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Titel: Corona und Obdachlose: Die Kälte erobert die Gesellschaft

Datum: 10. Dezember 2021 um 12:19 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Ungleichheit, Armut, Reichtum, Wertedebatte
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Der Berliner Senat verbannt Obdachlose auch bei Kälte von Bahnsteigen, wenn sie nicht 3G erfüllen. Dieses Vorgehen sticht heraus – selbst noch aus den vielen Beispielen, die den angeblich „solidarischen“ Charakter der Corona-Politik bereits als Drangsalierung entlarvt haben (etwa gegenüber den Kindern). Es ist eine Demonstration der menschlichen Kälte, die nur wegen der überwältigenden Corona-Kampagne keinen Aufschrei mehr auslöst: Die Bürger wurden mit der Umdeutung des Begriffes „Schutz“ gegen eine ungeheuerliche Politik abgestumpft. Die Angstkampagnen, Zahlenmanipulationen und die darauf aufgebaute Corona-Politik zeigen schlimme Wirkung: Es ist etwas zerbrochen in dieser Gesellschaft. Das wird von den (Un-)Verantwortlichen billigend in Kauf genommen – und sogar noch zugespitzt. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Obdachlose ohne 3G-Nachweis dürfen in Berlin nicht mehr vor der Kälte auf Bahnsteigen Zuflucht suchen, wie Medien berichten. Der rot-rot-grüne Senat bedauere die Entscheidung, bleibe aber hart.

Der Zynismus der Corona-Politik

Die 3G-Regel, nach der nur Geimpfte, Genesene und Getestete mit Bahnen und Bussen fahren dürfen, wird laut den Berichten auf die Bahnsteige erweitert. Dies betrifft dann auch Obdachlose, die dort im kalten Winter oft Zuflucht suchen.

„Grundsätzlich ist es so, dass Kontrolleure Personen abweisen müssen, die die 3G-Bedingung nicht erfüllen“, teilte die Berliner Sozialverwaltung mit. Es sei „nicht möglich, eine Ausnahme für obdachlose Personen zu schaffen“, heißt es von der Sozialverwaltung: „Aus Gründen des Infektionsschutzes ist eine Ausnahmeregelung nicht erwünscht.“ Man wisse jedoch, wie problematisch diese Situation für obdachlose Menschen sei. „Daher unternehmen wir viele Anstrengungen, Obdachlosen eine Impfung und weitere Tests zu ermöglichen“, so die Sozialverwaltung. Die „Berliner Zeitung“ bringt diesen Zynismus auf den Punkt:

„Berlin will Obdachlosen helfen, die Corona-Regeln einzuhalten, aber mit Nachsicht können sie nicht rechnen.“

Das Maß der Schikane darf vom sozialen Status abhängen

Mit medizinischen Argumenten ist das Vorgehen nur schwer zu rechtfertigen, selbst im normalen Bahnbetrieb, wie etwa eine Untersuchung der Charité nahelegt:

„Wer Busse und Bahnen im Regio-Verkehr benutzt, hat kein höheres Infektionsrisiko als Pendlerinnen und Pendler, die regelmäßig mit dem Auto, dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs sind.”

Diese Aussagen rücken alle 3G-Regeln im Berliner Nahverkehr in die Nähe von unangemessener Schikane, auch die für die „normalen“ Fahrgäste. Zusätzlich ist es bereits akzeptiert, dass das Maß der Schikane möglicherweise auch vom sozialen Status abhängen darf (schließlich „haben wir Pandemie!“), wie unter vielem anderen etwa ein Bericht von RT über das 2G-Modell bei einer Münchner Essens-Tafel zeigte. Bürger, die finanziell nicht auf solche Hilfen angewiesen sind, werden von den Schikanen und dadurch vom Impfdruck erheblich weniger getroffen – eine klare Ungleichbehandlung, die kaum noch Empörung hervorruft.

Soziale Kälte und Versagen

Immerhin soll in Berlin wohl nicht über das unsoziale Mittel von kostenpflichtigen Tests zusätzlicher Druck auf Arme ausgeübt werden: Zur Unterstützung obdachloser Menschen in der Pandemie sei das Testangebot speziell für diese Personengruppe bereits erheblich ausgeweitet worden, so die Berliner Sozialverwaltung. Doch was passiert mit einem Obdachlosen, der bei Minusgraden nur einen positiven Test vorweisen kann, wie André Tautenhahn bereits in den Hinweisen des Tagen gefragt hat:

„Wo sollen sich Obdachlose denn im Sinne der Absonderungsverfügungen isolieren?“

Zu der behördlichen Kälte kommt das Versagen in der Praxis: Nochmals zugespitzt wird die Situation in Berlin dadurch, dass kleineren Tagesstätten und Suppenküchen, in denen Obdachlose betreut und versorgt werden, die Corona-Schnelltests auszugehen drohen, wie Medien berichten. Das habe gravierende Folgen für die Betroffenen. „Ohne Tests können die Einrichtungen die wohnungslosen Menschen nicht aufnehmen“, sagte Ina Zimmermann vom Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg.

