig ist wie nie. Einziger Haken: Die neue Ampel-Koalition müsste dabei mitmachen. Von Thomas Trares
Die Kernthesen des Buches sind schnell erzählt. Die deutsche Wirtschaft ist abhängig von einer Droge namens Export. Und wie bei jeder gängigen Droge muss die Dosis immer weiter steigen, damit der „Kick“ kommt. Mehr als 120 Prozent Exportwachstum seit dem Jahr 2000, fast die Hälfte der Wirtschaftsleistung geht inzwischen in den Export, sieben Prozent Exportüberschuss im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt, all das sind extrem hohe Werte.
Gefährliche Ideologie
Nölke bezeichnet diese einseitige Ausrichtung der deutschen Wirtschaft als „Exportismus“. Dieser sei eine „gefährliche Ideologie“, ein „egoistisches Wirtschaftsmodell“. Er schreibt: „Der Exportismus redet uns ein, dass die extreme Abhängigkeit von der Nachfrage aus dem Ausland in unser aller Interesse liegt, obwohl sie nur einem kleinen Teil von Dealern (den schwerreichen Clans der deutschen Familienunternehmer) wirklich nützt. Diese Ideologie hat sich in den letzten Jahrzehnten tief in unserer Gesellschaft verbreitet, gestützt auf Komponenten wie der Neigung zur Lohnmäßigung, der Angst vor Hyperinflation, der Verehrung der schwäbischen Hausfrau und dem Kult der (Währungs-)Unterbewertung“ (S. 8).
Die Wurzeln reichen zurück bis hin zu den Exporterfolgen des späten 19. Jahrhunderts. Richtig Fahrt aufgenommen hat der Exportismus aber erst in der Nachwendezeit der neunziger Jahre bzw. mit der Einführung des Euro Anfang der nuller Jahre. Charakteristisch für diese Ideologie sind die Diskussion um den „Standortwettbewerb“, die positive Würdigung der Hartz-Reformen, der Stolz auf die „Exportweltmeisterschaft“, die unzulässige Vermischung der Begriffe Schuld und Schulden oder auch die Dominanz einzelwirtschaftlichen Denkens. Indikator für den Erfolg einer Volkswirtschaft ist im Exportismus eine positive Handels- und Leistungsbilanz, wichtigster Leistungsindikator die internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Kulturelle Hegemonie
Nölke zufolge hat der Exportismus in Deutschland inzwischen den Status „kultureller Hegemonie“ erlangt. Der Ausdruck geht zurück auf den italienischen Intellektuellen Antonio Gramsci. Gemeint ist damit, dass bestimmte Positionen oder Ansichten in der Gesellschaft gar nicht mehr hinterfragt werden, sie gelten als selbstverständlich, als „Common Sense“. Im Buch bringt Nölke dazu ein Beispiel aus dem Bundestagswahlkampf von 2017. Obwohl es eigentlich ein sozialdemokratisches Anliegen sein sollte, hatte sich der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bei seiner wirtschaftspolitischen Grundsatzrede vor der Berliner IHK jegliche Kritik an den hohen deutschen Handelsbilanzüberschüssen verbeten (S. 183).
Das Interessante an Nölkes Buch jedoch ist die These, dass jetzt der Zeitpunkt günstig ist wie nie, um aus dieser fatalen Exportabhängigkeit auszusteigen. Doch wie kommt er zu diesem Schluss? Schon vor der Coronakrise hatte sich angedeutet, dass die Lage auf den globalen Absatzmärkten für die deutsche Wirtschaft schwieriger wird. Beispiele sind der Brexit, der Konflikt zwischen China und den USA und die Ungleichgewichte im Euroraum. Aber auch im Innern wurden die Fehlentwicklungen des Exportismus wie die dauerhaft niedrigen Löhne oder die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse immer sichtbarer.
Fixierung auf „Schwarze Null“ aufgegeben
Mit der Coronakrise jedoch, so glaubt Nölke, hat die Globalisierung nun endgültig ihren Zenit überschritten. Die globalen wirtschaftlichen Verflechtungen werden sich aus seiner Sicht künftig eher verringern als intensivieren. Zudem wurde in der Krise mit den milliardenschweren Stützungsprogrammen nicht nur die Fixierung auf die „Schwarze Null“ aufgegeben, sondern auch die Schuldenbremse temporär außer Kraft gesetzt. Und den Mindestlohn gibt es bereits seit 2015. Nölke bezeichnet dessen Einführung als „erste Herausforderung des exportorientierten Lohndumpings“. Unter dem Strich sind somit schon einige Maßnahmen umgesetzt, die man auf dem Weg raus aus der Exportabhängigkeit ohnehin irgendwann hätte treffen müssen (S. 198f).
Parallel dazu beginnt nun auch in konservativen Kreisen das Narrativ zu bröckeln, dass Staatsschulden per se schlecht für die Wirtschaft sind. Nölke verweist hier auf den Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. Dieser hatte sich für ein umfangreiches schuldenfinanziertes Investitionsprogramm ausgesprochen und die Schuldenbremse in einem gemeinsam mit dem Ökonomen Jens Südekum verfassten Forschungspapier als „falsche Fiskalregel am falschen Platz“ bezeichnet (S. 138).
Macht der Autoindustrie schwindet
Am auffälligsten zeigt sich Nölke zufolge die Schwächung des deutschen Exportmodells jedoch an der schwindenden Macht der deutschen Autoindustrie. Dies sei nicht nur die Branche, die exportistische Positionen bislang besonders radikal vertreten hat, sondern auch der mit Abstand mächtigste Sektor der deutschen Wirtschaft, vergleichbar mit der Finanzbranche in Großbritannien und den USA. In der Coronakrise jedoch war es der Autoindustrie trotz heftigem Lobbying nicht gelungen, eine Kaufprämie für Verbrennerfahrzeuge durchzusetzen (S. 200).
Zur Überwindung der fatalen Exportabhängigkeit schlägt Nölke nun eine Strategie des „Rebalancing“ vor. Darunter versteht er eine Kombination aus florierender Binnenwirtschaft und erfolgreicher Exportwirtschaft. Eine derart ausbalancierte Ökonomie sollte in langfristiger Perspektive größere Leistungsbilanzüberschüsse genauso vermeiden wie Leistungsbilanzdefizite. Die tragenden Säulen dieser Strategie sind einerseits höhere Löhne auf Basis einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik und andererseits verstärkte staatliche Investitionen, beispielsweise zur Verhinderung des Klimawandels (S. 102ff).
Fazit:
Die Strategie des Rebalancing wäre eigentlich die Strategie, die einer Mitte-Links-Regierung im klassischen Sinne gut zu Gesicht stehen würde. Ob es sich bei der künftigen Ampel-Koalition um eine solche handelt, erscheint jedoch mehr als fraglich. Im Koalitionsvertrag jedenfalls wurde auf eine „gezielte Ausbalancierung des übermäßig exportlastigen Wirtschaftsmodells verzichtet“, wie Nölke gerade in einem Beitrag für das Magazin „Makroskop“ schrieb. Nichtsdestotrotz ist das Buch für jeden, der sich kritisch mit dem Thema „deutsche Exportabhängigkeit“ auseinandersetzen will, ein Muss. Hier ist im Grunde alles zu finden, was wichtig ist: Argumente, Erklärungen und ein breiter Fundus an weiterführender Literatur.
Andreas Nölke: Exportismus – Eine deutsche Droge, Westend Verlag, 2021, 256 Seiten, Softcover, 22 Euro
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