„Wo gehobelt wird, da fallen Späne“

Die Berliner Maßnahmen im Nahverkehr machen nicht einmal innerhalb des offiziellen Corona-„Narrativs“ Sinn. Darum sind sie auch ein Beispiel für die Auswüchse bei den nicht evidenzbasierten Aussagen in der Corona-Politik: Nicht der Senat muss nun beweisen, dass die Infektionsgefahr beim Übernachten in geräumigen Bahnhöfen ohne 3G so hoch ist, dass mit dieser Gefahr das mutmaßliche Delikt der unterlassenen Hilfeleistung gerechtfertigt ist. Nein: Nach den seit Corona umgedeuteten Begriffen, Kriterien und Paradigmen kann diese Gefahr einfach behauptet werden und es gibt kaum eine Instanz mehr, die Beweise einfordert. Argumentativ herausgefordert wird vor allem die Seite, die solche Auswüchse der Corona-Politik kritisiert.

Und vermutlich gibt es nun sogar Akteure, die das Thematisieren des Berliner Skandals deswegen fragwürdig finden, weil das „Wasser auf die Mühlen der Querdenker“ sei. Auf dieses bedrückende intellektuelle Niveau wurde die Corona-Debatte inzwischen degradiert.

In dem Berliner Beispiel manifestiert sich das Prinzip: „Wo gehobelt wird, da fallen Späne.“ Und es geht noch darüber hinaus: Wegen der mutmaßlich stark manipulierten Zahlenbasis zu Corona ist bereits die Frage stark umstritten, ob überhaupt in der erlebten Form „gehobelt“ werden müsste. Infos zu mutmaßlichen Zahlenmanipulationen bei Corona finden Sie unter anderem hier oder hier oder hier oder hier oder hier oder hier oder hier. Wegen der fragwürdigen Datenbasis müsste die gesamte Corona-Politik (im Sinne des Grundsatzes zur Verhältnismäßigkeit) daraufhin geprüft werden, ob sie „geeignet“ und „angemessen“ ist – noch vorher wäre zu klären, ob sie überhaupt „erforderlich“ ist und ob sie einen „legitimen Zweck“ verfolgt. Da die Intensivbetten-Belegung ein Hauptargument für die Schikanen ist, muss immer wieder betont werden: Auch Akteure, die dazu beigetragen haben, die Krankenhäuser teilzuprivatisieren und das Personal zu vertreiben, markieren nun die nicht geimpften Bürger als Sündenböcke für die eigene Politik – und viele Bürger lassen sich von dieser durchschaubaren Ablenkung aufwiegeln.

Die „Solidarität“ von „Linken“

Der kalte Umgang mit Obdachlosen ist die Art von „Solidarität“, wie sie seit Corona auch von LINKE, SPD und Grüne definiert wird. Die verantwortlichen Politiker sollten sich auch nicht hinter der Kälte des jeweils handelnden Amtes verstecken dürfen: Der Geist der Kälte wurde von „ganz oben“ durch Politiker und Journalisten vorsätzlich in unserer Gesellschaft gestreut – wenn nun niedere Beamte danach handeln, sind Medien und Politik immer mitverantwortlich. Der Geist der Kälte hat sich seit Corona bereits in Besuchsverboten für Sterbende geäußert oder in monatelangen Einschränkungen bei Bildung, Bewegung und Kontakten für Kinder oder in einer allgemeinen und vorsätzlichen Polarisierung der Gesellschaft. Dieser Geist kommt noch zu den bereits vor Corona bestehenden sozialen Gräben hinzu. Dem real existierenden Corona-Virus hätte auf anderen Wegen begegnet werden können und müssen.

Indem die LINKE die Impfpflicht unterstützt (im Land Berlin und im Bund), bemäntelt sie ebenso wie die Ampel-Parteien unsoziale und autoritäre Tendenzen. Viele Bürger vermuten „hinter“ der Impfkampagne zusätzlich noch die Ebene der Überwachung, der Datenbanken und der Passierscheine – nach dieser Sichtweise wäre die Impfkampagne auch Vehikel und Einfallstor für Elemente der Kontrolle.

Etwas ist zerbrochen

Die ausbleibende (breite und hörbare) Empörung über die Berliner Vorgänge zeigt: Es ist etwas zerbrochen in dieser Gesellschaft – und diese Brüche werden von den (Un-)Verantwortlichen billigend in Kauf genommen und sogar noch zusätzlich geschürt, wie die letzten Tage einmal mehr verdeutlicht haben: Die Verantwortlichen für das Skandal-Urteil des Verfassungsgerichts, für die Ankündigung der Impfpflicht oder für die Berufung Karl Lauterbachs möchten nicht versöhnen: Sie möchten provozieren und bestehende Konflikte vorsätzlich und zusätzlich eskalieren.

Verstörend ist einmal mehr, dass von „linker“ Seite teils besonders autoritäre Corona-Forderungen erklingen. Wie die Ärmsten „durch die Pandemie kommen“, haben wir hier gerade gelesen. Wie obszön die Superreichen gleichzeitig von der unsozialen Corona-Politik profitieren, macht ein aktueller Bericht deutlich.

Titelbild: chomplearn / Shutterstock


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